Aktuelle Dermatologie 2006; 32(1/02): 59-62
DOI: 10.1055/s-2005-921233
Kleine Kulturgeschichte der Haut
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Tod des Herakles

The Death of HeraklesE.  G.  Jung
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Prof. Dr. E. G. Jung

Maulbeerweg 20 · 69120 Heidelberg

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Publication Date:
14 February 2006 (online)

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Helden braucht die Menschheit und so zieren Helden schon die frühesten Erzählungen und Kulturdokumente. Sie sind vor den Menschen ausgezeichnet durch Mut, Tapferkeit, Erfolg und besondere Kraft. Manchmal auch, aber bei weitem nicht immer, durch Schlauheit. Gottähnlich ist zuweilen die Unverwundbarkeit, obschon auch diese einen kleinen Fehler aufweist, der sich irgendwann deletär auswirkt. Dahinter steht die Vorstellung, dass Helden aus der Verbindung eines Gottes mit einer Menschenfrau hervorgehen, vom väterlichen Gott zwar oft geholfen bekommen, ganz selten aber in den göttlichen Bereich entrückt werden. Immer unterscheiden sie sich von den unsterblichen Göttern durch ihre Sterblichkeit. Dieses menschliche Kriterium der Endlichkeit ihres Wirkens und Daseins bedingt eine Entwicklung, ein Streben und jedem Helden seine eigene, individuelle Geschichte. Oft endet diese vorzeitig und tragisch. Helden sterben jung, in der Blüte ihres Lebens. Entweder weil sie Ihren Auftrag erfüllt hatten oder aber verfehlten, weil sie vermessen nach Gütern oder Erfolgen drängten, die den Göttern vorbehalten blieben, oder weil feindliche Götter aktiv ihre Vernichtung betrieben.

Schon die frühesten Heldengeschichten grenzen die sterblichen, sich entwickelnden Helden von den unsterblichen, immer gleich bleibenden Göttern ab. Gilgamesch [1] musste erkennen, dass die Unsterblichkeit ihm versagt blieb, auch wenn er auf der Suche einen Moment lang wähnte, diese zu erlangen. Fortleben in der Erinnerung seiner Nachfahren kann er nur durch sein Wirken und seine Taten. Und so blieb es bisan mit unseren Helden.

Helden sind Frühvollendete, sie sterben früh oder werden „gnädig entrückt”; von einer Gottheit gleichsam „aus dem Verkehr gezogen”. Der Heldentod ist denn auch ein besonderer Tod mit symbolischer Beziehung zum Helden und zu seinen, den Tod argumentierenden Verfehlungen. So werden sowohl Achilles als auch Siegfried [2], mit unverwundbarer Haut ausgerüstet, ausgerechnet durch die einzige und kleine Lücke in diesem Panzer zu Tode gebracht. Achilles stirbt durch den von Apollo gelenkten Giftpfeil des Paris, Siegfried meuchlings durch den Speer von Hagen.

Anders Herakles, Sohn des Zeus und der Alkmene; er stirbt nach einem exemplarischen Heldenleben nicht durch die Haut, respektive eine Lücke in derselben, sondern an seiner Haut. Auch der Tod des Herakles ist, wie sein Leben und seine Taten, ein besonderer und er ist für uns Dermatologen von speziellem Interesse.

Nach vielen Heldentaten heiratete Herakles die schöne Königstochter Deianeira. Auf einer gemeinsamen Reise durch Theben mussten sie den Fluss Eunenos überqueren. Dort hauste der Kentauer Nessos. Herakles setzte als erster hinüber, dann folgte Deianeira, getragen von Nessos, der sich in der Flussmitte an ihr vergehen wollte. Auf die Hilfeschreie seiner Frau verwundete Herakles den Nessos mit einem vergifteten Pfeil tödlich. Noch im Sterben sann Nessos auf Rache und flüsterte Deianeira zu: „Fang mein Blut auf. Wenn du das Gewand deines Gemahls darin tränkst, so wirst du dir ewig seiner Treue sicher sein können!” Dann verschied er.

