Einleitung
Einleitung
Der anlagebedingte Haarausfall, auch androgenetische Alopezie (AGA) oder Alopecia
androgenetica genannt, stellt im Erwachsenenalter bei beiden Geschlechtern die häufigste
Ursache von Haarverlust dar. In Deutschland sind schätzungsweise zwei Drittel aller
Männer und ein Drittel aller Frauen betroffen [1 ]
[2 ]
[3 ]
[4 ]
[5 ]
[6 ]. Die Inzidenz der AGA bei asiatischen und afrikanischen Männern scheint geringer
zu sein als bei Männern mit europäischer Abstammung [7 ]
[8 ]
[9 ]. Die AGA beginnt im Allgemeinen im frühen Erwachsenenalter, kann jedoch auch bereits
in der Pubertät auftreten. Dem Manifestationsalter entsprechend wenden sich meist
jüngere Männer um die 20 - 30 Jahre und Frauen um die 40 - 50 Jahre ratsuchend an
einen Arzt, wobei Frauen mindestens genauso häufig vorstellig werden wie Männer [3 ].
Die AGA wurde von der World Health Organisation (WHO) als eigenständige Erkrankung
klassifiziert. Ein prägender Grund hierfür sind die psychosozialen Folgen der AGA
für die betroffenen Männer und Frauen. Die soziokulturelle, religiöse und psychologische
Bedeutung von Kopfhaaren ist literarisch und wissenschaftlich vielfach beschrieben.
Reduzierte Lebenszufriedenheit, ein geringes Selbstwertgefühl, ein negatives Körperbild,
soziale Angst und Scham sind mehr bei Frauen, aber auch bei Männern festzustellen,
wobei die Intensität der Folgen bei Frauen größer ist als bei Männern [10 ]
[11 ]
[12 ]
[13 ]
[14 ]
[15 ]
[16 ].
Das klinische Bild der AGA ist bei Frauen und Männern unterschiedlich. Nach Geschlecht
gruppiert werden ein Hamilton-Norwood- oder maskuliner Typ (male pattern) und ein
Ludwig- oder femininer Typ (female pattern) der AGA unterschieden. Kombinationsbilder
(mixed pattern) kommen nicht selten vor. In den meisten Fällen (> 80 %) beginnt das
Zurückweichen bei der männlichen Kopfhautbehaarung mit der Bildung von Geheimratsecken
im frontalen Kopfbereich und setzt sich später mit der Bildung einer Tonsur im okzipitalen
Kopfbereich fort. In späteren Stadien vereinigen sich diese beiden Areale und es kommt
zur Glatzenbildung. Bei Frauen betrifft die AGA nur die Scheitelregion, in zunehmendem
Maß wird der Haarbestand vermindert und es kommt zur Ausbildung kahler Stellen [17 ]
[18 ].
Die Pathogenese der AGA ist bislang noch nicht vollständig aufgeklärt. Die Entwicklung
der AGA wird durch das Zusammenspiel genetischer Dispositions- und hormoneller Manifestationsfaktoren
bestimmt. Somit kann die AGA als genetisch geprägter, Dihydrotestosteron (DHT)-abhängiger
Prozess mit kontinuierlicher Miniaturisierung der empfindlichen Haarfollikel beschrieben
werden [3 ]. Die meisten Untersuchungen haben sich auf die Auswirkung der Androgene bzw. ihrer
peripheren Metaboliten auf den Haarfollikel fokussiert.
Die Androgensynthese, bestehend aus einer Reihe von biochemischen katalytischen Reaktionen,
beginnt mit der Umwandlung von Cholesterin in „17-Ketosteroide”, eine Gruppe von relativ
schwachen Androgenen. Zu dieser Gruppe gehört zum Beispiel das Dehydroepiandrosteron
(DHEA), welches eine geringe Affinität zum Androgenrezeptor aufweist [19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[23 ]. Diese schwachen Androgene werden wiederum durch weitere Enzymsysteme, wie zum Beispiel
3β-Hydroxysteroiddehydrogenase (3beta-HSD), in stärker wirksame Androgene wie das
Testosteron umgewandelt [19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[23 ]. Das Testosteron wird schließlich durch das Enzym 5α-Reduktase zu dem potenteren
Androgen DHT metabolisiert [24 ]
[25 ]
[26 ]
[27 ]. DHT weist, verglichen mit Testosteron, eine annähernd 5-mal höhere Affinität zum
Androgenrezeptor auf [28 ]. Testosteron und DHT werden entweder durch eine enzymatische Umwandlung in schwache
Androgene umgewandelt oder durch die Aromatase zu 17β-Estradiol metabolisiert [19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[23 ]
[25 ]
[26 ]. Die Androgene entfalten ihre zelluläre Wirkung erst durch Bindung an einen intrazellulären
Androgenrezeptor. Untersuchungen zeigten, dass der Androgenrezeptorspiegel, welcher
entscheidend für die zellulären Effekte der Androgene ist, im frontalen Kopfbereich
des Mannes um das 1,5fache höher ist als im okzipitalen Bereich [29 ]
[30 ]. Auch wurden erhöhte 5α-Reduktase Aktivitäten und somit erhöhte DHT-Konzentrationen
im frontalen Kopfbereich der betroffenen Männer beobachtet im Vergleich zum okzipitalen
Bereich [31 ].
