Dr. Maximilian Faschingbauer
Belastungsmessung eines Implantats
Belastungsmessung eines Implantats
Die Verlaufskontrolle der Frakturheilung erfolgt routinemäßig durch Röntgenaufnahmen.
Die Beurteilung der radiologischen knöchernen Durchbauung und die daraus folgende
Steigerung der Belastung der Fraktur ist stark von der Erfahrung des behandelnden
Chirurgen abhängig. In schwierig zu beurteilenden Fällen mit Problemen in der Frakturheilung
lässt sich durch nativ-radiologische Untersuchungen keine entscheidende Aussage tätigen,
weshalb dann Zusatzuntersuchungen - wie CT oder Schichtaufnahmen - mit zum Teil erhöhter
Strahlenbelastung nötig sind.
Es wurden deshalb Osteosynthesesysteme entwickelt, welche Last, Biegungen oder Dehnungen
messen können. Diese Systeme wurden bereits erfolgreich eingesetzt. Dies geschah vorwiegend
bei Fixateur-externe-Systemen. Mit internen Systemen liegen bisher wenig Erfahrungen
vor.
Durch das Aufbringen einer modernen Mikroelektronik auf eine Platte ist es möglich,
mittels RFID (Radiofrequenz-Identifikation)-Technologie telemetrisch die Belastung
des Implantats zu messen. Aufgrund der kleinen Dimensionierung eines einfachen und
relativ kostengünstigen Sensorsystems kann dieser in interne Plattensysteme integriert
werden.
Die telemetrische Messeinheit
Die telemetrische Messeinheit
Es wurde eine miniaturisierte telemetrische Messeinheit entwickelt, auf handelsübliche
winkelstabile Fixateur- interne-Systeme appliziert und biokompatibel verkapselt (Abb.
[1]). Diese Transponder werden "passiv" durch ein Lesegerät mit Energie versorgt (induktive
Kopplung), so dass eine Batterie nicht erforderlich ist. Als Sensoren dienen Dehnungsmessstreifen.
Für die klinische Anwendung wurde eine extrakorporale portable Leseeinheit entwickelt,
welche telemetrisch die Daten des Miniaturtransponders aufnehmen kann.
Die Daten können von dieser Einheit in ein Computermesssytem übertragen werden, mit
welchem gleichzeitig äußere Lasten und ein simultan durchgeführtes Elektromyogramm
registriert werden können. Zunächst wurden in Versuchen an Kunststoffmodellen verschiedener
Fraktursituationen die in vivo zu erwartenden Messwerte simuliert und die Funktionalität
des Gesamtsystems nachgewiesen.
Es erfolgte dann die Prüfung des Systems im Tierversuch. Instrumentierte winkelstabile
Fixateur-interne- Systeme (TIFIX®)in der Dimensionierung für den menschlichen Unterschenkel
wurden bei sechs Schafen an der Tibia montiert und eine quere Osteotomie durchgeführt.
Nach zwölf Wochen Implantationsdauer wurde histologisch die Verträglichkeit nachgewiesen.
Parallel dazu erfolgte das Monitoring der knöchernen Durchbauung durch regelmäßige
Messungen der Implantatbelastung unter standardisierten äußeren Lasten sowie Röntgenaufnahmen
nach 3, 6 und 12 Wochen. Zusätzlich wurde eine spezielle Leseeinheit mit Bluetooth-Schnittstelle
entwickelt, welche als "Rücksacksystem" (Abb. [2]) kontinuierliche Messungen über Funkverbindung bei frei laufendem Tier ermöglichen.
Danach erfolgten die ersten klinischen Anwendungen an bisher zwei Patienten.
Tierversuch
Tierversuch
Die Tierversuche zeigten, dass der Frakturheilungsverlauf mit dem System kontrolliert
und quantifiziert werden kann. Dazu wurde eine relative Steifigkeit als Verhältnis
der auf die Extremität aufgebrachten Kraft und der im Implantat gemessenen Biegelast
bestimmt. Aufgrund der Verschiebung des Kraftflusses von der Platte auf den zunehmend
steiferen Knochen, nimmt diese relative Steifigkeit im Verlauf der regulären Knochenheilung
zu. Es zeigte sich darüber hinaus ein biomechanisch interessanter Einfluss muskulärer
Regelprozesse, so fand sich z.B. bereits vor dem Beginn einer Laufbewegung eine Anspannung,
welche nach dem Stillstand nach einigen Sekunden langsam abklang.
Abb. 1: Mit Miniatur-Telemetrie instrumentierter Femur Fixateur interne.
Abb. 2: Leseeinheit mit Bluetooth-Funkübertragung entwickelt, welche als "Rücksacksystem"
kontinuierliche Messungen über Funkverbindung bei freilaufendem Tier ermöglicht.
Im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung durchgeführte Vergleiche zwischen Gewebe am
Plattenende (entspricht herkömmlichem Implantat) und Plattenmitte (mit verkapseltem
Sensorsystem) zeigten sich keine Unterschiede der Zellreaktion oder andere Auffälligkeiten.