Einige Zeit später hatte Herakles nach einem Sieg die Königstochter Iole gefangen genommen. Deianeira war eifersüchtig auf die schöne Jungfrau. Als nun Herakles zum Dankopfer an Zeus nach reiner Kleidung schickte, tränkte Deianeira das Gewand in Nessos Blut und gab es dem Boten mit. Herakles legte das Gewand um und begann die Opferzeremonie. Das giftige Blut brannte sich wie Feuer in die Haut des Herakles. Wir lesen bei Ovid [3]:

„Da erwärmt sich des Giftes Gewalt, und gelöst durch die Flammen,
Dringt es in Herkules Leib und verbreitet sich weit durch die Glieder.
Stark, wie gewohnt, unterdrückt er das Stöhnen, solang es ihm möglich;
Doch, als von Schmerzen besiegt die Geduld ihm schwindet, da stößt er
Weg den Altar und erfüllt mit Geschrei die bewaldete Oeta.
Alsbald schickt er sich an, das tödliche Kleid zu zerreißen,
Doch wo er’s zerrt, da zerrt es die Haut mit und hängt dann entweder
- Widerlich klingt’s! - an den Gliedern, umsonst der Versuch es zu lösen,
Oder enthüllt die zerfressnen Gelenke und riesige Knochen.
Gleich wie wenn man glühendes Blech in eisiges Wasser
Taucht, so zischt sein Blut und kocht in dem brennenden Gifte.
Doch nicht genug: es schlürften die gierigen Flammen die Därme;
Ganz überströmt von bläulichem Schweiß ist der Körper, die Sehnen
Knistern, versengt vom Brand, das Mark in den Knochen wird flüssig
Von dem verborgenen Schleim, und die Hände zum Himmel erhebend.”
So klagt er den Göttern:
„Oft noch versucht er von neuem sich ganz das Gewand zu zerreißen.”

Endlich verzweifelt und gequält, schichtet er den Scheiterhaufen, legt sich drauf und Zeus entzündet diesen mit seinem Blitz. Er ist der einzige Held, der von den Göttern im Olymp aufgenommen wurde. Dort wurde er mit frischer, jugendlicher Haut versehen und erlangte Unsterblichkeit.

Bemerkenswert ist noch eine Episode früher im Leben von Herakles, als er vom Fieberwahn getrieben den Iphitus tötete und solange randalierte, bis die Götter ihn trennten. Seither wurde er von den Kerkopen Melampygos (Schwarzhintern) genannt. Drei Jahre lang musste er als Sklave in Lydien büssen [3].

Zur Wirkungsgeschichte: Während die Jugend des Herakles und seine 12 Taten wohl bekannt und weit verbreitet sind, ist der Tod des Herkules in Literatur und Musik kaum reflektiert.

In der Malerei allerdings existiert ein Gemälde von Francisco de Zurbarán 1634 (Madrid, Museo del Prado, Abb. [1]), welches den verzweifelten Held zeigt, wie er sich das von Flammen gezeichnete Kleid von der Haut zu zerren versucht.

In der Botanik ist die Herkulesstaude (Heracleum mantegazzianum, Riesenbärenklau) wohlbekannt (Abb. [2]). Ihr Saft verursacht zusammen mit Sonnenlicht auf der Haut Blasen ziehende Entzündungen (Wiesengräserdermatitis), die zwar nicht großflächig erscheinen, sondern streifenförmig die Blattkontakte nachzeichnen. Solches war sicher nicht verantwortlich für den Tod des Herkules, wie auch eine Milzbrandinfektion unwahrscheinlich erscheint.

