psychoneuro 2005; 31(11): 569-575
DOI: 10.1055/s-2005-923371
Schwerpunkt

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Medikamentöse Therapie der ADHS im Erwachsenenalter

Pharmacological therapy in ADHD of adulthoodJohanna Krause1 , Götz-Erik Trott2 , Klaus-Henning Krause3
  • 1Psychiatrisch-Psychotherapeutische Praxis, Ottobrunn
  • 2Kinder- und Jugendpsychiatrische Praxis, Aschaffenburg
  • 3Friedrich-Baur-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München
Further Information
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Korrespondenzadresse:

Dr. J. Krause

Schillerstraße 11a

85521 Ottobrunn

Email: drjkrause@yahoo.com

Publication History

Publication Date:
25 November 2005 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Medikamentöse Therapie der ersten Wahl bei Erwachsenen mit ADHS ist die orale Gabe von Stimulanzien, in erster Linie Methylphenidat. Diese Medikation hat sich über viele Jahre bewährt und ist als ausgesprochen nebenwirkungsarm anzusehen. Die Titrierung muss langsam einschleichend individuell erfolgen, Dosierungen über 40 mg sind nur selten erforderlich. In den letzten Jahren stehen neu entwickelte Retardpräparationen zur Verfügung, die eine tägliche Einmalgabe ermöglichen. Etwa ein Drittel der Patienten spricht nicht ausreichend auf Methylphenidat an; in diesen Fällen ist die Gabe von Amphetamin oder dual wirksamen Antidepressiva sinnvoll. Der spezifische Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin beeinflusst im Frontalhirn nicht nur die Noradrenalin-, sondern auch die Dopamin-Konzentrationen. Häufig ist bei Erwachsenen mit ADHS, die vielfach unter komorbiden psychiatrischen Störungen leiden, eine medikamentöse Kombinationstherapie angezeigt.

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Summary

Treatment with stimulants is the pharmaceutical therapy of first choice in ADHD of adulthood. Methylphenidate is mainly used. This medication is established over a lot of years and no severe side effects are seen. The titration has to take place individually slowly; the effective daily dose seldom exceeds 40 mg. Extended release formulations of stimulants were developed in the last years, they are effective with an intake of only one dose daily. One third of the patients do not respond to a medication with methylphenidate, these patients may profit from a change to treatment with amphetamines or dual active antidepressants. The norepinephrine reuptake inhibitor atomoxetine influences not only norepinephrine but also dopamine concentration. Comorbidities are often occurring in adults with ADHD, therefore a combined treatment of stimulants with other substances regarding the comorbid disorder is useful.

Wird eine ADHS bei einem Erwachsenen diagnostiziert, bedingt dies noch nicht notwendigerweise eine medikamentöse Behandlung. Die Entscheidung für eine Behandlung bzw. die Wahl einer spezifischen Therapie ist abhängig vom Ausprägungsgrad der psychischen und sozialen Beeinträchtigungen im Rahmen der Erkrankung. Eine Pharmakotherapie sollte dann begonnen werden, wenn in einem Lebensbereich ausgeprägte Störungen oder in mehreren Lebensbereichen deutliche Beeinträchtigungen bestehen, die eindeutig auf die ADHS zurückgeführt werden können und die mit psychotherapeutischen Maßnahmen allein nicht ausreichend behandelbar sind [Abb. 1].

