Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt (AMI) zu retten, ist ein Wettrennen mit
der Zeit: Jährlich sterben rund 70000 von den 300000 Menschen in Deutschland, die
einen Herzinfarkt erleiden. Eine Reperfusionstherapie erhalten nur rund 100000 Patienten.
Die beste Reperfusionsstrategie unter Berücksichtigung der lokalen Ressourcen zu finden,
ist derzeit die größte Herausforderung. Dafür müssen alle an der Notfallkette beteiligten
Parteien - Notfallmediziner und Kardiologen - an einem Strang ziehen.
Wirksame Therapiemaßnahmen, mit denen die Morbiditäts- und Mortalitätsrate beim akuten
Myokardinfarkt gesenkt werden können, sind vorhanden, erklärte Prof. A. Ross, St.
Petersburg (USA). Insbesondere verbesserte Fibrinolytika und Additiva sowie neue mechanische
Behandlungsformen stehen zur Verfügung. Am wichtigsten sei es aber, die vorhandenen
neuen Behandlungsstrategien auch konsequent umzusetzen, meinte Ross. Nach PD U. Zeymer,
Ludwigshafen, hängt beispielsweise der Effekt einer Thrombolyse beim akuten Myokardinfarkt
davon ab, wie schnell diese Therapie verabreicht werden kann. Mit der prähospitalen
Lyse ist ein erheblicher Zeitgewinn von rund einer Stunde möglich.
Auch wenn die Fahrt ins nächste geeignete Krankenhaus nur ganz kurz ist, eine prähospitale
Lysetherapie ist keinesfalls unnötig. Denn vom Eintreffen des Patienten bis zum Beginn
der Lyse im Krankenhaus vergeht leicht eine Stunde. Etwa 2% beträgt der Unterschied
in der Sterblichkeit zwischen prähospitaler Lyse und der Lyse im Krankenhaus - das
ist genauso viel wie der Unterschied zwischen im Krankenhaus gegebener Lyse und primärer
perkutaner Koronarangioplastie (PTCA).
Bei guter Zusammenarbeit - steigt die Zahl der Lysierten
Bei guter Zusammenarbeit - steigt die Zahl der Lysierten
Im vor zwei Jahren in Deutschland begonnenen PREMIR[1]-Register arbeiteten Kardiologen und Notärzte erstmals zusammen. Eingeschlossen wurden
konsekutive Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt und einer Symptomdauer von weniger
als 24 Stunden, bei denen schon prähospital ein Zwölf-Kanal-EKG geschrieben wurde,
das die ST-Strecken-Hebung oder einen Linksschenkelblock dokumentiert. Nur mit einem
Notarzt-System ins Krankenhaus eingelieferte Patienten wurden aufgenommen.
Bisher sind in dem Register rund 2500 Patienten aus 67 Zentren erfasst. Über 90% davon
nahmen Acetylsalicylsäure ein, 5% Clopidogrel, mehr als 85% der Patienten erhielten
unfraktioniertes Heparin. Glykoprotein(GP)-IIb/IIIa-Inhibitoren wurden nur in einem
sehr geringen Prozentsatz (3,4%) eingesetzt. Fast 30% der Patienten wurden prähospital
lysiert. Addiert man dazu den Anteil der Patienten mit intrahospitaler Lyse, erreicht
der Lyseanteil im PREMIR-Register rund 40%. Die Diagnosesicherheit - also die Auswahl
der geeigneten Patienten - ist dabei mit über 95% sehr hoch und genauso gut wie bei
Patienten innerhalb der Klinik.
Bei Patienten, die primär angioplastiert wurden, war das Zeitintervall zwischen Symptombeginn
und EKG tendenziell etwas länger als bei solchen, bei denen prähospital eine Lysetherapie
eingeleitet wurde. Das Zeitintervall zwischen Symptombeginn und Beginn der Reperfusionstherapie
war bei prähospital lysierten Patienten deutlich kürzer als bei angioplastierten Patienten,
auch wenn diese schon prähospital mit der Diagnose "ST-Hebungsinfarkt" angemeldet
wurden. Nur rund 20% der prähospital lysierten Patienten wurden innerhalb der ersten,
so genannten "goldenen Stunde" behandelt. Erhielten die Patienten eine primäre PTCA
wurde dieses Zeitfenster nur bei einem verschwindend geringen Prozentsatz von rund
1% eingehalten.
