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DOI: 10.1055/s-2005-919766
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Ein Trainingsverfahren zum Erlernen der vorgegeben Teilbelastung beim Gehen mit Gehstützen
Publication History
Publication Date:
14 November 2005 (online)
- Häufige Überschreitung der Teilbelastung
- Teilbelastungstraining
- Simulation im Dreipunktegang
- Einfluss des Feedbacktrainings
- Interpretation
Wir konnten mit dieser Untersuchung zeigen, dass es mit Video-Instruktionen und einem biomechanischen Feedbacktraining in kurzer Zeit sehr gut gelingt, Personen auf eine Teilbelastung von 200 N beim Gehen mit Gehstützen einzustellen. In weiteren Untersuchungen soll dieses Verfahren unter Rückgriff auf Befunde der Motorikforschung optimiert und an weitere Bewegungsaufgaben angepasst werden. Hierzu sollen insbesondere Ergebnisse zur Kontext-Interferenz-Hypothese herangezogen werden. Eine Übertragbarkeit auf die rehabilitative Praxis erscheint grundsätzlich möglich. Zur Zeit werden die Video-Instruktionen in der Klinik Lindenplatz in Bad Sassendorf (Ärztlicher Leiter Dr. Ch. Schoenle) erprobt. Systematische Untersuchungen zum Einsatz des biomechanischen Feedback-trainings in der rehabilitativen Praxis sind geplant. |
Häufige Überschreitung der Teilbelastung
Nach Hüft- und Knie-TEP-Operationen wird dem Patienten häufig die Einhaltung einer Teilbelastung vom Operateur vorgegeben. Ziel ist es hierbei, mechanische Irritationen während der Heilungsphase zu minimieren, die zu Lockerungen des künstlichen Gelenkersatzes führen können. Zur Einstellung auf die Teilbelastung steht den Patienten in den Akutkrankenhäusern oftmals nur eine einfache, handelsübliche Personenwaage zur Verfügung.
Allerdings ist festgestellt worden, dass der größte Teil der Patienten die vorgegebene Teilbelastung deutlich überschreitet. Gründe dafür könnten sein, dass zum einen die Einstellung mittels Personenwaage nicht ausreicht, weil die Teilbelastung im Stand eventuell nicht auf die Dynamik des Ganges übertragen werden kann, oder aber dass Übungsumfang und -qualität in ihrer Bedeutung unterschätzt werden und zu gering ausfallen. Zum anderen liegt die Vermutung nahe, dass die relative Armstützkraft (Kraft/kg Körpergewicht) zu gering ausgeprägt ist, und die Patienten dadurch zum Teil nicht in der Lage sind, die Teilbelastung dauerhaft einzuhalten. Weiterhin könnte eine ungünstige Technik, bei der durch ein verspätetes Aufsetzen und/oder ein zu frühes Hochnehmen der Gehstützen die betroffene Seite kurzzeitig nicht entlastet wird, zu einer Überschreitung der Teilbelastung führen.
#Teilbelastungstraining
Befunde aus der Motorikforschung zu Video-Instruktionseffekten und den Effekten von biomechanischem Feedbacktraining geben jedoch Grund zu der Annahme, dass ein entsprechend durchgeführtes Teilbelastungstraining erfolgreicher sein könnte. Ziel dieser Untersuchung ist es deshalb zu prüfen, ob ein Teilbelastungstraining mit Video-Instruktionen und einem anschließenden biomechanischen Feedbacktraining grundsätzlich zum Realisieren der vorgegebenen Teilbelastung führt und ob sich zwei verschiedene Video-Instruktionen in ihren Effekten unterscheiden.
#Simulation im Dreipunktegang
Die Probanden der Studie setzten sich aus 24 physisch nicht beeinträchtigten Studierenden im Alter von 19 bis 27 Jahren ohne Vorerfahrung im Umgang mit Unterarmgehstützen zusammen, die zwei gleichgroßen unabhängigen Stichproben - synchron (1) und asynchron (2) - mit gleichem Geschlechterverhältnis zugeordnet wurden. Da von einer Versuchsperson aus messtechnischen Gründen nicht alle Daten vorlagen, gingen teilweise nur Daten von 23 Versuchspersonen in die Ergebnisse ein.
