Der Klinikarzt 2005; 34(8/09): XII-XIII
DOI: 10.1055/s-2005-917943
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Die Zeit ist der wichtigste Faktor - Kombination von Lyse und Koronarangioplastie am erfolgreichsten

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05 October 2005 (online)

 
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Patienten mit einem akuten Myokardinfarkt (AMI) zu retten, ist ein Wettrennen mit der Zeit: Jährlich sterben rund 70000 von den 300000 Menschen in Deutschland, die einen Herzinfarkt erleiden. Eine Reperfusionstherapie erhalten nur rund 100000 Patienten. Die beste Reperfusionsstrategie unter Berücksichtigung der lokalen Ressourcen zu finden, ist derzeit die größte Herausforderung. Dafür müssen alle an der Notfallkette beteiligten Parteien - Notfallmediziner und Kardiologen - an einem Strang ziehen.

Wirksame Therapiemaßnahmen, mit denen die Morbiditäts- und Mortalitätsrate beim akuten Myokardinfarkt gesenkt werden können, sind vorhanden, erklärte Prof. A. Ross, St. Petersburg (USA). Insbesondere verbesserte Fibrinolytika und Additiva sowie neue mechanische Behandlungsformen stehen zur Verfügung. Am wichtigsten sei es aber, die vorhandenen neuen Behandlungsstrategien auch konsequent umzusetzen, meinte Ross. Nach PD U. Zeymer, Ludwigshafen, hängt beispielsweise der Effekt einer Thrombolyse beim akuten Myokardinfarkt davon ab, wie schnell diese Therapie verabreicht werden kann. Mit der prähospitalen Lyse ist ein erheblicher Zeitgewinn von rund einer Stunde möglich.

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Auch wenn die Fahrt ins nächste geeignete Krankenhaus nur ganz kurz ist, eine prähospitale Lysetherapie ist keinesfalls unnötig. Denn vom Eintreffen des Patienten bis zum Beginn der Lyse im Krankenhaus vergeht leicht eine Stunde. Etwa 2% beträgt der Unterschied in der Sterblichkeit zwischen prähospitaler Lyse und der Lyse im Krankenhaus - das ist genauso viel wie der Unterschied zwischen im Krankenhaus gegebener Lyse und primärer perkutaner Koronarangioplastie (PTCA).

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Bei guter Zusammenarbeit - steigt die Zahl der Lysierten

Im vor zwei Jahren in Deutschland begonnenen PREMIR[1]-Register arbeiteten Kardiologen und Notärzte erstmals zusammen. Eingeschlossen wurden konsekutive Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt und einer Symptomdauer von weniger als 24 Stunden, bei denen schon prähospital ein Zwölf-Kanal-EKG geschrieben wurde, das die ST-Strecken-Hebung oder einen Linksschenkelblock dokumentiert. Nur mit einem Notarzt-System ins Krankenhaus eingelieferte Patienten wurden aufgenommen.

Bisher sind in dem Register rund 2500 Patienten aus 67 Zentren erfasst. Über 90% davon nahmen Acetylsalicylsäure ein, 5% Clopidogrel, mehr als 85% der Patienten erhielten unfraktioniertes Heparin. Glykoprotein(GP)-IIb/IIIa-Inhibitoren wurden nur in einem sehr geringen Prozentsatz (3,4%) eingesetzt. Fast 30% der Patienten wurden prähospital lysiert. Addiert man dazu den Anteil der Patienten mit intrahospitaler Lyse, erreicht der Lyseanteil im PREMIR-Register rund 40%. Die Diagnosesicherheit - also die Auswahl der geeigneten Patienten - ist dabei mit über 95% sehr hoch und genauso gut wie bei Patienten innerhalb der Klinik.

