Einleitung
Einleitung
Die Substitutionsbehandlung ist in den letzten 20 Jahren zu einer weit verbreiteten
und weithin akzeptierten Behandlungsform Opioidabhängiger in Europa avanciert[1] [1]. Allein in den Jahren 1993 - 1999 hat sich die Zahl der Therapieplätze verdreifacht.
Vom Jahre 2000 - 2005 hat sich die Zahl von 300 000 auf über 550 000 fast verdoppelt[2], d. h. es ergibt sich heute eine „Substitutionsrate” (in Bezug auf die Anzahl „problematischer
Drogengebraucher”) von 28 - 31 %, mit erheblichen Variationsbreiten (von 7 % in Schweden
bis hin zu über 58 % in Frankreich [2]. Die Zahl der Substituierten in den 10 „neuen” EU-Ländern liegt bei etwa 8000, was
eine bisher noch schwache Substitutionsrate von 5 - 7 % ergibt. Die Gründe dafür sind
u. a. in der lange vorherrschenden und beginnenden Auflösung des Abstinenzparadigmas
als Kernziel therapeutischer Intervention und einem biologistischen Suchtverständnis
[3]
[4]. Für die beiden EU-Erwartungsländer Bulgarien und Rumänien lagen keine Informationen
vor. In Norwegen wurden im Jahre 2003 2431 Substituierte aktuell in Behandlung gezählt,
in der Schweiz 14 458 (2004) [5].
Die Wirksamkeit der Substitutionsbehandlung bei Opioidabhängigen ist in vielen Forschungsarbeiten
belegt (siehe www.archido.de, www.indro-online.de). Wissenschaftliche Erkenntnisse und nunmehr langjährige praktische Erfahrungen liegen
vor, die zeigen, dass Substitution
-
eine sichere Behandlungsform darstellt,
-
eine Reduktion des Heroinkonsums und eine Reduktion der Mortalität und Morbidität
(z. B. HIV-Transmissionen) bewirkt,
-
effektiv darin ist, opioidabhängige Menschen in Behandlung zu halten,
-
das Risiko einer HIV-Infektion minimiert,
-
sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit ebenso wie die Lebensqualität
der Patienten steigert,
-
zu einer Reduktion der Kriminalität und der Wiederinhaftierung beiträgt,
-
kostengünstig ist,
und zu positiven Ergebnissen innerhalb verschiedener kultureller Zusammenhänge führen
kann (USA, Europa, Asien) [6]
[7]
[8].
Einige Studien zur Bedeutung von Substitutionsbehandlungen im Justizvollzug (v. a.
in Australien durchgeführt) haben gezeigt [9], dass Patienten
-
ihren Heroingebrauch, Injektionen und die Gemeinsambenutzung von Spritzen und Nadeln
reduzieren,
-
weniger in Drogenhandel im Gefängnis involviert sind,
-
in geringerem Maße unmittelbar nach Haftentlassung versterben,
-
sich in höherem Maße in weiterführende Drogenbehandlungen begeben,
-
die dauerhaft substituiert werden, deutlich weniger drogenbezogene Kriminalität begehen
und weniger generell niedrigere Rückfallquoten aufwiesen.
Darüber hinaus profitiert auch das Gefängnis von der Substitutionsbehandlung:
-
besser kontrollierbare Entzugssymptomatik,
-
reduzierter Drogenhandel,
-
erhöhte Produktivität und Arbeitsfähigkeit von Gefangenen.
Was aber passiert genau, wenn Drogenabhängige mit oder ohne Substitutionsbehandlung
in totalen Institutionen wie Maßregel- oder Strafvollzug untergebracht werden? Trotz
der oben skizzierten Erfolge wird die Substitutionsbehandlung nur in geringem Maße
in Gefängnissen angeboten bzw. durchgeführt. Die oben genannte Substitutionsrate in
Freiheit von 28 - 31 % wird jedenfalls, bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Dänemark und
Spanien) weit unterschritten (siehe Tab. [1]). Selbst in Ländern mit hohen Zahlen von Substitutionsbehandlungen (z. B. Frankreich)
geht die Zahl der Substituierten bei Haftantritt dramatisch zurück. Wird die Behandlung
durchgeführt, ist sie oftmals Gegenstand von Konflikten zwischen Patient/Innen und
Arzt/Ärztin bzw. Krankenpflegepersonal, was Dosis, psychosoziale Begleitung, Ausgabemodi
etc. anbetrifft. Eine unabhängige Instanz zur Qualitätssicherung existiert nicht.
