Der konkrete Fall
Der konkrete Fall
Anamnese: Ein 36-jähriger Mann kam in verwahrlostem Zustand in unsere Klinik. Subjektiv war
er erstaunlich unbeschwert und berichtete lediglich über allgemeine Schwäche, Polyurie
und Durstgefühl. Als Folge des Durstes lag die aktuelle Trinkmenge bei 5 bis 7 Liter
pro Tag. Seit 15 Jahren war bei ihm eine bipolare Psychose bekannt, die mit Lithium
behandelt wurde. Der Patient war adipös und wog 140 kg, wobei er angab, vor 4 Wochen
noch 160 kg gewogen zu haben.
Untersuchung: Trockene Schleimhäute und ein reduzierter Hautturgor deuteten auf einen Volumenmangel
hin. Der Blutdruck betrug 145/70 mmHg, die Herzfrequenz 74/min. Im Stehen sank der
Blutdruck auf 120 mmHg, es bestand jedoch kein Schwindel. Lunge, Herz und Abdomen
waren klinisch ohne pathologische Befunde.
Klinisch-chemische Befunde: Die Kreatininkonzentration lag bei 350 µmol/l ( = 4,0 mg/dl), die Natriumkonzentration
bei 148 mmol/l, die Serum-Osmolalität bei 340 mOsm/kg. Der Lithium-Blutspiegel wurde
mit 1,0 mmol/l bestimmt und lag somit im therapeutischen Bereich (0,3 - 1,3 mmol/l).
Alle übrigen klinisch-chemischen Befunde waren normal. Die gewünschte Urindiagnostik
missglückte mangels Kooperation des Patienten.
Apparative Untersuchungen: Die Nierensonographie zeigte normal große Nieren. EKG und Röntgenbild des Thorax
erbrachten Normalbefunde.
Therapie und Verlauf: Trotz Infusion von täglich 10 Litern Flüssigkeit (5%iger Glucose- und Standard-Elektrolytlösung
im Wechsel) stieg das Kreatinin weiter an. Schließlich ging die Diurese zurück und
der Patient musste mit Hämodialyse behandelt werden. Zur Klärung der Situation wurde
eine Nierenbiopsie durchgeführt. In der Nierenbiopsie zeigt sich eine chronische interstitielle Nephritis, die auf eine chronische Lithium-Intoxikation zurückgeführt wurde. Nach komplettem
Absetzen des Lithiums und Umsetzen auf Olanzapin nahm die Niere langsam ihre Funktion
wieder auf und die Diurese setzte wieder ein. Der Patient wurde mit einem Kreatininwert
von 400 µmol/l ( = 4,5 mg/dl) entlassen. Bei der Kontrolluntersuchung ein halbes Jahr
später betrug die Kreatininkonzentration 200 µmol/l ( = 2,3 mg/dl).
Diskussion: Die Nieren wird durch Lithium in doppelter Hinsicht geschädigt [11]:
-
In der Regel handelt es sich um ein funktionelles Problem. Lithium führt zur Herabregulierung
der Wasserkanäle (Aquaporin 2) am Sammelrohr der Niere. Dadurch kann das antidiuretische
Hormon (ADH) nicht mehr wirken und es entsteht ein renaler Diabetes insipidus.
-
Außerdem hat Lithium einen chronischen tubulo-toxischen Effekt, der nach vielen Jahren
auch zu irreversiblen Nierenschäden führen kann. Somit kann Lithium zu einer morphologischen
Nierenschädigung in Form einer interstitiellen Nephritis mit tubulären Mikrozysten
bis hin zur chronischen Nephrosklerose führen (Abb. [1]).
Abb. 1 Typisch für eine Arzneimittelschädigung an der Niere sind die Kombination eines toxischen
Tubuluseffektes und einer allergischen interstitiellen Lymphozyteninfiltration. Die
Abbildung zeigt eine ausgeprägte interstitielle Fibrose, erkennbar an einer Verbreiterung
der Abstände zwischen den Tubuli. Es liegt hier somit der Befund einer chronisch interstitiellen
Nephritis vor.
