Was ist eine „hamartomatöse” Polyposis Erkrankung?
Was ist eine „hamartomatöse” Polyposis Erkrankung?
Die „hamartomatös” genannten Polyposis-Erkrankungen des Intestinaltrakts sind zusammen
mit anderen Syndromen eingebettet in das Spektrum des „erblichen Dickdarmkrebses”,
der im Wortschatz der öffentlichen Gesundheitsdiskussion in den letzten Jahren einen
festen Platz gefunden hat [1 ]
[2 ]
[3 ]. Unter den erblichen Tumorerkrankungen und Polyposis-Erkankungen des Darms ist heute
die „Familiäre Adenomatöse Polypose” (FAP) recht bekannt [4 ]. Unter dem Begriff der „hamartomatösen” Polyposis werden andere, gegenüber der FAP
relativ seltene Krankheitsbilder subsummiert, die ebenfalls vor allem durch multiple
Polypen - dies sind tumorartige, z. T. knotige Gewebeformationen der Schleimhäute
- im Magendarmtrakt gekennzeichnet sind (Tab. [1 ]) [5 ].
Tab. 1 Liste der (autosomal dominanten) „hamartomatösen” Polyposis-Syndrome mit Hauptbefunden
und identifizierten Gendefekten
Syndrom
Hauptbefunde
Gen
Peutz-Jeghers-Syndrom („Pigmentflecken-Polypose”)
Orale und labiale Pigmentflecken, multiple hamartomatöse Schleimhautpolypen im Dünndarm, aber auch im Dickdarm und Magen,
Tumoren von Ovarien und Testes, erhöhtes Karzinomrisiko
STK11 (Chromosom 19p)
Familiäre Juvenile Polyposis
Multiple juvenile Polypen im Dickdarm, erhöhtes Risiko für Dickdarmkarzinome und Magenkarzinome, angeborene Entwicklungsanomalien, Entwicklungsverzögerung bei Kindern
MADH4 (Chromosom 18q)
BMPR1A (Chromosom 10q)
Cowden-Syndrom
Allelische Variante:
Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom
Multiple Hauttumoren und Tumoren der Schilddrüse, der Mamma und der Ovarien, Schleimhautpolypen
im Colon und Magen, Entwicklungsstörungen Mukokutane Pigmentflecken (Genitale), Makrozephalie, multiple Lipome und Hämangiome
PTEN (Chromosom 10q)
Das Tumorgenesemodell der Familiären Adenomatösen Polypose (FAP)
Das Tumorgenesemodell der Familiären Adenomatösen Polypose (FAP)
Die „adenomatöse” Polyposis-Erkrankung (FAP) ist in den letzten 15 Jahren für die
pathoanatomische und molekulargenetische Tumorforschung ein ideales Forum gewesen,
um heute allgemein akzeptierte und verbindliche Modelle der molekularen Tumorgenese
zu erforschen. Die FAP führt bei den betroffenen Familien und Patienten bereits im
mittleren Erwachsenenalter fast unweigerlich zur Krebsentstehung im Dickdarm [4 ]. Daher wird heute nach exakter Diagnosestellung einer FAP bei diesem Patientenkreis
der Dickdarm prophylaktisch reseziert. Die genaue Kenntnis dieses Krankheitsbildes
hat heute für die Behandlung der betroffenen Patienten im Sinne einer erfolgreichen
Prävention große Bedeutung gewonnen [6 ]. Von dieser Erkrankung haben die Molekulargenetiker und Molekularpathologen gelernt,
dass es ein Schlüssel-Gen gibt, das FAP -Gen (alternativer Name: APC -Gen), das bei Menschen, die an dieser Erkrankung leiden, mutiert ist. Aber nicht
nur die Patienten, die an der familiären Form der „adenomatösen” Polypose leiden,
haben ein defektes FAP -Gen, sondern auch die meisten adenomatösen Schleimhauttumoren des Dickdarms, die
sporadisch auftreten, weisen somatische Mutationen des FAP -Gens auf [7 ]. Mehr noch: Es konnte eine detaillierte Abfolge von Mutationen in verschiedenen
wachstums- und proliferationsrelevanten Genen - darunter in Schlüsselposition das
FAP -Gen - identifiziert werden, die bei der Tumorentstehung im Dickdarm durchlaufen wird.