Auch hinsichtlich der Komplikationen - wie kardiogenem Schock, Reinfarkt oder schweren
Blutungskomplikationen - ist die prähospitale Lyse vergleichbar mit der intrahospitalen
Thrombolyse. Zudem entwickelten weniger prähospitale Lysepatienten im Verlauf ihres
Klinikaufenthalts eine Herzinsuffizienz. Bezüglich der Sterblichkeit hingegen unterschieden
sich prä- und intrahospitale Lyse sowie primäre PTCA nicht - allerdings ist das Register
natürlich keine randomisierte Studie.
"Wir können mit der prähospitalen Lyse auch in der klinischen Praxis gegenüber der
intrahospitalen Lyse Zeit sparen, es entstehen nicht mehr Komplikationen und die prähospitale
Diagnose ist sehr sicher", so das Fazit von Zeymer. "Wenn ich einen frischen Herzinfarkt
mit einer Symptomdauer von ein bis zwei Stunden hätte, würde ich die Chance dieser
sehr frühen Behandlung vorziehen."
Ausweitung der Lyse in Risikogruppen hinein
Ausweitung der Lyse in Risikogruppen hinein
Wenn wir nicht mehr nur die "ausgesuchten" Patienten der 1980er Jahre lysieren, konstatierte
Prof. M. Hoffmeister, Solingen, kommen wir zwangsläufig auch in Gruppen mit einem
erhöhten Behandlungsrisiko. Wolle man die Reperfusionsrate trotzdem insgesamt erhöhen,
müsse man sehr gezielt behandeln und überlegen, welche Substanz wann einzusetzen ist.
Limitierender Faktor bei der Thrombolyse des akuten Herzinfarktes seien nun einmal
die - vor allem zerebralen - Blutungskomplikationen und Medikamenteninteraktionen
mit Präparaten für die anschließende Katheteruntersuchung.
Weitere Nachteile der Thrombolyse sind allergische Reaktionen und ein Blutdruckabfall.
Auch der so genannte Reinfarkt durch die Aktivierung des Gerinnungssystems spielt
eine Rolle, wenn das Thrombolytikum nicht nur lokal wirkt. Früher stand vor allem
die sehr unspezifische Streptokinase zur Verfügung, die in Dauerinfusion und ohne
Gewichtsadjustierung gegeben wurde. Es folgten Substanzen der zweiten Generation,
zum Beispiel die Alteplase, die ein etwas kompliziertes Infusionsschema hat und nur
mäßig fibrinspezifisch ist.
Eine Substanz der dritten Generation ist die Tenecteplase (Metalyse®), die am stärksten
fibrinspezifische Substanz. Die Tenecteplase greift differenzierter ins Gerinnungssystem
ein und verursacht deshalb anders als die Streptokinase auch keine merkliche paradoxe
Aktivierung. Ihre Wirkung ist vorhersehbar und beeinträchtigt das Gerinnungssystem
nicht über einen längeren Zeitraum. Dies verbessert auch die Kombinationsmöglichkeiten.
Will man möglichst viele Patienten möglichst früh lysieren, eignen sich Substanzen
der dritten Generation sehr viel besser - auch weil sie am einfachsten und sichersten
zu handhaben sind.
