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DOI: 10.1055/s-2005-868447
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Botulinumtoxin A - Therapieoption in Fällen chronischer Plantarfasziitis? - Ein offener Heilversuch mit 9 Patienten und einem Jahr Beobachtungszeitraum
Publication History
Publication Date:
29 April 2005 (online)

Dr. Richard Placzek
Die Plantarfasziitis ist ein, sowohl bei Sportlern als auch Nichtsportlern, weit verbreitetes Leiden, das nicht selten chronisch wird. Die Ätiopathologie ist nur unzureichend bekannt. Als prädisponierende Faktoren gelten Übergewicht und ein stehender Beruf. Angeschuldigt werden Mikrotraumen durch repetitive Zugkräfte wie sie beim Gehen und Stehen auftreten oder auch ein Impingement des den M. abductor digiti quintii versorgenden Nerven (Baxter's nerve) im Bereich des medialen Kalkaneus und auch eine Einschränkung der Dorsalextension im Sprunggelenk.
Biomechanisch tritt die größte Zugkraft am Ursprung der Plantarfaszie im Bereich der Insertion an der medialen Tuberositas calcanei auf. Kernspintomographisch kann hier eine Inflammation mit ödematöser Schwellung nachgewiesen werden (Abb. [1] A und B) und es wird eine Zunahme der Fasziendicke um mehr als das Doppelte beschrieben.

Abb. 1: Im Kernspin zeigt sich unter Kontrastmittelgabe (hier 15 ml Gadolinium) ein deutliches Enhancment im Bereich der Insertion der Plantarfaszie am Kalkaneus als typisches Zeichen einer chronisch infammatorisch-degenerativen Veränderung (umkreister Bereich). Abb. 1 A zeigt den Sagitalschnitt, Abb. 1 B den Frontalschnitt.
Mikroskopisch finden sich Kollagennekrosen, Chondrometaplasien, angiofibroblastische Hyperplasien und Matrixkalzifikationen als typische Zeichen einer chronischen Inflammation und Mangeldurchblutung.
Wie bei anderen Ansatztendinosen ist die Mehrzahl der Patienten durch eine konservative Standardtherapie behandelbar: lokale Cortikoidinjektionen, physikalische Therapie, Bandagen/Einlegesohlen oder auch Extrakorporelle Stoßwellentherapie (ESWT) und Akupunktur.
Zu beachten ist jedoch, dass die verbreitete, wiederholte lokale Injektion mit Glucocortikoiden mit den Risiken der Infektion und Fettgewebsnekrose, manchen Autoren zufolge sogar dem Risiko der Faszienruptur einhergeht und Anwendungen wie ESWT und Akupunktur mit erheblichem zeitlichen Aufwand für Patient und Therapeut verbunden sind. Chirurgische Maßnahmen sind umstritten und sollten nur Patienten vorbehalten bleiben, die auf andere Behandlungsmethoden nicht ansprechen.
Die Plantarfasziitis ist eine häufige Erkrankung, deren konservative und gelegentlich auch operative Behandlung schwierig sein kann. Basierend auf Ergebnissen in der Therapie der chronischen Epicondylopathia humeri radialis wurde der Effekt einer einmaligen Injektion von Botulinumtoxin A (BoNT A) untersucht. Wir behandelten 9 Patienten, bei denen mindestens zwei konservative Therapieversuche vorausgegangen waren. Es wurden einmalig 200 Einheiten BoNT A (Dysport®) subfaszial in das schmerzhafte Areal injiziert. Der Nachuntersuchungszeitraum lag bei 52 Wochen. Die Patienten dokumentierten den größten Schmerz und den Ruheschmerz auf einer visuellen Analogskala (VAS). Die Kraft der Unterschenkel- und Fußmuskulatur wurde ebenfalls erfasst. Es zeigte sich 6 Wochen nach Injektion eine signifikante Reduktion für den größten Schmerz und den Ruheschmerz, welche bis zur letzten Untersuchung anhielt. Nebeneffekte wie Muskelschwäche oder systemische Reaktionen wurden nicht beobachtet. Eine einmalige Injektion mit BTX-A kann eine wirksame Therapie bei chronischer Plantarfasziitis darstellen. |
Der Heilversuch
Basierend auf der Beschreibung eines analgetischen Effektes von Botulinumtoxin A (BoNT A) beziehungsweise eines antinozizeptiven Effektes auf inflammatorisch ausgelöste Schmerzen und positiven Ergebnissen in der Behandlung der chronischen Epikondylitis radialis humeri (chronischer Tennisellbogen) wurde im Rahmen eines offenen Heilversuches ("off label use") die Wirkung einer einmaligen BoNT A- Injektion (s.u.) überprüft.
Im Rahmen dieses Heilversuches wurden 9 Patienten, 5 Frauen und 4 Männer, im Durchschnittsalter von 55 Jahren (± 9,5 Jahre) mit chronischer Plantarfasziitis behandelt und nachuntersucht.