Da ist aber noch eine Geschichte, eine Episode aus der Argonautensage. Jason zieht mit seinen Gefährten nach Kolchis am schwarzen Meer, um mit Hilfe der zauberkräftigen Königtochter Medea das „Goldene Vlies” zu erringen. Auf Umwegen landeten sie in Korinth, wo sich Jason in die Königstochter Glauke (auch Kreusa) verliebte. Medea scheint einzulenken und schenkte Jason als Brautgeschenk ein kostbares Kleid. Dieses hatte sie jedoch mit Gift getränkt und als Glauke das Gewand anzog, brannte es ihre Haut weg und sie starb einen fürchterlichen Tod. Ovid schreibt „ist die neue Vermählte mit kolchischen Giften verbrannt” [3]. Auch hier also wird durch ein vergiftetes Gewand die Haut verbrannt (Fieber und brennende Schmerzen) und „abgebrannt”, also entfernt oder abgefetzt. Daran kam sie zu Tode.

Die Argonauten und speziell die Person der Medea sind mehrfach künstlerisch dargestellt worden, so durch Euripides, Seneca, Corneille, Grillparzer, Anouilh und Christa Wolf. Allerdings ist der Giftmord an Glauke jeweils nicht im Zentrum der Darstellung.

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Abb. 1 „Tod des Hercules” Ölgemälde 1634 des Spanischen Malers Francisco de Zubarán (1598 - 1664), Museo national del Prado in Madrid.

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Abb. 2 Heracleum mantegazzianum, sog. Herkuleskraut oder Riesenbärenklau, dessen Schnittflächen phototoxische Furocumarine freisetzen.

Nun Einiges zur Deutung:

Zweimal werden unliebsame Personen durch ein vergiftetes Kleid getötet. Fieberhitze, ja Fieberwahn, und das Ablösen der Haut „wie ein Kleid” oder fest verklebt „mit dem Giftkleid” führen zu fürchterlichen Schmerzen, zur Verzweiflung und zum „Flammentod”. Die Psychologen deuten dies als einen Angriff auf den Behälter, die Hülle, die Oberfläche einer Person, die anstelle des Inhaltes des Körpers zerstört wird, also eine Umkehr eigentlich, die allerdings den Tod des Körpers auch zur Folge hat. Zerstört werden vordringlich das Haut-Ich [4], die Erscheinung, die Darstellung und auch der Eindruck auf die Umwelt. Vernichtet werden soll also auch die bildhafte Erinnerung an die Person durch das Wegbrennen der Haut. Beim Schinden erfolgt solches durch Abziehen der Haut und mit demselben symbolischen Ziel und tatsächlichem Effekt.

Zur weiteren und vertieften Deutung wenden wir uns nun dermatologischen Überlegungen zu und fragen, welche schon damals zu beobachtende Krankheiten dem ins mytische gesteigerten Geschehen zugrunde liegen könnte.

Zunächst zur Medea, die Glauke ein vergiftetes Kleid sandte, das der Trägerin auf die beschriebene Weise den Tod brachte. Zwei Deutungen liegen auf der Hand:

Eine generalisierte phototoxische Dermatitis (Wiesengräserdermatitis), die mit einer großflächigen blasigen Ablösung der Haut und starken Fieberschüben einhergeht und im Extremfall zum Tode führt. Herkuleskraut stammt aus dem Kaukasus und Ammi Majus aus Ägypten, beide waren im Altertum bekannt und die furokumarinhaltigen Säfte wurden zusammen mit Sonne zur Behandlung der Vitiligo (Weissfleckenkrankheit) und zur Abgrenzung von Lepra angewandt. Dieses Therapieverfahren wird seit 40 Jahren als Photochemotherapie (PUVA) zur Behandlung der Psoriasis und anderer Hautkrankheiten erfolgreich eingesetzt. Ein mit Furokumarin getränktes Gewand, wegen der Sonnendurchlässigkeit wohl eher ein Schleier, könnte es damals gewesen sein, und Todesfälle nach übermäßiger, selbst gewählter PUVA-Anwendung zur Pigmentstimulation sind vor Jahren bekannt geworden [5].