Im Vergleich zu Männern findet man bei betroffenen Frauen niedrigere Androgenrezeptorspiegel,
niedrigere Spiegel der 5α-Reduktase und höhere Spiegel der Aromatase in der Kopfhaut
[31 ]
[32 ]. Die Einnahme von Aromatosehemmern bei Frauen führt zur Progression einer androgenetischen
Alopezie [31 ]
[32 ].
Von dem für die AGA entscheidend wichtigen Enzym 5α-Reduktase sind zwei Isoformen
bekannt [33 ]
[34 ], die sowohl bei Männern als auch Frauen in unterschiedlichen Mengen im Haarfollikel
nachgewiesen werden konnten [19 ]
[28 ]
[29 ]
[30 ]
[31 ].
Der pharmakologische Wirkstoff Alfatradiol ist ein synthetisches Stereoisomer zum
physiologischen weiblichen Sexualhormon 17β-Estradiol. Nach INN (International Nonproprietary
Names for Pharmaceutical Substances) Nomenklatur wird der chemische Name des Moleküls
„Estra-1,3,5(10)-trien-3,17α-diol” (17α-Estradiol) als Alfatradiol bezeichnet. Im
Gegensatz zu 17β-Estradiol geht Alfatradiol keine klinisch relevanten Wechselwirkungen
mit dem Estrogenrezeptor ein [35 ]
[36 ], das heißt, das Pharmakon besitzt in therapeutischen Dosen keine Hormonwirkung.
Zur besseren Abgrenzung gegen das hormonell wirksame 17β-Estradiol sollte durchgehend
der Name Alfatradiol verwendet werden. Das Ziel der topischen Therapie mit Alfatradiol
ist es, gezielt in das biochemische Geschehen an der Haarwurzel einzugreifen. Es wird
vermutet, dass Alfatradiol beide Isoformen der 5α-Reduktase hemmt [37 ] und so durch eine Verminderung der Synthese kausal in den Pathomechanismus der AGA
eingreift. Verschiedenste Untersuchungen zeigten eine Beteiligung des Typs 2 der 5α-Reduktase
in der Pathogenese der AGA auf. Dazu kamen dann die Erkenntnisse, dass 5α-Reduktase
Typ 2 in den Haarfollikeln der Kopfhaut, Bartregion und der Prostata prädominiert
[38 ].
In experimentellen Untersuchungen konnte die Hemmwirkung von Alfatradiol auf die 5α-Reduktase
nachgewiesen werden [37 ]. Darüber hinaus haben plazebokontrollierte klinische Studien erwiesen, dass topisches
Alfatradiol bei Männern und Frauen mit AGA den Kopfhaarstatus deutlich verbessert
und keine systemischen unerwünschten Effekte hervorruft [39 ]
[40 ].
In der vorliegenden offenen multizentrischen Studie werden Wirksamkeit und Verträglichkeit
dieses Wirkstoffes unter klinischen Alltagsbedingungen überprüft. Wesentliche Kriterien waren hierbei die Ergebnisse aus Trichogramm-Untersuchungen
und das subjektive Urteil der Patienten. Ergänzend wurde der Leidensdruck und das
Ausmaß der wahrgenommenen Alopezie über den Zeitraum der Behandlungsperiode vermerkt.
Patienten und Methode
Patienten und Methode
Die vorliegende Studie wurde an sieben ausgewählten dermatologischen Zentren in Deutschland
ausgeführt. Insgesamt nahmen 233 Patienten mit der gesicherten Diagnose AGA teil.
