Z Orthop Ihre Grenzgeb 2005; 143(6): 601-603
DOI: 10.1055/s-2005-923492
Orthopädie aktuell

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Sportschuhe für Kinder und Jugendliche

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PD Dr. med. Markus Walther

Orthozentrum München, Zentrum für Sportorthopädie und Fußchirurgie

Harlachinger Straße 51

81547 München

Publication History

Publication Date:
10 January 2006 (online)

 
Table of Contents
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PD Dr. med. Markus Walther

Zahlreiche Studien zeigen, dass erworbene Fuß- und Zehendeformitäten in Bevölkerungsgruppen, die ohne Schuhe aufwachsen bzw. diese erst spät in ihrer Entwicklung tragen, signifikant seltener auftreten, als in Kulturkreisen mit sehr früher Schuhversorgung. Beispielsweise fanden Rao und auch Sachithanandam in der indischen Bevölkerung eine um so geringere Plattfußrate im Alter, je später und je kürzer Schuhe getragen wurden. Der Schluss liegt nahe, dass der Fuß sich ohne Schuh besser entwickelt. Kein Schuh ist in der Lage, die Reifungsvorgänge zu fördern. Fußgerechte Kinderschuhe zeichnen sich dadurch aus, dass sie die Reifung weniger behindern als andere Schuhe.

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Am besten barfuß

Idealerweise sollten Kinder deshalb so oft es geht die Möglichkeit haben, durch barfüßiges Laufen ihre Füße zu trainieren.. Aufgrund der hiesigen klimatischen Bedingungen und Umweltgegebenheiten mit wenig naturbelassenen Böden werden die meisten Kinder jedoch mehr Zeit mit Schuhen an den Füßen laufen als ohne. Vor diesem Hintergrund kommt der Entwicklung von funktionell einwandfreien Kinderschuhen eine herausragende Bedeutung zu.

Zur Beantwortung der Frage nach einer optimalen Gestaltung eines Kindersportschuhs wurde die Literatur systematisch und umfassend zur Entwicklung des Fußes im Wachstumsalter, insbesondere Flexibilität, Skelettreifung, Beinachsen sowie der Gangkinetik und -kinematik durchsucht und zusammengefasst. Anhand der Literaturanalyse wurde ein Anforderungsprofil für Kinderschuhe entwickelt, welches alle derzeit vorhandene Information zur Fußentwicklung berücksichtigt. Entsprechend der Entwicklung des Kinderfußes lassen sich für die verschiedenen Altersstufen klare Anforderungsprofile entwickeln, die ein Kindersportschuh erfüllen soll. Den Vergleich mit der Realität des Kindersportschuhs ermöglichte die Analyse der biomechanischen Eigenschaften von 15 Kindersportschuhmodellen in verschiedenen Größen.

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Altersabhängiges Anforderungsprofil an Kindersportschuhe

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Säuglingsalter

Eine weiche, dicke Socke reicht als Schutz vor Witterungseinflüssen völlig aus. Da der Säugling den Fuß noch nicht axial belastet, ist eine spezielle Sohlengestaltung oder gar der Einbau von Dämpfungselementen völlig überflüssig.

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Lauflernalter (1.-2. Lebensjahr)

Weiterhin steht der Schutz des Fußes absolut im Vordergrund. So genannte "Lauflernschuhe" sollen dem reifenden Kinderfuß durch flexible und torsionsweiche Gestaltung möglichst viel Bewegungsfreiheit lassen. "Lauflernschuh" bedeutet dabei nicht, dass Kinder durch diese Schuhe das Laufen lernen, vielmehr sollen sie das Laufen möglichst wenig behindern. Besonders eine zu dicke oder starre Sohle würde als Hebel die auf Fuß und Sprunggelenk einwirkenden Kräfte abändern und so möglicherweise ungünstige Wachstumsimpulse im Rahmen der Rückfußaufrichtung setzen.

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Kleinkindalter (2.-6. Lebensjahr)

Für diese Altersstufe gilt prinzipiell Gleiches wie für die Phase des Laufenlernens. Maier bezeichnet das Kleinkindalter als "sensible Phase des Gestaltwandels, in der genetische Einflüsse offenbar gegenüber umweltbedingten zurücktreten". Entwicklungsphysiologisch läuft in dieser Phase die Ossifikation der kurzen Fußknochen ab. Um einer regulären Reifung des Bewe-gungsapparates nicht im Wege zu stehen oder das Wachstum gar in eine ungünstige Richtung zu lenken, ist es von entscheidender Bedeutung, ein ausreichendes Maß an Funktionsreizen und Beanspruchung möglichst unverfälscht an Muskulatur, Knochen, Knorpel und Bänder zu übermitteln. Messungen der Bodenreaktionskräfte unterstützen diese These.

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Abb. 1: Kindersportschuh mit regelhaft flexibler Sohle im Vorfußbereich. Wird der Schuh gegen den Untergrund gedrückt, so knickt der Schuh in Höhe der Zehengrundgelenke, was ein physiologisches Abrollen ermöglicht.

