Einleitung
Einleitung
Bronchodilatatoren sind sowohl nach nationalen [1 ] als auch internationalen Empfehlungen [2 ] Basistherapie der chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung (COPD). Erreicht die Einschränkung
der Lungenfunktion, gemessen an der Ein-Sekundenkapazität (FEV1 ), einen Schweregrad von unter 80 % des Sollwertes, sollten langwirksame Bronchodilatatoren
bevorzugt eingesetzt werden [2 ]. Langwirksame Bronchodilatatoren wie Anticholinergika und β-Sympathomimetika weisen
gegenüber kurzwirksamen Substanzen neben einem vereinfachten Dosierungsschema zudem
auch ein verbessertes klinisches Wirkungsprofil auf. Entsprechende klinische Studien
belegen den Vorteil langwirksamer Substanzen im Hinblick auf Lungenfunktion, Symptome,
Lebensqualität und Exazerbationshäufigkeit.
Neben den langwirksamen β-Sympathomimetika Salmeterol und Formoterol gilt das langwirksame
Anticholinergikum Tiotropium als Bronchodilatator der ersten Wahl bei COPD [2 ]. Tiotropium verbesserte in großen randomisierten Studien gegenüber Ipratropium bzw.
Plazebo alle klinisch relevanten Endpunkte [3 ]
[4 ]. In diesen Studien wurden jedoch vornehmlich COPD-Patienten mit mittelschwerer oder
schwerer obstruktiver Ventilationsstörung behandelt. Ziel der hier vorgelegten Untersuchung
war die Prüfung der Wirksamkeit und Verträglichkeit von Tiotropium in einem großen
Patientenkollektiv verschiedener COPD-Schweregrade unter praxisnahen Bedingungen in
deutschen pneumologischen Facharztpraxen. Primäre Zielkriterien waren dabei die Verbesserung
der Lungenfunktion 23 - 24 Stunden nach der vorhergehenden Inhalation (trough-Wert)
und 2 Stunden nach Inhalation der Studienmedikation. Weiterhin wurde die Reduktion
von COPD-Exazerbationen untersucht.
Material und Methode
Material und Methode
Patienten
In die 12-wöchige Plazebo-kontrollierte Studie wurden COPD-Patienten verschiedener
Schweregrade eingeschlossen. Die multizentrische Studie wurde in 294 pneumologischen
Prüfzentren in Deutschland durchgeführt. Prüfzentren waren pneumologische Facharztpraxen
oder pneumologische Klinikambulanzen sowie eine geringe Anzahl von internistischen
Praxen mit Schwerpunkt Atemwegserkrankungen (< 10). Die Patienten mussten eine stabile
COPD mit einem FEV1 ≤ 70 % vom Sollwert und einem FEV1 /FVC-Verhältnis < 0,7 haben. Gefordert war eine Raucheranamnese von mindestens 10
Packungsjahren und ein Alter von mindestens 40 Jahren. Patienten mit einer Asthmaanamnese
oder Erkrankungen aus dem atopischen Formenkreis, die auf ein eher asthmatisches Krankheitsbild
hindeuteten, waren von der Teilnahme an der Studie ausgeschlossen. Weitere Ausschlusskriterien
waren die Notwendigkeit einer Sauerstofflangzeittherapie oder ein respiratorischer
Infekt in den sechs Wochen vor Screening, sowie signifikante Begleiterkrankungen.
Für alle teilnehmenden Zentren lagen vor Beginn des Patienteneinschlusses positive
Voten der zuständigen Ethikkommissionen vor.
Langwirksame β-Mimetika und andere (kurzwirksame) Anticholinergika als das Prüfpräparat
wurden zu Beginn der Studie als nicht erlaubte Begleitmedikation abgesetzt. Kurzwirksame
β-Mimetika zur Inhalation wurden einheitlich durch Fenoterol Dosieraerosol zur bedarfsweisen
Anwendung ersetzt.
Ablauf der klinischen Prüfung
Ablauf der klinischen Prüfung
Screening
Am ersten Tag der Studie wurde ein Bronchospasmolysetest mit Ipratropiumbromid 200
µg plus Fenoterol 200 µg durchgeführt. Dieser Test diente dazu, das möglichst maximale
bronchodilatatorische Potential der Patienten vor dem Eintritt in die Studie zu ermitteln.
Das Ergebnis des Testes war jedoch kein Einschlusskriterium.