Im Erwachsenenalter ist die Behandlung mit Stimulanzien wie bei Kindern und Jugendlichen Therapie der ersten Wahl. Die Auswahl des geeigneten Mittels ist aber bei Erwachsenen schwieriger und die Einstellung auf eine individuell erforderliche Dosis problematischer, weil die Wirkung größeren Einflüssen, z.B. durch Hormone, unterliegt. Nach unseren Erfahrungen besteht keine feste Relation zwischen Körpergewicht und Dosis, so dass keine auf das Körpergewicht bezogenen Dosierungsempfehlungen für Erwachsene gegeben werden können. Nach Markowitz et al. [16] erfolgt aufgrund der erheblichen interindividuellen Unterschiede die Titration nicht nach Gewicht, sondern nach dem therapeutischen Ansprechen. Das Ansprechen auf die Therapie ist bei den Erwachsenen überwiegend nicht so dramatisch wie im Kindesalter, in vielen Fällen zeigt sich nach unserer Erfahrung der Erfolg der medikamentösen Therapie, beispielsweise in einer Verbesserung der kognitiven Funktionen und der Selbstorganisation, erst über einen Zeitraum bis zu drei Monaten. Bei Erwachsenen wurden teilweise bereits bei niedrigen Dosen ausgezeichnete klinische Effekte beschrieben [9]. Wesentlich erscheint in diesem Zusammenhang, dass bei SPECT-Studien mit TRODAT-1 die initial erhöhte Dopamintransporter-Dichte bei Erwachsenen mit ADHS bereits unter einer Dosis von dreimal 5 mg Methylphenidat pro Tag unter das Niveau eines Kontrollkollektivs absank [12]. Ein Grund dafür, dass bei Erwachsenen im Vergleich zu Kindern niedrigere Dosismengen bezogen auf das Körpergewicht gute therapeutische Effekte haben, könnte die deutliche Abnahme der Dopamintransporter-Dichte (DAT) im Striatum im Lauf des Lebens sein [27]. Es ist davon auszugehen, dass ein 10-Jähriger eine fast doppelt so hohe DAT-Dichte wie ein 50-Jähriger aufweist [13].

Die Stimulanzienbehandlung mit Methylphenidat hat gemäß den deutschen Leitlinien die Evidenzstufe 1 B mit dem Empfehlungsgrad A (nach den Kriterien der Arbeitsgemeinschaft der medizinisch-wissenschaftlichen Fachgesellschaften AWMF) [4]. Bisher zur Wirkung von Methylphenidat und Amphetamin bei Erwachsenen mit ADHS durchgeführte Doppelblindstudien sind in [Tabelle 1] aufgeführt. Inzwischen bestätigte eine Metaanalyse zur Behandlung erwachsener ADHS-Patienten mit Methylphenidat eindeutig den positiven Effekt dieser Therapie [6]. Die Verschreibung von Methylphenidat unterliegt den Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG).

Die Einnahme von unretardiertem Methylphenidat (Equasym®, Medikinet®, Methylphenidat Hexal®, Ritalin®) muss aufgrund der kurzen Wirkdauer von 2,5-4 Stunden mehrfach am Tag erfolgen (in der Regel morgens, mittags und bei Bedarf auch am frühen Nachmittag). Einheitliche Dosierungsempfehlungen für das Erwachsenenalter können wegen individuell sehr unterschiedlichen Ansprechens nicht gegeben werden; in der Praxis bewährt es sich, mit 5 mg Methylphenidat zu beginnen und entsprechend klinischem Ansprechen und Nebenwirkungen die Dosis im Abstand von jeweils vier Tagen um 5 mg pro Tag bis zu einer optimalen Tagesdosis zu erhöhen, die unserer Erfahrung nach 40 mg täglich selten überschreitet.

