psychoneuro 2005; 31(10): 494
DOI: 10.1055/s-2005-922505
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Buchbesprechung - Psychotherapeuten über sich und ihren "unmöglichen" Beruf

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Publication Date:
17 January 2006 (online)

 
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    Kernberg, Otto F.; Dulz, Birger; Eckert, Jochen (Hrsg.): WIR: Psychotherapeuten über sich und ihren "unmöglichen" Beruf: Schattauer-Verlag, 2005. 632 Seiten, 68 Abb., 9 Tab., geb., 59,- €. ISBN: 3-7945-2293-1

    Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob es hier um ein "Who is who" in Psychotherapie ginge. Einerseits fehlen aber einige Psychotherapeuten von Rang und Namen, andererseits sind einige Autoren wohl auch entbehrlich. Auf jeden Fall sind es 64 prominente Psychotherapeuten aus Deutschland, der Schweiz, Österreich und USA, die dieses Buch in die Welt gesetzt haben.

    Alle Psychotherapeuten scheinen der Meinung zu sein, dass es sich bei ihrer Tätigkeit um einen ganz besonders schweren, anstrengenden und hochintellektuellen Beruf handelt, der Spuren hinterlassen muss.

    Als kritischer Leser fragt man sich natürlich, ob das stimmt. Psychotherapeuten haben offenbar viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, wozu beispielsweise klinische Chirurgen, Anästhesisten, Onkologen und alle Ärzte, die im Nachtdienst eingesetzt werden, ständig Überstunden ableisten müssen, ohne dafür bezahlt zu werden, gar nicht die nötige Zeit aufbringen. Dieses Burn out, das viele Psychoberufe für sich in Anspruch nehmen, hängt offensichtlich damit zusammen, dass eben Psychiater oder Psychoberufe von vornherein mit einem schwächlichen Nervenkostüm ausgestattet sind. In dem ausgezeichneten Artikel von A. von Sydow wird das im übrigen auch festgestellt: "Alles in allem ist es wahrscheinlich, dass Psychotherapeuten zwar nicht alle "verrückt", aber doch leicht überdurchschnittlich häufig psychisch labil sind (S. 140)". Sie hat sicher recht, man sollte sich bei der Beschreibung der eigenen Probleme und Schwierigkeiten im Beruf zurückhaltender äußern und u.U. an die Kollegen denken, die als Onkologe oder Unfallchirurg täglich mit schwersten ärztlichen und menschlichen Problemen zu tun haben.

    Es setzt aber das Buch insgesamt keineswegs herab.

    Gelegentlich wird man aber als Psychiater doch etwas irritiert. Kernberg beschreibt relativ ausführlich die Behandlung einer schizophrenen Patientin zwischen 1959 und 1960, bei der es sich um eine 19-jährige hoch akute Schizophrene handelt, der es offensichtlich langsam nur in vielen Stunden möglich war, psychotherapeutisch zu helfen. Da fragt man sich, wie es möglich ist, einer so schwer kranken Patientin mit so vielen Stunden erst nur langsam zu helfen, wo doch jeder, der mit psychotischen Kranken ständig zu tun hat, weiß, wie schnell eine psychopharmakologische Intervention helfen kann und nötig ist.

    Ein kurzes Stück weiter schreibt ein Mitherausgeber, dass der Verlust eines Patienten durch Suizid bei Psychotherapeuten einen ganz anderen Stellenwert einnehmen soll, als der Tod eines Patienten an einem Pankreaskarzinom für einen Internisten. Der Autor meint, dass es ein besonderes Problem ist, dass Psychotherapeuten "Aufgaben angenommen haben, die die Gesellschaft wegen ihrer Unerträglichkeit an uns delegiert hat ...".

    Hier kann der Psychiater als Leser nicht so recht folgen, weil Suizide nicht nur das Hauptproblem bei Psychotherapeuten sind, sondern in allen medizinischen Disziplinen als belastend empfunden werden, besonders aber bei Psychiatern, die häufiger damit konfrontiert werden als Psychotherapeuten.

    Im übrigen ist das Buch interessant, aufschlussreich, aber unterschiedlicher Qualität. Für Kenner der Szene hoch interessant, für heranwachsende Psychotherapeuten ebenfalls.

    Prof. F. Reimer, Weinsberg

     
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