Randomisation und Behandlungsphase
Nach einer einwöchigen Run in-Phase wurden die Patienten randomisiert und erhielten
in der Praxis erstmals doppelblind die Prüfmedikation (Tiotropiumbromid oder Plazebo,
Verhältnis 3 : 1). 30 und 10 Minuten vor der Inhalation (Baseline) der Prüfmedikation
und 2 Stunden danach wurde die Lungenfunktion (FEV1 , FVC und IVC) gemessen. In der anschließenden 12-wöchigen Behandlungsphase inhalierten
die Patienten jeweils morgens eine Kapsel Tiotropiumbromid oder Plazebo via HandiHaler®.
Zum Abschluss der Behandlungsphase wurde die Prüfmedikation erneut morgens im Prüfzentrum
inhaliert und die Lungenfunktion in gleicher Weise wie zum Beginn der Behandlungsphase
gemessen.
Vor den Lungenfunktionstests wurden Auswaschzeiten für bronchodilatatorisch wirkende
Medikamente eingehalten. (a) Screening: kurzwirksame inhalative β-Mimetika 8 Stunden,
kurzwirksame Anticholinergika 12 Stunden, langwirksame inhalative und orale β-Mimetika
24 Stunden, nichtretardiertes Theophyllin 12 bzw. retardiertes Theophyllin 24 Stunden.
(b) Behandlungsphase: kurzwirksame inhalative β-Mimetika 8 Stunden, nichtretardiertes
Theophyllin 12 bzw. retardiertes Theophyllin 24 Stunden. Die Durchführung der spirometrischen
Messungen erfolgte nach Kriterien der American Thoracic Society [5 ].
Statistische Methoden
Statistische Methoden
Alle Daten sind, sofern nicht anders berichtet, als arithmetische Mittelwerte mit
Standardabweichung angegeben. Primäres Zielkriterium der Studie war der morgendliche
Ausgangs („trough”)-FEV1 -Wert 23 - 24 Stunden nach der vorhergehenden Inhalation der Prüfmedikation und das
FEV1 2 Stunden nach Inhalation nach 12-wöchiger Behandlung mit Tiotropium gegenüber Plazebo.
Die Zielgrößen wurden mittels Kovarianzanalyse mit „Zentrum” als zufälligem Einflussfaktor
und Baseline als Kovariate auf Behandlungsunterschiede geprüft. Um den Gesamtfehler
erster Art unter dem üblichen Signifikanzniveau von 5 % zu halten, wurde für die zwei
primären Fragestellungen die Methode der α-Adjustierung nach Bonferoni-Holm angewendet.
Die Fallzahlplanung ergab, dass mindestens 612 auswertbare Patienten in der Tiotropiumgruppe
und 204 in der Plazebogruppe benötigt werden, um einen Unterschied von 0,1 Liter in
beiden Zielgrößen bei einer angenommenen Standardabweichung von 0,35 Litern mit 90
%iger Trennschärfe aufzuzeigen. Die Anzahl der Exazerbationen wurde mit dem χ2 -Test und die Zeit bis zu ihrem ersten Auftreten mit dem Log-Rank-Test geprüft. Eine
Exazerbation war definiert als respiratorisches Ereignis mit einer Dauer von 3 oder
mehr Tagen, das eine Behandlung oder signifikante Erhöhung der Dosis von COPD-Medikamenten
(Bronchodilatatoren und/oder systemische Kortikosteroide) oder eine Behandlung mit
Antibiotika erforderte.
Die Auswertung folgte dem Intent-to-treat-Prinzip (ITT, wie randomisiert) mit dem
Full-analysis-set (FAS) für die Parameter der Lungenfunktion und für die Erfassung
der Exazerbationen für alle behandelten Patienten (safety set). Die anderen unerwünschten
Ereignisse wurden den Behandlungsgruppen wie behandelt zugeordnet und ebenfalls für
alle behandelten Patienten ausgewertet.
Ergebnisse
Ergebnisse
In die Run in-Phase der Studie wurden 1838 Patienten eingeschlossen, von denen 1639
in die doppelblinde Behandlungsphase randomisiert wurden (n = 1236 Tiotropiumbromid
und n = 403 Plazebo). Die demografischen Daten der Patienten sind in Tab. [1 ] aufgeführt. Nach den Schweregradeinteilungen der American Thoracic Society [6 ] teilten sich die Patienten gleichmäßig auf die drei Schweregrade auf: schwer, FEV1 < 35 % vom Soll, 439 Patienten; mittelschwer, FEV1 35 - < 50 % vom Soll, 586 Patienten; leicht, 50 - 70 % vom Soll, 530 Patienten (81
Patienten mit einem FEV1 > 70 % vom Soll wurden als Patienten mit sehr leichter COPD separat ausgewertet;
bei drei Patienten fehlten die notwendigen Werte zur Schweregradeinstufung).
Tab. 1 Demografische und Lungenfunktionsdaten zu Beginn der Studie. Die Daten sind als Mittelwerte
(Standardabweichungen) angegeben
Gesamt (n = 1639)
Tiotropiumbromid (n = 1236)
Plazebo (n = 403)
Alter (Jahre)
62,2 (8,7)
62,1 (8,6)
62,2 (8,7)
männlich (%)
75,5
75,1
76,7
Packungsjahre
35,8 (19,5)
36,1 (19,5)
35,0 (19,4)
COPD-Dauer (Jahre)
9,7 (7,8)
9,7 (7,9)
9,9 (7,6)
FEV1 (L)
1,33 (0,49)
1,32 (0,48)
1,36 (0,50)
FEV1 , % v. Soll
45,4 (14,9)
45,3 (14,9)
45,7 (15,0)
FVC (L)
2,35 (0,74)
2,33 (0,74)
2,41 (0,76)
FEV1 /FVC (%)
57,1 (12,1)
57,2 (12,2)
56,8 (12,0)
IVC (L)
2,50 (0,77)
2,49 (0,76)
2,55 (0,77)
inhalative Steroide (%)
42,2
41,9
43,7
BMI
25,9 (4,6)
25,9 (4,7)
25,7 (4,3)
- leicht
26,8 (4,5)
26,9 (4,6)
26,5 (4,2)
- mittelschwer
25,9 (4,4)
26,0 (4,5)
25,7 (4,1)
- schwer
24,4 (4,5)
24,4 (4,6)
24,6 (4,0)
Die Reversibilität im initialen Bronchospasmolysetest mit 200 µg Ipratropiumbromid
plus 200 µg Fenoterol betrug nach ERS-Kriterien [7 ] bei allen Patienten 7,9 ± 7,5 % (MW ± SD) vom Soll (schwere COPD: 6,6 %, mittelschwere
7,5 %, leichte 9,6 % und sehr leichte 11,8 %).
Die einmal tägliche Behandlung mit Tiotropiumbromid 18 µg führte im Vergleich zu Plazebo
nach 12 Wochen zu einem signifikanten Anstieg sowohl der trough-FEV1 (23 - 24 Stunden nach der letzten Inhalation der Prüfmedikation) als auch der Werte
zwei Stunden nach Inhalation. Die trough-FEV1 -Werte stiegen im Mittel um 79 ± 17 ml vs. Plazebo (p < 0,0001), während die Werte
nach Inhalation um 128 ± 19 ml vs. Plazebo (p < 0,0001) anstiegen. Im Vergleich hierzu
wurde am ersten Behandlungstag zwei Stunden nach Inhalation der Prüfmedikation ein
Anstieg des FEV1 um 122 ± 14 ml (p < 0,0001) im Vergleich zu Plazebo erreicht, d. h. das Ansprechen
auf eine erneute Tiotropium-Inhalation blieb auch nach 12 Wochen Dauertherapie voll
erhalten. Die Verbesserung der Lungenfunktion stratifiziert nach COPD-Schweregraden
ist in Abb. [1 ] dargestellt.
Abb. 1 Anstieg der FEV1 -Werte 24 Stunden nach der Inhalation von Tiotropiumbromid am Vortag (trough = weißer
Balken) und jeweils 2 Stunden nach Inhalation (grauer Balken) versus Plazebo in den
einzelnen COPD-Schweregraden.
Ähnlich verhielten sich auch forcierte Vitalkapazität (FVC) und inspiratorische Vitalkapazität
(IVC). Die trough-FVC stieg im Vergleich zu Plazebo um 116 ± 27 ml (p < 0,0001) und
die Werte 2 Stunden nach Inhalation um 176 ± 29 ml (p < 0,0001). Für die IVC betrugen
die entsprechenden Werte 92 ± 27 ml (p = 0,0008) und 196 ± 30 ml (p < 0,0001). Der
korrespondierende Anstieg am ersten Behandlungstag zwei Stunden nach Inhalation lag
für FVC bei 186 ± 22 ml (p < 0,0001) und für IVC bei 190 ± 22 ml (p < 0,0001).
In der Gesamtgruppe fand sich eine positive Beziehung zwischen der initialen Reversibilität
im Bronchospasmolysetest und der Verbesserung unter Behandlung mit Tiotropium. Der
Anstieg der post-Inhalation FEV1 -Werte versus Baseline für Patienten mit einer Reversibilität im initialen Reversibilitätstest
von < 10 %, 10 - < 20 % und ≥ 20 % betrug 88, 103 und 187 ml (p < 0,05 für alle versus
Plazebo). Im trough wurden hierbei 41, 84 und 56 % der post-Inhalationswerte erreicht.
Exazerbationen
Gegenüber Plazebo reduzierte Tiotropiumbromid 18 µg die Anzahl der Exazerbationen
und verlängerte die Zeit bis zum Auftreten der ersten Exazerbation signifikant. Während
in der Plazebo-Gruppe 19,9 % der Patienten eine Exazerbation erlitten, waren dies
in der Tiotropiumbromid-Gruppe nur 14,6 % (Abb. [2 ]), was einer Reduktion um 26 % entspricht (p = 0,0151). Die Zeitspanne bis zur ersten
COPD-Exazerbation wurde bei den betroffenen Patienten durch die Behandlung mit Tiotropiumbromid
18 µg ebenfalls signifikant (p = 0,0092) verlängert. Abb. [3 ] zeigt einen Kaplan-Meier-Plot für die Wahrscheinlichkeit für das Ausbleiben einer
Exazerbation im Studienverlauf. Aus dem Verlauf der Plazebo- und der Tiotropiumbromid-Kurve
wird deutlich, dass die Differenz bezüglich des Auftretens von ersten Exazerbationen
zwischen Tiotropiumbromid und Plazebo über die Zeit stetig größer wird. Erste Exazerbationen
wurden über die gesamte Studiendauer also nicht nur zeitlich verschoben, sondern es
wurde das Auftreten effektiv verhindert.
Abb. 2 Verringerung des Anteils von Patienten mit Exazerbationen durch die Behandlung mit
Tiotropiumbromid.
Abb. 3 Kaplan-Meier-Plot der Wahrscheinlichkeit, frei von COPD-Exazerbationen zu bleiben.
Unterstützt werden diese Ergebnisse durch die Beobachtung, dass in der Tiotropiumbromid-Gruppe
nur 8,8 % der Patienten wegen einer Verschlechterung der COPD die Studie abbrachen,
während es in der Plazebo-Gruppe 13,6 % der Patienten waren.
Verträglichkeit
Unter Plazebo traten bei 29,9 % der Patienten unerwünschte Ereignisse auf, in der
Tiotropiumbromid-Gruppe bei 26,0 %. Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten
mit vergleichbarer Häufigkeit in beiden Behandlungsarmen auf (Tiotropiumbromid 5,3
%, Plazebo 5,9 %). Weniger Patienten in der Tiotropiumbromid-Gruppe (11,4 %) als in
der Plazebogruppe (16,4 %) brachen die Studie wegen unerwünschter Ereignisse ab.
Über das Maß bisher bekannter Nebenwirkungen hinausgehende unerwünschte Effekte wurden
in dieser Studie nicht beobachtet.
Diskussion
Diskussion
Tiotropiumbromid ist ein inhalatives Anticholinergikum, das seine Wirkung durch eine
langanhaltende Bindung an den M3 -Rezeptor [8 ] entfaltet und damit zur einmal täglichen Applikation geeignet ist. In klinischen
Studien [9 ]
[10 ] konnte die anhaltende Wirksamkeit über mehr als 24 Stunden durch Messung der Lungenfunktion
bestätigt werden. Dabei wurde der maximale bronchodilatatorische Effekt von Tiotropiumbromid
innerhalb der ersten drei Stunden nach Inhalation erreicht. Die durch Tiotropium bewirkte
Bronchodilatation sinkt im Verlauf bis zur nächsten morgendlichen Inhalation nach
24 Stunden allmählich ab. Vergleicht man jedoch die maximale (peak) Bronchodilatation
mit der Wirkung nach 24 Stunden (trough), so wird deutlich, dass Tiotropium in der
Dauertherapie der COPD ein ausgezeichnetes „peak-to-trough”-Verhältnis besitzt [3 ]
[4 ], d. h. die Lungenfunktion wird langanhaltend auf einem höheren Niveau gehalten.
In den bisherigen Langzeitstudien wurden vornehmlich Patienten mit mittelschwerer
bis schwerer COPD eingeschlossen. Daten zu COPD-Patienten mit leichterer Erkrankung
liegen dagegen nur in geringerem Umfang vor. Um die Wirksamkeit von Tiotropium unter
praxisnahen Bedingungen zu bestätigen, wurde die vorliegende multizentrische Studie
in 294 deutschen pneumologischen Prüfzentren durchgeführt. Die beobachteten Verbesserungen
der trough-FEV1 -Werte und der Werte 2 Stunden nach Inhalation bestätigen die langanhaltende Bronchodilatation
auf hohem Niveau auch in einer großen Population von COPD-Patienten verschiedener
Schweregrade, einschließlich leichter COPD nach ATS-Kriterien [6 ]. Darüber hinaus konnte dokumentiert werden, dass auch nach einer Dauertherapie über
12 Wochen das individuelle Ansprechen auf eine erneute Tiotropium-Inhalation voll
erhalten blieb. Die maximale, 2 Stunden nach Tiotropium-Inhalation gemessene, Bronchodilatation
unterschied sich nach 12 Wochen nicht von der des ersten Behandlungstages. Diese Beobachtung
deckt sich mit anderen Tiotropium-Langzeitstudien, wo ein vermindertes Ansprechen
unter Dauertherapie ebenfalls über 6 Monate [11 ] und ein Jahr [3 ]
[4 ] nicht auftrat.
In gleicher Weise wie die FEV1 -Werte wurden auch die forcierte Vitalkapazität (FVC) und die inspiratorische Vitalkapazität
(IVC) gebessert. Dies ist von besonderem Interesse, da in jüngerer Zeit die Bedeutung
alternativer Lungenfunktionsparameter zur Bewertung von Therapieeffekten bei COPD
ein verstärktes Interesse findet [12 ]
[13 ]. Es konnte wiederholt gezeigt werden, dass z. B. inspiratorischen Parametern wie
der IC bei der Beurteilung des Therapieeffektes von Medikamenten bei COPD eine besondere
Rolle zukommt, da sie besser mit dem dominierenden Symptom Dyspnoe korreliert zu sein
scheinen als FEV1 [14 ]
[15 ]. Unter Behandlung mit Tiotropiumbromid wurde in vorangegangenen Studien eine deutliche
Reduktion der Dyspnoe nachgewiesen [3 ]
[4 ]
[11 ]
[16 ], was auf die Erhöhung der inspiratorischen Reserven zurückzuführen sein könnte.
Neuere Arbeiten, die die Auswirkungen von Bronchodilatatoren auf Belastungskapazität
und Überblähung bei COPD zum Gegenstand hatten, untermauern diese Hypothese [17 ]
[16 ].
Nicht unerwartet fand sich in dieser 12 Wochen-Studie eine Korrelation der Verbesserungen
der FEV1 -Werte mit dem Maß der Reversibilität im initialen Reversibilitätstest. Eine Analyse
der entsprechenden Patienten aus Einjahresstudien mit Tiotropium zeigt jedoch, dass
in der Langzeittherapie auch Patienten mit einer initial gering ausgeprägten Reversibilität
mit Tiotropium deutlichere Lungenfunktionsanstiege erreichen können [18 ].
Neben den Verbesserungen der Lungenfunktion wurde in der vorliegenden Studie trotz
der relativ kurzen Behandlungsdauer eine Reduktion der Anzahl von Exazerbationen beobachtet.
Weiterhin wurde die Zeit bis zum Auftreten der ersten Exazerbation in der Tiotropiumgruppe
verlängert, wobei dieser Effekt im Laufe der Behandlung kontinuierlich zunahm. Ein
vergleichbares Phänomen konnte auch in anderen Studien mit Tiotropium über 6 Monate
[11 ] bzw. ein Jahr [3 ]
[4 ] beobachtet werden und deutet darauf hin, dass Exazerbationen nicht nur zeitlich
verschoben, sondern effektiv verhindert wurden.