Im GCP-konformen Prüfplan war eine Beobachtungsdauer von 7,5 Monaten (30 Wochen ±
1 Woche) vorgesehen, mit einer Zwischenuntersuchung (Visite 2) nach 4 Monaten (16
Wochen ± 1 Woche). Diese Vorgaben konnten in der Praxis nicht immer eingehalten werden.
Visite 2 erfolgte im Mittel nach 3,6 Monaten und Visite 3 nach 7,5 Monaten. Allgemeine
Angaben zur Behandlungsdauer beziehen sich auf diese Durchschnittswerte.
In die Beobachtung aufgenommen wurden Patientinnen und Patienten mit AGA, bei denen
der behandelnde Arzt zur topischen Behandlung der Alopezie den Wirkstoff Alfatradiol
(Ell-Cranell® alpha) einsetzte. Anwendung und Dosierung des handelsüblichen Fertigpräparates
erfolgten nach den Angaben der Gebrauchs- und Fachinformation, das heißt, der Patient
wurde angewiesen, 1 mal täglich ca. 3 ml mit Hilfe eines Kopfhautapplikators auf die
Kopfhaut oder die erkrankten Stellen aufzutragen. Nach Besserung des Haarausfalls
beziehungsweise der Krankheitserscheinungen konnte das Präparat jeden 2. bis 3. Tag
angewendet werden.
Insgesamt nahmen 233 Patienten (192 Frauen, 41 Männer) an der Studie teil. Das Durchschnittsalter
(± Standardabweichung) betrug 40,9 ± 14,2 Jahre. Das Alter der weiblichen Patienten
lag zwischen 14 und 76 Jahren (Mittelwert 43,1 ± 14,0), das der Männer zwischen 17
und 56 Jahren (30,5 ± 10,0 Jahre). Das Verhältnis Frauen zu Männer betrug zu Behandlungsbeginn
4,7 : 1, zur zweiten Visite 4,2 : 1 und zur dritten und letzten Visite 5,1 : 1 (Tab.
[1 ]).
Tab. 1 Demographische Daten und Befunde vor Therapiebeginn
Alle
Frauen
Männer
Anzahl Patienten (N)
233
192
41
Alter Durchschnittsalter (Jahre)a
Altersspanne (Jahre)
40,9 ± 14,2 14 - 76
43,1 ± 14,0 14 - 76
30,5 ± 9,8 17 - 56
Dauer der Erkrankung Median (Monate) Spanne (Monate)
30 1 - 240
36 1 - 240
24 2 - 180
Anzahl Patienten (%) mit Leidensdruckb „schwer” mit Ausmaß der Alopezieb „schwer”
37,9 (89) 35,6 (83)
41,4 (79) 39,1 (75)
22,0 (9) 19,5 (8)
a Arithmetisches Mittel ± Standardabweichung
b Selbsteinschätzung des Patienten
Durch Trichogramm-Untersuchungen wurde vor Behandlungsbeginn und nach 3,6 und 7,5
Monaten Behandlungsdauer der prozentuale Anteil der Anagen- und Telogenhaare objektiviert.
Um vergleichbare Trichogramm-Ergebnisse zu erhalten, waren bei der Vorbereitung und
Epilation standardisierte Bedingungen einzuhalten. Die methodische Vorgehensweise
wurde bereits mehrfach beschrieben [z. B. 10, 41 42]. Die Patienten durften fünf Tage
vor der Haarentnahme keine Haarwäsche durchführen und mussten stärkere mechanische
(Zug-)Belastungen unterlassen. Die Haare wurden zur Diagnosestellung frontal und okzipital
entnommen. In die Auswertung wurden jedoch nur die frontal epilierten Haare einbezogen.
Bei weiblichem Muster der AGA wurde bei Männern und Frauen frontal 2 cm hinter der
Stirnhaargrenze und 1 - 2 cm neben der Mittellinie epiliert. Bei männlichem Muster
hingegen wurde an der Stirnhaargrenze in der Spitze der Trianguli epiliert. Die Epilation
der 2 bis 2,5 cm langen, schmalen Kolonne von ca. 60 - 80 Haaren erfolgte ruckartig
mit einer gummierten Klemme senkrecht zur Wachstumsrichtung. Die epilierten Haare
wurden durch einen Klebefilmstreifen fixiert und auf einen Objektträger verbracht.
Nach Abdecken mit einem Deckglas und dem Aufbringen einiger Tropfen Wasser erfolgte
die Auszählung der Haarwurzelformen. Für die Bestimmung der Anagenhaarrate wurden
alle anagenen Haarwurzeltypen zusammengefasst.
Vor Behandlungsbeginn bewertete der/die Patient(in) seinen/ihren Leidensdruck auf
einer 3-Punkte-Skala (0 = nicht vorhanden, 1 = mittel oder 2 = schwer) und den Eindruck
von der Schwere der Alopezie anhand einer 4-Punkte-Skala (1 = kaum wahrnehmbar, 2
= leicht, 3 = mittel, 4 = schwer). Nach 3,6 Monaten (Visite 2) und am Therapieende
nach 7,5 Monaten (Visite 3) erfolgte wiederum die Erfolgsbewertung der Therapie nach
den Kriterien: „kein Erfolg”, „Erfolg ist bemerkbar”, „Erfolg ist gut”, „Erfolg ist
sehr gut”.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen wurden zu jeder Visite dokumentiert. Bei Therapie-
beziehungsweise Beobachtungsende wurde der Patient zudem zur Verträglichkeit der Behandlung
befragt (1 = sehr gut, 2 = gut, 3 = mittel, 4 = schlecht).
Statistik
Statistik
Die erhobenen Daten wurden deskriptiv und analytisch ausgewertet. Unterschiede in
der anamnestischen Erhebung zwischen Frauen und Männern wurden exploratorisch mit
Hilfe des t-Tests oder, bei nicht normal verteilten Daten, mit Hilfe des Mann-Whitney-U-Tests
untersucht. Für die exploratorische Analyse der Trichogramm-Ergebnisse (vorher vs.
nachher) wurde der Wilcoxon Rangsummentest eingesetzt. Da Anagen- und Telogenhaarraten
funktional verknüpft sind, wurde nur die Anagenhaarrate getestet. Statistische Signifikanz
wurde mit p ≥ 0,05 (zweiseitige Fragestellung) angenommen. Veränderungen im Haarwurzelstatus
werden als Differenzen (Δ%, nachher - vorher) angegeben.
Ergebnisse
Ergebnisse
Von den 233 aufgenommenen Patienten konnten zur Visite 2 nach durchschnittlich 3,6
Monaten Behandlungsdauer die Daten von 186 Patienten (150 Frauen, 36 Männer) ausgewertet
werden, bei der abschließenden dritten Visite (nach durchschnittlich 7,5 Monaten)
waren es noch Daten von 129 Patienten (108 Frauen, 21 Männer). Die Untersuchungstermine
wurden im Mittel in etwa eingehalten, bei den Frauen vergingen 7,4 ± 1,8 Monate (Mittelwert
± Standardabweichung) von der ersten bis zur dritten Visite und bei den Männern 8,2
± 1,9 Monate. Die Zwischenvisite erfolgte bei beiden Geschlechtern nach 3,6 ± 1,1
Monaten.
In der Anamnese wurden hinsichtlich Alter, Leidensdruck und subjektiv empfundener
Schwere der Alopezie signifikante Unterschiede zwischen Frauen und Männern festgestellt
(Tab. [1 ]). Vor Behandlungsbeginn bewerteten die Frauen die Schwere ihrer Alopezie überwiegend
mit „mittel” oder „schwer” (Scoremittel 3,3 auf der Skala von 1 bis 4), während die
Männer das Ausmaß ihrer Haarlichtung überwiegend als „mittel” einstuften (Scoremittel
3,0). Dementsprechend gaben die Frauen im Vergleich zu den Männern einen höheren Leidensdruck
an (Scoremittel 1,4 versus 1,2 auf der Skala von 0 - 2). Die mediane Erkrankungsdauer
der Frauen war mit 36 Monaten um 12 Monate länger als die der Männer (24 Monate).
In der Anamnese wurden auch signifikante Unterschiede im Haarstatus zwischen Frauen
und Männern beobachtet (Tab. [2 ]). Die Trichogramm-Untersuchung ergab für die Frauen beziehungsweise Männer einen
durchschnittlichen Anagenhaaranteil von 69 % beziehungsweise 60 %. Entsprechend erhöht
war der Anteil an telogenen Haaren bei Frauen 24 % und Männern 32 % (Tab. [2 ])
Tab. 2 Klinische Befunde vor Therapiebeginn
Alle
Frauen
Männer
Anzahl Patienten (N)
233
192
41
Anagenhaaranteil (%)a
67,3 ± 14,0
68,8 ± 13,4
60,3 ± 14,6
Telogenhaaranteil (%)a
25,2 ± 11,5
23,8 ± 10,7
31,7 ± 13,1
Anzahl Patienten (%) mit Anagenhaaranteil ≥ 81 % 61 % - 80 % 41 % - 60 % ≤ 40 %
13,3 (31) 62,2 (145) 18,5 (43) 6,0 (14)
15,6 (30) 64,6 (124) 14,6 (28) 5,2 (10)
2,4 (1) 51,2 (21) 36,6 (15) 9,8 (4)
a Arithmetisches Mittel ± Standardabweichung
Knapp die Hälfte der Männer, aber gerade ein Fünftel der Frauen litten unter einer
ausgeprägten AGA und hatte frontal einen Anagenhaaranteil von unter 60 % (Tab. [2 ]).
