Hartmut Radebold: Die dunklen Schatten unserer Vergangenheit. Klett-Cotta Stuttgart
2005, New York 2005. ISBN 3-608-94162-2, 19,50 €
Der Autor, ein sehr erfahrener und bekannter Psychoanalytiker, schreibt in dem vorliegenden
Buch, dass "als Folge des im Zweiten Weltkrieges und in der direkten Nachkriegszeit
erlebten Leides in weit größerem Umfang als bisher angenommen bis heute anhaltende
psychische und psychosoziale, individuelle wie auch familiäre Probleme ..." auftreten
können.
Das kann sein, vieles spricht allerdings dagegen. Der Autor selber ist der Meinung,
dass die aktuellen aber insgesamt spärlichen Forschungsarbeiten noch keine repräsentative
und statistisch relevanten Aussagen ... zulassen. Er bezieht das allerdings auf die
einzelnen Jahrgänge, also geboren zwischen 1925 und 1935, die in dieser Zeit litten
und Traumata verarbeiten mussten.
Der Autor schreibt an anderer Stelle, dass nicht jede traumatische Situation auf alle
Menschen gleich wirkt und es darf nicht vergessen werden, dass Stutte seinerzeit bei
einer sehr umfangreichen und relativ gründlichen Untersuchung an Kindern und Jugendlichen
das Ausbleiben abnormer Reaktionen in und nach dem Krieg weder den mütterlichen Schutz,
noch das kindliche Privileg vergessen zu können, dafür in Anspruch nahm, sondern er
verwies auf die Prägewirkung der NS-Ideologie auf die Kinder und Jugendlichen, die
einen stabilisierenden Faktor darstellte.
Ganz gleich, wie man zu dieser Frage steht, jedenfalls muss vorläufig offen bleiben,
ob es sich bei der Wiedererinnerung und Wiederbelebung der Vergangenheit um eine notwendige
psychohygienische Maßnahme handelt, oder ob unnötigerweise Erinnerungen hochgespielt
und dann "behandelt" werden. Die Tatsache, dass sich die 68er, (Rudi Dutschke geboren
1940, Rainer Langhans, geboren 1940, beide am Kriegsende 5 Jahre alt) über ihre Kriegserfahrung
austauschten (Seite 59), ohne Belastung an sich zu entdecken und wahrzunehmen, hilft
generell nicht weiter.
Diese Einschränkungen setzen das Buch keineswegs herab. Der Autor, mit einer sehr
einprägsamen und flüssigen Sprache begabt, zeigt unabhängig von den Theorien und fraglichen
Vergangenheitsbelastungen in seiner Arbeit mit Senioren, wie man auf die Probleme
der Alten eingeht und therapeutische Maßnahmen ergreift. Diese sind allgemeingültig
und in besonderem Maße lesenswert. Es ist richtig, wie es im Klappentext heißt, dass
man mit Hilfe dieses Buches leichter Hilfe leisten, Entlastung geben und eine erneute
Stabilität bewirken kann.
Das Buch verdient es, in der Gerontopsychiatrie und Gerontologie einen wichtigen Platz
einzunehmen.