Z Orthop Ihre Grenzgeb 2005; 143(2): 123-124
DOI: 10.1055/s-2005-868435
Orthopädie aktuell

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Neue Einblicke in den Wirkmechanismus niedrig-energetischer Stoßwellen

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Publication Date:
29 April 2005 (online)

 
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Prof. Dr. med. Jan-Dirk Rompe

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Wirkung niedrig-energetischer Stoßwellen

Tierexperimentelle Untersuchungen haben inzwischen folgende Wirkungen niedrig-energetischer Stoßwellen nachweisen können:

  • Induktion der Neoangiogenese sowie der Sehnenregeneration am Sehnen-Knochen-Übergang (Kaninchen) (Wang et al. 2003)

  • Induktion der Neovaskularisation im compromised-skin-flap-model (Ratte) (Meirer et al. 2005)

  • Induktion einer dosisabhängigen Heilung einer kollagenaseinduzierten Tendinitis (Ratte) (Chen et al. 2004)

  • Induktion einer Reduktion CGRP-positiver nozizeptiver Schmerzfasern (Ratte) (Ohtori et al. 2001)

  • Induktion einer verzögerten Re-Innervation CGRP-positiver nozizeptiver Nervenfasern nach repetitiver Applikation (Ratte) (Takahashi et al. 2004).

Gerade die Arbeiten von Ohtori und Takahashi sind von besonderer Bedeutung, da von neurologischer Seite die wichtigen efferenten Funktionen primär afferenter CGRP-positiver nozizeptiver Schmerzfasern seit langer Zeit bekannt sind. Nozizeptoren (auch des Knochen-Sehnen-Überganges) enthalten Neuropeptide wie Substanz P oder CGRP in gespeicherter Form. Die Neuropeptide bewirken eine starke Vasodilatation (Krämer et al. 2004) und Permeabilitätssteigerung der lokalen Gefäße (Weber et al. 2001), insgesamt also einen protrophischen Effekt in der Haut und auch in tiefem Gewebe (Birklein et al. 2001).

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Neurogene Entzündung als nützliche lokale Abwehrreaktion

Diese bei Schadensreizen innerhalb von Minuten ausgelöste neurogene Entzündung ist als nützliche lokale Abwehrreaktion zu sehen, mit der z.B. die Wundheilung beschleunigt wird (Zimmermann 2004). An der menschlichen Haut lässt sich die CGRP-Freisetzung nach Schmerzreizung besonders einfach nachweisen, an einem sog. Axonreflex-Erythem ("Flare") (Sauerstein et al. 2000). Dessen Ausmaß wird mit einem Laser-Doppler-Imager verifiziert. Besonders interessant sind diese Ergebnisse neurophysiologischer Forschung in der Hinsicht, dass eine Erregung der C-Fasern - verantwortlich für die Schmerzempfindung - durch Lokalanästhesie unterdrückt wird. Es werden nach Lokalanästhesie keine Neuropeptide freigesetzt und damit auch keine längerfristigen trophischen Veränderungen induziert.

Gerade der Einsatz eines Lokalanästhetikums zur Verblindung der Patienten in Studien zur Wirksamkeit niedrig-energetischer Stoßwellen wird zur Zeit äußerst kritisch diskutiert.

Haake et al. (2003) fanden in einer plazebokontrollierten Untersuchung an 272 Patienten mit therapieresistenter Plantarfasziitis nach repetitiver ESWT mit Lokalanästhesie einen Therapieerfolg von 34%, nach repetitiver Plazebo-ESWT mit Lokalanästhesie von 30%. Labek et al. (in press) beschrieben in einer kontrollierten Pilotuntersuchung an 40 Patienten mit therapieresistenter Plantarfasziitis nach repetitiver ESWT mit Lokalanästhesie einen Therapieerfolg von 27%, nach repetitiver ESWT ohne Lokalanästhesie von 60%. Rompe et al. (in press) fanden in einer kontrollierten konfirmatorischen Untersuchung an 86 Patienten mit therapieresistenter Plantarfasziitis nach repetitiver ESWT mit Lokalanästhesie einen Therapieerfolg von 29%, nach repetitiver ESWT ohne Lokalanästhesie von 67%.

