Aktuelle Urol 2005; 36(6): 474-475
DOI: 10.1055/s-2005-922531
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Harnwegsinfektionen - Immuntherapie hilft Frauen

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
25. November 2005 (online)

 
Inhaltsübersicht

Vorbeugende Maßnahmen sind bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen, die Frauen aller Altersklassen häufiger betreffen als Männer, erforderlich. Eine präventive Behandlung stellt eine deutsche Studie in Form der Immuntherapie mit dem Escherichia coli-Extrakt OM-89 vor.

Das immuntherapeutische Agens OM-89 ist ein lyophylisiertes Extrakt ausgewählter Escherichia coli-Stämme. Es ist als Kapsel mit 6 mg Wirksubstanz erhältlich. Vorangegangene Studien mit einem Beobachtungszeitraum von bis zu 6 Monaten konnten für OM-89 bereits eine Reduzierung rezidivierender Harnwegsinfekte nachweisen. In ihrer multinationale, doppel-blinden randomerisierten Studie untersuchen H. W. Bauer et al. die Effektivität des Immuntherapeutikums OM-89 im Vergleich zu einem Plazebo über einen Zeitraum von einem Jahr (European Urology, 2005; 47: 542 - 548).

454 Patientinnen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren mit rezidivierenden Harnwegsinfekten wurden in die Studienpopulation aufgenommen. Sie erhielten in den Monaten 1 - 3 eine Kapsel OM-89 bzw. ein Plazebo, keine Behandlung in den Monaten 4-6, eine Kapsel täglich in den ersten 10 Tagen der Monate 7 - 9 und keine Behandlung in den Monaten 10- 12. Im Rahmen von 6 Untersuchungen, zu Beginn der Studie, 4 Kontrolluntersuchungen an den Tagen 30, 90, 180 und 270 und einer Abschlussuntersuchung am Tag 360 wurden Wirksamkeit und Sicherheit der Behandlung beurteilt.

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Weniger Harnwegsinfekte und Arztbesuche

In der Gruppe der immuntherapierten Patientinnen ergaben sich unter der Behandlung im Vergleich zur Plazebogruppe signifikant weniger Harnwegsinfektionen und Arztbesuche (0,84 vs. 1,28; p=0,0026), was einer Reduktion der Harnwegsinfektionen für immuntherapierte Patientinnen von 34% entspricht. Insgesamt hatten 93 Patientinnen (40,3%) aus der Immuntherapie-Gruppe 185 Harnwegsinfekte während der Behandlung im Vergleich zu 276 Harnwegsinfekten bei 122 Patientinnen aus der Plazebogruppe (55%). Das Präparat wurde im Allgemeinen gut vertragen. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen und Magen-Darm-Probleme.

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Frauen aller Altersklassen sind sehr häufig von rezidivierenden Harnwegsinfektionen betroffen (Bild: Archiv, nachgestellte Situation).

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Fazit

Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass OM-89 ein wirksames und gut verträgliches Präparat zur Vorbeugung rezidivierender Harnwegsinfektionen bei Frauen ist. Als besonders effektiv stellte sich der 10-tägige Boost in der 1-Jahres-Behandlung heraus. Die Autoren schlagen deshalb eine Weiterbehandlung für ein Jahr nach diesem Protokoll für Frauen mit Rückfällen vor.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Erster Kommentar

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K. G. Naber

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Direkte Vergleichsstudien sind dringend erforderlich

Eine prospektive Studie in USA an Studentinnen bzw. sonstigen Frauen in der Prämenopause ergab, dass die Inzidenz von Harnwegsinfektionen (HWI) bei 0,7 bzw. 0,5 pro Personenjahr liegt (Hooton et al. 1996). Etwa 20-30% der Frauen, die einmal eine HWI hatten, erfahren ein Rezidiv (Sanford 1975). Im Durchschnitt haben diese Frauen während einer Infektperiode 6,1 Tage Beschwerden, davon 2,4 Tage mit erheblichen körperlichen Einschränkungen, davon 1,2 Tage so schwer, dass sie ihrem Studium bzw. ihrer Arbeit nicht nachgehen können und davon müssen sie sogar 0,4 Tage im Bett zubringen (Foxman et al. 1985).

