Prof. Dr. E. Hiller, München
Bei Malignomen ist das Risiko thromboembolischer Ereignisse erhöht, da Tumorzellen
gerinnungsaktive Substanzen bilden können. Außerdem findet man bei Karzinom-Patienten
nicht selten weitere Faktoren, die eine zusätzliche Gefährdung bedeuten - hierzu zählen
zum Beispiel Immobilisation, venöse Verweilkatheter sowie unter Chemotherapie zerfallende
große Tumormassen, die "tissue factor" freisetzen. Chirurgische Interventionen bei
Tumorpatienten sind zudem mit einem doppelt so hohen Thromboserisiko verbunden wie
vergleichbare Operationen bei Patienten, die kein Malignom aufweisen. Die Betroffenen
müssen folglich als Hochrisikogruppe angesehen werden und entsprechend hohe Arzneimitteldosen
zur Prophylaxe erhalten. Zudem haben Studien gezeigt, dass diese Patienten postoperativ
von einer prolongierten Gabe niedermolekularer Heparine (z.B. Dalteparin 5000 IE über
28 Tage) profitieren. Neben ihrer antithrombotischen Wirkung besitzen niedermolekulare
Heparine wie Dalteparin (Fragmin®) wahrscheinlich auch einen Antitumor-Effekt. Eine
mögliche Erklärung hierfür ist die Hemmung der Angiogenese durch Heparin. Am Rande
des diesjährigen Kongresses der DGIM (Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin) in
Wiesbaden, fragten wir Prof. Erhard Hiller, München, nach seiner Einschätzung zum
Einsatz von niedermolekularen Heparinen bei Tumorpatienten.
klinikarzt: Inwieweit findet die Thromboseprophylaxe bei Tumorpatienten bereits jetzt Einsatz
in der Klinik. Haben die Ergebnisse der Studien CLOT[1] ([3]), FAMOUS[2] ([2]) oder die Studie von Altinbas ([1]) - die alle drei erst innerhalb der letzten beiden Jahre publiziert wurden - Einfluss
darauf?
Prof. E. Hiller: Die Studienergebnisse sind noch widersprüchlich und nicht von einer so klaren Aussagekraft,
dass der Einsatz von niedermolekularen Heparinen zum Zwecke einer Tumorkontrolle zum
gegenwärtigen Zeitpunkt zu rechtfertigen wäre. Unabhängig davon gilt aber bei uns
- und sicher in allen onkologischen Abteilungen: Wenn ein Patient durch sein Tumorleiden
immobilisiert ist, hat er ein erhöhtes Thromboserisiko und bekommt deshalb immer eine
Thromboseprophylaxe. Eindeutige Indikationen zur Thromboseprophylaxe sind darüber
hinaus operative Eingriffe, ein zentraler Venenkatheter (ZVK), die Chemo- und Strahlentherapie
bei ausgedehnten Tumormassen und fortgeschrittener Erkrankung sowie teilweise auch
Hickman-Katheter und Portsysteme.
klinikarzt: Somit kommt den Patienten der möglicherweise vorhandene Zusatznutzen von Dalteparin
schon jetzt zugute?
Hiller: Im Vordergrund steht derzeit eindeutig die Thromboseprophylaxe, aus diesem Grund
wird das Medikament verabreicht. Die Ergebnisse aus den Studien CLOT und FAMOUS sind
noch weithin unbekannt. Dass niedermolekulare Heparine aber bei Tumorpatienten möglicherweise
auch einen Vorteil in Bezug auf die Überlebensrate bedingen könnten, wissen bisher
nur wenige Hämatoonkologen. Auch ich halte mich mit derartigen Prognosen bislang noch
sehr zurück. Nach der derzeitigen Datenlage scheint es am ehesten beim kleinzelligen
Bronchialkarzinom unter Dalteparin zu einer Verlängerung der Überlebenszeit zu kommen.
Studien mit Patienten, die unterschiedliche andere Tumorerkrankungen hatten, zeigten
bisher weniger überzeugende Ergebnisse.
klinikarzt: Viele onkologische Patienten werden ambulant versorgt und bekommen, anders als die
hospitalisierten Patienten, keine routinemäßige Thromboseprophylaxe. Wäre es nicht
auch in diesen Fällen wichtig, auf die Chancen einer Behandlung mit niedermolekularen
Heparinen hinzuweisen - unabhängig davon wie groß oder wie bewiesen sie sind?
Hiller: Ja, durchaus. Rund 80% der Patienten werden ambulant versorgt, und gerade diese Patienten,
die eine relativ gute Prognose haben, profitieren nach den bisherigen Daten möglicherweise
von der zusätzlichen Gabe niedermolekularer Heparine. Für einen breiten Einsatz ist
es meines Erachtens aber noch zu früh, außer eventuell für Patienten mit kleinzelligem
Bronchialkarzinom. Eine zusätzliche Überlebenszeit von fünf Monaten unter der Dalteparinbehandlung,
wie sie Altinbas und seine Kollegen in ihrer Untersuchung dokumentierten ([1]), ist meines Erachtens ein Argument, bei dieser Tumorentität schon heute ein niedermolekulares
Heparin einzusetzen.
Allerdings sind weitere Studien erforderlich, um die Zukunftsperspektiven solcher
Therapiestrategien im Hinblick auf eine Lebenszeitverlängerung für andere solide Tumoren
deutlich zu machen. Für Dalteparin hoffen wir zunächst auf die Zulassungserweiterung
für die Thrombosetherapie und Rezidivprophylaxe bei Tumorpatienten.
Herr Professor Hiller, wir bedanken uns für dieses Gespräch!