Aktuelle Dermatologie 2005; 31(8/09): 414-416
DOI: 10.1055/s-2005-870259
Tagungsbericht
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Jahrestagung der AGDV (Arbeitsgemeinschaft für Geschichte der Dermatologie und Venerologie) in Dresden, 20. - 21. April 2005: Dermatologie und Kunst

Annual Meeting of the AGDV in Dresden, April 20. - 21. 2005: Dermatology and ArtM.  L.  Geiges1
  • 1Dermatologische Klinik des Universitätsspitals Zürich, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Medizinhistorisches Institut und Museum der Universität Zürich, Konservator Moulagenmuseum Universität und Universitätsspital Zürich
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Dr. med. Michael L. Geiges

Oberarzt, Dermatologische Klinik des Universitätsspitals Zürich ·

Gloriastraße 19 · 8091 Zürich · Schweiz

Email: geiges@derm.unizh.ch

Publication History

Publication Date:
29 August 2005 (online)

Table of Contents

    Die diesjährige wissenschaftliche Sitzung der Jahrestagung der AGDV stand unter dem Motto „Dermatologie und Kunst”. Die große Anzahl Zuhörer bestätigte die Attraktivität des diesjährigen Arbeitsthemas. Die ebenso vielseitigen wie spannenden und eindrücklich illustrierten Beiträge zeigten das große Interesse am Thema. Am Ende zeigte sich, dass sehr viele verborgene Tatsachen, nicht bekannte Verbindungen und neue innovative Zugänge zum Thema „Dermatologie und Kunst” auf weitere Bearbeitung warten!

    Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft, Herrn Prof. A. Scholz aus Dresden, führte uns dieser in das nicht weit entfernte Breslau, in eine Zeit vor 100 Jahren, als Albert Neisser 1907 in der damals deutschen Stadt das erste deutsche ordentliche Ordinariat für Haut- und Geschlechtskrankheiten erhielt. In einem virtuellen Rundgang durch die von der Familie Neisser bewohnte großzügige Villa konnten die Zuhörer einzelne Werke aus der umfangreichen Kunstsammlung betrachten. Humorvoll wurden von den Werken wiederum Brücken zur Person und zum Umfeld des berühmten Gonokokken-Entdeckers geschlagen.

    M. Irmisch aus Köln weckte das Interesse und die Bewunderung für die Persönlichkeit des Düsseldorfer Ordinarius Aloys Greither. Es war kein Leichtes, die vielseitigen künstlerischen Begabungen des Kunstsammlers, Musikers, Malers und Lyrikers, den wir überwiegend als Dermatologen kennen, zu präsentieren. Der enge Zeitrahmen verunmöglichte es, das begonnene Portrait abzurunden, so dass das nun angelockte Publikum auf eine baldige Fortsetzung hofft.

    G. Hansel aus Dresden erläuterte die Persönlichkeit des Gründers der Dresdner Universitäts-Hautklinik, H. E. Kleine-Natrop, der eine umfangreiche Kunstsammlung aufgebaut hatte. Über Kleine-Natrop als Förderer von bereits damals bekannten, aber auch von jungen noch unbekannten sächsischen Künstlern erlebten die angereisten Zuhörer einen Einblick in die Kunstszene der Gastgeberstadt dieses Kongresses.

    Frau E. Stoiber, ehemalige Moulageuse und Konservatorin der Moulagensammlung der Dermatologischen Universitätsklinik in Zürich zeigte, wie der Kunstmaler Adolf Fleischmann als wissenschaftlicher Zeichner und Moulageur der Chirurgischen Klinik am Kantonsspital Zürich hervorragende Moulagen von chirurgischen Krankheitsbildern hergestellt hatte. Seine Hingabe galt aber der Malerei. In seinem von Kriegserlebnissen geprägten Leben, wandelte Fleischmann seinen Stil von gegenständlichen Aquarellen hin zu den neuartigen von ihm entwickelten vibrierenden Raumdarstellungen mit horizontalen und senkrechten Farbstreifen und Linien, die sein Spätwerk prägen.