Bei unserem Patienten bestand ein funktionelles akutes Nierenversagen durch Exsikkose,
aber auf dem Boden einer morphologisch vorgeschädigten Niere bei chronischer Lithium-Intoxikation.
Mechanismen der Nephrotoxizität von Arzneimitteln
Mechanismen der Nephrotoxizität von Arzneimitteln
Arzneimittel können die Niere durch vaskuläre, tubulo-toxische, tubulo-obstruktive
oder immunologische Mechanismen schädigen (Tab. [1]). Typische Beispiele für tubulo-toxische Schäden sind Aminoglykoside und Röntgenkontrastmittel.
Beispiele für immunologische Schäden (neben anderen Mechanismen) sind nichtsteroidale
Antiphlogistika (NSAR) [31], Aciclovir [28] und Sulfonamide [32].
Tab. 1 Mechanismen der arzneimittelbedingten Nierenschädigung (modifiziert nach 30). Die
Tabelle gibt Beispiele für die Klasseneffekte typischer Medikamente. NSAR = nicht-steroidale
Antiphlogistika, HUS = hämolytisch-urämisches Syndrom, TTP = thrombotisch-thrombozytopenische
Purpura.
<TD VALIGN="TOP">
Vaskulär
</TD><TD VALIGN="TOP">
Tubulo-toxisch
</TD><TD VALIGN="TOP">
Tubulo-obstruktiv
</TD><TD VALIGN="TOP">
Immunologisch interstitiell
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
NSAR
</TD><TD VALIGN="TOP">
NSAR
</TD><TD VALIGN="TOP">
Methotrexat
</TD><TD VALIGN="TOP">
NSAR
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
ACE-Hemmer1
</TD><TD VALIGN="TOP">
Aminoglykoside
</TD><TD VALIGN="TOP">
Aciclovir
</TD><TD VALIGN="TOP">
Aciclovir
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Cyclosporin A
</TD><TD VALIGN="TOP">
Cyclosporin A
</TD><TD VALIGN="TOP">
Sulfonamide
</TD><TD VALIGN="TOP">
Sulfonamide
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Amphotericin B
</TD><TD VALIGN="TOP">
Amphotericin B
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Rifampicin
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Mitomycin (HUS/ TTP)
</TD><TD VALIGN="TOP">
Cisplatin
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Methicillin
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Foscarnet
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Penicillin G, Ampicillin
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Jodhaltige Röntgenkontrastmittel
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Allopurinol
Thiazide
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Lithium
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Interferon
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
1 ACE-Hemmer führen zu einer funktionellen Nierenfunktionseinschränkung und sind im
engeren Sinne nicht nephrotoxisch.
</TD>
Orte der Nierenschädigung sind die vier Strukturen des Nephrons als funktioneller
Einheit der Nieren:
-
die zuführenden und abführenden Gefäße,
-
das Tubulussystem,
-
das Interstitium (Abb. [2]).
-
Die Glomeruli selbst sind selten Ort von Arzneimittelschäden, z. B. durch Goldsalze,
D-Penicillamin [10]. Sie sind eher durch Autoimmunerkrankungen betroffen, die allerdings gelegentlich
auch durch Medikamente induziert sein können (z. B. systemischer Lupus erythematodes
durch Hydralazin).
Abb. 2 Die Mechanismen der Arzneimittelschädigung spielen sich an den Strukturen des Nephrons
ab: vorwiegend den Gefäßen, dem Tubulus und dem Interstitium - die Glomeruli sind
eher selten betroffen.
Beispiel für immunologische Nierenschädigung ist die akute interstitielle Nephritis
(AIN). Im Gegensatz zur Tubulotoxizität ist die AIN nicht dosisabhängig. Cyclooxigenasehemmer
wie NSAR führen durch Leukotrienaktivierung zur interstitiellen Zellinfiltration.
Es handelt sich nicht um eine rein allergische Reaktion mit Eosinophilie.