Dies war der Hintergrund für die von der EU geförderte Studie zur Untersuchung der
Substitutionsbehandlung in europäischen Gefängnissen.
Tab. 1 Medikamentengestützte Behandlung Opioidabhängiger in Freiheit und in Gefängnissen
(18 Länder) [1]
| Land |
Problematischer Drogenkonsum |
Patienten in medikamenten-gestützter Behandlung |
Substitutions- rate[2] (%) |
Zahl der Gefangenen |
Problematischer Drogenkonsum im Gefängnis |
Zahl der Patienten in Substitutionsbehandlung |
Substitutions- rate im Gefängnis |
| Belgien |
23 200 - 28 400 (2004) |
1 994 (2003) |
7,0 - 8,6 % |
9 245 (1.3.2004) |
4 622 (50 %) |
224 (2004) |
5 % |
| Dänemark |
23 757 - 27 331 (2004) |
5 528 (2003) |
20,2 - 23,2 % |
3 908 (25.11.2003) |
547[3]
(14 %) |
300 |
55 % |
| Deutschland |
152 529 - 189 954 (2004) |
74 764 (2003) |
39,3 - 49,0 % |
81 176 (2003) |
20 294 (25 %) |
700 |
3,5 % |
| Finnland |
1 100 - 14 000 (2004) |
240 (170 Buprenorphine und 70 Methadon) |
9 - 13 |
3 719 (15.4.2004) |
2 975 (80 %) |
45 (2001) |
1,5 % |
| Frankreich |
147 900 - 182 600 (2004) |
106 500 (2003) |
58,3 - 72,0 % |
55 382 (1.4.2003) |
18 276 (33 %) |
2 548 (2001) |
14 % |
| Griechenland |
15 853 - 21 652 (2004) |
2 293 (2003) |
10,6 - 14,5 % |
8 841 (1.12.2003) |
27,5 %[4]
|
0 |
0 % |
| Irland |
13 405 - 15 819 (2004) |
8 243 (2003) |
52,1 - 61,4 % |
3 602 |
1 080 (30 % in 2000) |
500 |
46 % |
| Italien |
275 698 - 298 892 (2004) |
90 738 (2003) |
30,3 - 32,9 % |
56 761 (1.9.2003) |
15 442 (27 %) |
1 860 (31.12.2003) |
12 % |
| Luxemburg |
1 801 - 3 948 (2004) |
864 |
26,7 - 58,6 % |
498 (1.9.2003) |
191 (43 %)[5]
|
191 |
100 % |
| Niederlande |
29 380 - 32 989 (2004) |
13 505 (2003) |
40,9 - 45,9 |
16 239 |
5 358 - 8 119 (33 - 50 %) |
keine Daten |
keine Daten |
| Österreich |
29 397 - 33 535 (2004) |
6 413 (2003) |
19,2 - 21,8 % |
8 114 (2003) |
1 623 (20 %) |
531 (28.2.2002) |
33 % |
| Polen |
33 - 71 000 (2004) |
700 (Nov. 2003) |
1 - 2,1 % |
80 693 (2003) |
2 662 (3,3 %)[6] |
7 (Nov. 2003) |
0,3 % |
| Portugal |
41 720 - 58 980 (2004) |
12 508 (2003) |
21,2 - 29,9 % |
14 060 (1.9.2003) |
3 515 - 5 900 (25 - 42 %) |
607 (2002) |
10 - 17 % |
| Schottland |
56 000 (2002) |
Keine Daten |
|
6 803 (20.2.2004) |
5 238[7]
(77 %) |
700 |
13,4 % |
| Schweden |
23 500 - 27 300 (2004) |
2 100 (2003) |
7,7 - 8,9 % |
6 755 (1.10.2003) |
4 053 (60 %) |
0 |
0 % |
| Slowenien |
7 399 (2004) |
2 860 (2003) |
38,6 % |
5 219 (2003) |
703 (13, 47 %) |
222 |
32 % |
| Spanien |
182 498 - 214 152 (2004) |
88 748 (2003) |
41,0 - 48,7 % |
57 365 (20.2.2004) |
26 387 (46 %)[8]
|
21 642 (2001) |
82 % |
| Tschechien |
9 300 - 13 300 (2004) |
1 772 (2003) |
13,3 - 19,0 % |
17 429 (16.1.2004) |
38,5 % |
0 |
0 % |
|
1Basierend auf den Daten der EMCDDA „Drug Treatment Overviews” (EMCDDA 2005: http://www.emcdda.eu.int);
ergänzt durch berichtete Zahlen in den Interviews der Untersuchung bzw. in offiziellen
Publikationen
2Im Original: „Methadone Assisted Treatment Coverage Rate”, Zahl der Substituierten,
bezogen auf die Zahl der „Problematischen DrogenkonsumentInnen”
3Estimation for all Danish prison, done once a year. The estimation is divided into
drug users in general (1316 of all inmates = 38 % in 2000; rising from 22 % in 1980
to 27 % in 1990) and hard drug users.