Nebenwirkungen werden überwiegend als leicht berichtet. Beschrieben sind Appetitminderung, Schlafstörung, Sedation, Agitation, gelegentlich Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Dysphorie und leichte Erhöhung von Blutdruck und Herzfrequenz, die sich erfahrungsgemäß bei Langzeitbehandlung bessern oder verlieren. Beim Vorliegen eines Engwinkelglaukoms sollten Stimulanzien nur unter regelmäßiger ophthalmologischer Kontrolle und in möglichst niedriger Dosierung angewendet werden, da aufgrund des - wenn auch schwachen - sympathomimetischen Effektes ein Glaukomanfall ausgelöst werden könnte. Bei Kindern wurden bei Absinken des Methylphenidat-Spiegels öfters Rebound-Phänomene mit vermehrter Irritabilität und Unruhe gesehen. Auch Erwachsene berichten von im Tagesverlauf deutlich zu spürenden Schwankungen des Konzentrationsvermögens und einer Zunahme depressiver Verstimmung bei nachlassender Wirkung. Eine Toleranzentwicklung spielt nach unserer Erfahrung bei der Behandlung von Erwachsenen nur in Einzelfällen eine Rolle. Bei solchen Patienten hat sich nach unserer Erfahrung der Wechsel der Medikation zwischen Methylphenidat und Amphetamin in Abständen von drei bis vier Monaten bewährt.

Das mögliche Missbrauchs- oder Abhängigkeitspotenzial von Methylphenidat wurde immer wieder diskutiert (s. hierzu die Arbeit von Ohlmeier et al. in diesem Heft); bei korrekter Indikationsstellung und sachgerechter Anwendung scheint kein erhöhtes Missbrauchs- oder Abhängigkeitsrisiko zu bestehen [29]. Bei komorbider Suchterkrankung wird eher zum Einsatz von Pharmaka vom Nicht-Stimulanzien-Typ geraten.

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Neue Therapieoptionen

Inzwischen ist in Deutschland auch retardiertes Methylphenidat (Concerta®) für die Therapie der ADHS bei Kindern zugelassen, das eine Wirkdauer von etwa zwölf Stunden aufweist; Medikinet retard®, in Deutschland seit 2004 auf dem Markt, hat eine Wirkdauer von zirka acht Stunden.

Das mittels OROS („osmotic controlled release oral delivery system”)-Technik hergestellte Concerta® ist eine Kapsel, die außen mit 22 % der Gesamtdosis der Kapsel mit kurz wirksamem Methylphenidat überzogen ist. Wenn der Überzug sich aufgelöst hat, diffundiert Wasser durch die semipermeable Kapselwand und führt aufgrund des steigenden osmotischen Drucks über ca. zehn Stunden zur allmählichen Ausschwemmung der restlichen 78 % Methylphenidat aus mehreren Kompartimenten durch ein mittels Laser gebohrtes Loch in der Kapselwand. Die Gesamtmenge an Methylphenidat beträgt 18 mg, 36 mg oder 54 mg in den derzeit in Deutschland erhältlichen Kapseln. Bei Erwachsenen entspricht hinsichtlich der Bioverfügbarkeit des Wirkstoffs die Einmalgabe von Concerta® 18 mg in etwa der Gabe von dreimal 5 mg Methylphenidat. In der Untersuchung von Modi et al. [19] an 36 erwachsenen Probanden zeigte sich weiterhin, dass der dreigipflige Verlauf, wie er unter Einnahme von dreimal 5 mg Methylphenidat zu beobachten ist, bei Gabe von Concerta® nicht zu verzeichnen ist.

Bei einem anderen in Deutschland noch nicht erhältlichen Methylphenidat-Langzeitpräparat, Ritalin LA®, werden zwei verschiedene Mikropellets eingesetzt, solche mit sofortiger und solche mit verzögerter Wirkstofffreisetzung. Die Verabreichung einer einzigen Tagesdosis von Ritalin LA® führt zu einem raschen initialen Peak und einem weiteren Peak nach ca. sechs Stunden. Diese Präparate haben also eine unterschiedliche Pharmakokinetik mit zweigipfligem Verlauf bei Ritalin LA®, das zwei Einmalgaben von nicht retardiertem Methylphenidat imitiert, und eingipfligen Verlauf bei Concerta®; ebenfalls einen mehr eingipfligen Verlauf zeigt Medikinet retard®. Wegen der unterschiedlichen Bedürfnisse der Patienten in Bezug auf die Wirksamkeit durch das schnelle oder langsamere Anfluten des Medikaments ist auch bei der Auswahl der Ganztagesmedikation darauf zu achten, dass Patienten mit störend empfundenen Rebound-Phänomenen wahrscheinlich von einer eingipfligen Zubereitung mehr profitieren, dass andererseits Patienten, die das Gefühl der neuerlichen Medikamentenanflutung hilfreich finden, bessere Resultate unter der Behandlung mit Ritalin LA® erwarten lassen.