Als andere Deutung kommt eine staphylogene toxische epidermale Nekrolyse (TEN, Lyell-Syndrom, Abb. [3]) in Frage, die ebenfalls mit hohem Fieber, großen Schmerzen, akutem Exanthem und mit großflächigen, schlaffen Blasen einhergeht, welche schnell zerreißen und „wie verbrühte oder verbrannte Haut” aufliegen. Todesfolge ist nicht selten. Dieses Syndrom [6] wird durch die massive Ausschüttung und hämatogener Verbreitung von Exfoliatin ausgelöst und Staphylokokkus aureus war auch in der Antike ein allgegenwärtiger Keim auf allen Wunden und Bagatellverletzungen. Glauke hätte also ihre akute und tödliche Erkrankung infolge einer eigenen Infektion erlitten, ohne direkten Zusammenhang mit dem Brautkleid, das man sich schlecht als „Eiter vergiftetes Gewand” vorstellen kann.

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Abb. 3 Lyell-Syndrom mit großflächiger Ablösung der Haut am Rücken, verbrannt wie „angeklatsches Tuch”.

Und nun zu Herakles, der nachdem er das vergiftete Weihegewand überzog, akut fiebrige Wahnanfälle, enorme Schmerzen, brennende Därme (eingeblutet dort auch) und verbrannte Haut erlitt und das Kleid nicht mehr von dieser abziehen konnte. Solche Versuche rissen ihm die ganze Haut und mit dieser auch das darunter liegende Fleisch, bis auf Sehnen und Knochen vom Leib. Er ergab sich dem Sterben. Dieses Geschehen ist kaum mit einem vergifteten Kleid zu erklären und einem Lyell-Syndrom entspricht es auch nicht. Ein hochfiebriges Geschehen mit Ablösung der Haut und tiefen, zerfallenden Nekrosen spricht für eine postinfektiöse, nekrotisierende Vaskulitis (Abb. [4]) mit massiven Einblutungen (Purpura fulminans, mit Verbrauchskoagulopathie), die sowohl oberflächliche wie auch tiefe Gefäßabschnitte befällt. Es handelt sich dabei um eine durch Immunkomplexe getragene Typ-III-Allergie mit bakteriellen (Streptokokken) Antigenen [6], die mehrfach auftreten kann, immer stärker und bis zum Tod. Dabei sei daran erinnert, dass Herkules Jahre vor seinem Tod schon einen Fieberanfall hatte, wovon ein schwarzer Hintern (Melampygos, Abb. [5]) zurückblieb. Dies mögen Rest einer hämorrhagischen Vaskulitis mit bleibenden Ablagerungen von Haemosiderin gewesen sein, übrigens an einer Prädilektionsstelle der Vaskulitis. Streptokokken sind und waren damals schon allgegenwärtige Wundkeime, welchen Herakles wohl öfters ausgesetzt war. Die zweite Episode war dann, infolge der vorgehenden Sensibilisierung, massiver, generalisiert und tödlich.

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Abb. 4 Purpura fulminans mit hämorrhagischen Blasen und tiefen Nekrosen.

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Abb. 5 Purpura fulminans an der Prädilaktionsstelle Gesäß, sog. „Schwarzhintern”.

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Literatur

Prof. Dr. E. G. Jung

Maulbeerweg 20 · 69120 Heidelberg

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Literatur

Prof. Dr. E. G. Jung

Maulbeerweg 20 · 69120 Heidelberg

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Abb. 1 „Tod des Hercules” Ölgemälde 1634 des Spanischen Malers Francisco de Zubarán (1598 - 1664), Museo national del Prado in Madrid.

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Abb. 2 Heracleum mantegazzianum, sog. Herkuleskraut oder Riesenbärenklau, dessen Schnittflächen phototoxische Furocumarine freisetzen.

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Abb. 3 Lyell-Syndrom mit großflächiger Ablösung der Haut am Rücken, verbrannt wie „angeklatsches Tuch”.

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Abb. 4 Purpura fulminans mit hämorrhagischen Blasen und tiefen Nekrosen.

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Abb. 5 Purpura fulminans an der Prädilaktionsstelle Gesäß, sog. „Schwarzhintern”.