Z Orthop Ihre Grenzgeb 2005; 143(2): 150-152
DOI: 10.1055/s-2005-868449
Orthopädie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mindestmengen für die Implantation eines künstlichen Hüftgelenks

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Publication Date:
29 April 2005 (online)

 
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PD Dr. Dietmar Pierre König

Hüftgelenksoperationen und insbesondere der endoprothetische Gelenkersatz gehören mittlerweile zu den am häufigsten durchgeführten Eingriffen in der Orthopädie. In Schweden wurden im Jahr 2000 mehr als 11000 Hüft-Totalendoprothesen implantiert, das bedeutet ca. 125 primäre Hüft-TEPs pro 100000 Einwohner. Wie bei jeder anderen Operation gilt auch hier die "practice makes perfect"-Hypothese: Je mehr Prothesen ein Operateur implantiert hat, umso geschickter wird er.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch für die Hüftgelenkoperationen von der Politik die Bildung von Kompetenzzentren auf der Grundlage von vorher festgelegten Mindestmengen gefordert wird. Aber wie bei den meisten chirurgischen Eingriffen ist auch hier die Datenlage nicht eindeutig. Eine 2002 zu diesem Thema veröffentlichte Metaanalyse hat die Ergebnisse von acht Studien aus den Jahren 1980 bis 1997 zusammengetragen, die den Einfluss der Fallzahl pro Krankenhaus auf das Outcome der operierten Patienten untersuchten [2]. Es fand sich zwischen der Abteilung mit der höchsten (n=213) und der niedrigsten Fallzahl (n=6) lediglich eine absolute Differenz der Krankenhausmortalität von 0,7 pro 100 Fälle. Zu ähnlichen Ergebnissen kam man beim Vergleich von Fallzahl pro Arzt und Outcome. Allerdings ist die Krankenhausmortalität sicherlich keine sensitive Zielgröße, um das Outcome nach Hüftgelenksersatz zu vergleichen. Nach 10 Jahren sind sowohl die zementierten als auch die nicht-zementierten Hüft-Totalendoprothesen nur zu 5% gelockert. Somit wären eher Langzeitergebnisse nach Hüft-TEP eine sinnvolle Zielgröße, um einen Einfluss von Mindestmengen auf die Ergebnisqualität zu beurteilen. Die Autoren der Metaanalyse hatten zudem mit vielfältigen methodologischen Problemen zu kämpfen. So wurden in den Studien Patientenpopulationen miteinander verglichen, die sich hinsichtlich der Co-Morbidität, begleitender Behandlungsmaßnahmen etc., also hinsichtlich des so genannten "case-mix", deutlich voneinander unterschieden, ohne dass ein ernsthafter Versuch der Risiko-Adjustierung vorgenommen wurde. Ferner wurden die Grenzen zwischen "high-" und "low-volume" von den Autoren willkürlich und uneinheitlich gesetzt. Da die derzeitige Studienlage für die Implementierung von Mindestmengen generell als vage zu bezeichnen ist, hat das amerikanische National Cancer Policy Board vier Evidenzkriterien aufgestellt. Von einer evidenzbasierten Häufigkeits-Ergebnis-Beziehung für eine bestimmte Prozedur kann demnach gesprochen werden, wenn

1. die Beziehung plausibel und logisch ist,

2. der beobachtete Trend in verfügbaren Studien konsistent ist,

3. die Größe der Ergebnisunterschiede substanziell und klinisch bedeutsam ist sowie auf der Basis strenger statistischer Kriterien analysiert wurde und

4. der Effekt durch mehrere Studien abgesichert wurde.

Wir wollen daher nochmals das Thema Mindestmenge für den Bereich der Hüftendoprothetik aufgreifen und die aktuelle Datenlage zusammentragen.

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Fallzahl und Outcome

Eine maschinelle Suche ohne Spracheinschränkung nach allen Studien, die den Zusammenhang zwischen Fallzahlen und klinischem Outcome nach Implantation einer Hüft-Totalendoprothese untersuchten, wurde in MEDLINE (1997 bis einschließlich Juli 2004) durchgeführt. Wir kombinierten folgende "medical subject headings" (MeSH): "Arthroplasty, Replacement, Hip" oder "Hip Prosthesis" und "Volume".

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Resultate

Es fanden sich sieben themenrelevante Studien bei der Literatursuche in MEDLINE.

Taylor et al. berichteten 1997 über eine niedrigere 30-Tages-Mortalitätsrate nach Hüft-Totalendoprothese bei Medicare-Patienten, die in einem Krankenhaus mit hoher Fallzahl operiert wurden [3]. Allerdings war zuvor keine Adjustierung des Operationsrisikos vorgenommen worden.

