PiD - Psychotherapie im Dialog 2006; 7(2): 215-219
DOI: 10.1055/s-2006-932637
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„… dem Körper zu erlauben, sich laufend selbst zu heilen”

David  Berceli im Gespräch mit Vita  Heinrich-Clauer und Arist  von Schlippe
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Publication Date:
24 May 2006 (online)

PiD: David, Sie arbeiten körpertherapeutisch mit traumatisierten Patienten. Wie sind Sie dazu gekommen?

David Berceli: Ende der 70er-Jahre habe ich im Libanon gelebt, in Beirut. Ich habe Arabisch studiert mit dem Schwerpunkt Sprachwissenschaften des Mittleren Ostens. Während dieser Zeit war Beirut im Mittelpunkt heftigster militärischer Auseinandersetzungen - es war Krieg! Ich war selbst ernsthaft traumatisiert, war mir aber dessen gar nicht bewusst, was da mit mir passiert war. Als ich in die USA (mein Heimatland) zurückgekehrt war, suchte ich etliche Therapeuten auf. Die waren aber nicht in Trauma-Therapie ausgebildet und so waren ihnen meine Erfahrungen mit den traumatischen Reaktionen nicht zugänglich. Zwei Jahre war ich in Einzeltherapie, aber dies war nur mäßig in der Lage, mir zu helfen, zu verstehen, was mit mir geschehen war. Ich wusste dann durch die Beratung sehr wohl, welche Auswirkungen der Krieg auf meine Psyche hatte. Doch war mein Therapeut nicht in der Lage zu erklären, was der Krieg in meinem Körper ausgelöst hatte. Das war ein Wendepunkt in meinem Leben, ich erkannte, wie verschieden der Heilungsprozess für die menschliche Psyche von einem für den Körper sein kann.

Sie haben also ganz persönliche Erfahrungen gemacht, die Sie dazu gebracht haben, in Ihrer therapeutischen Arbeit die körperliche Seite der Traumatisierung in den Blick zu nehmen?

Ja, ich habe mich seither intensiv mit den Auswirkungen traumatischer Erfahrungen auf das Individuum beschäftigt und bin als Trauma-Berater für Personal von Botschaften und Konsulaten sowie internationalen Hilfsdiensten beschäftigt gewesen. Ich wurde eingestellt, um Trainingsprogramme für Einzelpersonen zu entwickeln, die in Ländern lebten und arbeiteten, die durch Krieg oder politische Gewalt traumatisiert waren. Der überwiegende Teil meiner Arbeit geschah auf Englisch oder mit Hilfe von Übersetzungen in viele verschiedene Dialekte der lokalen Bevölkerung. Obwohl ich überwiegend mit den örtlichen Angestellten der internationalen Unterstützungsdienste arbeitete, begannen auch die internationalen Freiwilligen wahrzunehmen, dass sie traumatisiert waren. Sie fragten also auch nach Trauma-Genesungsprogrammen für ihre Mitarbeitergruppen. So kam ich in eine neue Welt der Trauma-Therapie.

Wie sind Sie ausgebildet?

Als ausgebildeter klinischer Sozialarbeiter waren mir die psychologischen Themen in Bezug auf Trauma sehr geläufig. Aber erst durch meine Ausbildung als Bioenergetischer Analytiker (Certified Bioenergetic Therapist - CBT) und meine klinische Ausbildung als Massage-Therapeut (Licensed Massage Therapist - LMT) war ich wirklich in der Lage, das Ausmaß der Spannung im Körper zu verstehen, das durch ein Trauma ausgelöst wird.

Arbeiten Sie vorwiegend einzeltherapeutisch?

Anfangs ja, doch inzwischen arbeite ich auch mit großen Populationen traumatisierter Menschen. Dies ist eine völlig andere Erfahrung als mit Einzel-Klienten in privaten Behandlungsstunden. Die Herausforderung in der Arbeit mit großen traumatisierten Gruppen liegt darin, eine therapeutische Methode zu entwerfen, die diese Menschen übernehmen, sodass sie sich damit selbst erhalten können, ohne auf individuelle therapeutische Hilfe angewiesen zu sein. Die Methode sollte unabhängig von einer bestimmten Kultur sein, leicht zu lernen sein und unmittelbare Wirkungen haben.

Gehen wir noch einmal zurück zum Prozess der Traumatisierung. Was passiert da körperlich und warum ist es wichtig, körperliche und seelische Prozesse zu unterscheiden?