Dieses sog. „Vogelstein”-Modell der Mehrstufen-Karzinogenese beschreibt sowohl morphologisch
als auch molekulargenetisch den Weg von der normalen Dickdarmschleimhaut über Krebsvorstufen,
die wir Adenome nennen, bis zum manifesten Dickdarmkrebs, dem kolorektalen Adenokarzinom
[8 ]
[9 ]. Die Krebsentstehung wird hierbei als ein kumulativer Prozess von Mutationen aufgefasst,
deren zeitliche Abfolge und Art bedeutsam sind. Die genetischen Mutationen beeinflussen
auch die Lokalisation der Tumoren, deren Entstehung bei der FAP - wie wir heute wissen
- nicht auf den Dickdarm beschränkt sein muss. Man rechnet bei der FAP in der Bevölkerung
etwa mit einer Häufigkeit der Erkrankung von 1 : 10 000 bis 1 : 20 000. Unter einer
Bevölkerung von 82,5 Mio. in Deutschland würden sich dann als Anhaltspunkt etwa 4000
bis 8000 FAP-Patienten befinden.
Die Gruppe der „hamartomatösen” Polyposis-Erkrankungen
Die Gruppe der „hamartomatösen” Polyposis-Erkrankungen
Neben der familiären Erkrankung der adenomatösen Polypose (FAP), die an sich schon
nicht häufig ist, stellt die Gruppe der „hamartomatösen” Polyposis-Erkrankungen des
Magendarmtrakts, die sich von dieser „klassischen” Familiären Adenomatösen Polyposis
unterscheidet, eine um ein Mehrfaches seltenere klinische Diagnose dar [10 ]. Die unter den „hamartomatösen” Polyposis Erkrankungen zumeist federführend genannte
„Pigmentfleckenpolypose” (Peutz-Jeghers-Syndrom, PJS) ist nach allem, was man heute
weiß, etwa 10-mal seltener als die FAP. Daraus folgt, dass in der gesamten Bundesrepublik
Deutschland nur mit etwa 400 bis maximal 800 Menschen zu rechnen sein dürfte, die
an diesem seltenen Syndrom leiden. Das Interesse der klinischen Medizin an diesem
Peutz-Jeghers-Syndrom beruht auf der bereits erwähnten pathognomonischen Verknüpfung
dermatologischer und gastroenterologischer Befunde und dieses Interesse dokumentiert
sich nach wie vor durch die Aufnahme des PJS in den Lernzielkatalog der Medizinstudenten.
Weitere Polyposis-Erkrankungen, die in die Gruppe der „hamartomatösen” Polyposis-Erkrankungen
eingeordnet werden, sind die „Familiäre Juvenile Polyposis” [11 ], das „Cowden-Syndrom” [12 ] und als Sonderform des Cowden-Syndroms das „Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom” [13 ]
[14 ]. Alle diese Polyposis-Syndrome sind hereditär und zeigen einen autosomal dominanten
Erbgang (Tab. [1 ]). In anderen klinischen Eigenschaften lassen sich diese Krankheitsbilder jedoch
unterscheiden. Auf der Seite der Molekularbiologie sind bei diesen genetischen Syndromen
der Tab. [1 ] unterschiedliche Gene als krankheitsrelevant identifiziert worden. Beim Peutz-Jeghers-Syndrom
ist seit Januar 1998 das Gen, das mittlerweile bei der großen Mehrzahl der Peutz-Jeghers-Syndrom-Patienten
als mutiert nachgewiesen werden konnte, entdeckt und zeitgleich von 2 Arbeitsgruppen
publiziert [15 ]
[16 ]. Es wurden in diesen beiden Erstpublikationen bei verschiedenen PJS-Patienten spezifische
Keimbahnmutationen in einem Gen auf dem kurzen Arm des Chromosoms 19 (#19p13.3) nachgewiesen.