Kreder et al. berichten in ihrer Arbeit aus dem Jahr 1997 über 7936 Patienten, denen zwischen 1988 und 1991 elektiv eine Hüft-Totalendoprothese implantiert wurde und untersuchten dabei auch Zielgrößen wie Infektionsraten, Revisionsraten, Komplikationsraten und die Dauer des stationären Aufenthaltes. Die Infektionsrate lag auch nach Risiko-Adjustierung unter Einbeziehung von Alter, Co-Morbidität, Geschlecht und Diagnose bei Patienten, die von Ärzten mit niedriger Fallzahl (< 2 Prothesen pro Jahr) operiert wurden, um das dreifache höher als bei Patienten, die von Ärzten mit hoher Fallzahl (> 10 Prothesen pro Jahr) operiert wurden (Odds Ratio 3,2; 95%-KI: 1,3-7,7). Auch die Rate postoperativ notwendig gewordener Revisionen lag bei den Chirurgen mit niedriger Fallzahl etwa doppelt so hoch wie bei Chirurgen mit hoher Fallzahl. Dasselbe Ergebnis fand sich für die Inzidenz schwerer Komplikationen nach Implantation einer elektiven Hüft-TEP. Die stationäre Aufenthaltsdauer verlängerte sich für Patienten von Ärzten mit niedriger Fallzahl um durchschnittlich 0,8 Tage verglichen mit den Patienten erfahrener Kollegen. Die Fallzahl pro Krankenhaus hatte lediglich auf zwei der untersuchten Zielgrößen einen Einfluss: Krankenhäuser mit niedriger Fallzahl (< 16 Prothesen pro Jahr) verlangten im Gegensatz zu den Krankenhäusern mit hoher Fallzahl (> 65 Prothesen pro Jahr) im Schnitt 2630 US-Dollar mehr pro Patient. Die Aufenthaltsdauer war dagegen in den "low volume"-Krankenhäusern um einen Tag kürzer als in einem "high volume"- Krankenhaus.

Ein Jahr später führten Kreder et al. allerdings eine Studie mit ähnlichem Design (retrospektive Kohortenstudie anhand von Krankenhausdatenbanken) in Kanada durch und schlossen dabei 3645 Patienten in ihre Analyse ein.

Überraschend fanden sich bei Komplikations- und Mortalitätsraten keine signifikanten Unterschiede zwischen Chirurgen mit niedriger (< 9 Operationen pro Jahr) und hoher Fallzahl (> 27 Operationen pro Jahr). Lediglich der Krankenhausaufenthalt verkürzte sich für Pat. von Chirurgen mit hoher Fallzahl um durchschnittlich 2,4 Tage. Die Fallzahl pro Krankenhaus hatte keinen Einfluss auf die untersuchten Zielgrößen. Dabei ist als mögliche Erklärung anzumerken, dass in Ontario die anfallenden Hüftgelenksoperationen relativ gesehen von weniger Chirurgen durchgeführt werden als in Washington, wodurch sich der Schwellenwert für niedrige und hohe Fallzahlen nach oben verschob.

Khuri et al. untersuchten 1999 insgesamt acht verschiedene Operationen mittleren Schwierigkeitsgrades auf einen Zusammenhang zwischen Fallzahl und Outcome, darunter auch die Implantation einer Hüft-Totalendoprothese. 8241 Patienten, die in insgesamt 101 verschiedenen Krankenhäusern operiert wurden, konnten in die Analyse eingeschlossen werden. Nach Risiko-Adjustierung konnte weder für die Hüftendoprothetik noch für irgend eine andere der untersuchten Operationen ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Fallzahl pro Operateur und/oder Krankenhaus und einer niedrigeren Mortatlitätsrate hergestellt werden.

2001 untersuchten Katz et al. den Zusammenhang zwischen Fallzahl und Outcome nach primärer (n=58521 Operationen) und Revisions-Hüft-Totalendoprothesenimplantation (n=12956 Operationen) bei Medicare-Patienten in den USA. Nach entsprechender Risiko-Adjustierung fanden sich statistisch signifikante Unterschiede zwischen Krankenhäusern mit einer Fallzahl > 100 pro Jahr und Krankenhäusern mit einer Fallzahl < 10 pro Jahr. Bei der primären Hüft-TEP-Implantation lag die perioperative Mortalitätsrate in den "high volume"-Krankenhäusern niedriger als in den "low volume"-Krankenhäusern (Odds Ratio 0,58; 95%-KI: 0,38-0,89). Ein ähnlicher Unterschied ließ sich für die Luxationsrate nach primärer Hüft-TEP-Implantation bei Patienten von Chirurgen mit > 50 Operationen pro Jahr und Patienten von Chirurgen mit < 5 Operationen pro Jahr ermitteln (OR 0,49; 95%-KI: 0,34-0,69).

Die Mortalitätsrate bei Revisions-Hüft-Totalendoprothesenimplantation lag bei Patienten von erfahreneren Chirurgen (> 10 Operationen pro Jahr) niedriger als bei Patienten von Chirurgen mit < drei Operationen pro Jahr (OR 0,65; 95%-KI: 0,44-0,96). Ebenso lag die Luxationsrate nach Revisionseingriffen in Krankenhäusern mit einer Fallzahl > 50 Operationen pro Jahr statistisch signifikant niedriger als in Krankenhäusern mit einer Fallzahl < 5 Operationen pro Jahr (OR 0,45; 95%-KI: 0,30-0,66).