Seit Mitte 2005 ist mit Focalin XR® in den USA, eine Retardpräparation von D-Methylphenidat auch zur Behandlung der ADHS bei Erwachsenen zugelassen. In Argentinien hat Ritalin LA® eine Zulassung für die Therapie der ADHS des Erwachsenenalters. Bei der Behandlung mit Methylphenidat ist zu bedenken, dass nur etwa zwei Drittel der Erwachsenen mit ADHS auf diese Substanz mit einer Verbesserung reagieren. Eigene Resultate zeigten, dass die Methylphenidat-Nonresponder vor der Therapie im Gegensatz zu den Respondern keine erhöhte Dopamintransporter-Dichte im Striatum aufwiesen [14] [Abb. 2]. Da der wesentliche Wirkmechanismus von Methylphenidat in einer Blockade der Dopamintransporter besteht, ist nachvollziehbar, warum Methylphenidat bei Patienten, die von vornherein eine niedrige Dopamintransporter-Dichte aufweisen, nicht wirkungsvoll ist. Bei diesen Nonrespondern ist die Gabe von anderen Stimulanzien bzw. Antidepressiva sinnvoll; zunächst kann ein Versuch mit Amphetaminen durchaus Erfolg versprechend sein, weil mit dieser Substanz neben einer Blockade des Dopamintransports auch die vermehrte Ausschüttung von Dopamin erfolgt.

In Deutschland steht Amphetamin nur in Form eines razemischen Gemisches aus 50 % D- und 50 %L-Amphetamin als Rohsubstanz zur Verfügung; es ist nicht als Fertigpräparat im Handel und muss deshalb als Saft oder Kapsel rezeptiert werden. Nach eigenen Erfahrungen hat sich die Gabe von sehr geringen Dosierungen (1-2 mg tgl.) - auch im höheren Lebensalter - häufig bewährt [13]. Ein Gemisch aus Amphetamin-Salzen (Adderall XR®) ist in den USA seit 2004 zur Behandlung der ADHS im Erwachsenenalter zugelassen.

In Deutschland ist dagegen bisher kein Arzneimittel für die Indikation ADHS im Erwachsenenalter offiziell zugelassen. Bezüglich dieses Problems des „Off-Label-Use” von Methylphenidat bei adulter ADHS sind nach den im Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.03.2002 (B1 KR37/00R) genannten drei Kriterien die Voraussetzungen für eine Kostenübernahme durch die gesetzlichen Krankenkassen bei der ADHS im Erwachsenenalter prinzipiell als erfüllt anzusehen (s. auch [7] [13]):

  • Es handelt sich um eine schwerwiegende psychiatrische Erkrankung mit massiver und dauerhafter Beeinträchtigung der Lebensqualität

  • Es ist keine andere Therapie verfügbar (Atomoxetin ist in Deutschland nur für Erwachsene zugelassen, die schon in der Kindheit mit dieser Substanz behandelt wurden)

  • Aufgrund der Datenlage besteht begründete Aussicht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg erzielt werden kann.