Bei Patienten, die primär angioplastiert wurden, war das Zeitintervall zwischen Symptombeginn und EKG tendenziell etwas länger als bei solchen, bei denen prähospital eine Lysetherapie eingeleitet wurde. Das Zeitintervall zwischen Symptombeginn und Beginn der Reperfusionstherapie war bei prähospital lysierten Patienten deutlich kürzer als bei angioplastierten Patienten, auch wenn diese schon prähospital mit der Diagnose "ST-Hebungsinfarkt" angemeldet wurden. Nur rund 20% der prähospital lysierten Patienten wurden innerhalb der ersten, so genannten "goldenen Stunde" behandelt. Erhielten die Patienten eine primäre PTCA wurde dieses Zeitfenster nur bei einem verschwindend geringen Prozentsatz von rund 1% eingehalten.

Auch hinsichtlich der Komplikationen - wie kardiogenem Schock, Reinfarkt oder schweren Blutungskomplikationen - ist die prähospitale Lyse vergleichbar mit der intrahospitalen Thrombolyse. Zudem entwickelten weniger prähospitale Lysepatienten im Verlauf ihres Klinikaufenthalts eine Herzinsuffizienz. Bezüglich der Sterblichkeit hingegen unterschieden sich prä- und intrahospitale Lyse sowie primäre PTCA nicht - allerdings ist das Register natürlich keine randomisierte Studie.

"Wir können mit der prähospitalen Lyse auch in der klinischen Praxis gegenüber der intrahospitalen Lyse Zeit sparen, es entstehen nicht mehr Komplikationen und die prähospitale Diagnose ist sehr sicher", so das Fazit von Zeymer. "Wenn ich einen frischen Herzinfarkt mit einer Symptomdauer von ein bis zwei Stunden hätte, würde ich die Chance dieser sehr frühen Behandlung vorziehen."

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Ausweitung der Lyse in Risikogruppen hinein

Wenn wir nicht mehr nur die "ausgesuchten" Patienten der 1980er Jahre lysieren, konstatierte Prof. M. Hoffmeister, Solingen, kommen wir zwangsläufig auch in Gruppen mit einem erhöhten Behandlungsrisiko. Wolle man die Reperfusionsrate trotzdem insgesamt erhöhen, müsse man sehr gezielt behandeln und überlegen, welche Substanz wann einzusetzen ist. Limitierender Faktor bei der Thrombolyse des akuten Herzinfarktes seien nun einmal die - vor allem zerebralen - Blutungskomplikationen und Medikamenteninteraktionen mit Präparaten für die anschließende Katheteruntersuchung.

Weitere Nachteile der Thrombolyse sind allergische Reaktionen und ein Blutdruckabfall. Auch der so genannte Reinfarkt durch die Aktivierung des Gerinnungssystems spielt eine Rolle, wenn das Thrombolytikum nicht nur lokal wirkt. Früher stand vor allem die sehr unspezifische Streptokinase zur Verfügung, die in Dauerinfusion und ohne Gewichtsadjustierung gegeben wurde. Es folgten Substanzen der zweiten Generation, zum Beispiel die Alteplase, die ein etwas kompliziertes Infusionsschema hat und nur mäßig fibrinspezifisch ist.

Eine Substanz der dritten Generation ist die Tenecteplase (Metalyse®), die am stärksten fibrinspezifische Substanz. Die Tenecteplase greift differenzierter ins Gerinnungssystem ein und verursacht deshalb anders als die Streptokinase auch keine merkliche paradoxe Aktivierung. Ihre Wirkung ist vorhersehbar und beeinträchtigt das Gerinnungssystem nicht über einen längeren Zeitraum. Dies verbessert auch die Kombinationsmöglichkeiten. Will man möglichst viele Patienten möglichst früh lysieren, eignen sich Substanzen der dritten Generation sehr viel besser - auch weil sie am einfachsten und sichersten zu handhaben sind.

Neue Studien zeigen auch bei Risikopatienten, die nach einer Stentimplantation Acetylsalicylsäure und Clopidogrel erhielten und zuvor mit einem Thrombolytikum der dritten Generation behandelt wurden, keinen Anstieg gravierender Blutungen - allerdings besteht ein Trend hin zu etwas mehr leichteren Blutungskomplikationen. "Auch bei konservativer Betrachtung der Ergebnisse muss man sagen, die Kombination ist gut machbar", so Hoffmeister. Bei uns in Deutschland nimmt deshalb dank der Ausdehnung der kombinierten Strategie auf Patienten mit höherem und hohem Risiko (ältere Patienten, Diabetiker) die Zahl der reperfundierten Infarkte kontinuierlich zu.