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kurzgefasst: Die Mechanismen der Arzneimittelschädigung spielen sich an den Strukturen des Nephrons
ab: vorwiegend den Gefäßen, dem Tubulus und dem Interstitium - die Glomeruli sind
eher selten betroffen.
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Klinik und Diagnostik der Arzneimitteltoxizität
Klinik und Diagnostik der Arzneimitteltoxizität
Viele Formen der arzneimittelinduzierten Nephrotoxizität bleiben unbemerkt, weil die
Patienten keine Beschwerden haben. Es kommt zu einem schleichenden Kreatininanstieg,
und häufig erholt sich die Nierenfunktion von selbst nach Absetzen des schädigenden
Medikamentes. Dies ist bei zeitlich begrenzter Antibiotikatherapie der Fall. Bei immunologischen
Ursachen kann es aber als Akutreaktion zu allergischen Symptomen mit Hautausschlag
und Hämaturie und bei schweren Fällen zu Oligurie und einem dialysepflichtigen Nierenversagen
kommen. Bei rechtzeitiger Diagnosestellung sind diese akuten Formen der Nierenschädigung
reversibel, schon weniger die chronischen [31].
Die klassischen Beispiele für eine akute nierenschädigende Arzneimittelreaktion sind,
histologisch gesehen, das kontrastmittelinduzierte Nierenversagen (s. u.) sowie die
allergische Methicillin-Nephritis. Die klassische Form der chronischen arzneimittelinduzierten
Nierenerkrankung ist die Analgetika-Nephropathie oder der vaskuläre und interstitielle
Cyclosporinschaden. Schmerzmittel- und Cyclosporin-Schäden sind dosisabhängig.
Bei Verdacht auf eine arzneimittelinduzierte Nephrotoxizität ist eine gründliche Medikamentenanamnese
unerlässlich. Letztlich kann ein solcher Verdacht, insbesondere bei immunologischen
Reaktionen, häufig erst durch eine Nierenbiopsie bestätigt werden. Hinweise auf ein
immunologisches Geschehen sind allergisches Exanthem und Eosinophile im Urinsediment.
Der Nachweis von Aciclovir-Kristallen im Urin ist nicht hilfreich, da solche Kristalle
auch bei ansonsten Nierengesunden unter Aciclovirtherapie zu sehen sind [25]. Papillenverkalkungen in der Sonographie oder, besser, im Nativ-CT deuten auf eine
Analgetika-Nephropathie hin [9].
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kurzgefasst: Man muss gezielt danach fragen, um eine arzneimittelbedingte Nierenschädigung herauszufinden.
Urinsediment, Nierensonographie, Computertomographie ohne Kontrastmittel (Nativ-CT)
und Nierenbiopsie führen diagnostisch weiter.
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Nephrotoxizität verschiedener Medikamente
Nephrotoxizität verschiedener Medikamente
Lehrfall der akuten Nierenschädigung durch Arzneimittel ist die Kontrastmittelnephropathie.
Pathomechanismus und Therapieoptionen der Arzneimittelnephropathie lassen sich gut
an diesem Beispiel erläutern.
Röntgenkontrastmittel
Diagnostische und interventionelle radiologische Prozeduren haben in den letzten Jahrzehnten
deutlich zugenommen; damit ist auch die Inzidenz der kontrastmittel-induzierten Nephropathie
angestiegen. Röntgenkontrastmittel sind in der Zwischenzeit die dritthäufigste Ursache
eines sich im Krankenhaus entwickelnden akuten Nierenversagens (ANV) [1]. Das in diesem Zusammenhang auftretende Nierenversagen wird in der Regel als ein
mäßiger Anstieg des Kreatinins beschrieben, ohne dass unbedingt eine klinische Symptomatik
auftreten oder eine Hämodialyse Therapie erfolgen muss [18].