Unter der durchschnittlich 7,5-monatigen topischen Behandlung mit Alfatradiol kam
es bei der Mehrzahl der untersuchten Patienten zu einer Verbesserung des Haarstatus,
das heißt, im Mittel nahm der Anteil der anagenen Haare zu, während der Anteil der
telogenen Haare entsprechend abnahm (Abb. [1 ]). Bezogen auf den Ausgangswert stieg bei den Frauen (n = 92) der Anteil der Anagenhaare
im Mittel um 8 Prozentpunkte, von 69 % auf 77 %, wobei sich der Anteil der Telogenhaare
im Durchschnitt um 7 Prozentpunkte von 25 % auf 18 % verringerte. Bei den Männern
(n = 20) stieg der Anteil der anagenen Haare um 9 Prozentpunkte von 56 % auf 65 %,
begleitet von einer Abnahme des Telogenhaaranteils um durchschnittlich 7 Prozentpunkte
von 32 % auf 25 %. Die Änderungen der anagenen und telogenen Haarraten bei den Patienten,
von denen zu allen Untersuchungsterminen ein Trichogramm vorlag, zeigt Abb. [2 ].
Abb. 1 Anagen- und Telogenhaarraten bei Männern (n = 41, 33, 20) und Frauen (n = 192, 122,
92) unter der Therapie mit Alfatradiol (0,025 %). Therapiedauer ist das arithmetische
Mittel der Zeit von Visite 1 (Therapiedauer = 0) bis zu Visite 2 beziehungsweise Visite
3. Datenpunkte sind Mittelwerte ± Standardabweichung.
Abb. 2 Änderung der Haarraten unter der Behandlung mit Alfatradiol (0,025 %) relativ zum
Ausgangswert bei Patienten mit vollständigen Verlaufstrichogrammen. Datenpunkte sind
Mittelwerte ± Standardabweichung.
Zur Zwischenuntersuchung nach durchschnittlich 3,6 Monaten waren bei beiden Geschlechtern
die Anagenhaarraten von den Ausgangswerten statistisch signifikant verschieden (P
< 0,01; Wilcoxon-Rangsummentest). Bei deutlich über 75 % aller Verlaufstrichogramme
lag die Rate der anagenen Haare höher als zu Beginn der Therapie (Tab. [3 ]).
Tab. 3 Mittlere Änderungen der Anagen- und Telogenhaarraten unter topischer Behandlung mit
Alfatradiol (0,025 %) nach durchschnittlich 3,6 Monaten Therapie (Visite 2)
Frauen
Männer
Patientinnen mit nachfolgender Visite 3 n = 65
Patientinnen ohne nachfolgende Visite 3 n = 57
Patienten mit nachfolgender Visite 3 n = 15
Patienten ohne nachfolgende Visite 3 n = 18
Anagen (Δ%)
4,7
7,0
7,3
1,4
Telogen (Δ%)
- 4,8
- 7,0
- 5,8
- 3,1
Der Anteil der Patienten, deren Anagenhaarrate nach rund 7,5 Monaten Therapie unverändert
geblieben war oder zugenommen hatte, lag bei beiden Geschlechtern über 80 % (Frauen
82/92 = 89 %; Männer 17/20 = 85 %). Unter Berücksichtigung aller auswertbaren Trichogramme
zum jeweiligen Therapieende, also zu Visite 2 oder 3, war eine Stabilisierung oder
Verbesserung der Anagenhaarrate bei 88 % (131/149) der Frauen und bei 79 % (30/38)
der Männer festzustellen, insgesamt also bei 86 % (161/187) aller Patienten. Entsprechend
groß war der Anteil der Patienten, bei denen die Telogenhaarrate zu Therapieende (Visite
2 oder 3) abgenommen hatte oder zumindest unverändert geblieben war (91 % Frauen,
82 % Männer) (Abb. [3 ]).
