Aktuelle Urol 2005; 36(3): 196-197
DOI: 10.1055/s-2005-871833
Referiert und kommentiert

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sicheres Operationsverfahren - Orthotoper Blasenersatz bei radikaler Zystektomie

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
07. Juli 2005 (online)

 
Inhaltsübersicht

Der orthotope Blasenersatz etabliert sich auch bei Frauen zunehmend als Therapieoption nach einer radikalen Zystektomie. Dies gilt auch für Patientinnen mit erhöhten Risikofaktoren, so das Ergebnis einer US-amerikanischen Studie.

Zwischen 1995 und 2003 wurden insgesamt 53 Frauen im Durchschnittsalter von 62 Jahres beobachtet, bei denen ein orthotoper Blasenersatz durchgeführt wurde (J Urol 171; 2004: 1585-1588).

52 von ihnen litten an einem Blasenkarzinom, bei einer Patientin musste die Operation wegen einer gutartigen Erkrankung durchgeführt werden. Die durchschnittliche Beobachtungsdauer lag bei 24 Monaten. Bei 22 Frauen lagen erhöhte Operationsrisiken vor, wie zum Beispiel anamnestisch bekannte Stressinkontinenz, eine zuvor erfolgte Radio- bzw. Chemotherapie oder eine Lebensalter von über 70 Jahren.

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Auch für Hochrisiko-Patienten geeignet

Während des operativen Eingriffs wurde festgestellte, dass bei 38 Frauen der Tumor auf die Blase begrenzt war, bei 14 Patientinnen lag jedoch bereits ein organüberschreitendes Wachstum vor. Von diesen waren 42 postoperativ krankheitsfrei, lediglich 6 starben aufgrund der Erkrankung. Die durchschnittliche OP-Dauer betrug 6,2 Stunden, im Mittel lag der Blutverlust bei 1135 ml. Die Patientinnen mussten in der Regel 8,2 Tage im Krankenhaus verweilen.

Bemerkenswert war insbesondere, dass 19 der 22 Patientinnen mit erhöhten Risikofaktoren postoperativ kontinent waren und höchstens eine Einlage pro Tag benötigten. Zwar traten bei 11 Frauen dieser Gruppe (50%) Komplikationen wie Ileus, Wundinfektion oder Fistelbildung auf - bei den übrigen Patientinnen lag diese Rate lediglich bei 23% - jedoch verstarb keine der Frauen operationsbedingt.

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Anatomische Resektionsgrenzen beim Mann und der Frau bei radikaler Zystektomie (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

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Fazit

Die Studie belegt, dass der orthotope Blasenersatz ein sicheres und effektives Therapieverfahren nach einer radikalen Zystektomie darstellt. Dies gilt insbesondere auch für Patientinnen mit erhöhten Operationsrisiken. Allerdings sollten nach Ansicht der Autoren weitere Studien die Langzeitergebnisse dieser Behandlung im Fokus haben.

Uwe Glatz, Eppingen

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Erster Kommentar

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J. Geschwend

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Die endgültige Beurteilung bedarf einer weiteren Beobachtung

Die radikale Zystektomie mit orthotopem Ileumneoblasenersatz ist der akzeptierte Standard für das invasive Harnblasenkarzinom. Die Indikation zum orthotopen Harnblasenersatz wurde in den letzten Jahren auch für männliche Patienten mit lokal fortgeschrittenem Tumor, höherem Alter, Komorbidität und für vorbestrahlte Patienten definiert [4, 5]. Was ehemals als Kontraindikation galt, ist heute bei weiterhin sorgfältiger Patientenselektion lediglich ein zusätzlicher, aber akzeptabler Risikofaktor [2]. Es ist daher nur natürlich, das auch die Indikation zum orthotopen Harnblasenersatz bei der Frau einer Evolution unterliegt und sich das Indikationsspektrum, ausgehend von einer eher konservativen Haltung, erweitert. Hierzu zählen insbesondere Bedenken bei gering ausgeprägter Belastungsinkontinenz, gynäkologischer Vorbestrahlung und multifokalen Tumoren in der Harnblase. Die vorliegende Arbeit aus der University of Michigan zeigt dazu interessante Aspekte bei Betrachtung von Patienten mit akzeptierten und nicht akzeptierten Indikationen zur Zystektomie und zum orthotopen Harnblasenersatz. Als nicht traditionelle Indikation wurden Patienten älter als 70 Jahre, nach Vorbestrahlung oder mit Belastungsinkontinenz betrachtet, und diese mit Patienten ohne Risikofaktoren verglichen.

Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, dass bei vergleichbaren Patientencharakteristika die Rate von Komplikationen in der Gruppe mit erhöhtem Risiko zwar vermehrt ist (16 vs. 32% für medizinische Komplikationen und 23 vs. 36% für chirurgische Komplikationen, mit entsprechendem Vorteil für Patienten ohne Risikofaktoren), die Ergebnisse aber letztendlich vergleichbar sind. Insbesondere die funktionellen Daten in Bezug auf Kontinenzrate (87 vs. 86%) und Notwendigkeit des Einmalkatheterismus (23 vs. 18%) weisen keine Unterschiede zwischen den Gruppen auf. Hier spielt die Erfahrung des Operateurs sicherlich eine größere Rolle als die Zahl und der Grad der Vorerkrankungen. Das Problem des urethralen Rezidivs tritt mit zunehmender Erfahrung mit dem orthotopen Harnblasenersatz und entsprechend sorgfältiger onkologischer Selektion zunehmend weiter in den Hintergrund.