    M. Geiges aus Zürich referierte über Forschungen zum Einfluss der Krankheit Sklerodermie auf das Werk des Malers Paul Klee. Dabei ergab die genaue Untersuchung der Biographie und des künstlerischen und politischen Umfeldes im Vergleich zu den Bildern, dass viele scheinbare Zusammenhänge fragwürdig sind. Bereits die erst Jahrzehnte nach dem Tod des Künstlers gestellte Diagnose wurde in der Regel als periphere Form der Sklerodermie fehlgedeutet. Die Werke wurden mehr intuitiv als aufgrund von Fakten „pathologisiert”. Gerade wenn sich ein Werk so einfach medizinisch zuordnen lässt, sollte dies mit besonderer Vorsicht geschehen.

    Einen Einblick in die blaue Periode von Pablo Picasso wurde von M. Braun-Falco aus München unter dem Aspekt der dargestellten Frauen präsentiert. Überzeugend wurden ikonographische Merkmale von Prostituierten in den Bildern gezeigt. Durch die Hinweise auf die möglichen Beweggründe der künstlerischen Wende hin zur blauen Periode und mit dem Vermerk der bekannten Angst Picassos vor Syphilis wurde das ganze Kapitel in einen anschaulichen biographischen Rahmen eingebettet.

    Das Ärztepaar V. und U. Wendt aus Westerende präsentierte ein bisher unter den Dermatologen nicht bekanntes Bild einer Vitiligo, gemalt von Adolph von Menzel aus dem Jahre 1861. Über äußerliche Details des Bildes konnte eine Objektgeschichte aus dem 19. Jahrhundert bis heute präsentiert werden. Der fesselnde Vortrag war ein hervorragendes Beispiel für die wertvolle Interdisziplinarität bei medizinhistorischen Forschungen, in dem die beiden Kunstkenner dank ihrem unterschiedlichen medizinischen Hintergrund spannende Überlegungen zur psychologischen Motivation des Künstlers bei der Darstellung dieser Dermatose diskutieren konnten.

    Das Portrait von Dr. Hans Koch, gemalt von Otto Dix, provoziert immer wieder die an Kunst interessierten Dermatologen und Urologen. In Dresden, am Entstehungsort des Bildes, berichtete die Historikerin M. Frank aus Köln über die Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe in der Erforschung der Aussagen und Hintergründe dieses Bildes. Der neuartige Zugang, von heuristischen Impulsen getrieben, detaillierte Recherchen zu dem auf dem Bild Erkennbaren anzustellen, vermochte zu überzeugen. Lebendig und sogar mit Objekten aus dem Bild wurde dabei der Werdegang des Arztes Koch in seiner Zeit kritisch dargestellt.

    Der erfreulich großen Anzahl von Zuhörern war es zu verdanken, dass G. Plewig aus München ein zu seinem Thema passendes tropisches Klima im Saal vorfinden konnte. Der Zuhörer wurde über die Bedeutung der eingenagelten Gegenstände und über versteckte Receptacula von Fetisch-Figuren aus dem Kongo aufgeklärt. Auch beim bisher völlig unwissenden Laien wurde das Interesse an den Fetischen und ihrer magischen Wirkung geweckt. Das behutsame Vorgehen sowohl in der Darstellung wie auch in den nichtinvasiven Untersuchungen durch den Dozenten lenkte das Bewusstsein auf die Frage nach dem Schutz und dem Respekt vor diesen wichtigen kulturellen Bedeutungsträgern.

    S. Scholz aus Graz rief mit einer reichhaltig illustrierten Präsentation die Leidensgeschichte des Peregrinus Latiosus in Erinnerung. In der Folge des ständigen Stehens als Bußübung entwickelte sich bei dem Serviten eine chronisch venöse Insuffizienz. Die anwesenden Dermato-Phlebologen konnten den Spekulationen über die Ursachen und Diagnosen des Leidens des Schutzpatrons der Ulkuskranken gut zustimmen. Beeindruckend waren darüber hinaus die enorm realistischen Ulkusdarstellungen aus Kirchen, welche die Referentin mit Bildern zeigen konnte.

