Der Klinikarzt 2005; 34(10): 286-290
DOI: 10.1055/s-2005-922091
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Vertrauensvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit - Optimierung der Intensivmedizin bringt Vorteile für alle

Reliable Interdisciplinary Cooperation - Optimisation of Intensive Care Medicine Benefits EverybodyC. Putensen1
  • 1Operative Intensivmedizin der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie, Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn (Leiter: Prof. Dr. C. Putensen)
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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Christian Putensen

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin

Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

Publication History

Publication Date:
04 November 2005 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Aus ökonomischen und inhaltlichen Gründen steht die Intensivmedizin vor einer großen Herausforderung. Um eine qualitativ hochwertige Intensivmedizin etablieren zu können, deren Kapazität sich flexibel an die schwer planbaren Anforderungen anpassen lässt und die ökonomisch vertretbar ist, müssen aufwändige Strukturen und Prozesse eingeführt werden. Ferner ist es unabdingbar, rund um die Uhr eine gleichmäßig hohe intensivmedizinische Kompetenz vorzuhalten. Diese Anforderungen lassen sich durch eine Zusammenlegung intensivmedizinischer Kapazitäten zu größeren Einheiten unter Leitung eines erfahrenen Intensivmediziners am besten realisieren. Ein System der vertrauensvollen interdisziplinären Zusammenarbeit der beteiligten Disziplinen, wie es in vielen operativen Einheiten schon praktiziert wird, bringt für alle Beteiligten Vorteile.

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Summary

For reasons both of economics and content, intensive care medicine is facing a major challenge. The establishment of high-quality intensive care medical service capable of reacting flexibly to requirements - which are often difficult to plan for - and which at the same time is also acceptable economically, presupposes the introduction of diverse complex structures and processes. A further indispensable requirement is the availability of round-the-clock uniformly high competence in intensive care medicine. These requirements can best be realized by combining together intensive care medicine capacities to form larger units under the leadership of an experienced intensive care physician. A system of reliable trust-based cooperation of all the disciplines involved, as is already practiced in numerous surgical units, brings benefits to all those involved.

Die Aufgabe der Intensivmedizin ist die Überwachung, Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von gefährdeten oder gestörten Vitalfunktionen bei lebensbedrohlich verletzten oder erkrankten Patienten. Neben schweren Krankheiten führen aber auch große und stark eingreifende Operationen zu Krankheitsverläufen, die eine intensivmedizinische Überwachung und Behandlung erfordern. Durch die Nutzung moderner medikamentöser und apparativer Behandlungsverfahren kann die Intensivmedizin die vitalen Funktionen erhalten, wiederherstellen oder ersetzen, um so Zeit für die Diagnose und die kausale Therapie des Grundleidens zu gewinnen. Aufgrund dieser komplexen Aufgaben ist es erforderlich, die Intensivmedizin in speziellen Behandlungseinheiten, die über eine personelle Besetzung und apparative Ausstattung verfügen, zu zentrieren.

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Überproportionale Nachfrage

Aufgrund der soziodemografischen Entwicklung wird in Zukunft die altersbedingte Polymorbidität stark zunehmen. Zudem wird die klinische Adaptation an den technologisch-medizinischen Fortschritt zu einer überproportionalen Nachfrage an Betten für die intensivmedizinische Überwachung und/oder Behandlung im Vergleich zu Akutbetten führen. Bereits im Jahre 2001 waren laut einer Analyse von Pronovost et al. 56 % der Intensivpatienten auf amerikanischen Intensivstationen über 65 Jahre alt [9].

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Intensivüberwachung und -behandlung

Die Intensivbehandlungseinheiten sind wichtige Kernbereiche der Krankenhäuser. Im Idealfall sollte sich die medizinische Versorgung an den Verlauf der Erkrankung anpassen lassen - dementsprechend müsste die Versorgungsqualität und -intensität flexibel zu steigern oder abzusenken sein. Dem Ziel, die Personaldichte der Behandlungsintensität anzugleichen, ist man bis heute in den meisten Krankenhäusern jedoch kaum näher gekommen. Bisher versuchen die Krankenhäuser, diesem Anspruch überwiegend mit einer zweistufigen Graduierung in Form von Intensivtherapie- und Normalstation gerecht zu werden.