Abb. 3 Änderung der Anagenhaarrate unter topischer Behandlung mit Alfatradiol (0,025 %) bei
Frauen und Männern. Trichogramm der letzten Untersuchung (nach 3,6 oder 7,5 Monaten)
im Vergleich zum Ausgangsbefund.
Diese im Trichogramm sowohl bei Frauen als auch Männern determinierten Behandlungsergebnisse
wurden von Frauen anders bewertet als von Männern. Weibliche Patienten sahen in 80
% (129/161) der Fälle einen Therapieerfolg (Erfolg bemerkbar oder besser), wohingegen
männliche Patienten in 56 % (22/39) der Fälle die Therapie als erfolgreich empfanden.
Insbesondere bei den Kategorien „gut” (Frauen 29,2 %, Männer 5,1 %) und „schlecht”
(Frauen 19,9 %, Männer 43,6 %) zeigten sich die unterschiedlichen Bewertungen der
weiblichen und männlichen Patienten (Abb. [4 ]).
Abb. 4 Abschließende subjektive Beurteilung des Therapieerfolgs mit Alfatradiol (0,025 %)
nach 3,6 oder 7,5 Monaten Therapie durch den Patienten (Frauen: n = 161, Männer: n
= 39).
Die Behandlung wurde von Frauen und Männern gleichermaßen gut vertragen. Auf der 4-Punkte-Skala
von 1 = „sehr gut” bis 4 = „schlecht” bewerteten die Patienten (n = 195) die Verträglichkeit
des Präparates im Mittel mit 2,0 Punkten (Scoremittel Frauen 1,9, Männer 2,2). Zwei
Patientinnen berichteten von einem leichten Brennen und eine Patientin von einem Gefühl
des Austrocknens der Kopfhaut. Andere lokale oder systemische Effekte wurden nicht
beobachtet.
Diskussion
Diskussion
Die hier berichtete offene multizentrische Studie mit topischem Alfatradiol erstreckte
sich über rund 18 Monate und schloss insgesamt 233 Patienten mit AGA in unterschiedlich
starker Ausprägung ein. Frauen waren etwa 4 - 5 mal häufiger vertreten als Männer,
waren im Durchschnitt 13 Jahre älter und hatten unter dem Problem der Haarlichtung
über einen längeren Zeitraum gelitten als die männlichen Teilnehmer. Im Trichogramm
der frontal epilierten Haare wiesen die weiblichen Patienten im Mittel weniger Telogenhaare
auf als die männlichen Patienten. Frauen empfanden im Vergleich zu den männlichen
Patienten häufiger einen hohen Leidensdruck und bewerteten das Ausmaß ihrer Alopezie
häufiger als schwer.
Zur zweiten Visite nach durchschnittlich 3,6 Monaten waren insgesamt 186 Patienten
auswertbar, nach rund 7,5 Monaten waren es noch 129 Patienten. Diese Abnahme der Teilnehmerzahl
bewegt sich im Rahmen dessen, was bei einer Langzeitbeobachtung zu erwarten ist. Nach
der Eingangsvisite waren nur 14 % der Patienten nicht mehr erschienen. Von den verbliebenen
200 Fällen konnten für 187 Patienten (80 % des Gesamtkollektivs) Verlaufstrichogramme
angefertigt werden, entweder zur Zwischenvisite (155 Fälle) oder zur Abschlussvisite
(112 Fälle).
Die Vermutung, dass vor allem Patienten ohne ausreichenden Therapieerfolg die Beobachtung
nach der zweiten Visite verlassen haben, lässt sich nicht bestätigen. Ein solcher
Trend war lediglich für die männlichen Teilnehmer erkennbar. In der Gruppe der männlichen
Patienten, für die auch zur dritten Visite ein Trichogramm erstellt worden war, befanden
sich mehr „Therapieerfolge” als in der übrigen Gruppe, für die die zweite Visite zugleich
die letzte war. Im größeren Patientenkollektiv der weiblichen Teilnehmer war ein solcher
Trend jedoch nicht erkennbar, im Gegenteil, im Mittel war zur zweiten Visite der Haarstatus
bei den Abbrechern besser als bei denen, die noch zur dritten Visite erschienen waren
(Tab. [3 ]).