Über Trauma und seine Auswirkungen auf den Körper muss man zwei sehr wichtige Prinzipien wissen: Erstens, Trauma lädt den Körper mit extremer Erregung auf, die durch einen Anstieg chemischer Stoffe im Blutkreislauf bewirkt wird. Das Ziel ist eine unmittelbare und spontane Schutzreaktion. Die Chemikalien aktivieren ein sehr spezielles Muskelsystem, das von den Beinen bis zum Kiefer reicht. Dieses Reaktionsmuster ist bei allen Menschen gleich - unabhängig von der jeweiligen Kultur. Es ist ein Muster, das durch unbewusste, instinktive Schutzmechanismen des „menschlichen Tiers” (human animal) hervorgerufen wird. Dieses Muster veranlasst den Menschen, während eines traumatischen Ereignisses zu kämpfen, zu flüchten oder zu erstarren. Im Falle einer erfolgreichen Handlung, d. h. wenn die Muskeln die biochemische Reaktion vollständig entladen haben, kehrt der Mensch zu einem normalen Zustand der Ruhe und Genesung zurück. Aber wenn die Entladung verhindert wird und deshalb erfolglos bleibt, werden posttraumatische Belastungsreaktionen erzeugt (Post Traumatic Stress Disorder - PTSD). Im Kern ist diese Reaktion also durch die verbleibende, nicht entladene biochemische Erregung verursacht, die während eines traumatischen Ereignisses entstanden ist.

Also die nicht entladene Erregung sorgt dafür, dass der Körper kontinuierlich im Stress bleibt?

Genau! Die überschießende Energie, die biochemisch während des traumatischen Ereignisses entstanden ist, lädt den Körper kontinuierlich immer wieder auf, sie erzeugt also einen chemisch induzierten Erregungszustand. So geht der Körper dazu über, Bestandteile des Traumas zu wiederholen - als ein Versuch, die ursprüngliche Reaktion über die Entladung der chemischen Stoffe zu vervollständigen. Da ein Trauma emotional und physiologisch eine überwältigende Erfahrung ist, speichert der Körper die Erinnerungen, Gedanken und Gefühle, um diese zu einem späteren Zeitpunkt zu verarbeiten.

Diese Versuche, die nicht vollzogene körperliche Bewegung zu vollziehen, halten den Körper sozusagen in einer nicht abgeschlossenen Schleife aus Erregung und Bewegung, kann man das so sagen? Eine „Falle” in gewissem Sinn?

Ja, ohne diese Entladung bleibt der Körper in einem Kreislauf von zwanghafter Reinszenierung (Wiederbelebung) gefangen. Es kann eine endlose und nicht zu stoppende neurobiologische Rückkoppelungsschleife entstehen, die die Person in einer Art psychophysischer Gefangenschaft hält. Solange das Gehirn nicht das Signal vom Zentralnervensystem erhält, dass die Gefahr vorbei ist, wird der Körper weiterhin das bioneurale Muster von Schutz und Verteidigung aufrechterhalten und wiederholen. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Erholung vom Trauma ist, die natürlichen Lösungsmechanismen des Körpers zu aktivieren, die dem Körper bedeuten, in einen Zustand der Ruhe und Wiederherstellung zu zurückzukehren.

Man muss dem Körper sozusagen mitteilen: „Die Gefahr ist vorbei, du kannst loslassen!” Dazu muss man natürlich in der Sprache des Körpers sprechen.

Genau, und das führt mich zu dem zweiten Prinzip bezüglich Trauma im Körper. Es scheint nämlich, dass der menschliche Körper zu einer natürlichen Entladung dieser während des Traumas entstehenden überschießenden biochemischen Reaktionen durchaus in der Lage ist!

Sie meinen, Menschen sind von Natur aus ausgestattet mit der Kapazität, traumatische Erfahrungen zu überwinden? Ist das dann eigentlich eher eine psychologische oder physiologische Qualität?

Da würde ich gern einmal über den „Neurogenen Tremor” (das Zittern) sprechen. Dies scheint die natürlichste Weise des Körpers zu sein, extreme Erregung wieder zu entladen. Dieses Phänomen ist in allen Ländern und Kulturen gleich. Neurogenes Zittern ist eine sehr ursprüngliche körperliche Erfahrung, die aus den natürlichen Prozessen des prozeduralen Gedächtnis-Systems herrührt. Sie sind ein natürlicher Teil der gattungsmäßigen Ausstattung des Organismus. Da wir sie als genetisch fundiert verstehen, hat sie auch eher physiologische als psychologische Wurzeln. Es ist verbreitet und auch dokumentiert, dass dieses Zittern ein übliches Resultat von traumatischen Ereignissen ist.