Es liegen Forschungsergebnisse vor, die erwarten lassen, dass das Arzneimittel für die betreffende Medikation zugelassen werden kann: Methylphenidat ist inzwischen in mehreren Ländern offiziell zur Behandlung der ADHS bei Erwachsenen zugelassen. Dies konnte nur geschehen, weil die jeweils zuständigen Zulassungsbehörden aufgrund der vorliegenden Forschungsergebnisse von einer begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg ausgingen. Die Datenlage ist so ausreichend gut, dass inzwischen von der deutschen Zulassungsbehörde (BfArM) eine Studie zum Einsatz von Methylphenidat bei ADHS im Erwachsenenalter genehmigt wurde. Diese Studie wird derzeit in verschiedenen Zentren der BRD durchgeführt. Weiterhin gibt es derzeit eine europaweite Doppelblindstudie zur Zulassung eines weiteren Präparats zum Einsatz von Methylphenidat bei Erwachsenen mit ADHS, an der auch mehrere deutsche Zentren beteiligt sind. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass sich auf Initiative des BMGS 2005 ein bundesweites ADHS-Netzwerk zur Versorgung von Patienten konstituieren wird, das sich auch mit der Pharmakotherapie Erwachsener mit ADHS befassen wird. Anzumerken ist, dass kein vorrangiger Forschungsbedarf bezüglich Langzeitnebenwirkungen von Methylphenidat besteht, da diese Substanz seit Jahrzehnten mit Erfolg und ohne nennenswerte Komplikationen bei Erwachsenen mit Narkolepsie eingesetzt wird.

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Alternative medikamentöse Strategien

Alternative medikamentöse Strategien umfassen den Einsatz von Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern bzw. Antidepressiva mit dualem Wirkprinzip.

Für den selektiven Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Atomoxetin (Strattera®) fanden sich gute Effekte bei Erwachsenen mit ADHS: In zwei großen Doppelblindstudien im Paralleldesign über 10 Wochen bei insgesamt 536 Erwachsenen wurde bei Dosierungen von unter 120 mg/d eine Responderrate von 56 % bei guter Verträglichkeit beschrieben [18]. Ein bis zwei Stunden nach oraler Aufnahme wird die maximale Plasmakonzentration erreicht, die Halbwertszeit liegt bei 4-5 Stunden. Der Abbau in der Leber erfolgt über das Zytochrom-P-450-2D6-Isoenzym [1]. Etwa 7 % der Bevölkerung verstoffwechseln Substanzen, die über das CYP 2D6 abgebaut werden, besonders langsam („poor metabolizer”); bei dieser Gruppe können 5-fach erhöhte Plasmaspitzenkonzentrationen und eine verlängerte Halbwertszeit bis zu 24 Stunden auftreten. Interaktionen mit anderen Arzneimitteln, die ebenfalls über CYP 2D6 verstoffwechselt werden - z.B. Fluoxetin, Paroxetin und Chinidin - sind möglich; diese Substanzen erhöhen bei gleichzeitiger Gabe die Atomoxetin-Spiegel, so dass eine Dosisreduktion erforderlich sein kann. Die Gabe von Atomoxetin erfolgt als Einmaldosis am Vormittag oder in zwei Gaben morgens und abends. Die Anfangsdosis pro Tag wird mit 40 mg, die Zieldosis mit 80 mg angegeben. Eine Steigerung soll frühestens drei Tage nach Beginn der Medikation erfolgen. Falls unter einer Dosis von 80 mg pro Tag nach zwei bis vier Wochen kein hinreichender Erfolg zu verzeichnen ist, kann bis auf eine Maximaldosis von 100 mg gesteigert werden. Als häufigste Nebenwirkung wird Appetitmangel angegeben. Atomoxetin kann zu Erhöhung von Blutdruck und Herzfrequenz führen, in seltenen Fällen können allergische Reaktionen auftreten. Nach der Literatur und eigenen Erfahrungen mit dem in Deutschland erhältlichen Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Reboxetin kann es bei Männern zu signifikanten Miktions- und Potenzproblemen kommen. In den USA ist Atomoxetin in der Indikation ADHS bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zugelassen, in Deutschland für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit ADHS, wobei die Fortführung einer in der Kindheit begonnenen Therapie ins Erwachsenenalter hinein zulässig ist. Daten bezüglich einer Langzeitbehandlung liegen für Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer noch nicht vor. In der Praxis wird man daher zunächst auf die Stimulanzien als bewährte und sichere Mittel der ersten Wahl zurückgreifen. Eine Kombinationstherapie von Stimulanzien und Atomoxetin kann aufgrund der unterschiedlichen biochemischen Wirkweise durchaus sinnvoll sein: Im Striatum wird die Dopaminkonzentration durch Atomoxetin nicht beeinflusst, da die Substanz nicht auf die Dopamintransporter einwirkt. Im Bereich des Frontalhirns, einer ebenfalls für die ADHS sehr wichtigen Region, existieren aber praktisch keine Dopamintransporter, in dieser Hirnregion benutzt Dopamin die Noradrenalintransporter im Sinne eines „Hitchhiking”, so dass bei einer durch Atomoxetin bedingten Hemmung des Noradrenalintransporters im Frontalhirn neben erhöhten Noradrenalin- auch erhöhte Dopaminkonzentrationen im synaptischen Spalt resultieren [Abb. 3].