Zunächst wurde die Situation in Akutkrankenhäusern simuliert, indem die Probanden die Aufgabe hatten, dreimal jeweils drei Sekunden lang den Fuß der Seite mit dem angenommenen künstlichen Gelenk auf einer handelsüblichen Personenwaage mit 20 kg zu belasten.
Im Anschluss daran bekamen die Probanden gemäß ihrer Gruppeneinteilung ein Instruktionsvideo zu sehen, welches die jeweilige Technik des Dreipunktganges an Unterarmgehstützen zeigte. Bei der Gruppe synchron (1) wurde dabei der Akzent auf die Gleichzeitigkeit von Gehstützen- und Fußaufsatz und -abheben gelegt. Im Video der Gruppe asynchron (2) wurde dagegen der zeitliche Unterschied hervorgehoben. Die Gehstütze setzt hierbei etwas eher auf und bleibt auch länger am Boden stehen als der Fuß. Nachdem das Video vorgeführt wurde, hatten die Probanden Gelegenheit, die instruierte Technik zu üben, indem sie zehnmal einen Schritt aus dem Stand heraus über zwei nebeneinander angeordnete dynamometrische Plattformen (Kistler), jedoch ohne Messung und Feedback, vollzogen.
Nach Wiederholung dieser Instruktions- und Übungsphase folgte eine zehnminütige Pause, in der die Probanden Konzentrationsaufgaben zu lösen hatten, um eine kognitive Weiterbeschäftigung mit der Zielaufgabe zu verhindern. Anschließend wurden 20 einzelne Schritte über die dynamometrischen Plattformen mit Messung der vertikalen Bodenreaktionskraft durchgeführt. Gemäß einer 50%-fading-Methode erhielten die Probanden Feedback bezüglich ihrer realisierten Teilbelastung.
Zum Abschluss der Untersuchung wurde nach einer weiteren zehnminütigen Pause die Behaltensleistung überprüft, indem drei einzelne Schritte über die Kraftmessplatten gemessen wurden, ohne dass die Probanden Feedback erhielten.
Bei der Bewegungsausführung wurden Bodenreaktionskräfte des Fußes und einer Gehstütze gemessen. Sie wurden mit der Software SIMI-Motion ausgewertet. Als abhängige Variablen wurden Fzmax (maximale vertikale Bodenreaktionskraft der Stützphase), d1 (zeitliche Differenz zwischen Gehstützen- und Fußaufsatz) und d2 (zeitliche Differenz zwischen Fuß- und Gehstützenabheben) aus den Kraft-Zeit-Kurven ermittelt.
#Einfluss des Feedbacktrainings
Um die Aneignungseffekte der Video-Instruktionen ohne den Einfluss des Feedbacktrainings zu prüfen, wurde der erste gemessene Schritt herangezogen.
Die Video-Instruktion "synchron" (1) führt hier erwartungsgemäß mit 0,01 s zu geringeren Intervallen d1 (Zeitintervall zwischen dem Aufsetzen der Gehstützen und des nur teilweise zu belastenden Beines) als die Videoinstruktion "asynchron" (2) mit 0,58 s (t = 6,22(21), p(eins.) < .001). Anders als erwartet führt jedoch die Videoinstruktion (2) nicht zu größeren Intervallen d2 (Zeitintervall zwischen dem Abheben des nur teilweise zu belastenden Beines und der Gehstützen) gegenüber der Videoinstruktion (1). Die durch das nur teilweise zu belastende Bein produzierte maximale vertikale Bodenreaktionskraft Fzmax unterscheidet sich ebenfalls nicht statistisch bedeutsam (t = 1,41(21), p(eins.) = .086) und beträgt 401 N (Video 1) bzw. 325 N (Video 2).