Die heute gebräuchlichste Definition eines Kontrastmittel-induzierten Nierenversagens
basiert auf dem relativen Anstieg des Serumkreatinins (³ 25 % des Ausgangskreatinins)
oder auf dem absoluten Kreatininanstieg (³ 44 µmol/l = 0,5 mg/dl) innerhalb von 48
bis 72 Stunden nach Gabe des Kontrastmittels [17]. Auf dieser Definition basierend beträgt das Risiko einer relevanten Kontrastmittel-induzierten
Nephropathie bei normaler Nierenfunktion 1,2 % bis 1,6 % [23]. Das Risiko erhöht sich jedoch deutlich bei eingeschränkter Nierenfunktion (Serumkreatinin
> 150 µmol/l) und kann dann bei bis zu 15 % liegen. Ein dialysepflichtiges Kontrastmittel-induziertes
ANV wurde aber nur bei 0,3 % der Patienten beobachtet [18]. Begünstigt wird das Auftreten eines Kontrastmittel-induzierten Nierenversagens
durch
-
vorbestehende Niereninsuffizienz,
-
Diabetes mellitus,
-
Proteinurie, Herzinsuffizienz,
-
Dehydratation und einer
-
großen Kontrastmittelmenge.
Der genaue Pathomechanismus, der zur Entstehung der Kontrastmittel-Nephropathie führt,
ist noch nicht genau geklärt. Diskutiert werden eine initiale Vasokonstriktion und
eine direkte Tubulutoxizität durch das Kontrastmittel. Die prolongierte Vasokonstriktion
ist wahrscheinlich Endothelin-1 und Angiotensin II vermittelt, sowie durch verminderte
Verfügbarkeit von vasodilatatorischen Substanzen wie z. B. Stickoxid (NO), Adenosin
und Prostaglandin E1 und E2 begünstigt. Zytotoxische und pro-apoptotische Effekte
des Kontrastmittels an den Nierentubuluszellen werden unter anderem durch Hypoxie
und Freisetzung von reaktiven Sauerstoffradikalen (ROS) bedingt [18].
Die Prävention einer Kontrastmittel-induzierten Nephropathie wird durch eine ausreichende
Hydrierung der Patienten vor und nach der Röntgenuntersuchung erreicht: z. B. mit
0,9 % NaCl-Lösung 12 Stunden vor bis 8 Stunden nach Kontrastmittelgabe mit 1 ml/kg
Körpergewicht pro Stunde [17]. Falls klinisch möglich sollten Diuretika vor der Kontrastmittelgabe pausiert werden. Nach Kontrastmittelgabe ist Furosemid evtl sogar hilfreich [15]. Außerdem sollte so wenig Kontrastmittel wie möglich appliziert werden. Ferner sollten
niedrig osmolare, nichtionische Kontrastmittel verwendet werden [26]. Der Vorteil eines dimeren, isoomolaren, nichtionischen Kontrastmittel (Iodixanol
= 300 mosmol/l) gegenüber den niedrig osmolaren Kontrastmittel ( = 600 mosmol/l) konnte
bisher nur in einer Studie mit relativ kleinem Patientenzahl bei Diabetes mellitus
gezeigt werden.
In anderen Studien wurde die Wirksamkeit medikamentöser Begleittherapien mit Acetylcystein
(ACC), Theophyllin, Calcium-Antagonisten, Endothelinantagonisten, Fenoldopam (Dopamin-Rezeptor-Agonist)
und atrialem natriuretischem Peptid untersucht. In einer wichtigen Studie (prospektiv,
randomisiert, doppelblind) konnte gezeigt werden, dass die prophylaktische Gabe von
2 ¥ 600 mg Acetylcystein am Tag vor und am Tag der Kontrastmittelgabe in Kombination
mit der oben beschriebenen Hydratation zu einer geringeren Häufigkeit der Kontrastmittel-induzierten
Nephropathie führt, allerdings auch zu einer Abnahme des Kreatininwertes [34]. Der Mechanismus des Kreatininabfalls nach ACC-Gabe ist bisher nicht geklärt. Derzeit
bleibt die Frage offen, ob ACC die tubuläre Sekretion von Kreatinin beeinflusst und
die beobachteten Effekte möglicherweise die Nierenfunktion nicht exakt repräsentieren.