Insgesamt gab es zwischen denjenigen Patienten, die Trichogramme zu allen drei Visiten
aufwiesen, und dem Gesamtkollektiv im Hinblick auf die Trichogrammbefunde aus der
Eingangsuntersuchung keine wesentlichen Unterschiede. Es kann daher davon ausgegangen
werden, dass das Beobachtungsergebnis hinsichtlich der trichologischen Parameter vom
Ausscheiden von Patienten nach der ersten beziehungsweise zweiten Visite insgesamt
nicht wesentlich beeinflusst worden ist, auch wenn es für die vergleichsweise kleine
Gruppe der männlichen Patienten einen solchen Einfluss gab.
Bei der Haarwurzeluntersuchung (Trichogramm) handelt es sich um eine standardisierte
und validierte Methode, mit der in einem Patientenkollektiv Behandlungsunterschiede
oder der zeitliche Verlauf der Alopezie beurteilt werden können [10 ]
[43 ]
[44 ]. Da bei der AGA die Rate der Anagenhaare erniedrigt und die der Telogenhaare erhöht
ist, sollte eine erfolgreiche Therapie mit einer Zunahme des Anagenhaaranteils einhergehen,
bei gleichzeitiger Verminderung der telogenen Haare. Weiterhin ist auch die Erhaltung
des Status quo in der Therapie der AGA als Therapieerfolg definiert. Kritisch ist
bei diesem Untersuchungsverfahren die Einhaltung der Standardbedingungen, die auch
die Mitarbeit des Patienten erfordert. Insbesondere dürfen im Zeitraum von 5 Tagen
vor der Epilation die Haare nicht gewaschen oder gebürstet werden, weil sonst ein
Haarausfall maskiert werden könnte. Ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl der Zentren
und Praxen war daher der Nachweis einer entsprechend großen Erfahrung mit Haarwurzeluntersuchungen.
Des Weiteren können physiologische jahreszeitliche Schwankungen der Anagenrate die
Bewertung erschweren [45 ]. Für die vorliegende Beobachtung, die sich insgesamt über 18 Monate erstreckte,
dürften sie aber nicht von großer Bedeutung gewesen sein.
Die Zunahme der Anagenrate verlief praktisch spiegelbildlich zur Abnahme der Telogenrate.
Inwieweit mit einer Normalisierung der Haarraten im Trichogramm auch eine Normalisierung
des Haarzyklus einhergeht, ist nicht sicher zu beantworten. Da die Zählung von anagenen
und telogenen Haaren nicht unabhängig voneinander erfolgt, könnte eine Zunahme der
Anagenhaare theoretisch auch aus einer verkürzten Telogenphase resultieren [31 ]. Hinweise auf einen insgesamt beschleunigten Haarzyklus als Resultat einer Absenkung
des DHT-Spiegels an der Haarpapille wurden bislang aber nicht gefunden [35 ]
[46 ].
Bei haargesunden Personen erhält man bei zeitlich aufeinanderfolgenden Trichogrammuntersuchungen
in etwa gleichverteilt niedrigere oder höhere Anagenhaarraten [10 ]. Eine signifikante Verschiebung in die eine oder andere Richtung kann als Beleg
für eine relevante Veränderung des Haarstatus im untersuchten Kollektiv gewertet werden.
Unter der topischen Behandlung mit Alfatradiol waren bei den Nachfolgeuntersuchungen
zur zweiten beziehungsweise dritten Visite in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle
(86 %) unveränderte (2,1 %) oder höhere (84,0 %) Anagenhaarraten festgestellt worden
als zu Beginn der Therapie. Ohne aktive Behandlung ist in einem Patientenkollektiv
mit AGA im günstigsten Fall in rund 50 % der Fälle eine Zunahme der Anagenhaarrate
zu erwarten, wie in plazebokontrollierten Studien gezeigt werden konnte [39 ]
[40 ]. Die zyklische Natur der AGA hat zur Folge, dass in einer zeitlich begrenzten Beobachtung
stets ein bestimmter Anteil der Patienten auch ohne wirksame Behandlung eine Stabilisierung
oder positive Veränderung des Haarstatus erfährt. Dieser Anteil ist in der Erfolgsbilanz
von 86 % (Anagenhaaranteil unverändert oder höher) der klinischen Untersuchung enthalten.
Dennoch bleibt festzuhalten, dass für Betroffene die Chance, dass der Anteil der anagenen
Haare unter der topischen Behandlung mit Alfatradiol zumindest nicht weiter abnimmt,
bei wenigstens 80 % liegt.
