Das National Institute of Mental Health (NIMH) hat am 22.09.2005 die ersten Ergebnisse
aus seinem „Clinical Antipsychotic Trials of Intervention Effectiveness” (CATIE) Projekt
bezüglich der Wirksamkeit und Verträglichkeit der atypischen Antipsychotika Olanzapin,
Risperidon, Quetiapin und Ziprasidon im doppelblinden, randomisierten Vergleich gegen
das konventionelle Neuroleptikum Perphenazin publiziert [9]. Dieses ist weltweit die erste Studie dieser Art, u.a. wegen ihrer Größe (n = 1432),
der Beobachtungsdauer (18 Monate) und der naturalistischen Bedingungen, die u.a. erlaubten,
auch Patienten mit Komorbidität einzubeziehen. Sie wurde mit dem Ziel durchgeführt,
die Vorteile in der alltäglichen Routineanwendung der modernen Antipsychotika gegenüber
einem konventionellen Neuroleptikum zu prüfen.
Hauptzielvariable war die Zeit bis zum Abbruch der Studie i.w. wegen Wirkungsmangel
oder Unverträglichkeit. Vorzeitiger Abbruch bedeutet dabei Beendigung der Behandlung
unter Doppelblindbedingungen und Weiterbehandlung mit einem Antipsychotikum. Sekundärvariablen
waren die spezifischen Absetzgründe sowie die mittels PANS (Positive and Negative
Symptoms Scale) und CGI (Clinical Global Impression) ermittelte Wirksamkeit. Perphenazin,
das in Deutschland nur 0,3 % der verordneten Tagesdosen der Neuroleptika ausmacht,
wurde als Referenz gewählt, da es mit einem geringeren Risiko extrapyramidalmotorischer
Nebenwirkungen verbunden zu sein schien als das am häufigsten verordnete und in den
meisten Studien als Referenz eingesetzte Haloperidol. Clozapin blieb unberücksichtigt,
da seine überlegene Wirksamkeit hinreichend belegt sei, Aripiprazol konnte nicht einbezogen
werden, da zur Zeit des Studienbeginns noch nicht zugelassen.
Die Raten und die Zeiten bis zum Abbruch der Behandlung unter doppelblinden Bedingungen
unterschieden sich zwischen den vier atypischen Neuroleptika und Perphenazin nicht
signifikant. Olanzapin (64 %) war Quetiapin (82 %) und Risperidon (64 %) signifikant
überlegen (Ziprasidon 79 %, Perphenazin 75 %). Jedoch nahmen unter Olanzapin 30 %
der Patienten mehr als 7 % Gewicht zu mit Erhöhungen von HbA1C, Cholesterin und Triglyzeriden.
Nominal brachen wegen extrapyramidalmotorischer Nebenwirkungen mehr Patienten Perphenazin
(8 %) ab als die atypischen Neuroleptika (< 4 %).
Die vier atypischen Neuroleptika wiesen also gegenüber dem Perphenazin nur marginale
Vorteile auf, am deutlichsten Olanzapin. Diese Ergebnisse können zu der Schlussfolgerung
Anlass geben, den deutlich höheren (ca. 10-fach) Tagesbehandlungskosten der vier atypischen
Neuroleptika stehe kein entsprechender Zusatznutzen gegenüber. Hier ist aber Vorsicht
angezeigt. Die Autoren wie auch das Editorial enthalten sich mit Bedacht einer solchen
Schlussfolgerung.
Methodisch ist ein bedeutsamer Mangel, dass Patienten mit vorbestehender tardiver
Dyskinesie selektiv nur von der Behandlung mit Perphenazin ausgeschlossen wurden [12]. Im Vergleich von geplanter zu tatsächlicher Rekrutierung darf geschätzt werden,
dass dies rund 80 Patienten (also 25 % der geplanten) betraf. Inzidenz und Prävalenz
von tardiver Dyskinesie und akuten extrapyramidalmotorischen Nebenwirkungen hängen
eng zusammen, letztere sind - neben anderen Risikofaktoren - Prädiktoren für tardive
Dyskinesie (Barnes & McPhillips 1998). Damit bedeutet das Ausschlusskriterium nur
im Perphenazin-Arm von CATIE potentiell eine erhebliche Verfälschung der Befunde zur
extrapyramidalmotorischen Verträglichkeit zugunsten von Perphenazin, indem zu postulieren
ist, dass in den vier anderen Studienarmen Patienten mit Risiko für extrapyramidalmotorische
Nebenwirkungen mit 25 % überrepräsentiert waren.
Die Vorteile wie auch die Nachteile unter Olanzapin können damit zusammen hängen,
dass CATIE (nur) für Olanzapin eine Dosierung (maximal 30 mg/Tag) oberhalb der zugelassenen
Höchstdosis (20 mg) erlaubte, so dass die tatsächliche Dosis mit im Mittel 20 mg/Tag
relativ zu den anderen geprüften Neuroleptika hoch lag.