Ein interessanter Aspekt der hier vorgelegten Untersuchung ist die Beobachtung, dass
auch Patienten mit leichter COPD (nach ATS-Kriterien, [6 ]) oder leichter bis mittelschwerer COPD nach GOLD [2 ] selbst innerhalb eines relativ kurzen Beobachtungszeitraums unter COPD-Exazerbationen
leiden und dass diese Patienten auch hinsichtlich der Exazerbationen von der Therapie
mit Tiotropium profitierten [19 ]. Diese Beobachtung unterstützt den in neueren Therapieempfehlungen [2 ]
[20 ] propagierten frühzeitigen Einsatz langwirksamer Bronchodilatatoren bei COPD und
stellt das Konzept einer bedarfsadaptierten bronchodilatatorischen Therapie wie in
der Plazebogruppe zumindest ab einem FEV1 -Wert < 70 % des Sollwertes infrage.
Die Mechanismen, wie Bronchodilatatoren COPD-Exazerbationen verhindern können, sind
bislang noch unzureichend verstanden. In Studien zur Lungenfunktion während Exazerbationen
konnte gezeigt werden, dass Tiotropiumbromid den Abfall der Peak-flow-Werte während
einer COPD-Exazerbation verringert [21 ]
[22 ]. Angesichts des Effektes von Tiotropium auf statische und dynamische pulmonale Überblähung
bei COPD [16 ]
[17 ] ist auch denkbar, dass aufgrund der langanhaltenden Bronchodilatation das mit einer
COPD-Exazerbation einhergehende Leitsymptom „Dyspnoe” vermindert wird. Jüngere Arbeiten
weisen zudem darauf hin, dass Tiotropium auch cholinerg vermittelte inflammatorische
Stimuli günstig beeinflussen könnte [23 ]. So exprimieren z. B. humane neutrophile Granulozyten muskarinerge Rezeptoren, deren
Stimulation u. a. zur Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren führt [24 ]. Ob diese Mechanismen jedoch auch bei COPD-Patienten im Rahmen von Exazerbationen
relevant sind, ist bislang nicht ausreichend untersucht.
Wie in anderen Studien stellt sich auch in der vorliegenden Arbeit die Frage nach
einer allgemeingültigen Definition der Exazerbation. Die in dieser Untersuchung verwendete
Definition ist im wesentlich symptom- und interventionsgestützt ( = respiratorisches
Ereignis mit einer Dauer von 3 oder mehr Tagen, das eine Behandlung oder signifikante
Erhöhung der Dosis von COPD-Medikamenten, d. h. Bronchodilatatoren und/oder systemische
Kortikosteroide oder eine Behandlung mit Antibiotika erforderte) und deckt sich inhaltlich
gut mit den gängigen Definitionen von GOLD, Atemwegsliga und Konsensusvorschlag von
ATS und ERS [2 ]
[1 ]
[25 ].
Die vorliegende Studie mit über 1200 mit Tiotropiumbromid behandelten COPD-Patienten
verschiedener Schweregrade (darunter über 300 Patienten mit schwerer COPD) erweitert
die Daten zur Verträglichkeit aus den 6-Monats- [11 ] und 1-Jahresstudien [3 ]
[4 ]. Spezifische, über das Maß bisher bekannter Nebenwirkungen hinausgehende unerwünschte
Effekte konnten in dieser groß angelegten Untersuchung nicht dokumentiert werden.
Die im Vergleich zu publizierten Daten neuen Aspekte dieser Arbeit sind unseres Erachtens
a) der Nachweis eines exazerbationsverhindernden Effektes von Tiotropium bereits nach
wenigen Wochen Behandlung, b) die breite Streuung der Patienten (von leichter COPD
- sehr schwerer COPD), und c) die große Zahl der eingeschlossenen Patienten unter
„real life”-Bedingungen.
Insgesamt konnte in dieser Studie bestätigt werden, dass die einmal tägliche Anwendung
von Tiotropiumbromid 18µg zu einer signifikanten Verbesserung von inspiratorischen
und exspiratorischen Lungenfunktionsparametern, sowohl 2 als auch 24 Stunden nach
der Inhalation führt. Dabei blieb die Wirkung über das 24-stündige Dosierungsintervall
in hohem Maße erhalten. Weiterhin reduzierte Tiotropiumbromid die Anzahl der COPD-Exazerbationen
und verlängerte die Zeit bis zum Auftreten der ersten Exazerbation signifikant.