Die in Folge durchgeführten kontrollierten Studien zeigten widersprüchliche Ergebnisse:
Vier Studien zeigten einen protektiven Effekt nach ACC-Gabe und weitere vier Studien
erbrachten keinen Effekt. Die durchgeführten Meta-Analysen zeigten jedoch einen Nutzen
der ACC-Gabe in Kombination mit der empfohlenen Hydratation, so dass die Gabe von
Acetylcystein vor einer Kontrastmittel-Untersuchung bei Patienten mit einer Niereninsuffizienz
empfohlen werden kann [4]. Der prophylaktische Effekt von Bicarbonat (154 mval/l in 0,9 % NaCl mit 3 ml/kg
1 Stunde vor Kontrastmittel und mit 1 ml/kg bis 6 Stunden danach) wurde in einer kontrollierten
Studie ebenfalls nachgewiesen [16].
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kurzgefasst: Röntgenkontrastmittel sind insbesondere bei vorbestehender Niereninsuffizienz eine
häufige Ursache des akuten Nierenversagens. Hydrierung ist die wichtigste präventive
Maßnahme. Antioxidantien scheinen protektiv zu wirken; die Rolle von Acetylcystein
ist noch umstritten.
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Analgetika, Antirheumatika
Die klassische Form der chronischen arzneimittelinduzierten Nierenerkrankung ist die
Analgetika-Nephropathie (Phenazetin-Niere), deren Variante insbesondere durch paracetamolhaltige
Mischanalgetika (zusätzlich Koffein oder Codein) noch heute existiert. Offenbar ist
eine Kombination von Paracetamol und Acetylsalicylsäure schädlicher als Paracetamol
alleine [9]. Problematisch an der Analgetika-Nephropathie ist die Tendenz der Patienten im klinischen
Alltag, den Missbrauch solcher Substanzen zu leugnen, was sowohl eine Primär- als
auch eine Sekundär-Prävention erschwert. Wenn bei vorbestehender Niereninsuffizienz
Analgetika nötig sind, verwenden wir Metamizol und, falls nötig, ein Opioid (z. B.
Tramadol), da diese Substanzen nicht nephrotoxisch wirken.
Nicht-steroidale Antirheumatika (NSAR) können über verschiedene Mechanismen die Nierenfunktion
beeinträchtigen. Renovaskuläre Effekte führen insbesondere bei relativer Hypovolämie
und Herzinsuffizienz gegenregulatorisch zu Wassereinlagerung, peripheren Ödemen und
Lungenödem. Diese Effekte sind nach Absetzen des nicht-steroidalen Antirheumatikums
reversibel. Das Bild der akuten interstitiellen Nephritis tritt nach kurzer Behandlungsdauer
auf, aber häufig erst bei Reexposition. Auch direkte tubulotoxische Effekte wurden
beschrieben. Vor allem NsAR mit einer im Vergleich zu Diclofenac langen Halbwertszeit,
wie Naproxen, sind nephrotoxisch [33].
Selektive Cyclooxygenase-2-Hemmer sind vermutlich genauso nierenschädlich wie NSAR
[6]
[22]. Auch unter Therapie mit Mesalazin wurde eine chronisch interstitielle Nephritis
beschrieben [35].
Van de Woude stellte auf dem Kongress der Gesellschaft für Nephrologie 2005 in Saarbrücken
eine neue interview-basierte Fall-Kontrollstudie vor. Der häufige Gebrauch von Mischanalgetika
oder Monopräparaten war in dieser - allerdings von der Industrie mitfinanzierten Studie
- kein Risikofaktor für eine Dialyse.
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kurzgefasst: Nicht-steroidale Antirheumatika und Mischanalgetika können die Nieren schädigen.