In der klinischen Praxis können Intensivüberwachung und -behandlung ineinander übergehen. Bereits frühzeitig wurde jedoch zwischen Intensivstationen und Überwachungsstationen (Intermediate-Care-Stationen) unterschieden. Die Intermediate-Care-Station dient der intensivmedizinischen Überwachung von Patienten mit nicht mehr als einer vitalen Funktionsstörung [14]. Patienten, die einer unmittelbaren intensivtherapeutischen Maßnahme bedürfen, sollten hingegen auf einer Intensivstation versorgt werden [14].

Auf einer Intermediate-Care-Station ist keine ständige Arztanwesenheit, sondern lediglich die unmittelbare Verfügbarkeit eines intensivmedizinisch erfahrenen Arztes notwendig [14]. Nur dadurch kann ein intensiv überwachungspflichtiger Patient - im Fall vital bedrohlicher Komplikationen - jederzeit fachkompetent intensivmedizinisch versorgt werden. Der wesentliche Unterschied zu einer Intensivstation besteht somit neben einer allenfalls geringfügig unterschiedlichen Geräteausstattung in einer Reduktion des verfügbaren Pflegepersonals.

Die Weiterentwicklung der medizinischen Möglichkeiten und die zunehmende Anzahl der polymorbiden Patienten erfordert heute vor dem Hintergrund eines effizienten Einsatzes der personellen und finanziellen Ressourcen die Intermediate-Care-Station als weitere Stufe im Behandlungskonzept. Überwachungsstationen können dazu beitragen, eine Blockade der Intensivstation durch lediglich überwachungspflichtige Patienten als auch eine Fehlbelegung der Normalstation mit therapieaufwändigen Überwachungspatienten zu vermeiden [14]. Eine Intermediate-Care-Station sollte den folgenden medizinisch und ökonomisch geprägten Zielen gerecht werden:

  • Qualitätssteigerung oder -sicherung des Behandlungsprozesses sowie

  • Einsparung durch eine Reduktion der Verweildauer und Verzicht auf Überkapazitäten.

Da die Intermediate-Care-Station dazu beiträgt, die unterschiedlichen Behandlungsgrade zwischen Normalstation und Intensivstation zu überbrücken, ist sie medizinisch sinnvoll. Obwohl bis heute ihre ökonomischen Vorteile nicht ausreichend belegt sind, gibt es hervorragende Argumente für die Errichtung solcher Überwachungsstationen, wie beispielsweise die Verbesserung der Versorgung postoperativer Patienten.

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Personalausstattung

Die Bedeutung einer ausreichenden Menge an geschultem Personal für den Betrieb einer Intensivstation und die Überlebensraten der dort behandelten Patienten ist mittlerweile unstrittig (8). So ist ein Abbau von Pflegepersonal sowohl mit einer längeren Verweildauer der Patienten auf der Intensivstation als auch einem längeren nachfolgenden stationären Aufenthalt auf den peripheren Stationen assoziiert.

Eine europäische Untersuchung zeigte, dass bei Personalmangel mehr Todesfälle auftraten als bei angemessener Besetzung mit Intensivpflegepersonal [13]. In der medizinischen Intensivstation in Genf verlängerte sich die durchschnittliche Beatmungsdauer von Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, wenn über eine längere Phase ein Mangel an Pflegepersonal bestand. Wurde der Personalmangel behoben, verkürzte sich die Beatmungsdauer wieder. Dabei ließen sich die Kosten der Krankenhausbehandlung nicht nur durch die Behebung des Pflegekräftemangels auf der Intensivstation, sondern auch durch die Vermeidung eines nachfolgenden unnötigen Pflegeaufwands auf den peripheren Stationen verringern.

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Pflegepersonal

Die Personalausstattung im Pflegedienst muss jederzeit eine bettseitige 1:1-Versorgung von akut gefährdeten Patienten (z.B. Kreislaufschock oder drohende Selbstextubation) sicherstellen, ohne die ausreichende Versorgung der übrigen Intensivpatienten zu gefährden. Eine ausreichende pflegerische Präsenz über 24 Stunden lässt sich nur über einen Schichtdienst organisieren.