Dieses Gen erhielt den Namen Serin-Threonin-Kinase 11 (kurz STK11 ) und gilt mittlerweile als das PJS-Gen [17 ].
Das Krankheitsbild des Peutz-Jeghers-Syndroms
Das Krankheitsbild des Peutz-Jeghers-Syndroms
Die Diagnose des Peutz-Jeghers-Syndroms kann in vielen Fällen bereits eine Blickdiagnose
sein, da die Patienten des Peutz-Jeghers-Syndroms - zumindest im Kindesalter - ausgeprägte
und relativ dunkel pigmentierte Lippenflecken aufweisen (Abb. [1 ]). Die fleckförmigen Pigmentierungen sind auch im Schleimhautbereich der Wangen nachweisbar.
Die Polypen, die insbesondere im Jejunum und im Ileum, aber auch im Kolon und seltener
im Magen auftreten können, werden „Hamartome” genannt. Sie führen, wenn sie größer
sind, zu Einstülpungen (Invaginationen), zur Obstruktion des Darmrohrs (Ileus) und
auch zu Darmblutungen [18 ]. Die Polypen beim PJS zeigen eine ineinander greifende und kompliziert verschachtelte
Verzweigung von glattmuskulären Faserzügen in der Lamina propria sowie eine nicht
minder überschießende und sich an das Stromagerüst anschmiegende Epithelvermehrung,
die alle ortstypischen differenzierten Zelltypen des Epithels umfaßt. Die Drüsenschläuche
der polypösen Schleimhaut sind unregelmäßig verlängert und in feinvillösen Mustern
aufgereiht (Abb. [2 ]). Das Netzwerk und Maschenwerk der sich mehrfach knospenförmig verzweigenden Drüsenschläuche
kann auch immer wieder sägeblattartige, pseudopapilläre Epithelballungen aufweisen.
Diese zeigen jedoch im Gegensatz zu den Veränderungen, die man bei kleinen, sog. hyperplastischen
Polypen des Dickdarms findet, eine unregelmäßige Anordnung und Form. Die glattmuskuläre,
bisweilen gespinstartig anmutende Stromakomponente der PJS-Polypen ist quantitativ
nicht besonders prominent, sie zeigt jedoch bei größeren Polypen (> 1 cm) in aller
Regel eine muskuläre Verbindung zur inneren Ringmuskelschicht, der Lamina muscularis
propria. Dieser dann prominente muskuläre Stiel kann bisweilen größere Blutgefäße
enthalten und kann bei anliegendem dauerndem Zug die Lamina muscularis propria wie
bei einer chronischen Invagination U-förmig in das Darmlumen vorwölben. Die PJS-Polypen
sind somit - insbesondere wenn sie eine gewisse Größe gewonnen haben - fest mit der
Darmwand verankert. Dies gilt insbesondere für die Polypen im Dünndarm (Jejunum, Ileum,
Duodenum), darüber hinaus aber auch für die Polypen im Dickdarm. Diese feste Verankerung
in der Darmwand prädisponiert für Invaginationen, wenn zusätzlich eine gesteigerte
Peristaltik einsetzt. Am häufigsten treten bei PJS-Patienten Invaginationen im Jejunum
oder im ileocoekalen Übergangsbereich auf. Die Krankheitsbilder des akuten Abdomens
und des Verschluss-Ileus mit ihren Komplikationen limitierten vor der Ära der prophylaktischen
Polypenentfernung die Lebenserwartung von PJS-Patienten ganz entscheidend. Beispielsweise
verstarben von den bis 1949 bekannt gewordenen 10 betroffenen Mitgliedern der von
Peutz 1921 beschriebenen Familie nach der Mitteilung von Jeghers 6 Mitglieder aus
den beiden älteren Generationen (= 60 %) an den Folgen eines Ileus [19 ]. Es gibt aber auch noch verschiedene Tumoren, die bei PJS-Patienten häufiger auftreten.
