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DOI: 10.1055/s-2005-919767
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Therapie der chronischen Epicondylopathia humeri radialis mit Botulinumtoxin A - eine doppelblinde, plazebokontrollierte und randomisierte Multicenterstudie
Publication History
Publication Date:
14 November 2005 (online)
- Therapie mit Botulinumtoxin A
- 16 Prüfzentren beteiligt
- Besserung nach zwei Wochen
- Biomechanischer und antiinflammatorischer Effekt
Die erstmals 1873 von Runge beschriebene Epicondylopathia humeri radialis (Tennisellbogen) stellt mit einer Inzidenz von 4-5 promille die häufigste Myotendinose dar. Sie ist in Deutschland als Berufskrankheit anerkannt (BK Nr. 2101). Gleichförmige, schnell hintereinander ausgeführte Bewegungen werden für das Krankheitsbild verantwortlich gemacht, z. B. bei Montiererinnen, Schreibkräften, Maurern, Packern, Transportarbeitern und Tischlern. Auch wenn es sich um eine vergleichsweise harmlose Erkrankung handelt, besteht beim chronisch Betroffenen ein erheblicher Leidensdruck. Der durch wochen- bis monatelange Arbeitsunfähigkeit hervorgerufene volkswirtschaftliche Schaden ist erheblich.
Ätiologisch liegt eine chronische Überbeanspruchung der Unterarmstrecker vor, die mit ödematöser Verquellung und einer Degeneration im epikondylären Ursprungsbereich einhergeht [5,6]. In der Biopsie zeigt sich eine vaskuläre Hyperplasie mit ungeordnetem Kollagen und dichter Fibroblastenpopulation.
Nach neueren Untersuchungen handele es sich um einen nichtentzündlichen Prozess, bei dem eine mechanisch bedingte Freisetzung von Substanz P und Calzitonin-Gen assoziiertem Peptid zu einer erhöhten Kapillarpermeabilität mit lokalem Ödem führe.
Röntgen-Nativaufnahmen liefern ein uncharakteristisches Bild und dienen lediglich dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen. In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigt sich hingegen typischerweise ein Ödem und eine Kontrastmittelanreicherung im betroffenen Bereich (Abb. [1]).
Die Therapie beinhaltet an konservativen Maßnahmen ein breites Spektrum physikalischer Therapie, spezielle Bandagen, die mehrwöchige Immobilisation im Gips und lokale Steroidinjektionen. In den letzten Jahren sind auch Berichte über die Besserung der Beschwerden durch extrakorporelle Stoßwellen (ESWT) erschienen. Bei Versagen der konservativen Therapie besteht die Möglichkeit des operativen Release der Handgelenksextensoren am Epikondylus und gegebenenfalls die zusätzliche Ausschaltung von Ästen des Nervus radialis (Denervation nach Wilhelm).
#Therapie mit Botulinumtoxin A
Es soll geklärt werden, ob eine passagere Denervation der Unterarmstreckmuskulatur durch eine einmalige Injektion mit Botulinumtoxin A als Therapie der chronischen Epicondylitis radialis humeri dienen kann.
Ein erster Therapieversuch bei 14 Patienten mit Tennisellbogen wurde 1997 von Morré et al. veröffentlicht. Die Ergebnisse waren vielversprechend und wurden in einer weiteren Studie dieser Arbeitsgruppe bestätigt.
Ein von uns als Pilotstudie durchgeführter offener Heilversuch an 16 Patienten mit einem Nachuntersuchungszeitraum von zunächst 14 Wochen und einer weiteren Nachuntersuchung nach 2 Jahren zeigte eine statistisch signifikante Besserung des klinischen Befundes und des subjektiven Schmerzempfindens und diente zur Optimierung des Studiendesigns sowie zur Evaluation des von uns verwendeten Scores für die klinische Untersuchung. Die Besserung blieb über den gesamten Zeitraum der 2-Jahres-Nachuntersuchung erhalten.