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Ärztliches Personal

Die Betreuung der Patienten erfolgt kontinuierlich über 24 Stunden durch Ärzte, die in der Intensivmedizin erfahren und mit den akuten Problemen ihrer Patienten vertraut sind. Diese Ärzte müssen der Intensivstation fest zugeteilt und vor Ort präsent sein. Nur so kann eine ständige ärztliche Anwesenheit auf der Intensivstation gewährleistet werden.

Die organisatorische Leitung der Intensivstation erfolgt durch einen Arzt, der seine Tätigkeit dort ausübt und über eine intensivmedizinische Zusatzqualifikation verfügt.

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Fachliche Zuordnung der Intensivmedizin

Die fachliche Zuordnung von Intensivstationen oder Intensiveinheiten ist von Land zu Land unterschiedlich. Sie reicht vom eigenen Facharzt, dem Suprafach (Schweiz und Großbritannien) bis zum Schwerpunkt und zur Zusatzweiterbildung in verschiedenen Fachgebieten. Insbesondere die europäische Gesellschaft für Intensivmedizin („European Society of Intensive Care Medicine”, ESICM) aber auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensivmedizin (DIVI) verweisen auf den interdisziplinäreren Charakter der Intensivmedizin und fördern einen interdisziplinären Ansatz [3] [5].

In Deutschland hat sich die Intensivmedizin nicht als eigenständige Disziplin, sondern als Teilgebiet innerhalb verschiedener Fachgebiete entwickelt. Zumindest Krankenhäuser der Maximalversorgung und Universitätskliniken haben noch vor wenigen Jahren eine Reihe von fachspezifischen Intensivstationen nebeneinander betrieben. Die immer komplexeren Anforderungen an die fachliche und organisatorische Kompetenz aller an der Intensivmedizin beteiligten Berufsgruppen haben das System vieler, oft relativ kleiner Intensivstationen vor verschiedenste Probleme gestellt. Zu den wichtigsten Problembereichen zählen

  • die optimale Auslastung personeller, apparativer und organisatorischer Kapazitäten, die in einem System mehrerer abgegrenzter Intensivstationen schwerer möglich ist

  • die qualitativ hochwertige intensivmedizinische Versorgung, die nur zu realisieren ist, wenn die erforderliche Kompetenz rund um die Uhr vorgehalten wird. Für kleinere intensivmedizinische Einheiten ist daher die Organisation einer interdisziplinären Intensivstation üblich.

Intensivstationen in Krankenhäusern kleinerer und mittlerer Größe werden daher in der Regel entweder von Anästhesisten, Internisten oder von beiden gemeinsam im Rahmen eines interdisziplinären Ansatzes geführt. Auch einige Universitätskliniken verfügen bereits über interdisziplinäre Intensivbereiche unter Leitung eines Intensivmediziners. Im interdisziplinären Ansatz verantwortet dieser die allgemeine intensivmedizinische Behandlung und der Fachkollege die spezifische, auf die Grunderkrankung gerichtete Diagnostik und Therapie. Interdisziplinäre Intensivbereiche sind essenziell für die Betreuung von Intensivpatienten aus Fachabteilungen, die über keine eigene Ausbildung oder zugeordnete Intensivbetten verfügen.

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Organisation der Intensivstation

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Offene oder geschlossene Organisationsform

Der Organisationsform der „offenen” Intensivstation liegt das Konzept zugrunde, dass die gesamte Therapie von der die Grunderkrankung behandelnden Fachdisziplin durchgeführt wird. Im Extremfall behandelt ein zuständiger Arzt den Patienten während des gesamten Krankheitsverlaufes. Nur so sei eine adäquate Therapie des Grundleidens möglich. Unberücksichtigt bleibt, dass das Grundleiden im Rahmen der Intensivmedizin oft in den Hintergrund tritt und stattdessen die Therapie eines sich verselbstständigenden Organversagens essenziell wird.

Demgegenüber basiert die Organisationsform der „geschlossenen” Intensivstation auf dem Argument, für die adäquate Durchführung der Intensivbehandlung seien einschlägige Erfahrungen, Kenntnisse und handwerkliche Fähigkeiten erforderlich, die ein Arzt kontinuierlich praktizieren müsse [2]. Daher übernimmt hier ein ausgebildeter Intensivmediziner die Leitung der Intensivstation, der die Patienten vollverantwortlich versorgt.