    Wer bisher geglaubt hatte, dass Dermatologie kaum etwas mit Musik zu tun haben könnte, wurde durch C. Löser aus Ludwigshafen in einer sehr unterhaltsamen Präsentation eines Besseren belehrt. An die Berufskrankheiten von Musikern hätten wohl die meisten noch gedacht. Spezieller schon waren die Hinweise auf mögliche Krankheiten, welche Virtuosen wie Paganini in ihrer Begabung unterstützt haben könnten. Auf Hörproben des bisher den meisten Anwesenden unbekannten Dermatologen-Ensembles „the 4skins” aus den 20er Jahren oder der Vertonung einer Blasensteinoperation musste dann leider verzichtet werden, doch das Interesse ist geweckt.

    Abgeschlossen wurde die wissenschaftliche Sitzung mit der erstmaligen Verleihung des Paul Caesar Richter-Preises für richtungsweisende Arbeiten auf dem Gebiet der Fachgeschichte der Haut- und Geschlechtskrankheiten. Ausgezeichnet wurde Herr Dr. M. Geiges aus Zürich für die medizin- und kulturhistorische Betrachtung „Gebräunte Haut - gefährlich gesund”. Ein Ehrendiplom wurde Herrn Dr. S. Eppinger aus Dresden für die Veröffentlichung „Das Schicksal der jüdischen Dermatologen Deutschlands in der Zeit des Nationalsozialismus” verliehen.

    Nach einem intensiven kulturgeprägten Nachmittag fand die wissenschaftliche Aktivität der AGDV am 21. April in Form eines Frühstückseminares seine Fortsetzung. Wiederum zeigte die große Anzahl von Teilnehmern zu der doch frühen Morgenstunde, dass ein breites Interesse an der Geschichte unseres Spezialfaches besteht. Der Seminartitel „Junge Dermatologen entdecken die Geschichte ihres Faches” war in Fortsetzung zum 42. DDG-Kongress wiederum die Bestätigung, dass Geschichte der Dermatologie kein vorrangiges Thema für Pensionäre ist, sondern junge Kollegen ebenso herausfordert. N. Kuner präsentierte Ausschnitte aus seiner Doktorarbeit über die Wunderheilungen in der katholischen Kirche, den Forschungen zu den Wunderheilungen in Lourdes und schlug schließlich den Bogen zum kaum bekannten Atlas des Dermatologen Marie Nicolas Devergie.

    E. Weisshaar aus Heidelberg stellte in ihrem Referat fest, dass erstaunlicherweise bisher sehr wenig zur Geschichte des Pruritus geforscht wurde. Über die Biographie des von Juckreiz geplagten Revolutionärs Jean Paul Marat wurde ein Einblick in die Leidenswelt von Prurituskranken in früheren Jahrhunderten ermöglicht. Besonders spannend waren dabei auch die Mutmaßungen über Einflüsse der Krankheit und Stigmatisierung auf Charakter und Popularität dieser Führerpersönlichkeit.

    A. Krebs aus Dresden stellte ihre bisherigen Forschungen im Rahmen der Dissertation über die Geschichte der Dermatologie in Polen vor. Es gelang ihr sofort, aufzuzeigen, dass für diese Arbeit nicht nur die nötige Zweisprachigkeit sondern auch ein starker persönlicher Bezug zu beiden Ländern, wie ihn die Referentin besitzt, nötig ist. Wenig oder nichts ist bisher bekannt über die standhaften und erfolgreichen Bemühungen der polnischen Dermatologen, ihr Fach inmitten einer enormen Krise nicht nur zu erhalten sondern auch unter den widrigsten Umständen weiterzuentwickeln. Umso mehr faszinierte der Vortrag und weckte ein Interesse an den weiteren Forschungen über die viel engeren Beziehungen der beiden Ländern, als allgemein bewusst ist.

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    Mitglieder der AGDV im Banne des „gläsernen Menschen” bei der an die Tagung anschließenden Führung im Hygienemuseum in Dresden (Bild: C. Löser).

    Dr. med. Michael L. Geiges

    Oberarzt, Dermatologische Klinik des Universitätsspitals Zürich ·

    Gloriastraße 19 · 8091 Zürich · Schweiz

    Email: geiges@derm.unizh.ch

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    Mitglieder der AGDV im Banne des „gläsernen Menschen” bei der an die Tagung anschließenden Führung im Hygienemuseum in Dresden (Bild: C. Löser).