#16 Prüfzentren beteiligt
Nach Einholen des Leitvotums der Ethikkommission der Ärztekammer Hamburg und der Folgevoten der Ethikkommissionen der jeweils zuständigen Ärztekammern sowie der Vorlagennummer des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte wurden insgesamt 130 Patienten mit chronischer Epicondylopathia humeri radialis in die Studie aufgenommen und behandelt. Die Studie wurde, unter Monitorkontrolle, an insgesamt 16 Prüfzentren durchgeführt. Das Auslesen der Daten und die wissenschaftliche Auswertung erfolgten zentral. 68 Patienten (37 Frauen, 31 Männer) entfielen auf die Verumgruppe (Durchschnittsalter 47,4 ± 8,7 Jahre), 62 Patienten (32 Frauen, 30 Männer) auf die Plazebogruppe (Durchschnittsalter 46,9 ± 9,4 Jahre).
Die wichtigsten Ein- und Ausschlusskriterien zeigt Tabelle [1].
Nach Aufnahme in die Studie erfolgte die Injektion von Verum bzw. Plazebo (0,6 ml NaCl 0,9% mit bzw. ohne Botulinumtoxin A [60 Mouse Units Dysport®]) doppelblind. Die Injektion erfolgte nach Palpationsbefund und Provokationstests. Eine Abgrenzung des Ursprungs des M. extensor carpi radialis brevis vom M. extensor digitorum communis wurde nicht versucht, da schon anatomisch schwierig und deshalb klinisch unrealistisch.
Es erfolgte eine doppelt gefächerte Injektion durch einen Hauteinstich in die Muskulatur etwa 3-4 cm distal des Epikondylus. Die Nachuntersuchungen fand nach 2, 6, 12 und 18 Wochen statt. Der klinische Untersuchungsbefund wurde als Score zusammengefasst (Tab. [2]). Maximal waren 10 Punkte möglich.
Der subjektive Schmerz wurde als ständiger Schmerz der letzten 48 h und als größter Schmerz der letzten 48 h auf zwei visuellen Analogskalen von 0-10 erfasst. Die Beurteilung der Kraft der Extension im Mittelfinger- bzw. im Handgelenk erfolgte nach Brunner (Kraftgrad 0-5). Die Greifkraft (Kraft des Faustschlusses) wurde standardisiert mittels Vigorimeter (Fa. Martin) gemessen. Die statistische Auswertung erfolgte mit Statistika 6.0.
Folgende relevante Parameter wurden erhoben (weitere allgemeine Parameter wie Blutdruck, Nebenerkrankungen, Beruf, Begleitmedikation etc. kommen nicht zur Darstellung):
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Score der klinischen Untersuchung mittels Epicondylitis radialis Score (Tabelle [2])
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Schmerzintensität auf der visuellen Analogskala (VAS):
a: ständiger Schmerz der letzten 48 h
b: größter Schmerz der letzten 48 h
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Kraftmessung nach Brunner für Extension des Handgelenkes und des dritten Fingers (Kraftgrad 0-5)
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Faustschlussmessung mittels Vigorimeter (Fa. Martin)
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Globale Bewertung der Behandlung (viel besser, etwas besser, gleich, etwas schlechter, viel schlechter als vor der Injektion)
a: durch den Patienten
b: durch den behandelnden Arzt
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Erfassung der erlaubten Schmerzmedikation (Diclofenac)
Besserung nach zwei Wochen
Die durchschnittliche Erkrankungsdauer des Gesamtkollektives (n=130) lag bei 14,1 Monaten (4 bis 139 Monate), die der Verumgruppe (n=68) bei 11,7 Monaten (4 bis 49 Monate) und die der Plazebogruppe (n=62) bei 16,6 Monaten (4 bis 139 Monate).
Im Gesamtkollektiv waren der Aufnahme in die Studie im Durchschnitt 3,6 unterschiedliche konservative Behandlungsarten ohne ausreichende Besserung vorausgegangen.
Bezüglich des Scores der klinischen Untersuchung zeigte sich für den gesamten Nachuntersuchungszeitraum eine signifikante Verbesserung ab der 2. Woche. Den detaillierten Verlauf des klinischen Scores zeigt Abbildung [2].
Ebenfalls eine signifikante Verbesserung zeigte sich auf der visuellen Analogskala für den ständigen Schmerz der letzten 48 h ab Woche 6 (Abb. [3]). Für den größten Schmerz der letzten 48 h zeigte sich, bei sehr hoher Schwankungsbreite, keine statistische Signifikanz (Abb. [4]). Die Menge der im Nachuntersuchungszeitraum eingenommenen erlaubten Schmerzmedikation (Diclofenac) aber war in der Plazebogruppe doppelt so hoch wie in der Verumgruppe.