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Intensivmedizinische Leitung steigert Behandlungsqualität

Die meisten Vergleichsuntersuchungen zur Bedeutung eines hauptamtlichen Intensivmediziners auf den Behandlungserfolg basieren auf Beobachtungsstudien - ähnlich den Untersuchungen zur Bedeutung der Erfahrung von Chirurgen. Insgesamt liegen derzeit Daten von 28 prospektiven und retrospektiven Untersuchungen an insgesamt 27823 Patienten vor [7]. Die meisten dieser Studien hatten ein multizentrisches Studiendesign.

Mit Ausnahme einer kleinen Studie zeigen alle Untersuchungen konsistent die Vorteile der geschlossenen Organisationsform: Leitet ein ausgebildeter Intensivmediziner die Intensivstation, reduzieren sich nicht nur die Sterblichkeit auf der Intensivstation und die Intensivaufenthaltsdauer, sondern auch die Krankenhaussterblichkeit und die -aufenthaltsdauer signifikant [7]. Die Reduktion der Sterblichkeit und die Senkung der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation wird demnach nicht zugunsten einer Zunahme der Behandlungsdauer oder der Sterblichkeit auf den Normalstationen erkauft. Vielmehr beeinflusst die Organisation der Intensivmedizin nicht nur die Qualität und Effizienz der Behandlungsprozesse auf der Intensivstation, sondern im gesamten Krankenhaus signifikant [7].

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Signifikante Senkung der Mortalität

Die Reduktion der Mortalität betrug in der Studie von Pronovost et al. fast 40 % auf den von Intensivmedizinern geführten Intensivstationen, die Krankenhausmortalität reduzierte sich dort um bis zu 30 % [7]. Über ihre „Leapfrog Group”, die sich für die Verbesserung der Patientensicherheit einsetzt, haben mehr als 140 Wirtschaftsorganisationen der USA (z.B. AT & T, Boeing, Caterpillar, Kellogg, Marriott und Microsoft) Standards zur personellen Ausstattung amerikanischer Intensivstationen erstellen lassen. Würden diese Standards eingehalten, so ließen sich nach Analysen der Gruppe mehr als 160000 Todesfälle auf den amerikanischen Intensivstationen verhindern [6].

Neben den angeführten Studien aus den USA zeigen auch europäische Untersuchungen aus Großbritannien vergleichbare Ergebnisse. Baldock et al. [1] untersuchten an einem Krankenhaus mittlerer Größe die Umwandlung einer „offenen” in eine „geschlossene” Intensivstation. In der „offenen” Organisationsform betreuten ein chirurgisches respektive internistisches Team und die auf der Intensivstation tätigen Assistenten die Patienten. Bei Bedarf konnten diese zwei für die Intensivstation zuständige Oberärzte/Fachärzte hinzuziehen.

In der „geschlossenen” Organisationsform dagegen waren zwei in der Intensivmedizin erfahrene Oberärzte/Fachärzte der Intensivstation zunächst nur tagsüber zugeordnet. Im weiteren Verlauf erfolgte die Führung der Intensivstation auch außerhalb der Regelarbeitszeit durch in der Intensivmedizin erfahrene Fachärzte. Dieser Wechsel der Organisationsform verringerte bei insgesamt 1103 Intensivpatienten die Krankenhausmortalität um 8 %. War ein weitergebildeter Intensivmediziner „rund um die Uhr” anwesend, verminderte dies in einer anderen Studie die Mortalität der Patienten einer pädiatrischen Intensivstation um etwa 40 %.

Somit bestehen bedeutsame Mortalitätsdifferenzen zwischen verschiedenen Intensiveinheiten, die nicht allein durch Patientencharakteristika - wie Diagnose, Begleiterkrankungen und Schweregrad der Erkrankung - und den medizinisch-technischen Fortschritt erklärt werden können, sondern auf die organisatorischen Unterschiede zwischen den einzelnen Intensivstationen (Qualifikation und Erfahrung des ärztlichen Personals) zurückzuführen sind [1] [7]. Organspezifisch fokussierte Intensiveinheiten werden demnach allenfalls in Einzelfällen den Bedürfnissen der wirklich kritisch kranken Patienten gerecht.