Es ist in vielen Kulturen nicht ungewöhnlich, Sätze zu hören wie: „Ich war so erschrocken, dass mein Kiefer klapperte”, „Meine Hände zitterten sosehr, dass ich mich nicht mehr beruhigen konnte”, „Meine Beine zitterten, als ich meinen Vortrag hielt”, „Ich war so ärgerlich, dass ich zitterte”. Die Erfahrung des körperlichen Zitterns ist nicht nur in unserer Kultur allgemein verbreitet, sondern ist auch eine übliche Erfahrung vieler Säugetierarten. Obwohl es keine genauen Schätzungen über die Inzidenz und Prävalenz neurogenen Tremors gibt, legen die klinischen Erfahrungen nahe, dass diese nicht selten sind. Im Zusammenhang mit PTSD berichteter neurogener Tremor ist genauso als diagnostischer Bestandteil von Panikattacken, sozialen Phobien und der Generalisierten Angststörung im DSM-IV-TR zu erkennen.

Wenn es sich um eine Art „physiologischer Ausstattung” unseres Körpers handelt, hat das Konsequenzen für die Arbeit mit multikultureller Klientel. Wie sind da Ihre Erfahrungen?

Von meinen ausgiebigen Erfahrungen in der Arbeit mit verschiedenen Ländern mit traumatisierten Kulturen, z. B. Äthiopiern und Eritreern, Nord- und Süd-Sudanesen, Israelis und Palästinensern sowie Moslems und Christen habe ich gelernt, dass - unabhängig von Kultur, Sprache oder psychosozialem Hintergrund - alle Menschen auf traumatische Ereignisse in zweifacher Hinsicht identisch zu reagieren scheinen: Eine intensive biochemische Reaktion im Körper veranlasst diesen, ein bestimmtes Muster von Muskelspannung zu entwickeln. Anschließend wird dieses Anspannungsmuster natürlicherweise durch spontanes Zittern nach dem Ereignis gelöst. Wenn dieses Zittern vollständig ablaufen kann, wird eine Tiefenentspannung bewirkt.

Es geht also im ersten Schritt darum, das Zittern zuzulassen und sich dem Prozess zu überlassen, der sich dann einstellt?

Studien an Tieren in der Wildnis zeigen, dass Säugetiere nach einem traumatischen Ereignis einen angeborenen nervlichen „Zitter”-Mechanismus nutzen, der die hohe biochemische und neuromuskuläre Ladung in ihrem Körper entlädt und damit eine spontane Erholung von dem traumatischen Ereignis erleichtert. In Anlehnung an Tierforscher stattet dieser Zitter-Mechanismus die Tiere mit einer „eingebauten” Immunität gegenüber PTSD aus, die es ihnen nach einem hoch aufgeladenen lebensbedrohlichen Ereignis ermöglicht, zu einem normalen Leben in der Wildnis zurückzukehren.

Erzählen Sie doch noch etwas mehr über die Funktion des Zitterns!

Neuere Forschungen und die Literatur über die Auswirkungen des Zitterns nach einer traumatischen Episode bekräftigen, was ich vorher aus der Tierforschung berichtet habe. Neurogenes Zittern bei Menschen scheint - ganz ähnlich wie das instinktive Zittern bei Tieren - die natürliche Antwort eines geschockten oder gestörten Nervensystems zu sein, die neurophysiologische Homöostase des Körpers wiederherzustellen. Den Forschern folgend erlauben diese Wiederherstellungsmechanismen dem Organismus, sich von der erstarrten/erstarrenden Reaktion zu erholen bzw. „aufzutauen” (wie es bei Tieren auch geschieht).

Peter Levine schlägt in seinem Buch „Die Heilung des Tigers” vor, dass der Ansatzpunkt zur Heilung traumatischer Symptome bei Menschen in unserer Fähigkeit liegt „die flüssige Anpassung wilder Tiere, indem sie ,ausschütteln und zittern‘ und dadurch den Lähmungszustand (die unbewegte Reaktion) überwinden und wieder vollständig beweglich und funktionsfähig werden”, zu spiegeln. Kurz gesagt leistet das neurogene Zittern eine Löschung eines konditionierten sensomotorischen Antwortmusters bei Menschen - wie es auch bei anderen Säugetierarten geschieht (Scaer 2005).

