Der Klinikarzt 2006; 35(1): VII
DOI: 10.1055/s-2006-932234
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"Kardiodiabetes" - Diabetes ist eine Erkrankung mit kardialer Dimension

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Publication Date:
01 February 2006 (online)

 
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Die kardiovaskuläre Gefährdung der Diabetiker ist bekanntermaßen hoch: 35% der Typ-1- und sogar 75% der Typ-2-Diabetiker sterben an kardiovaskulären Komplikationen. Bei Männern mit Typ-2-Diabetes ist das KHK-Risiko um das Drei- bis Vierfache, bei Frauen sogar um das Acht- bis Elffache erhöht. Und auch die Schlaganfallgefahr ist deutlich höher als in einem nichtdiabetischen Vergleichkollektiv: bei Männern immerhin zwei- bis dreimal und bei Frauen vier- bis fünfmal. "Im Hinblick auf die Überlebenswahrscheinlichkeit ist der Diabetes mellitus mit der Diagnose einer koronaren Herzkrankheit gleichzusetzen", konstatierte Dr. G. Lübben, Nürnberg.

"Heute sollte es nicht mehr passieren, dass ein Patient aus einer kardiologischen Station oder Praxis hinausgeht und nicht auf eine gestörte Glukosetoleranz oder erhöhte Blutglukosewerte hin kontrolliert worden ist", forderte Prof. K. Rett, Wiesbaden. Denn auch unter einer adäquaten medikamentösen kardiovaskulären Therapie bleibt eine erhebliche Risikolücke bestehen.

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Insulinresistenz als zentrales Bindeglied

Die Ursache hierfür ist die Insulinresistenz, die als eigenständiger Risikofaktor für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität eng mit dem kardiovaskulären Risiko der Patienten korreliert ist. Auch wenn sie erst gering ausgeprägt ist, ist sie ein Schrittmacher der Atherogenese und leistet damit kardiovaskulären Komplikationen Vorschub. Eng assoziiert ist sie mit

  • endothelialer Dysfunktion

  • vermehrter Monozyten-/Leukozytenadhäsion an der Gefäßwand

  • subklinischer chronischer Inflammation (z.B. Erhöhung des C-reaktiven Proteins, CRP)

  • erhöhte Gerinnungsaktivität und gestörte Fibrinolyse (Anstieg von Fibrinogen und PAI-1)

  • Bluthochdruck

  • Mikroalbuminurie

  • Dyslipidämie.

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Schließen Glitazone die therapeutische Lücke?

"Mit Glitazonen können wir die Insulinresistenz positiv beeinflussen", konstatierte Prof. D.C. Gulba, Düren. Die PPAR-gamma-Agonisten ("peroxisome proliferator activated receptor gamma") verbessern zudem die Funktion des Gefäßendothels, haben antiinflammatorische Effekte, wirken einer Zunahme der Intima-Media-Dicke entgegen, reduzieren die Restenoserate und verringern das Plaquevolumen bzw. stabilisieren die Plaques, erklärte Rett. Den aktuellen Daten der PROactive[1]-Studie zufolge kann Pioglitazon (Actos®) auch die kardiovaskuläre Prognose von Diabetikern deutlich verbessern.

Im Rahmen von PROactive wurden 5238 Typ-2-Diabetiker mit hohem kardiovaskulären Risikoprofil zusätzlich zu einer bestehenden antidiabetischen und kardiovaskulären Therapie mit bis zu 45 mg Pioglitazon oder mit Plazebo behandelt. "Schon nach sechs Monaten zeigte sich ein relevanter Vorteil für die Patienten, die Pioglitazon erhielten", berichtete Gulba. Das relative Risiko der Patienten, einen Myokardinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden bzw. zu versterben, reduzierte sich im Verlauf der dreijährigen Nachbeobachtungszeit um 16% (12,3 versus 14,4%, p = 0,027) - eine Risikoreduktion etwa in der Größenordung wie sie mit ACE-Hemmern oder Lipidsenkern möglich ist.

Vor allem da die Studienteilnehmer schon von Beginn an sowohl aus kardiologischer als auch aus diabetologischer Sicht hervorragend eingestellt waren, sei diese Risikoreduktion ein "klasse Ergebnis", waren sich die Experten einig. "Die Kurven divergieren darüber hinaus bis zum letzten Tag", so Gulba. "Ich würde erwarten, dass dies auch weiter Bestand hat und daher ein längerer Therapieintervall sinnvoll sein könnte."

Zudem besserte sich unter der Pioglitazontherapie die Stoffwechsellage der Patienten signifikant. So sanken Nüchternblutzucker und HbA1c-Wert deutlich stärker als unter Plazebo und auch das Lipidprofil besserte sich. "Ein angenehmes Nebenprodukt ist, dass der Beginn einer Insulintherapie unter Pioglitazon deutlich verzögert werden konnte - hier mussten nur 11,1% der Patienten auf Insulin eingestellt werden, unter Plazebo waren dies mit 22% doppelt so viele. Gleichzeitig konnte bei einigen vorher insulinpflichtigen Patienten die Insulintherapie wieder abgesetzt werden", äußerte Gulba.

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Wasserretention unter der Therapie beachten

Weniger angenehm war, dass die Diagnose 'Herzinsuffizienz' unter der Glitazontherapie deutlich häufiger gestellt wurde (281 versus 198 Meldungen). "Eine Übersterblichkeit aufgrund der Herzinsuffizienz haben wir jedoch nicht, das ist die gute Nachricht für mich", meinte Gulba, "denn dass Glitazone zur Wasserretention und zur Verschlechterung einer vorbestehenden schweren Herzinsuffizienz führen können, wussten wir schon vorher." In vielen Fällen war die Herzinsuffizienz zudem medikamentös ausreichend zu kontrollieren, sodass die Hospitalisierungsraten in beiden Studienarmen wesentlich geringer ausfielen (149 versus 108 Klinikeinweisungen aufgrund der Herzinsuffizienz).

"Vor allem für die Behandlung diabetischer KHK-Patienten scheinen sich Glitazone besonders zu eignen und sollten hier häufiger als derzeit Einsatz finden - dies ist meine Meinung als Kardiologe", schloss Gulba.

sts

Quelle: Pressekonferenz und Symposium "Der Typ-2-Diabetiker im Visier von Kardiologie und Diabetologie" im Rahmen der Herbsttagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, veranstaltet von der Takeda Pharma GmbH, Aachen

1 PROspective Actos Clinical Trial In macroVascular Events

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