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Weiterbildung zum Intensivmediziner

Fachgesellschaften versuchen diesem Umstand Rechnung zu tragen, indem sie in ihren Weiterbildungsordnungen detaillierte intensivmedizinische Inhalte vorsehen und über die eigentliche Ausbildung zum Facharzt hinaus eine fakultative intensivmedizinische Ausbildung anbieten. In Zukunft wird es einen gebietsübergreifenden Bereich der Intensivmedizin mit Zugang für mehrere Fachgebiete geben. Die Basisanforderungen an die Qualifikation eines Arztes in der Intensivmedizin beim Erwachsenen und beim Kind wurden von der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) definiert. Diese Struktur entspricht auch den Empfehlungen der Europäischen Vereinigung der Fachärzte (UEMS) in Brüssel, die den Bereich Intensivmedizin ebenfalls interdisziplinär in allen an der Intensivmedizin beteiligten Fachrichtungen vorsieht. Erst nach einer umfangreichen und umfassenden Ausbildung soll ein Arzt berechtigt sein, eine Intensivstation verantwortlich zu führen.

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Der Anästhesist als Intensivmediziner

Die Weiterbildung zum Intensivmediziner befugt den Anästhesisten zur Behandlung intensivmedizinischer Krankheitsbilder in Zusammenarbeit mit dem das Grundleiden behandelnden Arzt. Damit hat der anästhesiologische Intensivmediziner die Befugnis zur interdisziplinären intensivmedizinischen Versorgung der Patienten aller operativen Fächer. Interdisziplinäre operative Intensiveinheiten sollten daher unter der Leitung eines anästhesiologischen Intensivmediziners stehen. Die Behandlung des Grundleidens bleibt allerdings Aufgabe der mitbehandelnden Disziplinen [10].

Die Intensivmedizin ist aber auch für die anästhesiologische Versorgung im OP essenziell. Insbesondere bei ausgedehnten und risikoreichen operativen Eingriffen tritt die Überwachung und Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen während der Operation gegenüber dem eigentlichen Anästhesieverfahren in den Vordergrund. Daher kann der Anästhesist, der über eingehende intensivmedizinische Kenntnisse verfügt, zur Verbesserung der intraoperativen medizinischen Versorgung beitragen [12].

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Ist Intensivmedizin effektiv?

Die zentrale Stellung der Intensivstationen in der Krankenhauswirtschaft unterstreichen auch die wirtschaftlichen Daten. In Deutschland gibt es momentan etwa 1400 Intensivstationen an Krankenhäusern, die jährliche Kosten von rund 5,5 Milliarden Euro verursachen. Dies sind rund 13 % des Gesamtbudgets in Höhe von rund 43 Milliarden Euro, das die Krankenkassen jährlich für die stationäre Krankenhausversorgung aufwenden.

Sämtliche ökonomischen Betrachtungen gehen von der Effektivität der Intensivmedizin aus. Neben einem optimierten Personal- und Sachmitteleinsatz ist es aus ökonomischer Sicht oberstes Gebot, die Liegezeit auf den teuren Intensivstationen durch Verbesserung der Behandlungsqualität weiter zu verringern.

Frisho-Lima et al. [4] waren aufgrund der Knappheit der Intensivbetten in Israel gezwungen, den Zugang zur Intensivmedizin zu rationieren. Alle Patienten erhielten die nahezu gleiche medikamentöse und apparative Therapie (wie etwa Intubation, Beatmung oder Infusionstherapie). Eine Betreuung durch Intensivmediziner erhielten jedoch nur die Patienten auf der Intensivstation.

Obwohl der Schweregrad der Erkrankung gleich war und daher ähnlich hohe Mortalitätsraten zu erwarten waren, betrug die Mortalitätsrate bei der Versorgung auf der Normalstation 49,2 gegenüber 11,3 % auf der Intensivstation. Auch andere Berichte aus Schwellenländern, wo schwerstkranke Patienten aufgrund der geringen Intensivbettenkapazität teilweise mit vergleichbar schlechten Ergebnissen auf normalen Bettenstationen versorgt werden mussten, stützen diese Ergebnisse.