4Fotiadou et al. (2004).
5Comité de Surveillance du Sida Luxembourg, (2003).
6According to a study carried out by J. Sierosawski (2003): 3,3 % of prisoners confirmed
intravenous drug use.
777 % of arrestees tested positive for illegal drugs (includes cannabis) in 2002,
when tested on the mandatory drug test upon entrance at the prison.
8Ministerio del Interior (2001).
|
Ziele der Studie
Ziele der Studie
Ziel der Studie war es, die Hürden für die Einführung oder Fortführung der Substitutionsbehandlung
in Haft zu analysieren und die Probleme zu benennen, die Gefangene erfahren, wenn
sie diese Behandlung aufnehmen wollen. Um diese Ziele zu erreichen, wurde
-
eine Literaturrecherche über Substitutionsbehandlung im Justiz- und Strafvollzug durchgeführt,
-
eine Bestandsaufnahme der Politik und Praxis der Substitutionsbehandlungen in Gefängnissen
vorgenommen,
-
eine Übersicht über nationale und regionale Entwicklungen von Pflegestandards erstellt,
-
Probleme bezogen auf die Fortführung der Behandlung von der Gemeinde in das Gefängnis
analysiert,
-
ein Austausch organisiert zwischen Ärzten, Krankenpflegepersonal und Fachdiensten,
-
Beispiele „Guter/empfehlenswerter Praxis” im Bereich der Substitutionsbehandlung identifiziert.
Methodik
Methodik
Die Untersuchung wurde über 18 Monate (von Dezember 2002 bis Mai 2004) durchgeführt.
Zunächst wurden eine allgemeine Datensammlung und Sichtung vorhandener Dokumente und
Abfrage relevanter Datenbanken vorgenommen. Vor diesem Hintergrund wurden Länderbesuche
vereinbart, in denen in jeweils zwei Gefängnissen Interviews einerseits mit Ärzten,
Krankenpflegepersonal und allgemeinen Vollzugsbediensteten, andererseits mit Gefangenen
durchgeführt wurden. Da es sich um eine explorative Studie handelte, wurde eine qualitative
Interviewmethodik gewählt, um den subjektiven Begründungen, Haltungen und Bedeutungen
der Befragten mehr Raum zu geben. Zudem handelte es sich um eine sensible Fragestellung,
die im Forschungsdesign insofern berücksichtigt wurde, als dass das Thema „Substitutionsbehandlung”
nicht nur von den Ärzten und Krankenpflegern, sondern auch von den Gefangenen diskutiert
wurde (in sog. focus groups). Durch Einbezug aller Beteiligten sollte eine ausgewogenere
Sichtweise des aktuellen Geschehens im Gefängnis erreicht werden.
Die Untersuchung fand in 33 Gefängnissen in 17 Ländern statt (15 EU-Mitgliedsländer
vor dem 1.5.2004, ohne Luxemburg, zusätzlich Tschechien, Polen und Slowenien). Es
wurden 184 Gefangene (132 Männer, 52 Frauen) in 33 Fokusgruppen befragt.