Kleinkinder zeigen mindestens bis zum fünften Lebensjahr beim Gehen ohne Schuhe und sogar über das sechste Lebensjahr hinaus beim schnellen Laufen eine relativ höhere passive Kraftspitze als Erwachsene. Eine höhere Belastung der reifenden Fußstrukturen scheint demnach von der Natur beabsichtigt. Um die Funktionsreize und Bodeninformationen möglichst unverfälscht an den Fuß weitergeben zu können, sollte die Sohle weiterhin flach und flexibel sein. Eine Gewölbestütze wird von der Mehrzahl der Autoren abgelehnt.

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Physiologischer Knick-Senk-Fuß

Der kleinkindliche Knick-Senk-Fuß stellt ein physiologisches Durchgangsstadium in der Reifung des Bewegungsapparates dar und bedarf keiner Behandlung oder Unterstützung, so lange keine Schmerzen oder ausgeprägten Ermüdungserscheinungen auftreten. Wenger et al. fanden, dass Korrekturschuhe z.B. mit speziellen Pronationsstützen oder Einlagen keinen Einfluss auf den radiologischen Verlauf eines flexiblen Plattfußes im Kleinkindalter haben. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Gould et al. Viele Autoren gehen noch weiter und behaupten, dass jegliche Abstützung des gesunden kindlichen Fußes für die Fußreifung nicht nur wirkungslos ist, sondern im Gegenteil sogar hinderlich.

Weiterhin gilt es bei der Sohlenkonstruktion zu beachten, dass die natürliche Fußbewegung kein gleichmäßiges Abrollen, sondern ein isoliertes scharfes "Abknicken" in den Zehengrundgelenken ist. Durch das asymmetrische Wachstum des Fußes wandert die Zehengrundgelenkachse einerseits Richtung Rückfuß, andererseits spitzt sich ihr Winkel zur Senkrechten zu, von ca. 79° bei 12,6 cm Fußlänge auf 72° beim ausgewachsenen Fuß. Die Lage der Flexionslinie der Vorfußsohle muss dies berücksichtigen. Eine falsche Lage würde nicht nur zu einer unphysiologischen Biegebeanspruchung des Fußes führen, sondern auch für vermehrte Schubbewegungen des Fußes im Schuh sorgen.

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Grundschulalter (6.-10. Lebensjahr)

In dieser Altersklasse beginnen die Kinder, erstmals geregelt Sport in Verein oder Schule zu betreiben. Sportliche Belastung und Leistungsfähigkeit steigen an. Das Bindegewebe wird zunehmend stabiler, die Fußbeweglichkeit nimmt dadurch im Vergleich zum Kleinkindalter ab. Da außerdem die gängigen Turnhallenböden in erster Linie für die Biomechanik und das Gewicht von Erwachsenen ausgelegt sind und somit der geringeren Körpermasse der Kinder keine ausreichende Dämpfungswirkung bieten können, kommt den Dämpfungselementen der Schuhsohle erstmals eine gewisse Bedeutung zu. Dies wirft auch die Frage nach der Sprengung der Sohle auf. Kristen untersuchte die Auswirkung verschiedener Fersenhöhen auf die Bodenreaktionskräfte im Kleinkindalter und stellte fest, dass mehr als 5 mm diese deutlich beeinflussten. Zu bedenken ist auch, dass gerade beim Sport ein zu hoher Absatz durch Hebelkräfte die Pro- und Supination &! uuml;ber das natürliche Maß hinaus verstärken kann. Da sich im Erwachsenensportschuh ca. 12 mm Sprengung bewährt haben, scheint die stufenweise Integration einer Absatzerhöhung ab dem Schulalter sinnvoll und pragmatisch.

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Pubertät (10.-15. Lebensjahr)

Körperliche und sportliche Leistungsfähigkeit steigen weiter an. Fußlänge, Bindegewebsfestigkeit und Fußbeweglichkeit erreichen nach und nach ihre endgültigen Werte; bei den Mädchen etwas früher als bei den Jungen. Dämpfung, Flexibilität und Sprengung können deshalb langsam den Sportschuhen für Erwachsene angepasst werden. Zunehmend bestimmt das sportartspezifische und individuelle Anforderungsprofil die Schuh- und Sohlengestaltung.

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Abb. 2: Kindersportschuh mit zu steifem Vorfuß. Wird der Schuh gegen den Untergrund gedrückt, kommt es zum Abknicken zwischen Vorfuß und Mittelfuß. Der Mittelfuß hat keine Gelenke, welche für dies Bewegung vorgesehen sind. Die unphysiologische Belastung bei zu harter Vorfußsohle ist eine häufige Ursache von Fußschmerzen und ein potenzieller Risikofaktor für Langzeitschäden.