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Qualitätssicherung in der Intensivmedizin

Die Qualitätssicherung ist ein integraler Bestandteil moderner Intensivmedizin, ihre Bedeutung wird in Zukunft noch zunehmen. Schließlich dienen die qualitätssichernden Maßnahmen nicht nur der Kostenreduktion, sondern vor allem den intensivmedizinisch behandelten Patienten, die von optimalen Therapiestrategien und verbesserten Strukturen profitieren.

Die vielerorts etablierten, teuren und in keiner Weise gesicherten Strategien - die möglicherweise sogar gefährlich sind - müssen aufgespürt und durch evidenzbasierte Therapiestrategien ersetzt werden. Hilfreich ist hierfür die Einführung von Standards oder Leitlinien. Sie ermöglichen es, unsinnige Therapiestrategien zu eliminieren und Fehler oder Komplikationen zu vermeiden. Mit der Einführung evidenzbasierter und standardisierter Strategien zur Vermeidung der beatmungsassoziierten Pneumonie ließen sich sowohl die Pneumonierate und als auch die Aufenthaltstage auf Intensivstationen reduzieren [15].

Aktuelle Erhebungen zeigen jedoch immer wieder, dass die evidenzbasierten Vorgaben solcher Standards in der klinischen Praxis nicht hinreichend berücksichtigt werden. Offensichtlich liegen die Probleme nicht in der Entwicklung, sondern in der täglichen klinischen Umsetzung. Eine der wesentlichen zukünftigen Aufgaben wird es sein, die Leitlinien an klinikinterne Strukturen zu adaptieren, in Form von „Standard Operating Procedures” (SOPs) zu konkretisieren sowie ihre Umsetzung und Akzeptanz zu überprüfen und gegebenenfalls auch die Gründe zu analysieren, die zu einem Scheitern führen. Die Einführung der erforderlichen Prozesse ist ausgesprochen zeit- und personalaufwändig und setzt darüber hinaus klare und nachvollziehbare Leitungsstrukturen voraus.

Der externe Vergleich der Ergebnisqualität (Benchmarking) ist eine Maßnahme zur Qualitätssicherung und wird in Zukunft eine wichtige Position einnehmen. Die kritische Evaluation der eigenen Ergebnisse, die Bereitschaft, sich mit anderen zu vergleichen und von anderen zu lernen, kann ein erfolgreicher Ansatz zur Qualitätsverbesserung sein.

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Intensivmedizinische Forschung

Die Klinische Wissenschaft in der Intensivmedizin ist in Deutschland im internationalen Vergleich wenig entwickelt (11). Die Forschung in der Intensivmedizin ist aber essenziell, um die medikamentöse und apparative intensivmedizinische Therapie und Diagnostik zu evaluieren und zu verbessern. Außerdem ist sie die Grundlage zur Entwicklung evidenzbasierter Therapiestrategien und ein wesentlicher Beitrag zur Qualitätsverbesserung der klinischen Versorgung von Intensivpatienten. Daher muss die Förderung der intensivmedizinischen Forschung ein vorrangiges Ziel sein.

Ein System, in dem die Intensivmedizin häufig von Fachärzten verantwortet wird, die keinen intensivmedizinischen wissenschaftlich Schwerpunkt haben und somit primär keine entsprechende Forschung betreiben, verbessert die intensivmedizinische Forschung nicht. Daher sollte eine Stärkung der interdisziplinären Intensivbereiche unter Leitung eines Intensivmediziners auch der intensivmedizinischen Forschung zugute kommen.