Ergebnisse
Ergebnisse
Entsprechend der Entwicklung der Substitutionsbehandlung außerhalb des Gefängnisses
war diese Behandlungsform in den untersuchten Gefängnissen zunächst für HIV-Positive
und/oder an Aids-Erkrankte oder schwangere Gefangene zugänglich. Obwohl diese enge
Beschränkung aufgehoben ist, bleibt das Angebot für diese Behandlungsform in Gefängnissen
weit hinter den Entwicklungen außerhalb zurück. Es besteht eine „Behandlungslücke”
zwischen den Gefangenen, die eine Substitutionsbehandlung wünschen und denen, die
sie bekommen. In den meisten Ländern existiert also eine unzureichende und sehr lückenhafte
Versorgung mit dieser Therapieform. Heterogene und inkonsistente Regelungen und Behandlungsbedingungen
lassen sich in den meisten untersuchten Gefängnissen feststellen, sogar innerhalb
einzelner Länder oder gar Regionen/Städte.
Trotz aller Beschränkungen hat sich die Zahl der Substitutionsbehandlungen in Haft
in den letzten Jahren vergrößert: Lediglich Griechenland und Schweden bieten keine
Substitutionsbehandlungen in Haft an.
In den meisten untersuchten Ländern führt die Inhaftierung zu einem Abbruch der in
der Gemeinde begonnenen Substitutionsbehandlung. Die Gründe dafür sind:
-
eine grundlegende Abstinenzorientierung der Ärzte,
-
einhergehend damit: die Wahrnehmung von Methadon oder eines anderen Substitutionsmittels
als psychoaktive Droge, die ungeeignet zur Therapie Drogenabhängiger ist,
-
ein mangelndes Verständnis von Abhängigkeit als eine chronische Krankheit,
-
begrenzte Ressourcen und Expertise.
Auch bei den Gefangenen ließen sich Widerstände und Ablehnungen der Substitutionsbehandlung
ausmachen:
-
Ein Mangel an Verständnis über die Zielsetzung von Substitutionsbehandlung: Der Gefängnisaufenthalt
wurde oftmals als (einzige) drogenfreie Zeit betrachtet - in diesem Kontext wurde
auch Methadon als „Droge” wahrgenommen, weil sie oftmals auch auf dem Schwarzmarkt
erworben wurde, und eher um ihrer psychoaktiven denn therapeutischen Wirkung konsumiert
wurde.
-
Gefangene wollen (über die Teilnahme an einem Methadonprogramm) nicht als „drogenabhängig”
erkannt werden, weil sie Nachteile für den Vollzug der eigenen Strafe befürchten.
Unter den meisten Befragten bestand jedoch ein Konsens darüber, dass in der Gemeinde
begonnene Substitutionsbehandlungen in Haft fortgeführt werden sollten. In der Praxis
war dies neben den o. g. (Ablehnungs-)Gründen häufig abhängig von der bisherigen Behandlungsdauer
in der Gemeinde, den in Haft zur Verfügung stehenden Plätzen und der voraussichtlichen
Zeit der Inhaftierung. Ein Beginn einer Substitutionsbehandlung in Haft wurde sehr
viel problematischer gesehen und Probleme der Überleitung waren in einigen Ländern
bedeutsam (z. B. nicht genügend freie Plätze in Substitutionsprogrammen). In einigen
Ländern (z. B. Belgien) ist die Substitutionsbehandlung formell begrenzt auf eine
Zeit zwischen 6 und 12 Monaten, in einigen anderen Ländern bestand diese Begrenzung
informell, ohne in Richtlinien festgeschrieben zu sein.
In einigen Ländern besteht keine zeitliche Limitierung: Substitutionsbehandlungen
werden „Kurzstraflern” ebenso angeboten wie „Lebenslänglichen”: In Österreich und
Spanien bspw. ist dies die Standardpraxis.
Obwohl psychosoziale Begleitung als wichtiger und integraler Bestandteil der Behandlung
und als sinnvolle Ergänzung zum medizinischen Teil der Therapie betrachtet wird, wird
sie in systematischer und koordinierter Form nur in wenigen untersuchten Gefängnissen
angeboten.
Eine große Heterogenität besteht in Europa und auch innerhalb eines Landes oder gar
Region bezüglich der Entzugsmodalitäten: Reduktionsschemata scheinen von Gefängnis
zu Gefängnis und selbst von Arzt zu Arzt zu variieren: von 7 Tagen bis zu 4 Wochen.