Auf Grund des dualen noradrenergen und serotonergen Wirkprinzips ist Venlafaxin (Trevilor®) eine besonders interessante Substanz; zusätzlich wurde für Venlafaxin unter hohen Dosierungen eine Hemmung des Rücktransports von Dopamin beschrieben. Eine günstige Wirkung von Venlafaxin bei Erwachsenen mit ADHS ließ sich in offenen Studien nachweisen.

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Medikamentöse Kombinationsbehandlung

Bei etwa 30-50 % der Erwachsenen mit ADHS ist die Wirkung einer alleinigen Gabe von Stimulanzien nicht ausreichend (zu geringes Ansprechen, Nebenwirkungen bei höherer Dosierung). Wegen der bei vielen Patienten vorhandenen Depression und der oft im Vordergrund stehenden Persönlichkeitsstörung ist es häufig empfehlenswert, neben der Gabe von Stimulanzien zusätzlich eine Therapie mit Antidepressiva zur Stabilisierung der Stimmungsschwankungen einzuleiten. Diese Begleitsymptome lassen sich - entsprechend den Mitteilungen aus den USA - auch nach unseren Erfahrungen mit Substanzen vom dualen Prinzip wie Venlafaxin (18,75-150 mg), Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern wie Reboxetin (4-8 mg) und Atomoxetin (40-80 mg), speziellen Serotonin-Wiederaufnahmehemmern wie Sertralin (50-100 mg) und Fluoxetin (5-20 mg) oder dem reversiblen MAO-A-Hemmer Moclobemid (75-150 mg) positiv beeinflussen. Es muss hierbei nochmals betont werden, dass entsprechend den amerikanischen Behandlungsempfehlungen die zusätzliche Gabe von irreversiblen MAO-A-Hemmern als Kontraindikation gilt, höhere Dosierungen von Moclobemid können bei Kombination mit Stimulanzien eine serotonerge Krise begünstigen. Die Kombinationsbehandlung ist auch dann interessant, wenn Symptome wie Antriebsstörung oder kognitive Defizite unter Stimulanzien bestehen bleiben. Unter dem Aspekt, dass die Stimulanzien im Wesentlichen durch die Blockade der striatären Dopamintransporter eine Erhöhung des Dopamins bewirken, ist gerade eine Kombination mit überwiegend noradrenergen Substanzen sinnvoll, da durch diese auch das Dopamin im präfrontalen Kortex erhöht wird. Neuere Untersuchungen scheinen bei einigen Patienten auch eine Beteiligung des serotonergen Systems nahezulegen, so dass der gute Behandlungseffekt von dual serotonerg-noradrenerg wirksamen Substanzen wie Venlafaxin verständlich wird. Für den Serotonin-Wiederaufnahmehemmer Citalopram ist hervorzuheben, dass diese Substanz zu einer Erhöhung der Dopamintransporter führt [21] und somit für diese Patienten in der Regel ungeeignet ist, da eine der Ursachen für diese Imbalance im Hirnstoffwechsel in der Erhöhung der Dopamintransporter gesehen wird. Generell muss wegen der notwendigen Kenntnis in der Anwendung von Stimulanzien und Antidepressiva die medikamentöse Einstellung von erwachsenen Patienten mit ADHS durch einen mit diesen Substanzen vertrauten Facharzt erfolgen.