Die globale Bewertung durch den Patienten auf die Frage "Im Vergleich zu vor der Injektion ist es jetzt": viel besser, etwas besser, gleich, etwas schlechter, viel schlechter (4-0 Pkt.) zeigte eine signifikant bessere Bewertung durch die Patienten der Verumgruppe (Abb. [5]). Ebenso fiel auch die globale Bewertung durch den (verblindeten) Arzt in der Verumgruppe signifikant besser aus (Abb. [6]).
Hinsichtlich der erwarteten Nebenwirkungen wie Abnahme des Kraftgrades bezüglich Handgelenkextension gegen Widerstand und Abnahme der Faustschlusskraft zeigten sich im Zeitraum der bekannten Wirkdauer des Medikamentes von etwa 14 Wochen keine signifikanten Änderungen. Lediglich die Kraft für die Extension des dritten Fingers ließ nach 2 Wochen signifikant nach (p=0,0007). Die Schwäche blieb bis zur 14. Woche bestehen und bildete sich dann bis Woche 18 völlig zurück (p=0,8340). Den detaillierten Verlauf des Kraftgrades nach Brunner (0-5) für die Extension des dritten Fingers gegen Wiederstand zeigt Abbildung [7]), für die Handgelenkextension gegen Widerstand Abbildung [8].
Den Verlauf der Faustschlusskraft, normiert auf 1,00 relative Einheiten (=100%) bei Erstbefund, zeigt Abbildung [9].
#Biomechanischer und antiinflammatorischer Effekt
Die Epicondylopathia humeri radialis gehört zu den selbst limitierenden Erkrankungen. Sie führt allerdings oft zu Beeinträchtigungen, die eine Therapie erforderlich machen. Etwa ein Viertel der Patienten hat wiederkehrende Symptome. Sie werden mit ihren Beschwerden nicht immer erfasst, weil sie den behandelnden Arzt nicht für eine weitere Therapie aufsuchen. Bei Nachuntersuchungen werden in über 40% dauerhafte geringfügige Beschwerden angegeben, die zu einer Beeinträchtigung bei bestimmten Aktivitäten führen.
Auch unter Therapie gibt es eine Chronifizierung. Diese Patienten waren Ziel unserer Therapiestudie, die den Kriterien einer evidence level 1-Studie genügt.
Es zeigte sich, dass bei konservativ ausbehandelten, chronischen Fällen von Epicondylitis radialis eine einmalige Injektion von Botulinumtoxin A (60 MU Dysport®) zu einer signifikanten Besserung des klinischen Befundes und des Leidensdruckes der Patienten führte. Ursächlich für diese Besserung kommt neben der biomechanischen Entlastung des Ursprungs der Unterarmextensoren durch die Btx-A vermittelte Muskelschwäche auch ein direkt analgetischer bzw. antiinflammatorischer Effekt des Botulinumtoxins infrage.
Unsere Ergebnisse stimmen tendenziell mit den Ergebnissen der einzigen bisher veröffentlichten Untersuchungen der Gruppe Morré, Keizer et al. überein. Unterschiede bestehen neben dem Studiendesign in der Verwendung unterschiedlicher Handelspräparate (Botox®, Dysport®) sowie in der Durchführung der Injektion. Unsere Orientierung am Lokalbefund erscheint für die ambulante Anwendung in der orthopädischen Praxis besser geeignet als die von der o.g. Gruppe gewählte EMG-gesteuerte Injektion.
Die Botulinumtoxintherapie hat sich in unseren chronischen Fällen als wirkungsvoll erwiesen. Sie ist wenig invasiv und ambulant ohne Unterbrechung der Arbeitsfähigkeit durchführbar.
Richard Placzek
R. Placzek ist Mitglied des Arbeitskreises Botulinumtoxin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
Centrum für Muskuloskeletale Chirurgie, Charité-Universitätsmedizin Berlin
Georg Deuretzbacher, Ludwig A. Meiss
Klinik und Poliklinik für Orthopädie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf