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DOI: 10.1055/s-2005-923516
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Geriatrische Onkologie - Zu alt für eine Chemotherapie?
Elderly Cancer Patients - To Old for Chemotherapy?Anschrift des Verfassers
Dr. Friedemann Honecker
Zentrum für Innere Medizin
Medizinische Klinik und Poliklinik II
Onkologie/Hämatologie/Knochenmarkstransplantation/Pneumologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistr. 52, 20246 Hamburg
Publication History
Publication Date:
01 December 2005 (online)
- Zusammenfassung
- Summary
- Geriatrisches Assessment in der Onkologie
- Therapiefähigkeit abschätzen
- Assessments im klinischen Alltag
- Besonderheiten der Tumor-therapie bei Älteren
- Zusammenfassung und Ausblick
- Glossar
- Kasuistik
- Literatur
Zusammenfassung
Tumoren betreffen in der Mehrzahl Menschen im höheren Lebensalter: Bei Diagnosestellung sind zirka zwei Drittel aller Patienten über 65 Jahre alt. In den kommenden Jahren wird aufgrund der demografischen Entwicklung in Deutschland der Anteil alter Menschen mit Tumorerkrankungen sogar noch größer werden. Somit wird auch die Betreuung geriatrisch-onkologischer Patienten für viele klinische Bereiche zu einer zunehmenden Herausforderung werden. Zudem existieren für viele Tumorentitäten aufgrund der deutlichen Unterrepräsentation älterer Patienten in klinischen Studien keine ausreichenden Evidenzen zum optimalen therapeutischen Vorgehen, was die Situation zusätzlich erschwert. Amerikanischen Daten zufolge waren nur etwa 30 % aller Patienten, die an onkologischen Therapiestudien teilnahmen, 65 Jahre oder älter, nur 1-3 % der Patienten war über 75 Jahre alt.
#Summary
Tumors are diseases of the elderly: nearly two thirds of newly diagnosed tumors are found in individuals aged 65 years and older. Taking into account the demographic changes in the Western world, the number of geriatric patients with a tumour is expected to rise in the coming years. The management of older cancer patients will become a daily challenge for many medical specialities. The situation is complicated by the fact that due to the underrepresentation of older cancer patients in clinical trials, optimal treatment for this cohort is often ill-defined. Data from US study groups document that of all patients participating in clinical cancer trials, only 30 % were > 65 years old, and only 1-3 % were 75 years or older. A number of factors can have a negative impact on treatment tolerance in elderly patients, making a careful choice of cancer therapy and optimized supportive care mandatory. When deficits are identified, it is of great importance to distinguish between age-related physiologic changes in organ function and potentially reversible conditions caused by the tumor or comorbidities. In many cases, elderly cancer patients are not offered treatment using cytotoxic therapy on the grounds of physiologic, cognitive, emotional, or socio-economic limitations. Positive results from clinical trials, not only regarding response rates, but more importantly demonstrating impact on quality of life and symptom control in the therapy of elderly patients suffering from colorectal or lung cancer, underline the role chemotherapy can play in this cohort. Therefore, a thorough risk-benefit analysis should be performed before treatment decisions are taken. A critical evaluation of assessment criteria is equally important as the development and distribution of guidelines related to the management of elderly cancer patients.
Key Words
elderly - cancer - chemotherapy - treatment decision - comprehensive geriatric assessment
Im höheren Alter bedingt eine Vielzahl von Faktoren eine eingeschränkte Therapiefähigkeit. Damit haben die sorgfältige Auswahl der Therapiemaßnahmen sowie eine adäquate supportive Therapie einen besonderen Stellenwert. Klinisch bedeutsam ist es beispielsweise, zwischen altersbedingten physiologischen Organveränderungen und möglicherweise reversiblen pathologischen Veränderungen im Rahmen der Grunderkrankung oder aufgrund von Komorbiditäten zu unterscheiden.
Häufig wird bei älteren Tumorpatienten aufgrund physiologischer, kognitiver, emotionaler und sozioökonomischer Einschränkungen auf die Durchführung einer zytostatischen Therapie a priori verzichtet. Dabei dokumentieren große klinische Studien für einige Tumorentitäten - wie das kolorektale Karzinom oder das Bronchialkarzinom - neben einer Verlängerung der Überlebenszeit eine effektive Symptomkontrolle und eine Verbesserung der Lebensqualität.
Somit ist therapeutischer Nihilismus bei älteren Tumorpatienten nicht angemessen. Stattdessen sollte eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung vor einer Therapieentscheidung erfolgen. Voraussetzung hierfür ist zum einen die Evaluierung der Therapiefähigkeit älterer Tumorpatienten mithilfe eines Assessments, zum anderen eine kontinuierliche Aktualisierung und Verbreitung von Therapieempfehlungen.
#Geriatrisches Assessment in der Onkologie
Mithilfe einer individuellen Einschätzung mittels verschiedener Testverfahren - den so genannten Assessments - lässt sich die heterogene Population älterer Patienten in verschiedene Gruppen einteilen. Zudem ist eine bessere Vergleichbarkeit von Studienergebnissen möglich [5].
Dafür werden nicht nur klinische Daten und Komorbiditäten der Patienten erfasst, sondern auch die individuellen Ressourcen und Defizite sowie die soziale Situation des älteren Patienten beurteilt. Wichtig dabei ist zu wissen, ob und inwieweit der Patient den Anforderungen des täglichen Lebens gewachsen ist und sein Leben noch selbst aktiv gestalten kann - ein Parameter, den die so genannten Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) und die instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens (IADL) abbilden [Tab. 1]. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Geriatrische Onkologie der beiden Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) und Deutsche Gesellschaft für Geriatrie (DGG) haben einen Vorschlag für ein Assessment geriatrisch-onkologischer Patienten ab einem Alter von 70 Jahren formuliert [7].
Ob sich die Ergebnisse eines Assessments dazu eignen, die onkologische Therapiefähigkeit eines geriatrischen Patienten adäquat zu beurteilen und damit konkrete Entscheidungshilfen hinsichtlich einer Therapieentscheidung (Standardtherapie oder in Dosis und Intensität veränderte Therapie oder keine zytostatische Therapie) geben zu können, ist derzeit noch weit gehend unklar, wird jedoch zurzeit klinisch untersucht. Zudem soll momentan die Initiative IN-GHO1 die Versorgungsrealität älterer Tumorpatienten an Universitätskliniken, Akademischen Lehrkrankenhäusern sowie einigen Praxen niedergelassener Hämatologen/Onkologen in Form eines Registers erfassen. Zusätzlich wird in diesem Rahmen ein geriatrisches Assessment durchgeführt.
Zahlreiche Testinstrumente stehen zur Einschätzung der Patienten zur Verfügung. Sie erlauben Aussagen zur Komorbidität (z.B. Charlson-Score) [4], Kognition (z.B. „minimal mental status”; MMS) [6], Depression (z.B. „geriatric depression scale”; GDS) [15] oder der Belastbarkeit im Alltag [11] [12] sowie der Mobilität [14] und sind für geriatrische Patienten gut validiert. [Tabelle 1] listet eine Reihe von Tests auf, die derzeit in unserer Abteilung an der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf bei Tumorpatienten durchgeführt werden, die 70 Jahre oder älter sind.
#Therapiefähigkeit abschätzen
Eine mögliche Einteilung älterer Tumorpatienten in drei Kategorien, wie sie aufgrund eines Assessments vorgenommen werden kann, zeigt die [Tabelle 2]. Verbunden ist diese Einteilung mit der Einschätzung der individuellen Therapiefähigkeit der einzelnen Patientengruppen. Ziel der geriatrischen Onkologie ist es, für diese spezifische Behandlungsmöglichkeiten zu definieren, um die Therapie zu individualisieren und zu optimieren.
„Fitte” Patienten (Gruppe 1) profitieren von einer adäquaten Therapie - dies ist das Ergebnis einiger klinischer Studien für eine Reihe verschiedener Tumorentitäten (z.B. eine Standard-Kombinationstherapie bei kolorektalem Karzinom oder Bronchialkarzinom). Hinsichtlich der Effektivität und Sicherheit der Therapien lassen sich hier Ergebnisse erzielen, die mit denen jüngerer Patienten vergleichbar sind [2] [8] [9].
Bestehen bei den älteren Patienten bereits Einschränkungen (Gruppe 2), ist die Studienlage weniger gut. Vereinzelt wurde jedoch über gute palliative Effekte einer Monotherapie berichtet, die sich im Vergleich mit Kombinationstherapieschemata häufig besser steuern lässt und sich vor allen Dingen durch eine geringere Toxizität auszeichnet. Neue, weniger toxische Substanzen wie Vinorelbin, die Taxane, Gemcitabin, liposomales Anthrazyklin oder orale Fluoropyrimidine haben in den letzten Jahren die Therapiemöglichkeiten durchaus erweitert.
Für gebrechliche Patienten (Gruppe 3) wird hinsichtlich einer Chemotherapie zumeist Zurückhaltung empfohlen.
#Assessments im klinischen Alltag
Je nach Umfang und Auswahl der eingesetzten Instrumente dauert ein geriatrisches Assessment zwischen 15 und 60 Minuten. Um die Praktikabilität und damit die Akzeptanz solcher Erhebungen im klinischen Alltag zu erhöhen, ist daher zu prüfen, ob auch verkürzte Konzepte objektivierbare Aussagen zur Therapiefähigkeit eines Patienten erlauben.
Unserer Erfahrung nach überschreitet der zeitliche Aufwand des in Tabelle 1 gezeigten Assessments den zeitlichen Rahmen von maximal 20 Minuten nicht - geübte Untersucher benötigen hierfür sogar nur etwa 15 Minuten. Zudem kann die Durchführung weit gehend an medizinisches Assistenzpersonal delegiert werden. Auch die Patienten selbst akzeptieren eine solche Befragung problemlos: Rund 90 % der geriatrisch-onkologischen Patienten erklären sich bereit, an einem Assessment teilzunehmen, und äußern sich im Anschluss daran zumeist positiv (Andres, unpublizierte Beobachtungen).
#Besonderheiten der Tumor-therapie bei Älteren
Zu den alterspezifischen Besonderheiten, die interindividuell in unterschiedlicher Weise ausgeprägt sind, zählen eine erhöhte Inzidenz an Komorbiditäten sowie eine Reihe geriatrischer Syndrome wie Demenz, Delirium, Depression oder Fallneigung. Unter einer Chemotherapie wird bei älteren Patienten zudem eine steigende Inzidenz von Therapienebenwirkungen beobachtet, die insbesondere die Schleimhäute (Mukositis und Diarrhö), die kardiale Funktion sowie die Knochenmarksfunktion betreffen [10] [16]. Auch schwere Infektionen treten häufiger auf als bei jüngeren Patienten.
Als Ursachen für die schlechtere Infektabwehr gelten neben einer eingeschränkten Plastizität des Knochenmarks nach der Chemotherapie eine reduzierte Aktivität der neutrophilen Granulozyten und eine eingeschränkte Lymphozytenfunktion. Zusammen mit einer bei älteren Patienten gehäuft auftretenden Myelosuppression ist somit das Risiko für die Entwicklung einer Sepsis in der Neutropenie nach Chemotherapie erhöht.
Mit dem Alter kann es zudem zu einer Einschränkung der Organfunktion von Nieren (Abnahme der glomerulären Filtrationsrate, GFR), Lunge (Abnahme der Elastizität und der Gasaustauschfläche) und Herz (Verlust an kardialem Muskelgewebe) kommen. Zusätzlich wurde zum Beispiel für das Zytostatikum Docetaxel eine im Vergleich zu jüngeren Patienten veränderte Pharmakodynamik beobachtet. Damit wiederum erhöht sich die Toxizität der Substanz bei Einsatz einer Standarddosierung [13].
Hinsichtlich optimierter Supportivmaßnahmen, wie zum Beispiel des prophylaktischen Einsatzes von hämatopoetischen Wachstumsfaktoren bei intensiver Chemotherapie vor dem Hintergrund einer im Alter häufig eingeschränkten Knochenmarkreserve, sind eine Reihe von Empfehlungen publiziert worden [1] [3].
#Zusammenfassung und Ausblick
Die systemische Therapie des älteren Tumorpatienten erfordert sowohl onkologisches Fachwissen, als auch Erfahrung in der Betreuung älterer Patienten und sollte deshalb interdisziplinär und nach entsprechendem Training durchgeführt werden. Diese Forderung wird jedoch im klinischen Alltag aufgrund der zunehmenden Anzahl zu behandelnder älterer Patienten nicht immer zu realisieren sein. Umso bedeutsamer ist es, die Besonderheiten älterer Tumorpatienten in das Bewusstsein aller klinisch tätigen Ärzte zu rücken und allgemeine Therapieempfehlungen zu formulieren. Im deutschsprachigen Raum nimmt sich seit 1999 die interdisziplinäre Arbeitsgruppe Geriatrische Onkologie dieser Aufgabe an.
Individuelle Faktoren wie biologisches Alter, Komorbidität und Präferenzen des Patienten beeinflussen sowohl die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen eine antitumoröse Therapie, als auch die Auswahl einer Chemotherapie - sei es als Mono- oder als Kombinationstherapie. Der Umfang supportiver Maßnahmen hat sich ebenso an der Intensität der gewählten Therapie zu orientieren wie die Notwendigkeit, Kontrollmechanismen zu installieren, um therapieassoziierte Toxizitäten oder Komplikationen frühzeitig entdecken und behandeln zu können. Auch wenn eine zytostatische Therapie im Alter zum Teil mit erhöhter Toxizität einhergehen kann, so können heute eine Reihe von Tumoren wie Dickdarmtumoren, Lymphome, Mamma- und Ovarialkarzinome auch bei über 70-Jährigen mit kurativer Intention behandelt werden.
Gerade angesichts der generell gestiegenen Lebenserwartung ist bei ausgewählten Patienten auch im höheren Alter eine adjuvante Chemotherapie nach kurativ operierten Tumoren zu erwägen. Für eine palliative Therapie in metastasierten Stadien ergeben sich dank neuer, häufig weniger toxischer Substanzen mit breitem Wirkspektrum erweiterte Indikationen.
Ein wichtiges Forschungsgebiet mit hoher Relevanz für die Praxis ist die individuelle Abschätzung der Therapiefähigkeit eines Tumorpatienten. So bleibt zu belegen, dass ein geriatrisches Assessment helfen kann, den häufig noch vorherrschenden therapeutischen Nihilismus durch die Bereitschaft zu einer individualisierten Therapie bei geriatrisch-onkologischen Patienten zu ersetzen. Aus ärztlicher Sicht wären objektivierbare Entscheidungshilfen für oder gegen medizinische Maßnahmen in Zeiten knapper Finanzmittel nicht zuletzt auch deshalb zu begrüßen, da sie vor dem offenen oder verdeckten Vorwurf einer stillen Rationierung schützen können.
Somit kommt dem Aufgabenfeld der geriatrischen Onkologie sowohl in der klinischen Medizin, als auch in der ärztlichen Fort- und Weiterbildung eine wichtige Rolle zu. Eine wissenschaftliche Begleitung ist nötig, um zukünftig neben den Besonderheiten der Behandlung älterer Tumorpatienten potenziell prädiktive Faktoren hinsichtlich Effektivität und Toxizität einer Therapie zu identifizieren. Diese wissenschaftliche Basis kann helfen, Therapieentscheidungen auf eine solide Grundlage zu stellen.
#Glossar
#Assessment
Einschätzung individueller Defizite und Ressourcen eines Patienten mittels Testverfahren. So erfasst ein umfassendes geriatrisches Assessment („comprehensive geriatric assessment”, CGA) physiologische, kognitive, emotionale und sozioökonomische Dimensionen des Patienten.
#AUC
Die so genannte „area under the curve” beschreibt die Gesamt-Wirkstoffkonzentration einer Substanz über einen Zeitabschnitt im Plasma. Sie fließt neben der Kreatininclearance in die Errechnung der applizierten Menge von zum Beispiel Carboplatin ein, wenn „nach AUC” dosiert wird.
#geriatrische Onkologie
Dieses Untergebiet der Onkologie befasst sich mit den klinischen Aspekten der Versorgung älterer Tumorpatienten. In Anbetracht der vielseitigen Probleme, die viele klinische Bereiche betreffen, wird dabei Interdisziplinarität (Onkologie/Hämatologie, Geriatrie, Strahlentherapie, chirurgische Fächer) angestrebt.
#Myelosuppression
Unterdrückung der Knochenmarksfunktion, insbesondere durch Zytostatika oder Bestrahlung.
#Odynophagie
Schmerzhaftes Schlucken.
#supportive Therapie
Insbesondere bei antitumorösen Maßnahmen wie Chemo- oder Strahlentherapie, zielt eine Begleittherapie einerseits auf eine Minimierung therapieassoziierter Nebenwirkungen, andererseits auf eine Verbesserung der Therapieergebnisse ab.
#Kasuistik
Ein 79-jähriger Patient mit einem bioptisch gesicherten, pulmonal und hepatisch metastasierten entdifferenzierten (G3) Plattenepithelkarzinom des Ösophagus mit subtotaler Stenosierung stellt sich mit seit zwei Monaten bestehender, progredienter Dysphagie und Odynophagie vor. Zudem hatte der Patient 4 kg an Gewicht verloren. Er kann keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen. An Komorbiditäten bestehen Herzrhythmusstörungen, die mittels Schrittmacher kontrolliert sind, eine Presbyakusis beidseits sowie Sinterfrakturen und Höhenminderung einiger Wirbelkörper, die Sensibilitätsstörungen der unteren Extremitäten bedingen. Darüber hinaus besteht bei Nikotinabusus von etwa 50 Packungsjahren ein Lungenemphysem.
Ein formales geriatrisches Assessment wurde nicht durchgeführt, anamnestisch sowie fremdanamnestisch ergeben sich jedoch keine Einschränkungen der Aktivitäten im täglichen Leben (ADL), dies gilt auch bezüglich der instrumentellen Aktivitäten (IADL). Der Patient ist Selbstversorger und kann mit der Unterstützung durch Angehörige rechnen.
Nach ausführlicher Aufklärung wird bei ausgeprägtem Therapiewunsch rasch eine palliative Chemotherapie eingeleitet. Angesichts der Komorbiditäten verzichten wir aufgrund der potenziellen Oto- und Neurotoxizität auf die Gabe von Cisplatin sowie aufgrund der möglichen Kardiotoxizität und erschwerten Anlagebedingungen für ein venöses Portsystem bei Herzschrittmacher auf die Gabe von 5-Fluorouracil. Es wird eine Kombinationstherapie in dreiwöchentlichen Intervallen mit Carboplatin (mittels Dosierung nach AUC5 an die Nierenfunktion adaptiert) an Tag 1 plus Vinorelbin (25 mg/m2) an den Tagen 1 und 8 initiiert.
Bereits nach der ersten Therapiewoche ist eine deutliche Besserung der Schluckbeschwerden zu verzeichnen, der Patient kann wieder feste Nahrung zu sich nehmen. Während der Myelosuppression kommt es nach dem ersten sowie nach dem vierten Zyklus jedoch zu fieberhaften Episoden, die jeweils eine intravenöse antibiotische Therapie unter stationären Bedingungen nach sich zogen. Im Folgezyklus wird die Dosis daher zweimal angepasst, zuletzt erhält der Patient Carboplatin nach AUC4 und Vinorelbin 20 mg/m2, jeweils nur an Tag 1. Mittels Bildgebung lässt sich das klinische Ansprechen im Sinne einer partiellen Remission objektivieren. Nach sechs Zyklen wird die Chemotherapie bei deutlich gebessertem Allgemeinzustand beendet, derzeit wird der inzwischen 80-jährige Patient über die onkologische Ambulanz weiterbeobachtet.
#Kommentar
Dieser Fall verdeutlicht die Chance, durch eine Chemotherapie auch bei älteren Patienten eine Symptomkontrolle und Verbesserung der Lebensqualität zu erzielen. Andererseits illustriert er aber auch die Schwierigkeit einer adäquaten Dosierung und die Notwendigkeit einer individuell gesteuerten Therapie - insbesondere bei Patienten über 75 Jahren.
geriatrische Depressionsskala (GDS) 15 Fragen zum persönlichen Befinden, die mit ja oder nein beantwortet werden sollen. Diese Fragen gelten als richtungsweisend für den psychischen Zustand des Patienten. Timed „Up & go”-Test Der Patient soll aus einem Stuhl mit Armlehnen aufstehen und 3 Meter bis zu einer Linie laufen, sich umdrehen, zum Stuhl zurückkehren und wieder Platz nehmen. Der Zeitaufwand wird mit einer Stoppuhr gemessen. |
Der „fitte” Patient ohne Einschränkungen und in gutem Allgemeinzustand. Studiendaten belegen für verschiedene Entitäten, dass diese Patienten zumeist eine Chemotherapie in Standarddosierung tolerieren können und von dieser Maßnahme in gleichem Maße wie jüngere Patienten profitieren. Eine adäquate Kontrolle, insbesondere hinsichtlich der erhöhten Gefahr einer Myelosuppression sowie gegebenenfalls eine intensive Supportivtherapie, sind erforderlich. Der Patient mit gewissen Einschränkungen, zum Beispiel Abhängigkeiten in ein bis zwei instrumentellen Aktivitäten des täglichen Lebens oder ein bis zwei schweren Komorbiditäten. Für diese Gruppe liegen bisher nur vereinzelt Ergebnisse aus klinischen Studien vor. Therapieempfehlungen geben meist einer Monotherapie mit überschaubarem Toxizitätsprofil in angepasster Dosierung und Intensität einer Kombinationstherapie den Vorrang. Einer adäquaten Kontrolle und optimierten Supportivmaßnahmen kommen eine besondere Bedeutung zu, wenn die Entscheidung für eine zytostatische Therapie gefällt wurde. Zu den gebrechlichen Patienten zählen die Fälle, in denen zum Beispiel Abhängigkeiten in ein bis zwei Aktivitäten des täglichen Lebens bestehen oder prognoseführende Komorbiditäten oder ein geriatrietypisches Syndrom wie Inkontinenz, Demenz oder häufige Sturzereignisse vorliegen. Über diese Gruppe gibt es nahezu keine Informationen zur onkologischen Therapiefähigkeit aus Studien. Therapieempfehlungen raten meist zu reiner Supportion. Der Einsatz zytostatischer Substanzen sollte nur bei realistischer Aussicht auf Symptomkontrolle bei kalkulierbarer Toxizität und unter strenger Kontrolle erfolgen. |
Literatur
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Anschrift des Verfassers
Dr. Friedemann Honecker
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Anschrift des Verfassers
Dr. Friedemann Honecker
Zentrum für Innere Medizin
Medizinische Klinik und Poliklinik II
Onkologie/Hämatologie/Knochenmarkstransplantation/Pneumologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistr. 52, 20246 Hamburg