Der Klinikarzt 2005; 34(5): XII-XIII
DOI: 10.1055/s-2005-870616
Im Gespräch

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Methicillinresistente Staphylococcus aureus - Sehen wir nur die Spitze des Eisbergs?

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Publikationsdatum:
30. Mai 2005 (online)

 
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    Auch wenn die Situation in Deutschland noch als gemäßigt gilt, ist der Anteil von 20-30% methicillinresistenter Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA) in den deutschen Kliniken durchaus besorgniserregend. Schwere Infektionen der Lunge, der Haut, der Herzklappen und auch Sepsis können damit verbunden sein und sich rasant von Patient zu Patient übertragen. Daher ist es wichtig, das Problem der Resistenzentwicklung im klinischen - aber auch immer stärker im ambulanten Bereich - ernst zu nehmen. Wie ernst die Situation in Deutschland ist und welche Maßnahmen dringend getroffen werden müssen, um die Lage weiterhin zu kontrollieren, hierzu befragten wir Herrn Professor Hartmut Lode, Berlin, am Rande des zweiten internationalen Symposiums "Resistant Gram-Positive Infections".

    klinikarzt: "Resistant Gram-Positive Infections", so lautet der Titel für dieses internationale Symposium, das zweite seiner Art überhaupt. Wie kam es zu der Entscheidung, diesem speziellen Thema ein eigenes Symposium zu widmen?

    Prof. H. Lode: Seit Ende der 80er Jahre tauchen immer häufiger problematische gram-positive Infektionserreger wie Pneumokokken, Staphylokokken und Enterokokken auf, gegen welche die bis dato wirksamen Antibiotika insbesondere aus den Bereichen der Penicilline und Cephalosporine nicht mehr ausreichend effektiv sind. Man darf dabei nicht vergessen, dass die gram-positiven Infektionserreger in einem großen Umfang auch für ambulant erworbene Infektionen verantwortlich sind - zum Beispiel, wenn wir die Pneumokokken oder die Staphylokokken betrachten. Deshalb hatte man Sorge, hier mit der Entwicklung neuer und wirksamer Antibiotika hinterherzulaufen und hat sich daher von wissenschaftlicher Seite her darum bemüht, einerseits diese Infektionen epidemiologisch zu erfassen, andererseits aber auch durchaus die Entwicklung neuer Substanzen zu stimulieren.

    klinikarzt: Das erste Symposium fand vor vier Jahren in New Mexico (USA) statt. Reicht ein Turnus von vier Jahren aus, um in diesem wissenschaftlichen Thema aktuelle Informationen bieten zu können?

    Lode: Nein, das reicht natürlich nicht aus. Schon vor zwei Jahren hatten wir ein neues Symposium geplant. Leider fanden sich nicht genügend Sponsoren - ohne die es aber zweifellos nicht geht - und auch jetzt haben wir nur mit Mühe die geeignete Unterstützung finden können. Aus diesem Grund mussten wir das Symposium bereits zweimal verschieben.

    klinikarzt:  Auf welche Weise werden die wissenschaftlichen Ergebnisse und Erfahrungen aus dem ersten Symposium bis heute genutzt bzw. fortgeführt?

    Lode: Was damals vorgetragen wurde, ist teilweise auch in namhaften Journalen publiziert worden. Die Datenlage, die wir zusammengetragen haben, war Anlass genug, vermehrt auf die Probleme zu achten, die sich aufgrund der gram-positiven Infektionserreger entwickeln. Dazu zählt zum Beispiel die Resistenzproblematik. Diesbezüglich muss man unbedingt deutlich machen, dass resistente Stämme nicht nur bei den Krankenhausinfektionen auftreten, sondern immer öfter auch im ambulanten Bereich zu finden sind. Darauf kann gar nicht oft genug hingewiesen werden!

    klinikarzt:  Eines der Schwerpunktthemen des Symposiums sind methicillinresistente Staphylococcus-aureus-Stämme (MRSA), über welche die Fach- aber auch die Laienpresse in letzter Zeit häufig berichteten. Warum sind Infektionen mit solchen resistenten Keimen so problematisch?