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Literatur

  • 1 Baldock G, Foley P, Brett S. The impact of organisational change on outcome in an intensive care unit in the United Kingdom.  Intensive Care Med. 2001;  27 865-872
  • 2 Brown JJ, Sullivan G. Effect on ICU mortality of a full-time critical care specialist.  Chest. 1989;  96 127-129
  • 3 Ferdinande P. Recommendations on minimal requirements for Intensive Care Departments. Members of the Task Force of the European Society of Intensive Care Medicine.  Intensive Care Med. 1997;  23 226-232
  • 4 Frisho-Lima P, Gurman G, Schapira A, Porath A. Rationing critical care - what happens to patients who are not admitted?.  Theor Surg. 1994;  9 208-211
  • 5 Karimi A, Dick W. Stellungnahmen, Empfehlungen zu Problemen der Intensiv- und Notfallmedizin. Köln: asmuth satz & druck 2000
  • 6 Milstein A, Galvin RS, Delbanco SF. et al. .Improving the safety of health care: the leapfrog initiative. Eff Clin Pract 2000: 313-316
  • 7 Pronovost PJ, Angus DC, Dorman T. et al. . Physician staffing patterns and clinical outcomes in critically ill patients: a systematic review.  JAMA. 2002;  288 2151-2162
  • 8 Pronovost PJ, Dang D, Dorman T. et al. . Intensive care unit nurse staffing and the risk for complications after abdominal aortic surgery.  Eff Clin Pract. 2001;  4 199-206
  • 9 Pronovost PJ, Miller MR, Dorman T. et al. . Developing and implementing measures of quality of care in the intensive care unit.  Curr Opin Crit Care. 2001;  7 297-303
  • 10 Radke J. Zur Organisation der Intensivmedizin in Deutschland.  Anästh Intensivmed. 2005;  46
  • 11 Shahla M, Verhaeghe V, Hedeshi AR. et al. . European participation in major intensive care journals.  Intensive Care Med. 1995;  21 7-10
  • 12 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. . Grundsätze zur Organisation der operativen Intensivmedizin.  Abzurufen unter www.dgai.de/06_1_00tabelle.htm .
  • 13 Tarnow-Mordi WO, Hau C, Warden A, and AJ Shearer. Hospital mortality in relation to staff workload: a 4-year study in an adult intensive-care unit.  Lancet. 2000;  356 185-189
  • 14 Wissenschaftlicher Arbeitskreis Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin unter Mitarbeit von: Bause H, Falke K, Fischer K, Forst H, Kuhlen R, Prien T, Putensen C, Quintel M, Schulte am Esch J. Intermediate Care: Entwicklung, Definition, Ausstattung, Möglichkeiten und Lösungen.  Anästhesie und Intensivmedizin 2002.  Abzurufen unter www.dgai.de/06_1_00tabelle.htm .
  • 15 Zack JE, Garrison T, Trovillion E. et al. . Effect of an education program aimed at reducing the occurrence of ventilator-associated pneumonia.  Crit Care Med. 2002;  30 2407-2412
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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Christian Putensen

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin

Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn

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Literatur

  • 1 Baldock G, Foley P, Brett S. The impact of organisational change on outcome in an intensive care unit in the United Kingdom.  Intensive Care Med. 2001;  27 865-872
  • 2 Brown JJ, Sullivan G. Effect on ICU mortality of a full-time critical care specialist.  Chest. 1989;  96 127-129
  • 3 Ferdinande P. Recommendations on minimal requirements for Intensive Care Departments. Members of the Task Force of the European Society of Intensive Care Medicine.  Intensive Care Med. 1997;  23 226-232
  • 4 Frisho-Lima P, Gurman G, Schapira A, Porath A. Rationing critical care - what happens to patients who are not admitted?.  Theor Surg. 1994;  9 208-211
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  • 12 Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin. . Grundsätze zur Organisation der operativen Intensivmedizin.  Abzurufen unter www.dgai.de/06_1_00tabelle.htm .
  • 13 Tarnow-Mordi WO, Hau C, Warden A, and AJ Shearer. Hospital mortality in relation to staff workload: a 4-year study in an adult intensive-care unit.  Lancet. 2000;  356 185-189
  • 14 Wissenschaftlicher Arbeitskreis Intensivmedizin der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin unter Mitarbeit von: Bause H, Falke K, Fischer K, Forst H, Kuhlen R, Prien T, Putensen C, Quintel M, Schulte am Esch J. Intermediate Care: Entwicklung, Definition, Ausstattung, Möglichkeiten und Lösungen.  Anästhesie und Intensivmedizin 2002.  Abzurufen unter www.dgai.de/06_1_00tabelle.htm .
  • 15 Zack JE, Garrison T, Trovillion E. et al. . Effect of an education program aimed at reducing the occurrence of ventilator-associated pneumonia.  Crit Care Med. 2002;  30 2407-2412
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Anschrift des Verfassers

Prof. Dr. Christian Putensen

Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin

Rheinische-Friedrich-Wilhelms-Universität Sigmund-Freud-Str. 25

53105 Bonn