Dazu zählen die mehrheitlich benignen Tumoren des Keimleistenstroma in den Gonaden,
die zumeist als Keimleistenstromatumoren mit annulären Tubuli bezeichnet werden, und
die malignen Tumoren, die sich im Laufe der Erkrankung entwickeln können und die dann
auch zum Tode der Patienten führen können [20 ]
[21 ]. Diese malignen Tumoren - es handelt sich dabei ausnahmslos um Adenokarzinome -
betreffen nicht nur den Gastrointestinaltrakt, sondern können sich auch in anderen
Organen wie der Brustdrüse, dem Pankreas, dem Uterus, im Ovar oder in der Lunge entwickeln
[22 ]. Wegen des erhöhten Karzinomrisikos werden die Rufe nach einer Etablierung von wirksamen
Vorsorgeprogrammen für diese Patienten immer lauter.
Abb. 1 Labiale Pigmentflecken einer jungen Patientin mit Peutz-Jeghers-Syndrom (gesicherte
STK11 -Mutation).
Abb. 2 Kompletter histologischer Schnitt (H&E-Färbung) durch einen PJS-Polypen des Ileum,
breitbasiger muskulärer Polypenstiel und fein verästelte Lamina muscularis mucosae.
x 12.
Das Tumorrisiko bei Peutz-Jeghers-Patienten
Das Tumorrisiko bei Peutz-Jeghers-Patienten
Eine Konsensuskonferenz zur Behandlung des kolorektalen Karzinoms im Jahre 1999 hat
festgestellt, dass „generelle Überwachungsempfehlungen wegen der derzeit spärlichen
Datenlage nicht gegeben werden können”. Im Jahre 2000 wurde von Giardiello und Mitarbeitern
eine „Metaanalyse” für das Tumorrisiko beim PJS veröffentlicht [21 ]. Aus verschiedenen Literaturberichten wurden darin die Krankheitsverläufe von 210
PJS Patienten verfolgt. Der Verlauf betrug insgesamt 5060 Personenjahre. Es wurden
dabei im Einzelnen 66 bösartige Tumorerkrankungen festgestellt, an denen die Patienten
zumeist verstarben. Unsere Arbeitsgruppe hat eine Kohorte von 28 PJS-Patienten aus
23 PJS-Familien betreut. Durchschnittlich konnten wir bei den Patienten 12 Jahre den
Verlauf übersehen. Bei 8 Patienten sind zwischenzeitlich bereits maligne Tumoren aufgetreten
(das entspricht knapp 30 % der Patienten). Das Peutz-Jeghers-Syndrom stellt somit
eine Tumorrisiko-Erkrankung dar, die eine unvollständige Penetranz aufweist. Im Vergleich
zur Durchschnittsbevölkerung, die im Alter von 40 bis 59 Jahren ein Krebssrisiko von
knapp 10 % aufweist, ist das Krebssrisiko von Peutz-Jeghers-Patienten in dieser Altersgruppe
auf 30 % erhöht [23 ].
STK11 -Mutationen bei Peutz-Jeghers-Patienten
STK11 -Mutationen bei Peutz-Jeghers-Patienten
Neben den bereits erwähnten Komplikationen der Polypen zwingt insbesondere das erhöhte
Gefährdungspotential durch maligne Tumoren die klinische Medizin zu einer möglichst
sicheren Diagnose eines PJS. Diese Sicherheit kann heute vor allem der molekulargenetische
Untersuchungsbefund einer Keimbahnmutation im PJS-Gen geben [24 ]. Klinisch-pathologische und klinisch-genetische Korrelationen bei den 28 PJS-Patienten
(aus 23 PJS-Familien), die von unserer Arbeitsgruppe betreut werden, haben ergeben,
dass Mutationen im STK11 -Gen bei 17 von 18 untersuchten Patienten gefunden werden konnten. Das ist bei immerhin
95 % der PJS-Patienten. Die Verteilung der gefundenen STK11 -Mutationen zeigt über den 9 Exons des STK11 -Gens keine „hot spots” und es lassen sich damit keine signifikanten Häufungen einer
bestimmten Mutation erkennen. Hervorzuheben ist das relativ häufige Auftreten (knapp
30 %) von längerstreckigen Deletionen im STK11 -Gen, die nur mit Zusatzmethoden zu den gängigen Methoden der Sequenzierung sicher
nachgewiesen werden können [17 ]. Insgesamt sind diese Mutationen etwas bevorzugt in den ersten 6 Exons des STK11 -Gens nachweisbar und es dominieren Mutationstypen, die zu einer Verschiebung des
Leserahmens und im Gefolge dann zu einem vorzeitigen Stop-codon im Gen führen (siehe
Abb. [3 ]) [25 ].