Diese Definition eines klinischen Therapieerfolgs bei der AGA (Erhalt des Status quo,
also keine weitere Abnahme des Anagenhaaranteils beziehungsweise keine Zunahme des
Telogenhaaranteils) wird von den Patienten offensichtlich nicht im gleichen Maße als
therapeutischer Erfolg gesehen wie vom behandelnden Arzt. Für viele Patienten wird
nur eine fühlbar und sichtbar erhöhte Haardichte als Therapieerfolg gewertet. Insbesondere
die männlichen Patienten neigten dazu, den Therapieerfolg geringer zu bewerten, als
es die trichologischen Parameter nahelegten. Gleichwohl war für jeden zweiten männlichen
Patienten der Therapieerfolg zumindest erkennbar. Bei den weiblichen Patienten war
die Übereinstimmung von subjektivem Urteil und objektivem trichologischen Befund größer,
vier von fünf Frauen betrachteten die topische Therapie als erfolgreich, wobei für
jede dritte der Erfolg „gut” oder „sehr gut” war.
Es liegt nahe, dass sich Männer und Frauen hinsichtlich der psychischen Auswirkungen
der AGA unterscheiden [47 ]. Die Erfahrung zeigt, dass selbst leichtere Formen der AGA mit erheblichen psychozosialen
Problemen verbunden sein können [11 ]
[47 ]. Patienten, die wegen dieser Form der Haarlichtung den Dermatologen aufsuchen, empfinden
das Ausmaß ihres Haarausfalls häufig als schwer und verspüren einen entsprechend hohen
Leidensdruck, auch wenn die Korrelation zum klinischen Schweregrad gelegentlich fehlt.
Die überwiegende Mehrzahl der Patienten dieser Beobachtung waren Frauen, für die eine
systemische Therapie der AGA mit Finasterid grundsätzlich kontraindiziert ist [34 ]. Die systemische Hemmung der 5α-Reduktase zur Senkung des DHT-Spiegels an der Haarwurzel
birgt das Risiko, bei männlichen Feten eine Intersexualität zu erzeugen, so wie es
bei einem genetisch bedingten Defekt der 5α-Reduktase (speziell des Isotyps 2) der
Fall ist [48 ]. Das synthetische Estrogenderivat Alfatradiol besitzt klinisch keine Hormonwirkung
und kann daher sowohl bei Männern als auch Frauen uneingeschränkt eingesetzt werden
[36 ]. Der entscheidende Vorteil einer lokalen Therapie des androgenetischen Haarausfalls
mit Alfatradiol liegt somit in der Anwendungssicherheit. Sowohl Frauen, für die wie
gesagt Finasterid kontraindiziert ist, als auch Männer können nebenwirkungsarm und
mit geringer systemischer Belastung wirksam therapiert werden. Klinisch relevante
unerwünschte Effekte wurden weder in der vorliegenden offenen Studie noch in früheren
klinischen Studien gesehen [39 ]
[40 ]. Gelegentlich kommt es zu leichten, lokalen Unverträglichkeitsreaktionen. Im Laufe
einer 12 Monate dauernden Studie mit Alfatradiol 0,025 % (Ell-Cranell® alpha) war
unter 81 Patienten in zwei Fällen von einer lokalen Reaktion berichtet worden (Kopfhautekzem
nach 3- bzw. 4-monatiger Therapie), die nach Absetzen der alkoholischen Lösung vollständig
reversibel war [39 ]. In der vorliegenden Beobachtung berichteten zwei Patienten ein leichtes Brennen
und ein Patient ein Gefühl der Austrocknung der Kopfhaut. Die alkoholische Tinktur
mit Alfatradiol wurde demzufolge gut vertragen.
Ob der objektive Therapieerfolg in dieser Studie allein auf eine 5α-Reduktase Hemmung
zurückzuführen ist, wie schon in vielen Untersuchungen als Wirkmechanismus des Alfatradiol
beschrieben [37 ]
[39 ]
[40 ], oder auch auf eine Aromatase-Aktivierung [28 ], bleibt noch zu klären.
Insgesamt hat diese Studie in Übereinstimmung mit früheren plazebokontrollierten klinischen
Studien gezeigt, dass betroffenen Patienten mit Alfatradiol ein topisch wirksames
und sicheres Pharmakon für die längerfristig angelegte topische Therapie der AGA sowohl
bei Frauen als auch bei Männern zur Verfügung steht.
Danksagung
Danksagung
Folgenden Prüfärztinnen, die die praktische Durchführung der Therapiestudie ermöglicht
haben, gebührt Dank: Frau Dr. med. B. Gerlach, Dresden; Frau Dr. med. C. Peter, Hamburg;
Frau Dr. med. A. Rausch, Hamburg; Frau Dr. med. K. Schubert, Dresden.