Der Gebrauch von Benzodiazepinen und Mehrfachabhängigkeit ist ebenso wie in der Gemeinde
als auch im Gefängnis ein Problem für die Substitutionsbehandlung, Entzug und Schwere
der Abhängigkeit insgesamt geworden.
Die Studie hat ergeben, dass die durchschnittliche Substitutionsdosis in Haft variierte
(zwischen 30 und 70 mg Methadon). Im Gegensatz zur Praxis in der Gemeinde glaubten
viele befragte Ärzte und Krankenpfleger, dass Niedrigdosen ausreichend für die Unterdrückung
des „craving” sind. Als Gründe wurden benannt, dass eine 100 %ige Einnahme des Substituts
garantiert werden konnte und dass der Umfang zusätzlich eingenommener Drogen im Vergleich
zu „draußen” reduziert werden kann.
Die Information der Gefangenen (z. T. auch der Bediensteten) über Sinn der Substitutionsbehandlung,
Wirkung einzelner Substanzen und grundsätzliche Substitutionspolitik war in vielen
Gefängnissen mangelhaft. Häufig verstanden Gefangenen weder die Zielsetzung des Substitutionsprogramms,
den Sinn eingesetzter Substanzen, Behandlungsschemata noch die Einschluss- und Ausschlusskriterien.
Dies stellt ein grundsätzliches Problem dar in Bezug auf die „informierte Zustimmung”
des Patienten zur Behandlung. Oftmals wurde von Ärzten und Krankenpflegepersonal die
Information über die Substitutionsbehandlung als gegeben vorausgesetzt.
Anonymität und Vertraulichkeit ist im Gefängniszusammenhang grundsätzlich schwer einzuhalten;
trotzdem wurden in vielen Anstalten Versuche unternommen, die Tatsache der Substitutionsbehandlung
eines Gefangenen vertraulich zu behandeln: Entweder wurden alle Substitutionspatienten
in einem Flügel untergebracht, oder die konkrete tägliche Abgabe erfolgte diskret
zusammen mit anderen Medikamenten. Gefangene berichteten auch über Ausnahmen, in denen
ihre Teilnahme am Substitutionsprogramm öffentlich für jedermann (Mitgefangene und
Bedienstete) einsehbar war (z. B. durch Kennzeichnung an der Zellentür).
In den meisten untersuchten Ländern gab es keine besondere Ausbildung für Ärzte und
Krankenpflegepersonal im Gefängnis. Da sich viele neue medizinisch-pflegerische Herausforderungen
angesichts der gesundheitlichen Belastungen vieler Gefangener stellen, wurden spezifische
Fortbildungsveranstaltungen im Allgemeinen begrüßt. Lediglich in einigen Ländern benötigen
Ärzte zur Verschreibung von Opiaten eine besondere (Zusatz-)Ausbildung; dies wurde
als ein wichtiger Schritt zur Steigerung der Behandlungsqualität betrachtet.
Ergebnisse für Deutschland: heterogene Substitutionspraxis
Trotz bundeseinheitlicher rechtlicher Rahmenbedingungen ist die Substitution in den
Gefängnissen Deutschlands in der Praxis sowohl hinsichtlich Ziel und Zweck als auch
hinsichtlich Häufigkeit sehr unterschiedlich gestaltet. Selbst länderspezifische Verwaltungsvorschriften
werden in den Gefängnissen der betreffenden Länder uneinheitlich umgesetzt. So begegnet
man in Deutschland einer sehr heterogenen Substitutionspraxis, die von Bundesland
zu Bundesland, von Gefängnis zu Gefängnis und z. T. von Arzt zu Arzt unterschiedlich
gehandhabt wird. Von einer flächendeckenden Versorgung kann nur in wenigen Bundesländern
gesprochen werden, eine zeitliche Befristung (auf 3 - 6 Monate) ist darüber hinaus
weit verbreitet.
Der Umfang der medizinischen Versorgung der Inhaftierten ist im Strafvollzugsgesetz
im Kapitel Gesundheitsfürsorge (§§ 56 - 66) festgelegt. Immer wieder (zum Teil wörtlich)
verweist der Gesetzgeber hier auf die Vorgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV). Tenor des Gesetzes ist in diesen Paragraphen eindeutig eine Angleichung der
gefängnismedizinischen Versorgung an die Versorgung der in der GKV Versicherten. Dennoch
gelten für die Substitution in Gefängnissen die BUB-Richtlinien der GKV allenfalls
über einen Umweg. So ist in einigen Bundesländern die Methadonsubstitution über Erlasse
dergestalt geregelt, dass ausdrücklich auf die Vorgaben der BUB-Richtlinien verwiesen
wird.