Abb. 3 Grafische Darstellung der 17 Keimbahnmutationen im STK11 -Gen bei einer Gruppe von 18 molekulargenetisch untersuchten PJS-Patienten (eigene
Fallgruppe).
Historischer Rückblick
Historischer Rückblick
Harold Jeghers (1904 - 1990) war ein amerikanischer Internist flämischer Abstammung,
der im Jahre 1949 mit einer ausführlichen Publikation, in der er auf eine 28 Jahre
zurückliegende ältere Beschreibung von Jan Peutz aus Den Haag in den Niederlanden
Bezug nahm, dieses Syndrom aus der Taufe hob [19 ]. Dr. Jan Peutz (1886 - 1957) berichtete 1921 von 2 Brüdern mit charakteristischen
labialen Pigmentflecken, die er als Kinder und Jugendliche wegen kolikartiger Abdominalbeschwerden
behandelte [26 ]. In der Familie fanden sich zwei weitere Brüder und eine Schwester, die von den
labialen Pigmentflecken und von Darmpolypen betroffen waren. Vom Vater wird berichtet,
dass er in seiner Jugend ebenfalls solche Pigmentflecken aufwies. Die Schwester des
Vaters verstarb an Darmkoliken. Bei dem einen der betroffenen Brüder wurde ein invaginiertes
Dünndarmsegment reseziert. Prof. Karl Landsteiner, der bekannte Nobelpreisträger,
der die menschlichen Blutgruppen entdeckte, war damals als Pathologe in Den Haag tätig.
Er diagnostizierte an dem resezierten Darmsegment eine „maligne Degeneration der Schleimhautpolypen”.
Er sprach von einem „beginnenden Adenokarzinom”. Der betreffende junge Mann war laut
Nachforschungen von Jeghers 18 Jahre später noch am Leben und zeigte keinen Hinweis
auf ein metastasierendes Karzinomleiden [19 ]
[27 ]. 1944 machte Foster, ein englischer Arzt, die kasuistische Mitteilung von Adenokarzinomen
des Dünndarms bei einem Vater und dessen Tochter aus Wales [28 ]. Die Beschreibung des Krankheitsbildes würde nach den heutigen Vorstellungen sehr
gut zu Schleimhautpolypen eines PJS passen. Die Patienten waren beide 4 Jahre nach
dem Eingriff wohlauf und klinisch tumorfrei. Dr. H. Jeghers publizierte 1949 10 Fälle
dieser Erkrankung, auf die er bereits 10 Jahre zuvor durch 2 Einzelbeobachtungen der
Pigmentflecken aufmerksam wurde [19 ]. Unter diesen 10 Fällen befand sich als Fall 3 eine Patientin, bei der histologisch
ein Karzinom diagnostiziert wurde. Die übrigen Polypen wurden als gutartige drüsige
Polypen bezeichnet. Diese Patientin (Fall 3 von Jeghers) zeigte zumindest in der mitgeteilten
Nachbeobachtungszeit von 13 Jahren keinen Hinweis für ein Rezidiv oder einen metastatischen
Tumorprogress.