Immer wieder ist bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion zu beobachten, dass
sich die Nierenfunktion bessert, wenn auf den nephrotoxischen Effekt von Analgetika
hingewiesen wird,
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Pharmakodynamik und Arzneimitteltoxizität
Pharmakodynamik und Arzneimitteltoxizität
Mathematisch wird die Pharmakodynamik am häufigsten mit der so genannten Hill-Gleichung
beschrieben ( = sigmoides Emax Modell). Der Effekt (E) ist eine sigmoide Funktion
der (zeitabhängigen) Konzentration (C). Bei hohen Konzentrationen wird der maximale
Effekt (Emax) erreicht. Je niedriger die Konzentration ist, die bereits den halbmaximalen Effekt
erzielt (CE50), umso höher ist die intrinsische Potenz des Medikamentes. Je höher der Hill-Koeffizient
ist (H), umso sigmoider (d. h. steiler) verläuft die Kurve.
E = Emax/[1 + (CE 50/C)H]
Aus der Beziehung zwischen Pharmakokinetik und Pharmakodynamik lassen sich wichtige
Rückschlüsse zur Vermeidung von arzneimitteltoxischen Nierenschäden ziehen. Bei bekanntem
tubulo-toxischem Effekt sind Medikamente mit einer kurzen Halbwertszeit gegenüber
Medikamenten mit einer langen Halbwertszeit zu bevorzugen, da die Nieren z. B. bei
NSAR mit langer Halbwertszeit länger dem nephrotoxischen Effekt ausgesetzt sind [33].
Das Fenster zwischen erwünschter therapeutischer Wirkung und unerwünschter toxischer
Wirkung wird durch die Distanz definiert zwischen der Konzentration (CE50) die den halbmaximalen erwünschten Effekt vermittelt und der Konzentration, die den
halbmaximalen unerwünschten Effekt vermittelt (Abb. [3]). Je größer diese Differenz (d. h. die therapeutische Breite) ist, um so geringer
sind nephrotoxische Gefahren.
Abb. 3 Pharmakodynamik des erwünschten (blau) und des nephrotoxischen (grau) Effektes. Der
erwünschte Effekt kann konzentrationsabhängig genannt werden, der nephrotoxische zeitabhängig.
Die CE50 des erwünschten Effektes ist 20 und des toxischen Effektes 70. Wenn in diesem Beispiel
die Arzneimittel-Konzentration unter 55 bleibt, ist der erwünschte Effekt fast maximal
und die Nephrotoxizität bleibt unterhalb des Schwellenwertes (CE05).
In der Pharmakodynamik, kennt man auch das „Alles-oder-Nichts”-Prinzip. Dieses Prinzip
ist mathematisch durch einen hohen Hill-Koeffizienten (H) in der sigmoiden Emax-Beziehung
(siehe unten) charakterisiert (toxischer Effekt in Abb. [3]). Solange die Arzneimittel-Konzentration wesentlich unterhalb der toxischen Schwellenkonzentration
liegt, treten keine unerwünschten Effekte auf. Für die Schwellenkonzentration (CE05), unterhalb derer kein nennenswerter Effekt zu erwarten ist, gilt folgende Beziehung.
CE05 = CE50 x 0.053(1/H)
Daraus folgt, dass bei einen Hill-Koeffizienten von 10 die Schwellenkonzentration
(unter der kein Effekt auftritt) und die Konzentration, die den halbmaximalen Effektes
hervorruft, nahe beieinander liegen (CE05 = 3/4 · CE 50). Ein Beispiel hierfür ist der tubulo-obstruktive Effekt von Aciclovir: Aciclovir
sollte nicht als Bolus injiziert werden, denn dadurch wird die Aciclovir-Konzentration
im Tubulus so hoch, dass es intratubulär kristallisiert und ausfällt. Durch kontinuierliche
Infusion mit Verdünnung und Vermeidung hoher Spiegel können hohe Aciclovir-Dosen mit
guter antiviraler Aktivität appliziert werden ohne dass eine Nephrotoxizität auftritt.