Dennoch kommt es immer zu Schwierigkeiten beim Wechsel von substituierten Patienten
aus dem System der GKV in das Gefängnis, aber auch umgekehrt, beim Wechsel nach Haftentlassung
vom Gefängnis in die GKV [9].
Diskussion
Diskussion
Um eine patientenorientierte Behandlung mit höherer Qualität zu erreichen, sollte
eine
-
wesentliche Ausdehnung von Substitutionsbehandlungen in den meisten Ländern erfolgen,
-
erhebliche Qualitätsverbesserung der Behandlung eingeleitet warden,
-
Verbesserung der Kommunikation und Kooperation zwischen Gesundheitsdiensten des Gefängnisses
und der Gemeinde/Stadt/Region angestrebt werden.
Die Studie zeigte außerdem, dass das Ziel der Erreichung einer Drogenfreiheit für
alle Gefangenen das Erreichen anderer wesentlicher und existenziell wichtiger Ziele,
wie Vermeidung von HIV-/Hepatitis-Infektionen, Überdosierung nach Haftentlassung,
gefährdet. Im Rahmen einer Prioritätensetzung muss die Gefahr irreversible Schädigungen
an oberster Stelle gesetzt werden.
Niedrig- und hochschwellige Programme sollten erwogen werden, die einerseits „harm
reduction”-Ziele verfolgen und andererseits mit zusätzlichen Mitteln für psychosoziale
Begleitung weiterführende Therapieziele verfolgen.
Die besonderen Behandlungsbedürfnisse von drogenabhängigen Frauen sollten angesichts
der Komplexität und Schwere ihrer Abhängigkeit und weiteren sozialen-gesundheitlichen
Belastungen stärker berücksichtigt werden.
Die Expertise und Kompetenz von betroffenen Gefangenen sollte in Zieldiskussion, Gestaltung
der Therapie und konkrete Durchführung einbezogen werden: Ausgehend von ihren Bedürfnissen
und Erfahrungen in früheren Substitutionsbehandlungen (u. a. in Haft) kann die Qualität
und die Wirksamkeit der Behandlungen erhöht werden. Gefangene mit Substitutionserfahrungen
sind willens und in der Lage substanziell wertvolle Beiträge zur Verbesserung der
Behandlung zu machen.
In vielen Ländern ist die Substitutionsbehandlung in Haft nicht oder nicht ausreichend
dokumentiert oder gar überprüft; es existieren oft nur grobe Schätzungen über die
Zahl der substituierten Patienten und die Behandlungsmodalitäten. In fast jedem besuchten
Land gab es keine wissenschaftlichen Überprüfungen der Behandlungswünsche und -bedürfnisse
der Patienten und der Sichtweisen der Behandlungsanbieter.
Zur Qualitätsverbesserung der Behandlung zählt auch eine Intensivierung des Austausches,
auf der Basis einer Patientenzustimmung, zwischen behandelndem Arzt/Krankenpflege
und entsprechenden Anbietern von Substitutionsbehandlungen am Heimatort der Gefangenen,
um Probleme der Fortführung, Übergänge, Anpassungen besser oder überhaupt regeln zu
können.
Einige Beispiele „guter/empfehlenswerter Praxis” wurden identifiziert:
-
Leitlinien eines klinischen Managements der Substitutionsbehandlung,
-
Kommunikations- und Kooperationsstrukturen zwischen allen beteiligten Fachdiensten
und Personen im Gefängnis (regelmäßige Treffen und Fallbesprechungen zwischen Ärzten,
Krankenpflegern, Sozialarbeitern, Psychologen),
-
Netzwerkarbeit mit den Einrichtungen der Drogen- und Aids-Hilfe in der Gemeinde.
Auf der Basis dieser Forschungsergebnisse wurden schließlich Empfehlungen für eine
Qualitätsverbesserung der Substitutionsbehandlung ausgesprochen.