Abb. 2 a-d: Die Bildfolge zeigt die standardisiert durchgeführte Injektion mit einem Hautstich und viermaliger Fächerung im Bereich des Ursprungs der Faszie, d.h. Injektion von 0,5 ml Lösung pro Fächerstich.
Nach klinischer Untersuchung und ausführlicher Aufklärung über die Therapieform und die Besonderheiten eines Heilversuches wurden die Patienten nach schriftlichem Einverständnis in den Heilversuch aufgenommen. Es wurden 200 Einheiten BoNT A (Dysport®, IPSEN Pharma, Ettlingen) in 2,0 ml Injektionslösung (0,9% NaCl) gelöst, und subfaszial durch einen Hautstich viermal gefächert in das schmerzhafte Areal des Ursprungs der Plantarfaszie injiziert. Hierzu wurde eine 2 ml-Spritze mit einer 27 g- Kanüle (0,4 x 40mm) verwendet. Die Prozedur wurde jeweils vom selben Untersucher bzw. Therapeuten durchgeführt (Erstautor).
Gemäß des Studienprotokolls wurden die folgenden Parameter in den Wochen 2, 6, 10, 14, 26, 39 und 52 erfasst:
-
Ruheschmerz der letzten 48 h mittels visueller Analogskala (VAS), 0-10
-
Größter Schmerz der letzten 48 h mittels visueller Analogskala (VAS), 0-10
-
Messung der Muskelkraft nach Brunner, Grad 0-5, für
- Großzehenhebung und -senkung
- Fußhebung und -senkung
- Pronation und Supination des Fußes
-
Stadium der Chronifizierung mittels Gerbershagen-Score (Mainzer Stadienmodell der Schmerzchronifizierung, MPSS) bei Erstvorstellung (Injektion) und Abschlussuntersuchung (Woche 52)
Die statistische Analyse erfolgte mittels Wilcoxon-Test.
Die durchschnittliche Erkrankungsdauer lag bei 14 Monaten (2 bis 36 Monate). Alle Patienten profitierten von der Behandlung. Sechs Wochen nach der Injektion konnte eine deutliche und statistisch signifikante Reduktion des größten Schmerzes der letzten 48h auf der VAS beobachtet werden (Abb. [3]). Der Ruheschmerz der letzten 48h reduzierte sich in gleichem Maße (Abb. [4]).

Abb. 3: Die Abbildung zeigt die grafische Darstellung des größten Schmerzes der letzten 48 h auf der visuellen Analogscala (VAS, 0-10). Das Signifikanzniveau (p-Niveau, Wilcoxon-Test) ist in der Tabelle (rechts oben) abgebildet.

Abb. 4: Die Abbildung zeigt die grafische Darstellung des Ruheschmerzes der letzten 48 h auf der visuellen Analogscala (VAS, 0-10). Das Signifikanzniveau (p-Niveau, Wilcoxon Test) ist in der Tabelle (rechts oben) abgebildet.
Unerwünschte Wirkungen, wie Muskelschwäche oder systemische Reaktionen wurden nicht beobachtet.

Die Verbesserung der Parameter blieb über den gesamten Beobachtungszeitraum bestehen. Das bei Erstvorstellung und letzter Nachuntersuchung (52 Wochen) dokumentierte Chronifizierungsstadium (MPSS-Score nach Gerbershagen) zeigt Abbildung [5]. Stadium 1 stellt hierbei den besten erreichbaren Wert dar.

Abb. 5: Die Abbildung zeigt die grafische Darstellung des Chronifizierungsstadiums laut Gerbershagen-Score (MPSS) bei Erstvorstellung/Injektion und letzter Nachuntersuchung (Woche 52).
Heilversuch im Einzelfall gerechtfertigt
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass eine einmalige Injektion von 200 Einheiten BoNT A (Dysport®) eine wirksame, minimalinvasive, therapeutische Alternative für Patienten mit chronischer Plantarfasziitis darstellen kann. Trotz der relativ hohen Kosten für die Einzeldosis ist die Therapie im Vergleich zur Mehrfachanwendung physikalischer Therapie, Akupunktur oder ESWT relativ kostengünstig. Nebeneffekte wurden nicht beobachtet. Deshalb scheint im Einzelfall bei konservativ ausbehandelten Fällen ein Heilversuch durch den BoNT A erfahrenen Anwender gerechtfertigt.
Dieser offene Heilversuch (evidence level IV) dient als Datenbasis für eine in Kürze startende, randomisierte, doppelblinde, plazebokontrollierte Multicenterstudie.
Literatur beim Verfasser.
Richard Placzek, Georg Deuretzbacher, A. Ludwig Meiss
Aus der Klinik und Poliklinik für Orthopädie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Direktor: Prof. Dr. W. Rüther
R. Placzek ist Mitglied des Arbeitskreis Botulinumtoxin (AkBoNT) der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
Dr. Richard Placzek
Sektion Kinderorthopädie
Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie
Charité - Berlin

Dr. Richard Placzek

Abb. 1: Im Kernspin zeigt sich unter Kontrastmittelgabe (hier 15 ml Gadolinium) ein deutliches Enhancment im Bereich der Insertion der Plantarfaszie am Kalkaneus als typisches Zeichen einer chronisch infammatorisch-degenerativen Veränderung (umkreister Bereich). Abb. 1 A zeigt den Sagitalschnitt, Abb. 1 B den Frontalschnitt.

Abb. 2 a-d: Die Bildfolge zeigt die standardisiert durchgeführte Injektion mit einem Hautstich und viermaliger Fächerung im Bereich des Ursprungs der Faszie, d.h. Injektion von 0,5 ml Lösung pro Fächerstich.

Abb. 3: Die Abbildung zeigt die grafische Darstellung des größten Schmerzes der letzten 48 h auf der visuellen Analogscala (VAS, 0-10). Das Signifikanzniveau (p-Niveau, Wilcoxon-Test) ist in der Tabelle (rechts oben) abgebildet.

Abb. 4: Die Abbildung zeigt die grafische Darstellung des Ruheschmerzes der letzten 48 h auf der visuellen Analogscala (VAS, 0-10). Das Signifikanzniveau (p-Niveau, Wilcoxon Test) ist in der Tabelle (rechts oben) abgebildet.


Abb. 5: Die Abbildung zeigt die grafische Darstellung des Chronifizierungsstadiums laut Gerbershagen-Score (MPSS) bei Erstvorstellung/Injektion und letzter Nachuntersuchung (Woche 52).