Für den therapeutischen Effekt wünscht man sich dagegen eine geringe Konzentration
des halbmaximalen Effektes ( = hohe Potenz) und einen geringen Hill-Koeffizienten:
z. B. CE50 = 9.98 mg/l und H = 1 für den analgetischen Effekt von Paracetamol [2].
Der nephrotoxische Effekt von Cyclosporin ist wahrscheinlich zeitabhängig. Es gibt
Hinweise, dass eine Dosierung alle 24 Stunden (mit niedrigeren Talspiegeln) weniger
nephrotoxisch als die übliche Dosierung alle 12 Stunden (mit höheren Talspiegeln)
ist. Bei nierentransplantierten Patienten ist die einmal tägliche Dosierung machbar
[29], für eine generelle Empfehlung reicht die Studienlage jedoch nicht aus.
Für Aminoglykoside wurde gezeigt, dass die Nephrotoxizität bei einmal täglicher Bolusgabe
im Vergleich zur fraktionierten dreimal täglichen Gabe geringer ist [21]. Hohe Spitzenspiegel schaden offenbar der Niere weniger als die Unterschreitung
einer Schwellenkonzentration für wenige Stunden am Tag den Nieren nützt. Die Nephrotoxizität
erfolgt am Tubulusepithel und die Aminoglykoside müssen durch das Transportprotein
Megalin erst kapazitätslimitiert in die Tubuluszellen transportiert werden. Der nephrotoxische Effekt von Aminoglykosiden
wird wahrscheinlich durch Hemmung der intrazellulären Synthese von protektiven Proteinen
hervorgerufen, so dass die Zeitabhängigkeit wichtiger als die Dosisabhängigkeit sein
dürfte. In der Klinik ist mit einem Kreatininanstieg typischerweise erst nach 5 bis
7 Tagen zu rechnen.
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kurzgefasst: Zur Beschreibung der Pharmakodynamik wird am häufigsten das sigmoide Emax-Modell
verwendet. Ein hoher Hill-Koeffizient führt zu einer sigmoiden Kurve, zu einer hohen
Schwellenkonzentration und zu einem „zeitabhängigen” Effekt.
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Fazit
Fazit
Die Pathogenese der Nephrotoxizität kann sehr unterschiedlich sein. Trotzdem wollen
wir versuchen, allgemeine Regeln zu formulieren, mit denen alle Formen der arzneimittelbedingten
Nierenschädigung gedanklich angegangen werden können:
-
Substanzauswahl. Bei vorbestehender Niereninsuffizienz kann aufgrund der reduzierten Anzahl von funktionstüchtigen
Nephronen und von erhöhten Blutspiegeln die Substanzkonzentration im Einzelnen Nephron
erhöht sein. Damit steigt das Risiko von direkten nephrotoxischen Nebenwirkungen.
Deshalb sollten Medikamente mit tubulo-toxischen oder tubulo-obstruktiven Nebenwirkungen
nicht verwendet werden, wenn es Alternativen gibt. Immunologische Nebenwirkungen sind
aber bei vorbestehender Niereninsuffizienz vermutlich nicht häufiger.
-
Therapiebefristung. Die bekannte nephrotoxische Wirkung von Aminoglykosiden, aber auch von Zytostatika
wie Cisplatin, ist eine Frage der Dauer, der die Niere dem Medikament exponiert ist.
Zum Beispiel ist eine 3-tägige hochdosierte Aminoglykosid-Therapie bei schweren septischen
Krankheitsbildern sinnvoll und keineswegs nephrotoxisch.
-
Hydrierung. Am Beispiel der Kontrastmittel-Nephropathie lässt sich zeigen, dass eine prophylaktische
Hydrierung bei zahlreichen nephrotoxischen Medikamenten nephroprotektiv wirkt [3]
[14]. Weitere Medikamente wo eine Hydrierung besonders wichtig ist sind Foscarnet [7] und Cisplatin [27]. Wenn unter Cisplatintherapie die Diurese gesteigert werden soll scheint, im Gegensatz
zur verbreiteten Annahme, Furosemid sicherer zu sein als Mannit [27].