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Geringe Erfolge der ESWT bei Lokalanaesthesie

Offensichtlich hat die Lokalanästhesie, bei ansonsten praktisch identischen Einschluss-, Ausschluss- und Therapiekriterien einen Einfluss auf das klinische Outcome. Werden Lokalanästhetika zur Vermeidung von therapiebedingten Schmerzen vor ESWT injiziert, sind die Erfolge gering. Ohne Lokalanästhesie werden dagegen zwei Drittel der Patienten mittelfristig beschwerdefrei.

Als ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Behandlungsmethoden wurde vermutet, dass ein Lokalanästhetikum die Erregung afferenter C-Fasern und somit die Neuropeptidausschüttung am Ort der ESWT-Einwirkung verhindert. Da Neuropeptide eine starke trophische Wirkung haben, könnte dies den Unterschied zwischen ESWT mit und ohne Lokalanästhesie erklären.

Zur Belegung dieser Hypothese wurden im Rahmen eines Pilotprojektes bei 20 gesunden Probanden jeweils 2000 Stoßwellen unterschiedlicher niedriger Energieflussdichten (0,06 mJ/mm2, 0,09 mJ/mm2, 0,18 mJ/ mm2) am Unterarm, erst ohne, dann mit LA (EMLA-Creme) appliziert. Nach Erregung der C-Fasern durch die ESWT zeigte sich eine dosisabhängige lokale Rötung (Flare). Diese konnte mit einem Laser-Doppler-Imager 5 und 10 Minuten nach der Stimulation objektiviert werden. Im Anschluss an die Untersuchung wurden die Bilder mit der geeigneten Software ausgewertet. Es wurden die Größe des Flareareals und die Durchblutungssteigerung in diesem Areal gemessen. Gleichzeitig wurden Schmerz und Hyperalgesie quantifiziert. Bei der Wiederholung der ESWT nach 4-stündiger EMLA-Pflaster-Applikation am gegenüberliegenden Arm blieb diese Flarereaktion aus oder war zumindest stark reduziert. Weiterhin waren der Schmerz während ESWT und die Hyperalgesie nach ESWT reduziert. Das Experiment gab somit eine plausible Erklärung für die unterschiedlichen klinischen Ergebnisse der ESWT, je nachdem, ob die niedrig-energetische Stoßwellentherapie mit oder ohne Lokalanästhesie durchgeführt wurde.

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Wirkmechanismen bei niedrig-energetischen Stoßwellen

Zusammenfassend deuten tierexperimentelle und klinische Studien auf folgende Wirkmechanismen niedrig-energetischer Stoßwellen hin:

  • Durch den mechanischen Reiz kommt es zu einer (reversiblen) lokalen Reduktion afferenter Schmerzfasern im Sinne einer Denervierung.

  • An den nozizeptiven C-Faser-Endigungen werden Neuropeptide freigesetzt, (a) physiologisch durch die Schmerzreizung infolge der ESWT, (b) unphysiologisch durch die mechanische Schädigung der C-Fasern infolge der ESWT mit nachfolgender pro trophischer neurogener Inflammation.

  • Eine Potenzierung dieser Effekte wird durch eine repetitive Applikation erzielt.

  • Die Applikation eines Lokalanästhetikums inhibiert die efferente protrophische Nozizeptorfunktion und führt zu signifikant schlechteren klinischen Ergebnissen.

Literatur beim Verfasser.

Jan-Dirk Rompe*, Thomas Klonschinski*, Stephan Ament*, Frank Birklein**

Orthopädische* und Neurologische** Orthopädische Universitätsklinik Mainz, Langenbeckstr. 1, 55131 Mainz

 
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Prof. Dr. med. Jan-Dirk Rompe