In diese historischen diagnostischen Einordnungen geht mit einiger Sicherheit die
Überlegung ein, dass es sich bei dieser besonderen Polypose-Erkrankung um eine Variante
der damals bereits in Umrissen bekannten Familiären Adenomatösen Polypose handeln
könnte. Für uns heute schwer nachvollziehbar, aus dem Begriffsverständnis der Zeit
heraus jedoch durchaus plausibel ist die diagnostische Wertung des histologischen
Befunds eines Dünndarmpolypen als „gutartiges Karzinom im Sinne Hamperls mit geringer
Entartungsneigung” bei dem ersten in Deutschland beschriebenen Fall eines PJS durch
Kunsemüller [29 ].
Der Begriff „Hamartom” für diese Art der Polypen wurde erstmals von Bartholomew, Dahlin
und Waugh 1957 benutzt [30 ]. Die Autoren argumentierten, dass die Polypen beim PJS aus verschiedenen reifen
Zelltypen bestünden, die eine tumorförmige Gewebsmasse von desorganisiertem, jedoch
nicht dedifferenziertem Aufbau erzeugten. Für diese tumorförmige Vermehrung ortsständiger
und ortstypischer Gewebe verwandten sie den Begriff Hamartom, ohne damit für diese
Polypen den Charakter einer Neubildung (Neoplasie) primär zu negieren. Der Begriff
„Hamartom” wurde vom griechischen Wort „hamartia” abgeleitet, das im ursprünglichen
Wortsinn „Irrtum”, „Fehler” bedeutet. Die Bedeutung eines „überschießenden Wachstums
von ortsständiger Schleimhaut”, wie dies in medizinischen Lexika unter Hamartom zu
finden ist, ist eine sinngemäße aber etwas deformierte Ableitung. Genau genommen steckt
in dem Begriff „Hamartom” die fehlerhafte bzw. fehlgeleitete Ausbildung von geweblichen
Strukturen, die im Fall des PJS zu polypösen Tumorbildungen der Schleimhaut führt.
Im weiteren sprachlichen Umfeld spielt der Begriff der „hamartia” in der Bedeutung
eines Fehlverhaltens bei der theoretischen Konzeption der Tragödie (Aristoteles) eine
große Rolle. Aus der „hamartia” entwickelt sich durch unschuldig-schuldhafte Verstrickung
die Situation des Wendepunkts (Peripetie), die zum Leiden des tragischen Helden (Pathos)
führt. Im übertragenen Sinn hat das fehlgeleitete Wachstum der Schleimhaut beim PJS-Polypen
einen ernstzunehmenden pathischen Aspekt, indem es zwar primär zu einer differenzierten
Schleimhautvermehrung führt, die aber im Verlauf auf verschiedene Weise zu einem Befund
mit erheblichem Krankheitswert führen kann. In den letzten Jahren haben wir insbesondere
gelernt, dass dabei nicht nur mechanische Komplikationen auftreten können, sondern
dass auch eine weitere Entwicklung von bösartigen Tumoren bei diesem Krankheitsbild
zu gewärtigen ist.