Rezidivierende HWI stellen somit bei Frauen ein wichtiges Gesundheitsproblem dar, das aufgrund der großen Anzahl Betroffener auch eine erhebliche ökonomische Bedeutung hat. Deshalb ist es für die einzelne Patientin, aber auch für die Volksgesundheit, wichtig, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, Rezidive zu verhindern oder wenigstens ihre Rate deutlich herabzusetzen. Bei Frauen in der Prämenopause mit rezidivierenden HWI werden heute außer allgemeinen Verhaltensmaßnahmen (Wahl der Kontrazeption, ausreichende Flüssigkeitszufuhr etc.) folgende Prophylaxeregime empfohlen:

  • Niedrig dosierte Antibiotikaprophylaxe entweder als Dauertherapie oder nach dem Geschlechtsverkehr.

  • Immunstimulation mit Bakterienextrakten entweder als orale (Urovaxom®) oder parenterale (Strovac®) Prophylaxe.

  • Alternative Regime wie Preiselbeersaft/-extrakt, Urinansäuerung, Probiotika (z.B. Laktobazillen), etc.

Für die niedrig dosierte Antibiotikaprophylaxe werden meistens ältere, relativ preiswerte Substanzen, wie z.B. Nitrofurantoin, Trimethoprim oder Cotrimoxazol, verwendet. Viele Frauen lehnen aber Antibiotika aus verschiedenen, meist nicht rationalen Gründen ab und bevorzugen alternative Prophylaxeregime. Im Zeitalter der Evidenz-basierten Medizin (EBM) ist es deshalb sehr zu begrüßen, dass jetzt eine statistisch aussagefähige, prospektiv randomisierte, multizentrische Studie vorliegt, in der OM-89 (Urovaxom®) gegen Plazebo bei diesem Patientenklientel durchgeführt wurde (Bauer et al. 2005). In der Gruppe der immuntherapierten Patientinnen erlitten im Vergleich zur Plazebo-Gruppe signifikant weniger Patientinnen ein Rezidiv. Im Vergleich zu Plazebo entsprach dies einer Reduktion von 34%. Daraus folgt, dass diese Art der Prophylaxe zweifelsohne wirksam ist. Ob es sich dabei um eine spezifische oder unspezifische Immunstimulation handelt, wird heftig diskutiert, ist aber für die klinische Anwendung zunächst ohne Belang.

Für Patientinnen und Ärzte sind vielmehr Wirksamkeit, Verträglichkeit und Kosten die entscheidenden Parameter. Will man aber die Prophylaxe mittels Immunstimulation mit der Antibiotikaprophylaxe vergleichen, so muss man leider feststellen, dass es keine direkten Vergleichsstudien gibt. Außerdem liegen für die Antibiotikaprophylaxe nur ältere Plazebo-kontrollierte Studien mit relativ kleinen Patientenzahlen vor. Eine Metaanalyse von 11 solchen Studien (Albert et al. 2004) ergab allerdings, dass unter der Antibiotikaprophylaxe nur 24 von 195 (12,3%) und unter Plazebo 116 von 177 (65,5%) Patientinnen ein Rezidiv erlitten. Dies entspricht einer Reduktion gegenüber Plazebo von 81%.

Natürlich kann man die Ergebnisse einer Metaanalyse mit historischen Studien nicht mit einer modernen, gut geplanten und gut durchgeführten Studie ohne Weiteres vergleichen. Die Zahlen sprechen aber dafür, dass direkte Vergleichsstudien zwischen Immunstimulation und Antibiotikaprophylaxe dringend erforderlich sind, wenn man den klinischen Stellenwert dieser beiden Prophylaxearten bestimmen möchte. Nur wer soll eine solche Studie initiieren und wer soll sie finanzieren? Die Hersteller sind aus offensichtlichen Gründen nicht daran interessiert, nachdem für die Generika die Patente abgelaufen sind und für die Immunstimulation jetzt die Wirksamkeit nachgewiesen wurde. Die Krankenversicherer und erst recht die für die Volksgesundheit politisch Verantwortlichen müssten eigentlich an solch einer pharmako-ökonomischen Studie interessiert sein. Leider Fehlanzeige, obwohl der urologische Arbeitskreis "Infektiologie" mehrfach eine solche Studie vorgeschlagen hat. Die Prüfkriterien sind sehr einfach: es geht um Wirksamkeit, Verträglichkeit und Kosten.

Prof. Dr. Kurt G. Naber, Straubing

 
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Frauen aller Altersklassen sind sehr häufig von rezidivierenden Harnwegsinfektionen betroffen (Bild: Archiv, nachgestellte Situation).

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K. G. Naber