    Lode: Die so genannten methicillinresistenten Staphylokokken (MRSA) sind besonders problematische Keime, weil sie gegen Staphylokokken-Penicilline und Cephalosporine nicht mehr sensibel sind. Wir brauchen hier ganz bestimmte Substanzen wie Glykopeptide - Vancomycin und Teicoplanin - sowie das Linezolid aus der neuen Substanzgruppe der Oxazolidinone, um mit diesen Erregern fertig zu werden.

    Das zweite große Problem dieser Stämme ist, dass sie rasant von Patient zu Patient übertragen werden können und sich auch - dies bezieht sich auf bestimmte Klone - äußerst rasch in Krankenhäusern ausbreiten können. Darüber hinaus sind diese Staphylokokken-Stämme besonders disponiert, schwere Infektionen der Lunge, der Haut, der Herzklappen und Sepsis zu verursachen. Wenn wir dies nicht entsprechend berücksichtigen und frühzeitig an die aufgrund der Resistenzen eingeschränkten Behandlungsoptionen denken, dann versterben die Patienten, insbesondere auf der Intensivstation, sehr schnell.

    Da heute unter den normalen Staphylococcus-aureus-Stämmen in Deutschland bereits 20% methicillinresistent sind - auf Intensivstationen liegt der Anteil sogar bereits bei 30% -, können wir in der Tat von einem erheblichen Problem sprechen. Für den Patienten ist diese Situation äußerst lebensbedrohlich, und für das Gesundheitssystem bzw. das Krankenhaus bedeutet dies hohe Therapiekosten, längere Krankenhausverweildauern und einen höheren Personalaufwand.

    klinikarzt: Was halten Sie von einer generellen MRSA-Kontrolle, wie sie in Holland bereits praktiziert wird?

    Lode: Genau das streben wir in Deutschland jetzt auch an, da bei allen Patienten, die aus anderen Krankenhäusern in unsere Klinik kommen oder auch bei Patienten, die in den letzten drei Monaten intensiv antibiotisch behandelt worden sind (insbesondere mit Fluorchinolonen), eine vermehrte Selektion von methicillinresistenten Staphylococcus-aureus-Stämmen möglich ist. In unserem Haus führen wir daher bei diesen Patienten, aber auch bei solchen, die mit schweren Grunderkrankungen wie Niereninsuffizienz, Diabetes oder Ähnlichem aus Altersheimen in unsere Klinik eingewiesen werden, eine MRSA-Kontrolle mithilfe eines Nasenabstrichs durch. Dieses Vorgehen wird allen Kliniken empfohlen.

    Die Holländer sind mit ihrer Strategie erfolgreich, weil sie die Patienten bis zum Keimnachweis isolieren können. Bisher dauert es noch ein bis zwei Tage bis zum Keimnachweis. Schnellere Ergebnisse innerhalb von wenigen Stunden wären wünschenswert.

    klinikarzt: Für die Therapie von MRSA-Infektionen steht seit drei Jahren Linezolid (Zyvoxid®) zur Verfügung. Über die Vorzüge dieser Substanz sprachen wir im vergangenen Jahr schon einmal im Rahmen des Deutschen Internistenkongresses. Sie sagten damals, dass die Substanz unbedingt dem gram-positiven Bereich bzw. der Problemkeime vorbehalten bleiben sollte. Ein sinnvoller Einsatz dürfte ja neben den Hygienemaßnahmen auch wesentlich dazu beitragen, dass sich die resistenten Keime dann auch nicht weiter ausbreiten können. Ist diese Überlegung richtig?

    Lode: Ja, das kann man durchaus so sagen. Linezolid sollte immer dann eingesetzt werden, wenn methicillinresistente Staphylococcus aureus oder auch polyresistente Pneumokokken vorliegen - Keime, bei denen gegen die üblichen Medikamente Resistenzen bestehen. Nur so kann man diese selektive Substanz langfristig erhalten.

    Linezolid wirkt bakteriostatisch und möglicherweise werden nicht alle resistenten Keime eradiziert. Mittel- und langfristig können daher auch hierbei Resistenzen auftreten. Aus diesem Grund ist es sinnvoll, Linezolid maximal über 14 Tage zu verabreichen. In diesem Zeitraum treten kaum Nebenwirkungen auf, erst nach längerer Gabe ist mit unerwünschten Reaktionen zu rechnen.

    klinikarzt: MRSA-Infektionen sind in jedem Fall eine erhebliche Belastung für das Gesundheitssystem. Die Patienten sind jedoch tatsächlich vorhanden und müssen natürlich auch versorgt werden. Wir sprachen beim letzten Mal über Studien, welche die Wirtschaftlichkeit von Therapien bewerten sollen. Gibt es hier schon neue Erkenntnisse?