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Abb. 2 Zeitverlust auf dem Weg zur Klink

Insbesondere bei Hochrisikopatienten, die nicht sofort reperfundiert werden, steigt das Mortalitätsrisiko steil an, erklärte auch Prof. K. Huber, Wien (Österreich). Dazu zählen Ältere, Menschen mit einem größeren Infarkt, meist einem Vorderwandinfarkt, und Betroffene mit einer Herzfrequenz über 100 Schläge pro Minute. Schon einer dieser drei Faktoren genügt, um einen Patienten als Hochrisikopatienten einstufen zu müssen.

In diesen Fällen ist keine Zeit zu verlieren, ganz besonders nicht bei einem frischen Infarkt. Und am schnellsten einzusetzen ist auch hier nach Ansicht des Wiener Experten die prähospitale Lyse, die für dieses Patientenklientel im direkten Vergleich auch der intrahospitalen Lyse überlegen ist. 80% der Patienten erreichen in Deutschland und Österreich nicht im optimalen Zeitfenster das Krankenhaus und auch bei den 20%, bei denen das der Fall ist, geht im Krankenhaus noch Zeit verloren.

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Nicht Lyse statt, sondern Lyse und PTCA

Nach Ansicht von Prof. D. Gulba, Bad Düren, kann die Thrombolyse, auch wenn sie prähospital eingesetzt wird, die perkutane Koronarangioplastie jedoch nicht ersetzen. Sie hat vielmehr als komplementäre Reperfusionsmethode ihren festen Platz. Jeder Infarkt gehöre nach spätestens 48 Stunden auf den Tisch, meinte er. Wenn eine hochgradige Stenose vorhanden sei, müsse auch dilatiert oder operiert werden. Die GRACIA[2]-1-Studie zeigte für die Thrombolyse allein ein schlechteres Ergebnis als für die Kombination Thrombolyse und perkutane Koronarangioplastie - eine Bestätigung des oben genannten Konzeptes. Die Thrombolyse sei also kein "stand alone", denn dann komme es gehäuft zu Wiederverschlüssen, so Gulba. Zudem haben Patienten mit Infarkt, die reokkludieren, eine schlechtere Prognose.

Doch wie könnte man die Daten bei einer Primärangioplastie verbessern? Daten aus den USA zeigen, dass Patienten mit einem kompletten Verschluss (TIMI 0 oder 1) häufiger versterben als solche, bei denen das Gefäß vor der Intervention zumindest teilweise wieder geöffnet werden konnte (TIMI 2 oder 3). Dies spricht dafür, dass man alles dafür tun sollte, die Patienten bereits mit perfundierten Gefäßen ins Katheterlabor zu bringen - dies vereinfacht die Prozedur und Komplikationsrate sowie Sterblichkeit sind sehr viel niedriger. Je früher die Reperfusion einsetzt, desto mehr Leben werden gerettet: Innerhalb der ersten, "goldenen" Stunde sind dies zusätzliche 70 Leben pro 1000 Reperfusionen, bei zwei Stunden sinkt die Zahl schon auf 40 bei 1000 Eingriffen. Und was uns zu denken geben sollte: Im Durchschnitt dauert es heute noch immer 3,5 Stunden bis zur Reperfusion.

gb

Quelle: Pressegespräch und Symposium "Tenecteplase - early thrombolysis concepts", veranstaltet von der Boehringer Ingelheim GmbH, Ingelheim, im Rahmen des "Atherothrombosis Summit"

5 prähospitales Myokardinfarktregister

6 group de analisis de la cardiopatia ilsquemica aguda

5 prähospitales Myokardinfarktregister

6 group de analisis de la cardiopatia ilsquemica aguda

 
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Abb. 2 Zeitverlust auf dem Weg zur Klink