Die „biologische Dignität” der PJS-Polypen
Die „biologische Dignität” der PJS-Polypen
Aus der Tatsache heraus, dass neben den verschiedenen Epithelzellen auch Mesenchymzellen
in Form von glatten Muskelzellen vermehrt im Stroma auftreten und dort anastomosierende
Bänder und komplexe bäumchenartige Verzweigungssysteme ausbilden, ist es verständlich,
dass es innerhalb der Polypen beim PJS zu Einschlüssen von Drüsenzellen und von Drüsenschläuchen
in glattmuskuläre Stromataschen und auch zur Abschnürung solcher Epithelinseln und
zur Verlagerung in tiefere Wandschichten kommen kann. Dies ist bei PJS-Polypen - insbesondere
ab einer gewissen Größe - in nicht unerheblichem Maße der Fall wie Shepherd, Bussey
und Jass an 491 Polypen zeigen konnten [31 ]. Sie fanden eine solche „Epithelverschleppung” immerhin in 10 % der untersuchten
Polypen. Eine derartige zum Teil sehr tiefreichende, bis in die Lamina muscularis
propria oder gar die Lamina serosa sich erstreckende Epithelverschleppung, die prinzipiell
auch als pseudokarzinomatöse Invasion bezeichnet werden kann, birgt natürlich die
Gefahr in sich, als Ausdruck eines aggressiven und infiltrierenden Wachstums (fehl-)interpretiert
zu werden. Wir haben in unserer Arbeitsgruppe auch einmal einen Fall mit einer Infiltration
von Epithel in Gefäßstrukturen des Polypenstiels gesehen. Die relativ häufigen Adenokarzinome
des Dickdarms stehen oft in Verbindung mit den mittlerweile als sichere Präkanzerosen
angesehenen, so genannten Adenomen der Darmschleimhaut, die Zellveränderungen aufweisen,
die nach der einheitlichen diagnostischen Sprachregelung der WHO als Dysplasie bezeichnet
werden. Der Begriff des Adenoms im Magendarmtrakt hat sich mittlerweile aufgrund der
sehr häufigen Assoziation mit zellulären Atypien, die als Dysplasien gewertet werden,
auf eine besondere, jedoch lokal relativ häufig vorkommende Form des Adenoms - nämlich
auf ein Adenom mit Atypien - spezialisiert [32 ]
[33 ].
Betrachtet man die im Rahmen der Erstbeschreibungen dieses Syndroms relativ häufig
und rückblickend zu oft gestellte Diagnose eines Adenokarzinoms als Überdiagnose,
so folgte auf diese Anfangsphase - insbesondere im Gefolge der Publikation von Bartholomew
1957, die den Begriff „Hamartom” für diese Polypen einführte [30 ] - eine Phase, die die Möglichkeit einer malignen Entartung dieser Polypen fast gänzlich
leugnete. Auch heute hält im Grundsatz diese Phase der „Unterdiagnose” von PJS-Polypen
noch an, obwohl die malignen Entartungsmöglichkeiten von PJS-Polypen vielfach stichhaltig
belegt und gezeigt werden konnten. Nicht zuletzt durch neuere molekularbiologische
Untersuchungen bekam die Vorstellung einer eigenen Hamartom-Karzinom Sequenz im Intestinaltrakt
neue Nahrung [34 ]
[35 ]. Die von uns untersuchten Polypen beim Peutz-Jeghers-Syndrom zeigten bei einem Viertel
der PJS-Patienten (7 von 28) zumindest leichtgradige dysplastische Veränderungen in
einem Teil der Schleimhautpolypen. Mit der Diagnose eines Karzinoms in einem PJS-Polypen
tut man sich jedoch vor allem in Kenntnis der geschilderten komplizierten begriffsgeschichtlichen
Vorbelastungen nach wie vor als Pathologe schwer.