Um kombinierte Aneignungs- und Behaltenseffekte der Video-Instruktionen und des Feedbacktrainings zu prüfen, wurden die Mittelwerte von Fzmax der ersten drei Schritte (Ausgangsleistung, Fzmax1) und der letzten drei Schritte der Übungsphase (Aneignungsleistung, Fzmax2) sowie der drei Schritte der Behaltensphase (Behaltensleistung, Fzmax3) herangezogen. Durch die Verwendung der Mittelwerte sollte vermieden werden, dass Ausreißer die Ergebnisse stark beeinflussen.
Unabhängig von der Video-Instruktion verringert sich die mittlere maximale vertikale Bodenreaktionskraft Fzmax1 über Fzmax2 bis zu Fzmax3 hochsignifikant (Manova, Haupteffekt Messzeitpunkt, F = 14,27 [1,32 n. Greenhouse-Geisser-Korr.], p < .001). Die Video-Instruktionen (1) und (2) haben keinen Einfluss auf die mittlere maximale vertikale Bodenreaktionskraft Fzmax1, Fzmax2 und Fzmax3 (Manova, Haupteffekt Video, F = 0,32(1), p = .581). Die Interaktion zwischen der Videoinstruktion und den drei Messzeitpunkten wird statistisch nicht bedeutsam (Manova, F = 2,86 (1,32 n. Greenhouse-Geisser-Korr.), p = .093) (Abb. [2]).
#Interpretation
Die Video-Instruktion "asynchron" (2) sollte gegenüber der Video-Instruktion "synchron" (1) durch die ausdrückliche Darstellung der Intervalle d1 und d2 zu entsprechend größeren Ausprägungen dieser Intervalle und damit zu einer geringeren Fzmax schon beim ersten Schritt des Feedbacktrainings führen. Die Ergebnisse zeigen, dass die asynchrone Video-Instruktion bez. d1 die Erwartung erfüllte, dies jedoch für d2 und Fzmax nicht gilt.
Es wird angenommen, dass das Nichtauftreten des erwarteten d2-Effekts einer verminderten Aufmerksamkeitszuwendung zu den entsprechenden Bewegungsprozessen (Gehstützen nicht im Blickfeld) zuzuordnen ist.
Die Höhe von Fzmax direkt nach der Video-Instruktion liegt mit 401 N (synchron) bzw. 325 N (asynchron) zwar niedriger als Werte von Patienten, die auf die übliche Weise eingestellt worden sind (ca. 454 N, 6), aber immer noch weit über den angestrebten 200 N. Dass der erwartete Unterschied (mittlerer Effekt, _ = 0,59) zwischen beiden Videogruppen statistisch nicht bedeutsam ausfällt, kann zum Teil mit den großen Streuungen erklärt werden.
Weitere Auswertungen im Zusammenhang mit dem ausgebliebenen Fzmax-Effekt ergeben, dass lineare Korrelationen für d1 bzw. d2 und Fzmax aller Schritte für Video (1) zwar signifikant werden (d1/Fzmax : r = -.251), (d2/Fzmax : r = -.171), die geringe Höhe der Korrelationen aber einen bedeutsamen Einfluss von d1 bzw. d2 auf Fzmax ausschließt. Für Video (2) ist ein noch geringerer Einfluss auf Fzmax zu konstatieren (d1: r = -.031), (d2: r = -.016). Die Bedeutung beider Zeitintervalle für eine Reduktion von Fzmax scheint demnach überschätzt worden zu sein.
Das Feedbacktraining sollte zu einer deutlicheren Annäherung an den angestrebten Fzmax-Wert führen. Die Ergebnisse zeigen, dass dies sehr gut gelungen ist. Beide Gruppen liegen in der Behaltensphase mit im Mittel 214 N (1) bzw. 234 N (2) nur noch leicht über dem angestrebten Wert. Auch hier zeigt sich kein statistisch bedeutsamer unterschiedlicher Einfluss der beiden Video-Instruktionen.
Literatur beim Autor
Olivier, N., Hölzchen, T., Krug, G., Wünnemann, M. Erlmann, A., Krause, D., Mull, M.
Universität Paderborn, Department für Sport & Gesundheit
Jöllenbeck, T
Klinik Lindenplatz, Bad Sassendorf