Nach eigenen Erfahrung haben sich beispielsweise folgende Kombinationen bei komorbiden Störungen bewährt:

  • Leichte bis mittelschwere Depressionen, Angststörungen und Borderline-Persönlichkeitsstörung: Venlafaxin 18,75-150 mg/d

  • Ausgeprägte Angststörungen, starke innere Anspannung: Buspiron 10-20 mg/d

  • Gereizte Depression: Moclobemid 75-150 mg/d

  • Depression kombiniert mit starker Reizoffenheit: Amisulprid 25-100 mg/d

  • Zwangssymptomatik: Sertralin 50-100 mg/d

  • Leichte autistische Züge: Fluoxetin 5-20 mg/d.

Patienten mit psychotischen Symptomen und einer komorbiden ADHS scheinen unter Neuroleptika schnell extrapyramidale Symptome zu entwickeln. Es liegen keine entsprechenden klinischen Studien zur Behandlung dieser insgesamt kleinen Patientengruppe vor, am ehesten scheinen sich Substanzen zu eignen, die zur Gruppe der Phenothiazine (z.B. Taxilan®) gehören, bei Kindern mit ausgeprägter dissozialer Entwicklung wird auch von einer guten Wirkung von niedrigdosiertem Risperidon berichtet.

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Abb. 1

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Abb. 2 Das therapeutische Ansprechen ist ausgedrückt als Prozentsatz der Abweichung von den Normalwerten der jeweiligen altersentsprechenden Kontrollgruppe vor Therapie bei 18 erwachsenen Patienten mit ADHS ohne Nikotinabusus (CGI = Clinical Global Improvement), beurteilt nach 10-wöchiger Behandlung mit Methylphenidat

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Abb. 3 a) normaler Dopaminstoffwechsel im präfrontalen Kortex mit Rücktransport von Dopamin durch Noradrenalintransporter; b) erhöhte Dopaminkonzentration im synaptischen Spalt bei Blockade der Noradrenalintransporter (aus: Krause J, Krause K-H: ADHS im Erwachsenenalter, 2005. Mit freundlicher Genehmigung des Schattauer-Verlages)

Tab. 1 Doppelblindstudien zur Behandlung der adulten ADHS mit Methylphenidat (MPH) und Amphetamin[*]

Substanz

Patientenzahl

Mittleres Alter

Studiendesign

Dauer in Wochen

Dosierung in mg/d [mg/kg KG]

Ergebnisse

Bemerkungen

Autoren

MPH

11

28

crossover

4

27 [0,4]

73 % Responder

keine genauen Angaben zu Plazebo-Response, Unterschied hochsignifikant

Wood et al. [30]

MPH

26

32

crossover

6

48 [0,7]

25 % Responder, kein signifikanter Unterschied zu Plazebo

Patienten mit komorbiden psychiatrischen Störungen

Mattes et al. [17]

MPH

37

31

crossover

5

43 [0,6]

57 % Responder, bei Plazebo 11 %

signifikant gegen Plazebo nur bei PRS > 12

Wender et al. [28]

MPH

8

28

crossover

2

42 [0,6]

alle Symptome gebessert, signifikant nur für Daueraufmerksamkeitstest

keine Angabe zur Responderrate

Gualteri et al. [8]

MPH

23

40

crossover

7

30 [0,5] in 1. Woche, 60 [0,8] in 2. Woche, 100 [1,0] in 3. Woche

78 % Responder, bei Plazebo 4 %

Responderrate besserte sich mit Dauer der Einnahme

Spencer et al. [25]