Der Körper nutzt diese Reaktion, um den Prozess der Entladung des unterbrochenen Bewegungsmusters von Kampf und Flucht zu vervollständigen. Wenn das angeborene und instinktive Zittern verstärkt und genutzt wird - anstatt es als Pathologie zu behandeln - können Menschen (wie Tiere) den somatischen Ausdruck ihres Traumas auflösen, sodass die Homöostase des menschlichen Organismus wiederhergestellt werden kann (Levine 1997). Obwohl es allgemein akzeptiert ist, dass körperliches Zittern üblicherweise bei einer Anzahl psychischer Erkrankungen vorhanden ist, hat der Sinn, die Ätiologie und der potenzielle therapeutische Wert dieses Zitterns im Verhältnis zur Anzahl der berichteten Fälle wenig Beachtung erhalten.

Sie sind bioenergetischer Therapeut. Welche Methoden stellt die Bioenergetik hier bereit?

Die Bioenergetik ist seit den ursprünglichen Veröffentlichungen von Alexander Lowen sehr vertraut gewesen mit dem Prozess des Zitterns bzw. der Vibrationen. Auch sein Übungsbuch „The Vibrant Way to Health” (2003) erwähnt diese Zitter-Phänomene. Leider werden sie nur als „Schütteln” beschrieben und werden einfach nur als „Energie”, die durch den Körper fließt, erklärt. Zu der Zeit, als er dies geschrieben hat, war es eine ausreichende Erklärung. Aber heutzutage ist das unzureichend. Bioenergetische Therapeuten sind sehr wohl in der Lage, ihren Klienten dazu zu verhelfen, dieses Zittern oder Schütteln zu entwickeln. Aber die meisten sind darin ausgebildet, diesen Prozess derart zu begleiten, dass sie die Klienten dazu ermuntern, den seelisch-körperlichen Ausdruck als Weg der Entladung von Energie zu suchen.

Aber wie gehen Sie da genau vor?

Wenn dieses Zittern einen genetisch kodierten Ausdruck von Entladung darstellt, dann benötigt es nicht immer eine zusätzliche Richtung oder einen zusätzlichen Ausdruck. Das Zittern wird durch das Zentralnervensystem (ZNS) veranlasst und hat eine angeborene Weisheit, die sich selbst steuert. Mittlerweile habe ich mit Tausenden traumatisierter Menschen gearbeitet und festgestellt, dass dieses Zittern dem Spannungsmuster genau folgt, das während eines traumatischen Ereignisses entsteht. Sie lösen buchstäblich das Spannungsmuster, das für die neurobiologische Feedback-Schleife verantwortlich ist, die eine Person in einer Art psychophysischem Gefängnis eingeschlossen hält. Indem man Personen durch den Prozess hindurch begleitet, dieses Zittern auf natürliche Weise herzustellen, sind diese dann im Anschluss in der Lage, ohne Dazutun auf dem Boden liegend dieses Zittern durch den ganzen Körper hindurch zuzulassen. Dabei sind die Pfade dieser tiefen chronischen Verspannungen vorgegeben.

Das klingt ein wenig, als ginge das „von selbst”?

Nein, natürlich nicht. Wir müssen den anatomischen Aufbau eines Menschen verstehen. Der Psoas-Muskel ist ein spezielles Muskel-Set, das als Kampf-Flucht-Muskel der menschlichen Art betrachtet werden kann. Diese primitiven Muskeln wachen über den Schwerpunkt des menschlichen Körpers, der direkt gegenüber dem drittem Sakralwirbel (S3) liegt. Während eines traumatischen Ereignisses kontrahiert der Psoas-Muskel, um den Unterleib des Menschen zu schützen. Diese Muskeln, die den Rücken mit dem Becken und den Beinen verbinden, bleiben kontrahiert, bis die Gefahr vorüber ist. Um von den Kontraktionen eines Traumas zu genesen, müssen diese tief sitzenden Muskeln ihre schützenden Spannungen ausschütteln und entspannen. Wenn wir mit organischen Mechanismen wie neurogenem Zittern arbeiten, sollten wir auch wissen, dass dieses vom Körperschwerpunkt ausgelöst werden muss. Das ist wichtig, weil der Körper natürlicherweise die Rückenmarkreflexe nutzen wird, um auf diesem Weg von der Basis der Wirbelsäule zum Nacken und Kiefer zu „reisen” und eine vollständige anatomische Erleichterung zu finden.