Klinische Anwendung mit positivem Ergebnis
Klinische Anwendung mit positivem Ergebnis
Die klinische Anwendung erfolgte bei zwei Patienten mit mehrfach voroperierten Pseudarthrosen
am distalen Oberschenkel, um einerseits mögliche Ursachen der Heilungsprobleme zu
erkennen, und andererseits das Risiko einer weiteren Fehlheilung durch optimierte
Laststeuerung zu minimieren. In einem Fall war mit einem distalen Femurnagel, im anderen
mit LCDC-Platten vorbehandelt worden. Es erfolgte die Versorgung mit einem instrumentierten
Oberschenkel-TIFIX® (multidirektional winkelstabiles Implantat auf Grundlage einer
Wellenplatte, Abb. [3]). Zusätzlich wurde eine Spongiosaplastik durchgeführt. Ergebnisse der laufenden
Behandlungen zeigten, dass die telemetrisch ermittelten Plattenbelastungen gut mit
den auf die Extremität applizierten zyklischen Lasten korrelierten (Abb. [4]). Die auf die äußeren Lasten bezogene Plattenbelastung verringerte sich dabei im
Verlauf der Frakturheilung.
Abb. 3: A-p-Röntgenbild des 2. Patienten. Versorgung einer mit Nagel voroperierten
Oberschenkelpseudarthrose mit instrumentiertem winkelstabilen Implantat und Spongiosaplastik.
Abb. 4: Beispiel einer Messung. Telemetrisch gemessene Fixateur-Biegebelastung (oben)
und äußere Kraft (unten) unter zyklischer axialer (0-50), Varus (60-180) und Valgus-
(180-250) Belastung.
Besonders interessante Ergebnisse fanden sich unter willkürlicher Muskelanspannung
sowie bei kontinuierlicher Aufzeichnung der telemetrisch gemessenen Plattenlast während
krankengymnastischer Übungen (Abb. [5]). Um eine Vergleichbarkeit der durchgeführten Messungen zu erzielen, wurden die
Messwerte auf diejenige Last standardisiert (= 100%), welche sich bei axialer Last
unter 10 kg zeigte. Diese Last war dem Patienten durch den Operateur als Teilbelastung
erlaubt. Bei maximaler Anspannung der Oberschenkelmuskulatur wurden Werte bis 500%
registriert. Das Anheben des Beines in Rückenlage ergab bis zu 240%. Kurzfristige
Spitzen (bis 150%) zeigten sich beim Ablegen des Beines am Schluss einer durch die
Physiotherapeutin geführten Bewegung. Übungen mit einer Torsionskomponente ergaben
ebenfalls hohe Plattenbelastungen bis 320%. Gab man dem Patienten die Anweisung, das
Bein mit voller Muskelanspannung im Oberschenkel zu stabilisieren und dann die Ferse
zunehmend zu belasten (bis maximal 30 kg), so führte die Muskelanspannung zunächst
zu einer Implantatbelastung, welche dann beim Belasten der Ferse in ihrem Wert nahezu
konstant blieb. Hier ist ein Regelkreis zu postulieren, welcher die zusätzlich auftretende
Belastung durch Entspannung der Muskulatur zu kompensieren trachtet.
Abb. 5: Durchführung kontinuierlicher Messungen der Last im Fixateur interne während
krankengymnastischer Übungen (a) und unter axialer Belastung der unteren Extremität
(b). Die Telemetrieantenne der Leseeinheit ist dabei mit einem Verband fixiert.
Telemetrie in der Osteosynthese - das Zukunftsmodell?
Telemetrie in der Osteosynthese - das Zukunftsmodell?
Die Anwendung moderner Mikroelektronik auf Implantaten ist ein Schritt in eine neue
Ära der Frakturnachbehandlung.
Durch kabellose, unblutige Messung der Last, welche auf ein internes Fixateursystem
einwirkt, kann ein Rückschluss auf den Verlauf der knöchernen Frakturheilung gezogen
werden. Ein weiterentwickeltes kleines portables Lesegerät wird komfortabel ein kontinuierliches
Monitoring der Belastung in vivo ermöglichen. Erste Ergebnisse zeigen eine Korrelation
zwischen der knöchernen Heilung und dem Verlauf der empfangenen Signale. Bei krankengymnastischen
Übungen bzw. Belastung der betroffenen Extremität können sofort Spitzenbelastungen
des Implantates aufgezeigt werden. Ziel ist eine telemetrisch kontrollierte Nachbehandlung
von Frakturen mit optimaler Ausnutzung der Belastungsmöglichkeit der Extremität, ohne
eine Überlastung des Implantates zu provozieren. Zudem wird durch dieses System eine
frühzeitige Erkennung von Problemen in der Frakturheilung ermöglicht werden, so dass
entsprechend gegengesteuert werden kann. Nach Überzeugung der Autoren werden "intelligente"
Implantate für die Osteosynthese in der Zukunft routinemäßige Werkzeuge des Unfallchirurgen/Orthopäden
sein.