MPH

30

34

crossover

4

30-45 [▭ 0,6]

mäßige Responderrate

Verbesserung von neuropsychologischen Funktionen und Angststörung

Iaboni et al. [10]

D-Amphetamin

45

36

parallel

6

23 [0,3]

58 % Responder, bei Plazebo 10 %

Gewichtsverlust, Schlafstörungen und Mundtrockenheit als Nebenwirkungen

Paterson et al. [20]

D-Amphetamin, Modafinil

22

41

crossover

7

22 [0,3] (D-Amphetamin), 207 [2,9] (Modafinil)

je 48 % Responder für beide Substanzen

gute Verträglichkeit

Taylor u. Russo [26]

Amphetamin-Salze

27

38

crossover

7

20-60 [0,3-0,9]

67 % Responder, bei Plazebo 4 %

gute Verträglichkeit bis auf Appetitminderung

Spencer et al. [24]

MPH

19

31

parallel, gegen Bupropion und Plazebo

7

[max. 0,9]

50 % Responder, bei Bupropion 64 %, bei Plazebo 27 %

Differenzen in Responderraten statisttisch nicht signifikant

Kuperman et al. [15]

MPH

47

39

parallel

26

30-90

signifikante Besserung der ADHS gegenüber Plazebo

gute Verträglichkeit, Lebensqualität gebessert

Spencer [23]

MPH

48

37

parallel

13

bis 90 mg [0,9]

Besserung ADHS (77 %, bei Plazebo 21 %), keine Änderung des Kokainabusus

Patienten mit komorbidem Kokainabusus

Schubiner et al. [22]

MPH

32

25

crossover gegen Lithium

18

bis 40 mg [0,6]

48 % Responder, bei Lithium 37 %

Wirksamkeit: > 30 % Reduktion in CAARS

Dorrego et al. [3]

MPH

30

34

crossover

8

30 [0,4] für 2 Wochen, dann 45 [0,6] für 2 Wochen

Responderrate 63-73 ohne signifikanten Unterschied zwischen 30 und 45 mg/d

Response bestimmt mit CPT und Conners' Rating Scale

Bouffard et al. [2]

retardierte Amphetamin-Salze

255

39

parallel

4

20 [0,3], 40 [0,6] und 60 [0,9]

Responderraten zwischen 46 und 65 %

bei milder ADHS beste Wirkung mit 20 mg, bei schwerer ADHS mit 60 mg

Faraone et al. [5]

MPH

45

39

crossover

7

0,5 mg/kg KG in 1. Woche, 0,75 in 2. Woche, 1,0 in 3. Woche

Responderraten zwischen 38 und 51 %, unter Plazebo 7 bis 18 %

unter MPH Appetitverlust und Mundtrockenheit bei 22 bzw. 24 %

Kooij et al. [11]

1 in chronologischer Reihenfolge (PRS = Parents' Rating Scale [s. 13], k.A. = keine Angabe, CPT = Continuous Performance Test)

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Literatur

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Korrespondenzadresse:

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Abb. 1

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Abb. 2 Das therapeutische Ansprechen ist ausgedrückt als Prozentsatz der Abweichung von den Normalwerten der jeweiligen altersentsprechenden Kontrollgruppe vor Therapie bei 18 erwachsenen Patienten mit ADHS ohne Nikotinabusus (CGI = Clinical Global Improvement), beurteilt nach 10-wöchiger Behandlung mit Methylphenidat

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Abb. 3 a) normaler Dopaminstoffwechsel im präfrontalen Kortex mit Rücktransport von Dopamin durch Noradrenalintransporter; b) erhöhte Dopaminkonzentration im synaptischen Spalt bei Blockade der Noradrenalintransporter (aus: Krause J, Krause K-H: ADHS im Erwachsenenalter, 2005. Mit freundlicher Genehmigung des Schattauer-Verlages)