Wie gehen Sie persönlich dabei vor, jemandem bei der Lösung chronischer Spannungen zu helfen?

Die von mir entwickelte Methode (TRE - Trauma Releasing Exercises) aktiviert einfach nur diese Mechanismen und erlaubt damit dem Körper, die Spannungen durch seinen eigenen natürlichen Prozess zu lösen. Die Übungen können einzeln und in der Gruppe durchgeführt werden. Sie beginnen im Stehen (die ersten sechs Übungen) und enden auf dem Boden auf dem Rücken liegend. Bevor der tief sitzende Psoas-Muskel gelockert wird, konzentrieren sich die Übungen auf die Erdung (d. h. Sicherheit des Bodens und flexibler Stand) und gleichzeitige Lösung der verkrampften Muskulatur der Füße, Sprunggelenke, Waden, Oberschenkel, Adduktoren, Hüftbeuger, des Rückens. Diese Muskeln stehen alle in Verbindung mit dem (blockierten) Kampf-/Fluchtimpuls. Der Psoas-Muskel ist durch Massage nur schwer zu erreichen. Stattdessen werden in liegender Position Beine und Becken auf eine bestimmte Weise angespannt, gehalten, bewegt und gedehnt. Die Übungen basieren auf Prinzipien aus dem Yoga, der Bioenergetik, des Tai Chi und manchen östlichen Kampfsportarten. Wichtig ist, dass jeder Klient sein eigenes Tempo bestimmt und jederzeit aufhören kann.

Ich habe festgestellt, dass diejenigen Klienten, die diese Übungen regelmäßig durchführen, über eine fortschreitende Erfahrung der Lösung tiefer Spannungen in ihrem Körper berichten. Es ist einfach eine Angelegenheit, dem Körper zu erlauben sich laufend selbst zu heilen. Das Lösen chronischer Spannung ist ein natürlicher Prozess des Körpers. Neurogenes Zittern ist der Mechanismus, diese Spannung zu lösen. Wofür ich mich einsetze, ist, dass der Körper seine eigene Weisheit hat, um Spannungen zu lösen. Er ist eine „lebendige Amöbe”. Er strebt unentwegt an, das Leben in seiner vollständigen Kapazität zu leben. Das garantiert das Überleben und die Evolution. Menschen sind einfach komplexe Amöben.

Wie stellen Sie eine Beziehung zu Ihren Klienten her? - Für jemanden, der ein schweres Trauma erlebt hat, muss es sehr schwierig sein, einfach passiv auf dem Boden zu liegen - insbesondere mit einem männlichen Therapeuten vor sich. Auf eine Weise scheint die Therapie erfolgreich sein zu müssen, bevor sie beginnen kann?

Das ist eine sehr komplexe Frage. In allen Ländern Afrikas und des Mittleren Ostens, in denen ich gearbeitet habe, gab es sehr wenige Probleme eine Beziehung herzustellen. Das liegt in erster Linie daran, dass es nur wenige Probleme mit Bindung gibt. In diesen Kulturen erfahren Kinder sichere und starke Bindung. Sie schlafen oft mit vier bis fünf Personen in einem Bett. Sie werden den ganzen Tag auf den Rücken oder vor die Brust der Mutter geschnallt oder sonst wie von Geschwistern oder anderen Familienmitgliedern versorgt. Wenn ich mit ihnen arbeite, kommt die Hilfe suchende Person oftmals mit Freunden und Familie, die an der Sitzung teilnehmen, da es keine Vorstellung davon gibt, dass ein Individuum alleine heilen könnte. Sie sehen sich selbst auch in ihrer Heilung nur in der Beziehung zur Familie und Gemeinschaft.

Westliche Menschen, die viel häufiger Bindungsstörungen erfahren, sind empfindlicher im Umgang damit. Alle Klienten, die mit Bindungs- und Beziehungsstörungen in meine Praxis kommen, beginnen mit Körperarbeit. Sie müssen zuallererst Empfindungen und Gefühle in ihren Körpern entwickeln, bevor sie in der Lage zu einer irgendwie gearteten Beziehung zu mir als Therapeut sind. Wenn sie keine körperliche Verbindung zu sich selbst haben, haben sie eine reine „Kopf-Beziehung” zu mir, die weiterhin die Spaltung zwischen Körper und Seele verstärkt, unter der sie ohnehin schon leiden. In dem Moment, in dem sie beginnen, ihren Körper zu fühlen, entwickelt sich auch eine Empfindung von Beziehung zu mir. Körperarbeit ist immer der Ausgangspunkt für Bindung und Beziehung.