Die Raten des Abbruchs der Behandlung unter doppelblinden Bedingungen sind auf den
ersten Blick erschreckend hoch. Hier gilt es zu berücksichtigen: a) Es wurden keine
gezielten Maßnahmen wie Psychoedukation [11] ergriffen, um die Halterate zu erhöhen. Weiden & Olfson [13] ermittelten für Haloperidol und Fluphenazin in der Routineanwendung eine mittlere
Abbruchrate (Noncompliance) von 7,6 % pro Monat. b) Lieberman et al. [9] konzedieren selbst, dass der Kontext einer verblindeten Studie die Abbruchrate erhöht
haben könnte. c) Die Studie setzt Patienten voraus, die bereit sind, ihre bisherige
Behandlung abzubrechen, um an einer Doppelblindstudie mit vermutlich anderer als ihrer
bisherigen Medikation teilzunehmen; diese Voraussetzung ist in einer repräsentativen
Stichprobe von Patienten mit langfristiger Antipsychotikatherapie nicht erreichbar;
die Bereitschaft zur Studienteilnahme dürfte mit einem eher ungünstigen Verlauf und
geringerem Therapieansprechen verbunden sein, der auch in der Studie durch erhöhte
Abbruchraten in Erscheinung tritt.
Therapieziel bei der langfristigen, ambulanten Anwendung von Antipsychotika unter
naturalistischen Bedingungen ist nicht die Haltequote, die in der Studie das Hauptkriterium
darstellt. Unter naturalistischen Bedingungen geht es vielmehr primär um die Besserung
der Fähigkeit zur Nutzung der Lebenschancen im Berufs- und Privatleben, um die Steigerung
von Lebensqualität und Lebenszufriedenheit. Dieses primäre, praktische Therapieziel
ist in der „Abbruchrate” in einer Doppelblindstudie nicht abgebildet. Diese praktisch
besonders bedeutsamen Parameter wurden nicht gemessen, ebenso wenig wie die hierzu
beitragende kognitive Leistungsfähigkeit und Medikamentenpräferenz der therapieerfahrenen
Patienten. Diese primär naturalistischen Therapieziele werden meist durch eine Umstellung
der Antipsychotika auch gar nicht gefährdet. So ist die Aussagekraft dieser als „naturalistisch”
geplanten Studie durch die mangelnde Praxisrelevanz des Hauptzielkriteriums erheblich
eingeengt. Keinesfalls kann das berichtete Hauptergebnis der Studie Grundlage gesundheitspolitischer
Entscheidungen werden.
Die bisher verfügbaren Evidenzen sprechen für eine höhere Effektivität von Atypika
im Hinblick auf alltagsrelevante Funktionen: Keefe et al. [7] fanden in ihrer Meta-Analyse von 15 Studien - nur 5 davon verblindet - Evidenz für
eine überlegene Besserung kognitiver Funktionen unter atypischen Neuroleptika. Miyamoto
et al. [10] beschreiben in ihrem qualitativen Review für spezifische kognitive Funktionen (z.B.
verbale Flüssigkeit, Feinmotorik) eine Überlegenheit atypischer Neuroleptika bei allerdings
weiterem Forschungsbedarf. Awad & Voruganti [2] sehen in ihrem qualitativen Review trotz methodischer Schwächen der Studien und
ihrer begrenzten Anzahl (überwiegend bezüglich Risperidon, Olanzapin and Clozapin)
einen „deutlichen Trend in Richtung günstigerer Wirkungen der Antipsychotika der zweiten
Generation auf die Lebensqualität”. Lambert & Naber [8] sehen erhebliche Evidenzen für größere Lebensqualität und subjektives Wohlbefinden
unter atypischen als unter konventionellen Neuroleptika.
Was bedeutet das für die Praxis?
Hier kann nur den Autoren und dem Editorial von Freedman gefolgt werden: Das Neuroleptikum
ist nach Verträglichkeit und Präferenzen des Patienten den individuellen Bedingungen
angepasst auszuwählen. CATIE hat keine differentielle, individualisierte Indikation
erlauben können, sondern randomisiert. Der mehr als doppelt so hohe Anteil atypischer
Neuroleptika an den Gesamtverordnungen der Neuroleptika in den USA wie in Deutschland
(2003: atypische 31 %; 4) legt nahe, dass die Indikation in Deutschland ohnehin differenzierter
gestellt wird. Eine bedeutsame Rolle spielt dabei auch das Risiko tardiver Dyskinesien,
das unter konventionellen Neuroleptika - und in CATIE auch unter Perphenazin - höher
als unter atypischen Neuroleptika ist [5]
[6]. Die jährliche Inzidenz wird für typische Neuroleptika auf ca. 5 % gegenüber ca.
1 % für atypische geschätzt [6]. Adams et al. [1] fanden keine Hinweise, dass sich die verschiedenen typischen Neuroleptika (u.a.
Perphenazin und Haloperidol) in ihrem Risiko unterscheiden. Die Ergebnisse von CATIE
können wegen des möglichen, oben beschriebenen Selektionsartefaktes zugunsten Perphenazin
nicht widerlegen, dass die atypischen Neuroleptika eine bessere extrapyramidalmotorische
Verträglichkeit und ein geringeres Risiko der Entwicklung tardiver Dyskinesien aufweisen.
Das ist klinisch relevant. Hierüber ist der einzelne Patient aufzuklären. Hieran wird
der aufgeklärte Patient seine Präferenz orientieren.
Vor diesem Hintergrund gibt CATIE keinen Anlass, die Priorisierung atypischer Neuroleptika
in den Leitlinien (z.B. der World Federation of Societies of Biological Psychiatry,
WFSBP, und der DGPPN) zu modifizieren.
Insgesamt ist unverkennbar, dass es weiterer Forschung bedarf, insbesondere auf der
Suche nach noch besseren Antipsychotika.