    Lode: Mit neuen Studiendaten können wir noch nicht dienen. Was wir aber dringend organisieren müssen, ist die Isolierung der MRSA-Patienten, obwohl die Situation in Deutschland noch als gemäßigt gelten kann. In England ist der MRSA-Anteil bereits auf 50-60% angestiegen - mit 8000 Sepsisfällen durch MRSA pro Jahr.

    Die Wirtschaftlichkeit bezieht sich meines Erachtens eher auf die Frage, ob eine teure Therapie mit Linezolid wirtschaftlich sein kann. Die bisherigen Daten lassen darauf schließen, dass die Patienten nach einer Linezolidtherapie zwei Tage früher von der Intensivstation verlegt werden können. Dies bedeutet eine enorme Kosteneinsparung, weil der Intensivtag zwischen 1000-1200 Euro kostet. Hier kann man sich leicht ausrechnen, wie viel Einsparpotenzial eine derartige Therapie hat.

    klinikarzt: Welchen Einfluss haben methicillinresistente Staphylokokken auf die Therapieleitlinien genommen?

    Lode: Immer öfter wird auf die Risikofaktoren für eine MRSA-Infektion hingewiesen. Und die amerikanischen Leitlinien verweisen zudem auf ambulant erworbene MRSA-Infektionen. Dies bereitet uns auch hier zu Lande große Sorgen, weil MRSA im ambulanten Bereich zunehmen. Somit wird die Resistenz aus der Ambulanz in die Klinik getragen. Auch in meiner Klinik ist dies schon passiert. Das heißt für mich, dass man wirklich darauf gefasst sein muss.

    klinikarzt: Sehen wir nur die Spitze des MRSA-Eisbergs?

    Lode: Ich denke ja! Es existieren weitaus mehr Infektionen als wir tatsächlich nachweisen.

    klinikarzt: Mit welchen wesentlichen Botschaften werden die Teilnehmer dieses dreitägigen Symposiums nach Hause gehen?

    Lode: Wir wollen die Epidemiologie der besonders resistenten gram-positiven Keime - Pneumokokken, Staphylokokken, Enterokokken - beleuchten. Auch den Risikofaktoren widmen wir viel Zeit, um die Sensibilität der Teilnehmer für derartige resistente Keime besonders zu stimulieren. Zudem tut es Not, die diagnostischen Methoden zu optimieren, da noch erhebliche Schwierigkeiten bei den Bestimmungsmethoden existieren. Nicht zuletzt wollen wir natürlich auch auf neue, noch nicht zugelassene Substanzen aufmerksam machen, nicht nur auf bereits eingeführte wie Linezolid, um mit diesen resistenten Keimen in Zukunft besser fertig zu werden.

    Insgesamt macht dieses Symposium, für das wir weltweit die besten Wissenschaftler auf diesem Gebiet gewinnen konnten, auf eine ganz besondere Resistenzentwicklung im klinischen und ambulanten Bereich aufmerksam. Dies müssen wir sehr ernst nehmen und dürfen es keinesfalls ignorieren. Das Problem muss auf den Tisch - und zwar frühzeitig, bevor Intensivstationen wegen MRSA-Epidemien geschlossen werden müssen.

    klinikarzt: Wann findet das nächste Symposium "Resistant Gram-Positive Infections" statt, und was wünschen Sie sich bis dahin?

    Lode: Das dritte Symposium wird vermutlich in zwei Jahren in Asien stattfinden. Bis dahin hoffen wir auf die weitere Zulassung viel versprechender Substanzen und auf eine Weiterentwicklung der Vakzine für Erwachsene. Wesentlich ist es aber, die Sensibilität und Aufmerksamkeit für die Gefahren zu erhöhen und ein besonderes Bewusstsein bei den hygienischen Maßnahmen zu schaffen. Denn wenn man daran denkt, kann man sich gegen problematische Infektionen wehren!

    Herr Professor Lode, vielen Dank für dieses Gespräch!

     
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