Trotz aller Bemühungen um eine gute und stabile therapeutische Beziehung kann es geschehen, dass die Klienten eine Art Re-Traumatisierung erfahren. Einige Leute behaupten, dass Körperarbeit besonders gefährlich sein kann, da sie die Abwehr- bzw. Schutzmechanismen der Klienten angreifen kann?

Körperarbeit hat nur dann das Potenzial, Abwehrmechanismen zu unterlaufen und eine Person zu re-traumatisieren, wenn sie zu forsch gehandhabt wird. Jeder Organismus hat seine eigene Heilungsgeschwindigkeit. Sehr häufig sind Therapeuten nicht in der Lage, sich dem langsamen Tempo im Heilungsprozess eines Klienten anzupassen. In der Regel wollen Therapeuten zu schnell Fortschritte machen. Ich habe festgestellt, dass je stärker das Trauma, desto langsamer der therapeutische Prozess sein sollte. Es gibt einen Unterschied zwischen Angreifen und Auflösen der Abwehrmechanismen. Wenn die Abwehrmechanismen der Klienten langsam aufgelöst werden, werden sie natürlich Angst, Terror, Scham, etc. erfahren. Sie werden von diesen Gefühlen aber nicht überwältigt, wenn der Therapeut langsam genug vorgeht.

Die Übungsreihe, die zur Anregung neurogenen Zitterns entwickelt wurde, beginnt mit einigen ganz einfachen Erdungsübungen (Grounding). Falls ein Klient bereits heftige Gefühle durch diese erdenden Übungen zu entwickeln beginnt, dann ist das einfach das Zeichen, dass dieses die einzigen Übungen sind, die er machen sollte. Das Hervorrufen von Gefühlen ist das Zeichen dafür, dass ein Klient direkt auf dem Weg in dem Heilungsprozess ist und entsprechend seinen Fähigkeiten zur Integration in dem Moment genug getan hat. Dann geht es einfach um Innehalten bei den Körperübungen und um die Integration der emotionalen Phänomene, die an die Oberfläche gekommen sind. Ich hatte of Klienten, deren Gefühle bereits durch die erste Übung hervorgerufen waren. Ich stoppte einfach an der Stelle, bearbeitete ihre Gefühle, und knüpfte mit der zweiten Übung in der nächsten Sitzung an. Es ist einfach eine Angelegenheit der Geschwindigkeit, ob jemand sein Trauma auflöst oder durch das Trauma überwältigt wird.

Was sind die psychosomatischen Folgen im Falle von Nicht-Behandlung?

Wenn eine Person traumatisiert ist, entwickelt der Körper ein übermäßiges Ausmaß an Energie zur Selbstverteidigung. Wenn diese Energie nicht angemessen durch den Kampf-Flucht-Mechanismus entladen wird, bleibt sie im Körper gespeichert und sucht fortlaufend nach einer organismischen Entladung. Dieser konstante Versuch einer Entladung der übermäßigen Energie hält das Individuum in einer fortlaufenden neurobiologischen Feedback-Schleife, die eine zwanghafte Wiederholung (Re-Inszenierung) des Traumas bewirkt. Das Trauma wird niemals gelöst werden, wenn nicht der Organismus die übermäßige Energie entladen kann. Auf der psychosomatischen Ebene können Symptome wie Übererregung, Schlafstörungen, Kopf- und Rückenschmerzen, Bluthochdruck, Magengeschwüre usw. entstehen. Auf der psychologischen Ebene sind Wiederholungszwänge und Re-Inszenierungen zu beobachten, z. B. erneutes Aufsuchen von Gefahren oder Opfersituationen oder auch die Umkehrung von der Opfer- in die Täterrolle (wenn z. B. missbrauchte Kinder als Erwachsene missbräuchliche Beziehungen eingehen). Wir können intensive und extreme emotionale Reaktionen beobachten wie Angst, Hass, Wut, Scham oder Rachewünsche, Misstrauen und negative Ideologien.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Literatur

  • 1 Scaer R. The trauma spectrum: Hidden wounds and human resiliency. New York; W. W. Norton & Company 2005
  • 2 Levine P. Waking the Tiger. Healing Trauma. Berkeley, CA; North Atlantic books 1997
  • 3 Lowen A. The Way to Vibrant Health. Bioenergetic press 2003