-
Prophylaktische Ko-Medikation. Die Pathomechanismen vieler tubulo-toxischer Arzneimittel sind wahrscheinlich vermittelt
durch die Freisetzung von Sauerstoffradikalen, so dass Antioxidantien wie beispielsweise
Acetylcystein oder auch Mesna nicht nur bei der Kontrastmittel-Nephropathie, sondern
auch bei anderen Formen der Tubulo-Toxizität sinnvoll sein könnten. Substanzen deren
nephrotoxische Effekte mit freien Radikalen assoziiert wurden sind Aminoglykoside
[24], Vancomycin [20], Cyclosporin [5] und Cisplatin [12]
[19]. Möglicherweise sind Calciumkanal-blocker hilfreich zur Reduktion der Cyclosporin-A-assoziierten
Toxizität [13].
-
Kreatinin-Kontrolle: Eine Kreatininbestimmung vor Beginn einer Therapie mit direkt toxischen Substanzen
ist notwendig um Risikopatienten zu identifizieren. Möglicherweise wird hier in Zukunft
die Cystatin-C-Messung eine wichtige Rolle spielen. Am Beispiel der ACE-Hemmer zeigt
sich, dass bei zu erwartender Nierenfunktionseinschränkung - in diesem Fall ein rein
funktionelles Problem! - eine frühzeitige Kreatinin-Kontrolle sinnvoll und notwendig
ist. Ein Anstieg des Kreatinins bis zu 30 % in der ersten Woche ist nach Beginn der
ACE-Hemmer Therapie in Ordnung.
-
Erkennen der Ursache. Ist einmal eine nephrotoxische Reaktion aufgetreten, so sind die ursächlichen Medikamente
unbedingt zu identifizieren, um insbesondere bei immunologischen Reaktionen eine Reexposition
zu vermeiden. Diese kann nicht nur kumulativ zu Nierenverlust führen, sondern auch
durch Allergie und Booster-Effekt wesentlich dramatischer als die Erstmanifestation
ablaufen. Eine gründliche Medikamentenanamnese ist hier unverzichtbar.
Eine Liste mit Substanzen bei denen kurzfristig die Nierenfunktion kontrolliert werden
muss, findet sich in Tab. [2].
Tab. 2 Substanzgruppen mit Beispielen, bei denen wir die kurzfristige (nach 3 Tagen) Kontrolle
der Nierenfunktion empfehlen (nach [31]).
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Antibiotika
Rifampicin
Cotrimoxacol
Aminoglykoside
Penicilline
Cephalosporine
Amphotericin
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Antivirale Substanzen
Foscarnet
Cidofovir
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Analgetika
NSAR: Naproxen, Fenoprofen, Ibuprofen
Mischanalgetika
Paracetamol
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Antihypertensiva
ACE-Hemmer: Enalapril, Ramipril
AT1-Blocker: Losartan, Candesartan, Irbesartan
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Fettsenker
Statine: Cerivastatin, Atorvastatin, Simvastatin
Fibrate
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Immunsuppressiva
Cyclosporin
Tacrolimus
5-Aminosalicylsäure
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Zytostatische Chemotherapeutika
Cisplatin
Carboplatin
Mitomycin
Interferon
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Naturheilmittel
Chinese Herbs (Aristolochische Säure)
Germanium
</TD>
<TD VALIGN="TOP" COLSPAN="4">
Schwermetalle
Blei
Cadmium
Quecksilber
Gold
Lithium
</TD>
Konsequenz für Klinik und Praxis
Konsequenz für Klinik und Praxis
-
Bis zu einem Drittel aller Nierenprobleme in der Klinik sind durch Arzneimittel bedingt
-
Im Zweifelsfall alle Medikamente absetzen
-
Bei nicht verzichtbaren Medikamenten nierenunabhängige Alternative auswählen
Autorenerklärung: Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen Verbindungen mit einer Firma haben,
deren Produkt in diesem Artikel eine wichtige Rolle spielt (oder mit einer Firma,
die ein Konkurrenzprodukt vertreibt).