Zusammenfassend hat damit heute auch bei der Frau der orthotope Ileumneoblasenersatz nach vorangegangener radikaler Zystektomie den Stellenwert eines akzeptierten Standards erreicht. Die funktionellen Langzeitergebnisse sind derzeit viel versprechend, die endgültige Beurteilung bedarf jedoch noch der weiteren Beobachtung.

Literatur beim Autor

Prof. Dr. Jürgen Gschwend, Ulm

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Zweiter Kommentar

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Einsatzmöglichkeit der orthotopen Neoblase gut belegt

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A. Stenzl

Vor ca. 12 Jahren erschienen die ersten Berichte über größere Serien von orthotoper Blasensubtition nach Zystektomie beim Blasenkarzinom von Frauen. Die damals sicherlich zu Recht vorgebrachten Zweifel an vertretbaren onkologischen bzw. funktionellen Ergebnissen konnte mittlerweile in mehreren Serien mit Rezidiv- bzw. Kontinenzraten, die denen bei Serien von Männern um nichts nachstehen, behoben werden. In einigen Zentren stellt die orthotope Neoblase auch bei Frauen die häufigste Form der Harnableitung nach radikaler Zystektomie dar.

In Deutschland werden nach Schätzungen etwa 500-750 Zystektomien bei Frauen wegen eines Blasenkarzinoms pro Jahr durchgeführt. Trotz hoher Akzepanz für eine orthotope Harnableitung bei diesen Frauen in vereinzelten Schwerpunktzentren erhält die überwiegende Mehrzahl dieser Frauen eine andere Harnableitung, z.B. Ileum-Conduit, katheterisierbarer abdomineller Pouch oder u. U. eine sigmoidorektale Ableitung. Die Gründe dafür dürften unterschiedlich sein: Nicht alle Behandler sind mit dieser neuen Methode vertraut, es bestehen nach wie vor Zweifel am onkologischen oder funktionellen Ausgang, Unklarheiten der Auswahlkriterien, fehlende Motivation der Patientinnen (manchmal auch direkt oder indirekt durch den Behandler übermittelt), fortgeschrittenere Tumorstadien durch ein Hinauszögern der Operation etc..

Die Arbeit von Lee et al. zeigt, dass auch trotz grenzwertiger Indikation für Patienten und Behandler akzeptable Ergebnisse erzielt werden können. Trotz blasenüberschreitendem Tumorwachstum, einem Alter über 70 (in einigen Fällen sogar über 75) Jahren, einer vorangegangenen Bestrahlung des Beckens oder einer neoadjuvanten Chemotherapie oder gar einer Stressinkontinenz konnte eine Kontinenz in 86% dieser Fälle erreicht werden. Erstaunlich ist in dieser Arbeit, dass die Kontinenz nachts sogar noch höher (91%) als tagsüber und auch höher in einer Gruppe ohne Risikofaktoren (81%) lag. Ebenfalls besser (18%) waren die Ergebnisse mit Risikofaktoren verglichen mit denen ohne Risikofaktoren (23%), wobei dieser Wert nicht statistisch signifikant war. Hier lässt sich das Ergebnis wahrscheinlich nur mit einer Patientenselektion erklären.

Die Autoren gehen nicht auf die Technik der Zystektomie selbst ein. Dies scheint aber für vor allem ein optimales funktionelles Ergebnis, aber auch für eine optimale Tumorresektion wichtig [4]. Nur so lässt sich erklären, dass Frauen über 80 (die älteste Patientin in dieser Studie war 87 Jahre!) auch gute funktionelle Ergebnisse haben. Das höhere Alter der Riskogruppe ist möglicherweise auch die Ursache für eine höhere Komplikationsrate. Die vermehrten Komplikationen betrafen vor allem internistische Ursachen wie Thrombosen oder Dehydrierung.

Die vorliegende Arbeit belegt die gute Einsatzmöglichkeit einer orthotopen Neoblase bei Patientinnen mit tumorbedingter Blasenentfernung. Innerhalb eines Jahrzehnts konnte die Machbarkeit der orthotopen Neoblase bei Frauen gezeigt werden. Möglicherweise ist nun ein Jahrzehnt angebrochen, in dem der Beweis angetreten wird, dass der orthotope Blasenersatz für die überwiegende Mehrzahl der weiblichen Blasentumorpatientinnen die Methode der Wahl darstellt.

Prof. Arnulf Stenzl, Tübingen

 
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Anatomische Resektionsgrenzen beim Mann und der Frau bei radikaler Zystektomie (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

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J. Geschwend

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A. Stenzl