Neue Studien zeigen auch bei Risikopatienten, die nach einer Stentimplantation Acetylsalicylsäure
und Clopidogrel erhielten und zuvor mit einem Thrombolytikum der dritten Generation
behandelt wurden, keinen Anstieg gravierender Blutungen - allerdings besteht ein Trend
hin zu etwas mehr leichteren Blutungskomplikationen. "Auch bei konservativer Betrachtung
der Ergebnisse muss man sagen, die Kombination ist gut machbar", so Hoffmeister. Bei
uns in Deutschland nimmt deshalb dank der Ausdehnung der kombinierten Strategie auf
Patienten mit höherem und hohem Risiko (ältere Patienten, Diabetiker) die Zahl der
reperfundierten Infarkte kontinuierlich zu.
Abb. 2 Zeitverlust auf dem Weg zur Klink
Insbesondere bei Hochrisikopatienten, die nicht sofort reperfundiert werden, steigt
das Mortalitätsrisiko steil an, erklärte auch Prof. K. Huber, Wien (Österreich). Dazu
zählen Ältere, Menschen mit einem größeren Infarkt, meist einem Vorderwandinfarkt,
und Betroffene mit einer Herzfrequenz über 100 Schläge pro Minute. Schon einer dieser
drei Faktoren genügt, um einen Patienten als Hochrisikopatienten einstufen zu müssen.
In diesen Fällen ist keine Zeit zu verlieren, ganz besonders nicht bei einem frischen
Infarkt. Und am schnellsten einzusetzen ist auch hier nach Ansicht des Wiener Experten
die prähospitale Lyse, die für dieses Patientenklientel im direkten Vergleich auch
der intrahospitalen Lyse überlegen ist. 80% der Patienten erreichen in Deutschland
und Österreich nicht im optimalen Zeitfenster das Krankenhaus und auch bei den 20%,
bei denen das der Fall ist, geht im Krankenhaus noch Zeit verloren.
Nicht Lyse statt, sondern Lyse und PTCA
Nicht Lyse statt, sondern Lyse und PTCA
Nach Ansicht von Prof. D. Gulba, Bad Düren, kann die Thrombolyse, auch wenn sie prähospital
eingesetzt wird, die perkutane Koronarangioplastie jedoch nicht ersetzen. Sie hat
vielmehr als komplementäre Reperfusionsmethode ihren festen Platz. Jeder Infarkt gehöre
nach spätestens 48 Stunden auf den Tisch, meinte er. Wenn eine hochgradige Stenose
vorhanden sei, müsse auch dilatiert oder operiert werden. Die GRACIA[2]-1-Studie zeigte für die Thrombolyse allein ein schlechteres Ergebnis als für die
Kombination Thrombolyse und perkutane Koronarangioplastie - eine Bestätigung des oben
genannten Konzeptes. Die Thrombolyse sei also kein "stand alone", denn dann komme
es gehäuft zu Wiederverschlüssen, so Gulba. Zudem haben Patienten mit Infarkt, die
reokkludieren, eine schlechtere Prognose.
Doch wie könnte man die Daten bei einer Primärangioplastie verbessern? Daten aus den
USA zeigen, dass Patienten mit einem kompletten Verschluss (TIMI 0 oder 1) häufiger
versterben als solche, bei denen das Gefäß vor der Intervention zumindest teilweise
wieder geöffnet werden konnte (TIMI 2 oder 3). Dies spricht dafür, dass man alles
dafür tun sollte, die Patienten bereits mit perfundierten Gefäßen ins Katheterlabor
zu bringen - dies vereinfacht die Prozedur und Komplikationsrate sowie Sterblichkeit
sind sehr viel niedriger. Je früher die Reperfusion einsetzt, desto mehr Leben werden
gerettet: Innerhalb der ersten, "goldenen" Stunde sind dies zusätzliche 70 Leben pro
1000 Reperfusionen, bei zwei Stunden sinkt die Zahl schon auf 40 bei 1000 Eingriffen.
Und was uns zu denken geben sollte: Im Durchschnitt dauert es heute noch immer 3,5
Stunden bis zur Reperfusion.
Quelle: Pressegespräch und Symposium "Tenecteplase - early thrombolysis concepts",
veranstaltet von der Boehringer Ingelheim GmbH, Ingelheim, im Rahmen des "Atherothrombosis
Summit"