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Häufig zu harte Kindersportschuhe

Werden nun aktuelle Kindersportschuhe vermessen und den Anforderungen gegenübergestellt, zeigt sich eine sehr große Variationsbreite. Wider Erwarten waren die kleinsten Schuhe im Vorfußbereich tendenziell härter gedämpft und steifer. Sohlendicke und Sprengung nahmen mit steigender Schuhgröße zu. Allerdings ist die zu harte Sohle ein häufig beobachtetes Phänomen.

Ein fußgerechter Kinderschuh zeichnet sich dadurch aus, dass er die Reifung möglichst wenig behindert. Vor allem im Kleinkindalter muss der Schuh den natürlichen Bewegungen des Fußes folgen und nicht umge-kehrt, idealerweise den Barfußgang auf natürlichem Boden nachempfinden. Dies betrifft in erster Linie die Sohlengestaltung, da sie das Körpergewicht trägt und das Bindeglied zwischen Fuß und Boden darstellt. In den eigenen Testreihen hat sich gezeigt, dass das so genannte "Downsizing" zu überdurchschnittlich steifen Schuhen führt. "Downsizing" bezeichnet das Herunterbrechen erfolgreicher Erwachsenensportschuhe auf kleinere Größen, ohne dabei die funktionellen Bedürfnisse des Kinderfußes zu berücksichtigen. In der Literatur werden Aussagen zu Dämpfung und Biegesteifigkeit des Kinder(sport)schuhs eher allgemein gehalten. Ebenso fehlen Normwerte, Vergleichswerte existieren kaum. Trot! zdem lässt sich feststellen, dass mindestens bis zum Schulalter spezielle Dämpfungselemente, Pronationsstützen oder Absatzerhöhungen für einen gesunden Kinderfuß fehl am Platz sind.

10 Tipps für den Sportschuhkauf bei Kindern

  1. Überprüfen Sie einmal im Monat die ausreichende Größe der Schuhe. Ihr Kind kann wachstumsbedingt bis zu drei unterschiedliche Größen pro Jahr benötigen. Zieht man den Schuh nach dem Sport aus, so deuten rote Stellen an den Zehenballen darauf hin, dass der Schuh zu kurz ist, Rötungen an den Zehenmittelgelenken, dass er zu niedrig ist. Ist der Fuß an den Innen- oder Außenrändern gerötet, so ist der Schuh zu schmal. Warnzeichen für zu kurze Schuhe sind auch hochgebogene oder abgeschliffene Zehennägel bzw. Blutergüsse unter den Zehennägeln.

  2. Die Schuhlänge sollte ca. 15 mm größer als die Fußlänge sein. Diese Zugabe sichert den Zehen ausreichend Raum und verhindert Zehenfehlstellungen.

  3. Im Zweifelsfall lieber einen Schuh länger und weniger weit kaufen als zu kurz.

  4. Achten Sie auf eine ausreichende Flexibilität der Sohle. Wird der Schuh schräg gegen den Boden gepresst, so sollte die Sohle im Bereich der Zehengrundgelenke abknicken und keinesfalls im Bereich des Mittelfußes.

  5. Kindersportschuhe brauchen keine Absätze. Je weniger desto besser.

  6. Eine diskrete Dämpfung der Sohle ist frühestens im Schulalter sinnvoll. Im Kindergartenalter sind Dämpfungssysteme aufgrund der niedrigen am Fuß angreifenden Kräfte absolut überflüssig.

  7. Die Abflachung des Längsgewölbes stellt eine normale Entwicklungsphase des Fußes dar. Der normale Kinderfuß braucht weder Längs- noch Quergewölbestütze noch besteht eine Indikation für Sporteinlagen.

  8. Achten Sie auf eine ausreichende Flüssigkeitsdurchlässigkeit der Obermaterialien. Kinderfüße schwitzen mehr als erwachsene Füße.

  9. Das Kind solle die Sportschuhe am besten am späten Nachmittag anprobieren, wenn die Füße durch das Laufen und Stehen etwas angeschwollen sind. Das verringert die Gefahr, dass die Schuhe zu klein gekauft werden.

  10. Die Schuhkante sollte weich abgepolstert sein und weder an Knöchel noch an der Achillessehne einschneiden.

Literatur beim Autor

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PD Dr. med. Markus Walther

Orthozentrum München, Zentrum für Sportorthopädie und Fußchirurgie

Harlachinger Straße 51

81547 München

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PD Dr. med. Markus Walther

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Abb. 1: Kindersportschuh mit regelhaft flexibler Sohle im Vorfußbereich. Wird der Schuh gegen den Untergrund gedrückt, so knickt der Schuh in Höhe der Zehengrundgelenke, was ein physiologisches Abrollen ermöglicht.

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Abb. 2: Kindersportschuh mit zu steifem Vorfuß. Wird der Schuh gegen den Untergrund gedrückt, kommt es zum Abknicken zwischen Vorfuß und Mittelfuß. Der Mittelfuß hat keine Gelenke, welche für dies Bewegung vorgesehen sind. Die unphysiologische Belastung bei zu harter Vorfußsohle ist eine häufige Ursache von Fußschmerzen und ein potenzieller Risikofaktor für Langzeitschäden.