Generell zeigte sich eine Tendenz zum besseren Outcome nach Primärimplantation oder Revisionsoperation einer Hüft-Totalendoprothese für Patienten von erfahrenen Chirurgen, beziehungsweise in Krankenhäusern mit hoher Fallzahl. Dieser Trend war allerdings nur für die vier oben beschriebenen Zielgrößen auch statistisch signifikant. Bezüglich der Infektionsrate und der Rate an perioperativen Lungenembolien ließ sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen Ärzten/ Krankenhäusern mit hoher und niedriger Fallzahl darstellen.

Katz et al. beschrieben vor allem den Mangel an prä- und postoperativ evaluierten subjektiven Zielgrößen wie z.B. funktioneller Status etc. als einen die Aussagekraft der Studie limitierenden Faktor. Deshalb befragten sie eine Stichprobe der 2001 untersuchten Patientenpopulation aus Patienten nach primärer Hüft-Totalendoprothesen-Implantation (n=926) und Patienten nach Revisions-Hüft-Totalendoprothesen-Implantation (n=578) drei Jahre später nach ihrer subjektiven Zufriedenheit mit dem Ergebnis der Operation. Der postoperative funktionelle Status wurde durch den Harris-Hip-Score erhoben [8]. Es fand sich jedoch kein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen größerer Fallzahl pro Arzt oder Krankenhaus und einem verbesserten funktionellen Status. Allerdings waren Patienten nach primärer Hüft-TEP-Implantation aus Krankenhäusern mit einer Fallzahl > 100 zufriedener mit dem Operationsergebnis als Patienten aus Krankenhäusern mit einer Fallzahl < 13 (OR 2,06; 95%-KI 1,15-3,69). In der Revisionsendoprothetik der Hüfte fand sich ebenfalls ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen der Patientenzufriedenheit und einer hohen Fallzahl pro Arzt von >12 Operationen pro Jahr (OR 1,77; 95%-KI: 1,11-2,82).

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Welche Schlüsse sind zu ziehen?

Es ist ein Trend feststellbar, dass das Operationsergebnis nach primärer Hüft-TEP-Implantation sowie nach Revisions-Hüft-TEP-Implantation durch Krankenhäuser mit hoher Fallzahl sowie durch Chirurgen mit hoher Fallzahl verbessert werden kann. Je nachdem, welche Schwellenwerte man für ein hohes und ein niedriges Operationsvolumen einsetzt, können diese Ergebnisse auch statistische Signifikanz erreichen. Eine Vielzahl von Faktoren erschwert jedoch die Übertragbarkeit dieser Studienergebnisse in die Praxis, sowie eine sinnvolle Festsetzung von Mindestmengen in der Hüftendoprothetik im deutschen Gesundheitssystem.

Viele der eingeschlossenen Studien waren schlussendlich doch nur von geringer Aussagekraft. Als Zielgröße wurde am häufigsten über die perioperative Mortalitätsrate berichtet, die für die Endoprothetik aussagekräftigeren Langzeitergebnisse bezüglich patienten-zentrierter Outcomes und Haltbarkeit der Prothese blieben unerwähnt.

Die Daten stammen meist aus Krankenhausstatistiken, denen aus datenschutzrechtlichen Gründen viele wichtige Informationen fehlen, insbesondere klinische Daten, die eine standardisierte Risiko-Adjustierung erst sinnvoll machen.

Die Schwellenwerte für "high volume" und "low volume" waren uneinheitlich, da sie meist als Perzentile/Standardabweichung eines Mittelwertes berechnet wurden, der natürlich von der Größe der untersuchten Patientenpopulation abhing. Die Vergleichbarkeit der Studien und auch die zukünftige Festsetzung von Mindestmengen in der Hüftendoprothetik in Deutschland wird dadurch erschwert.

Sämtliche Studienergebnisse stammen aus dem englischsprachigen Ausland. Eine entsprechende Studie aus Deutschland, die Daten der externen Qualitätssicherung in Nordrhein-Westfalen untersuchte, kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sich aus den Daten der BQS kein Schwellenwert festlegen lässt.

Diese Einschätzung deckt sich mit den Ergebnissen der Übersichtsarbeit von Halm et al. aus dem Jahr 2002 [2]. Betrachtet man die untersuchten Publikationen hinsichtlich der aufgelisteten Kriterien des amerikanischen National Cancer Policy Board, so erhält man folgendes Ergebnis:

1. Die Beziehung ist plausibel und logisch: Ja!

2. Der beobachtete Trend ist in verfügbaren Studien konsistent: Ja!

3. Die Größe der Ergebnisunterschiede sind substanziell und klinisch bedeutsam sowie auf der Basis strenger statistischer Kriterien analysiert worden: Nein!

4. Der Effekt wurde durch mehrere Studien abgesichert: Nein!

Literatur beim Verfasser.

Dietmar Pierre König, Timmo Koy, Peer Eysel, Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universität zu Köln

 
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PD Dr. Dietmar Pierre König