Paradigma und Paradoxie des Adenombegriffs im Magen-Darm-Trakt
Paradigma und Paradoxie des Adenombegriffs im Magen-Darm-Trakt
Im Colon sind die adenomatösen Polypen als die präkanzerösen Veränderungen der Schleimhaut
definiert [32 ]. Tumorwertige Läsionen, die nicht in diese Kategorie passen, die durch die adenomatösen
Polypen vorgegeben ist, sind daher schwer zu klassifizieren. Die derzeitigen Klassifikationsfibeln
der WHO, die den Gastrointestinaltrakt betreffend im Jahre 2000 unter dem Titel „WHO
Pathology & Genetics” auf den neuesten Stand gebracht wurden, definieren das Adenom
als „umschriebene benigne Läsion aus tubulären und/oder villösen Strukturelementen
mit intraepithelialer Neoplasie” [33 ]. In der vorletzten Edition der Typisierung von Intestinalen Tumoren (1989) wird
das „Hamartom” als „tumorartige Veränderung der Schleimhaut” definiert [36 ] und die Tumor-Monographie des „Armed Forces Institute of Pathology” (AFIP) spricht
bei PJS-Polypen explizit von benignen „nicht-neoplastischen” Polypen [37 ]. Dies bedeutet, dass die allgemeinpathologische Definition eines „Adenoms” als eine
vom Drüsenepithel ausgehende, echte gutartige Geschwulst im Gastrointestinaltrakt
unversehens durch das Vorhandensein einer Dysplasie bzw. einer intraepithelialen Neoplasie
zugespitzt und eingeengt wurde. Wenn wir die histopathologische Diagnose eines Adenoms
und eines Peutz-Jeghers Polypen betrachten, so sollte die Unterscheidung dieser beiden
Entitäten doch als Forderung an eine moderne Diagnostik eindeutig sein. Die Erfahrung
der anamnestischen Betrachtung von Krankheitsverläufen bei PJS-Patienten lehrt uns
hingegen, dass die primäre Diagnose der Schleimhautpolypen gar nicht selten „Adenom”
lautete. Sofern dysplastische Epithelveränderungen in den PJS-Polypen nachweisbar
sind (und dies ist bei einem Viertel der PJS-Patienten zu erwarten) wäre eine solche
Adenom-Diagnose nach den WHO-Tumordefinitionen völlig korrekt. Gleichwohl leitet die
Adenom-Diagnose bei PJS-Patienten die behandelnden Ärzte in die Irre, indem sie die
Diagnose einer Familiären-Adenomatösen-Polypose-Erkrankung suggeriert. In der diagnostischen
Situation am Mikroskop ist die theoretisch so überzeugende Abgrenzung „nicht-neoplastischer”
und „neoplastischer” Polypen praktisch nicht durchführbar. So ist die Pigmentfleckenpolypose
immer noch in Gefahr, ihr Schattendasein neben der häufigeren FAP zu behalten, weil
die histopathologische Identifikation von „Hamartomen” in der Darmschleimhaut in einen
komplizierten begriffsgeschichtlichen Kontext eingebettet werden muss. Und der Blick
auf die Lippen der Patienten, der einen eigenen neuen diagnostischen Kontext herstellen
kann, ist dem Diagnostiker am Mikroskop nicht so einfach möglich wie dem Arzt am Krankenbett.
Daher gewinnt der heuristische Charakter der klinischen Diagnostik eines solchen Syndroms
gerade durch den dermatologischen Bezug wegen der Pigmentflecken seine Bedeutung und
das PJS möge daher seinen Platz im medizinischen Lernzielkatalog weiterhin behalten.
Die Begriffsevolution der betreffenden histodiagnostischen Begriffe in der Pathologie
ist gewiss noch nicht abgeschlossen.
Fazit
Fazit
Dieser begriffsgeschichtliche Ausflug zum „Hamartom” der Darmschleimhaut zeigt, dass
eine unkritische Übernahme von Begriffen aus unterschiedlichen Zusammenhängen und
anderen methodischen Milieus unvorhersehbare Mißverständnisse provoziert. Die Abgrenzung
der „Hamartome” von den „Adenomen” der Darmschleimhaut war mehr eine historisch begründete
Not denn eine sachlich begründete Notwendigkeit. Daher resultieren aus dieser zwanghaften
Trennung polypoider Schleimhautläsionen der Darmschleimhaut in „Adenome” und „Hamartome”
heute immer wieder diagnostische Missverständnisse, die durch ein entsprechendes Problembewusstsein
entschärft werden können. Die Adenom-Definition für die Darmschleimhaut, wie sie derzeit
die WHO verbreitet, beruht auf der Verallgemeinerung der Tumorentwicklung bei der
Modellerkrankung „Familiäre Adenomatöse Polypose” (FAP).
Danksagung
Danksagung
Mein besonderer Dank gilt Herrn PD Dr. med. S. Loff (Kinderchirurgische Klinik, Universitätsklinikum
Mannheim) und Frau Dr. sc. hum. W. Friedl (Institut für Humangenetik, Universität
Bonn) für die sehr gute und fruchtbare Zusammenarbeit.