Die Debatte, wann die hormonelle Behandlung für das Prostatakarzinom zum Einsatz kommt
- sofort oder verzögert - ist nicht neu. Eine Studie aus der Schweiz zeigt nun, dass
insbesondere bei älteren Patienten mit asymptomatischem Prostatakarzinom mit der Hormonbehandlung
gewartet werden kann.
Anhand von 197 Patietnen mit einem Durchschnittsalter von 76 Jahren und asymptomatischem
frisch diagnostizierten Prostatakarzinom ohne kurative Lokalbehandlung untersuchten
U. E. Studer und Kollegen, welche Auswirkungen eine sofortige oder eine verzögerte
subkapsuläre Orchiektomie auf Überlebensraten, symptomfreies Überleben und Lebensqualität
hat (J Clin Oncol 2004; 4109- 4118). Dazu wurden die Patienten randomisiert einer verzögerten oder einer sofortigen Orchiektomie
unterzogen. Die Patientengruppen waren hinsichtlich klinischer und laborchemischer
Parameter vergleichbar. 91 Patienten erhielten eine sofortige Orchiektomie und von
97 Patienten, die für eine verzögerte Orchiektomie vorgesehen waren, benötigten 39
diese nicht. Von den verbleibenden 53 Patienten (58%) aus dieser Gruppe wurde mit
dem verzögerten Behandlungsprotokoll nach einem durchschnittlichen Zeit- intervall
von 3,2 Jahren begonnen. Zwischen den beiden Patientengruppen ergaben sich keine Unterschiede
hinsichtlich der schmerzfreien Zeit, des Allgemeinzustands und der Überlebensraten.
Fazit
Fazit
Für ältere Patienten mit asymptomatischem neu diagnostizierten Prostatakarzinom, die
keine Kandidaten für eine kurative Lokalbehandlung sind, ist das Zeitmanagement einer
Hormonbehandlung hinsichtlich der Überlebensraten unerheblich. Unter sorgfältiger
Beobachtung kann in dieser Patientenpopulation mit der Orchiektomie zugewartet werden.
Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas
Erster Kommentar
Erster Kommentar
H. Huland
Wichtiger Beitrag für eine gute Patientenberatung
Die vorliegende Studie unter der Leitung von Professor Studer (Zusammenarbeit mit
anderen Kollegen der Schweiz) halte ich für einen ganz bedeutenden Beitrag bei der
Behandlung des fortgeschrittenen, d. h. nicht mehr lokal begrenzten Prostatakarzinoms.
Seit Charles Huggins in den 40er-Jahren die Hormontherapie zur Behandlung des Prostatakarzinoms
eingeführt hat, diskutieren die Urologen, ob eine frühe Hormonbehandlung, z. B. in
Form der Hodenentfernung, sinnvoll ist oder eine verzögerte Hormonbehandlung. Verzögert
bedeutet, dass bei weiterem Fortschreiten der Erkrankung oder Auftreten von Knochenmetastasen,
diese Form der Therapie eingesetzt wird. Die historische Kontroverse macht sich an
zwei bekannten Arbeitsgruppen fest, die auch in den Zitaten 13, 14 sowie 15 und 16
dieser vorliegenden Studie zitiert werden. Es sind die Daten der Veterans Administration
Group, die keinen Unterschied im krebsbedingten Überleben, so wie im allgemeinen Überleben
bei denen fand, die früh oder spät behandelt worden sind. Die Opponenten zitieren
gerne die Daten der British Medical Research Council Group, die zumindest in ihrer
Frühevaluation einen Unterschied zu Gunsten der Frühhormontherapie beim krebsspezifischen
Überleben gefunden haben. Die Schweizer Gruppe zeigt nun eindeutig in einer randomisierten
Studie an insgesamt 197 Patienten, dass das allgemeine Überleben, das krebspezifische
Überleben, die Zeit bis zum Auftreten von Schmerzen, Ureterobstruktionen oder anderen
Komplikationen, wie Frakturen des Knochensystems nicht unterschiedlich sind, wenn
man vom Zeitpunkt der Randomisierung ausgeht. Zu Recht kommen meines Erachtens die
Autoren zu dem Schluss, dass eine verzögerte Hormontherapie sinnvoll und ausreichend
bei Patienten ist, die nicht mehr für eine lokale (heilende) Therapie infrage kommen,
vorausgesetzt, dass sie sehr sorgfältig beobachtet werden, so dass drohende Frakturen
und drohende Obstruktionen rechtzeitig behandelt werden können.
Aus meiner Sicht, ein ganz wichtiger Beitrag für eine gute Patientenberatung, denn
eine Hormontherapie birgt in sich auch erhebliche Belastungen, die nicht nur in dem
Verlust der Libido bestehen, sondern auch in Antriebsarmut, Anämie, Muskelschwund
und Osteopathie.
Prof. Hartwig Huland, Hamburg
Zweiter Kommentar
Zweiter Kommentar
M. Schostak
Prostatakrebs - wie wenig Therapie ist noch zu verantworten?
Prostatakrebs wächst sehr langsam. Deshalb erhalten wir Antworten auf brennende Fragen
der Differenzialtherapie dieses Tumors erst Jahrzehnte nach ihrer Stellung.
Charles B. Huggins erhielt 1966 den Medizin-Nobel-Preis für seine Entdeckung, dass
ein Hormonentzug durch Orchiektomie oder eine gegengeschlechtliche Behandlung das
Wachstum eines Prostatakarzinoms stoppen kann. Der Nachteil der Orchiektomie ist allerdings
die Unumkehrbarkeit der chirurgischen Maßnahme. In den späten 60er und frühen 70er-Jahren
des vorigen Jahrhunderts wurden die ersten oralapplizierbaren antiandrogen wirksamen
Medikamente entwickelt und zugelassen. Wichtigster Vertreter war das Diethylstilbestrol
(DES). Über die Nebenwirkungen des Hormonentzugs hinaus wies das DES eine schwere
kardiovaskuläre Toxizität auf, die geradezu als letal zu bezeichnen ist. Es lag also
nahe zu untersuchen, wie lange mit der einen oder anderen Therapie gewartet werden
kann, bevor der Patient entscheidende Nachteile durch die Verzögerung erleidet. In
weiterer Folge wurden sehr große Studien aufgelegt, welche diese Fragestellung randomisiert
untersuchten. Die Ergebnisse werden nunmehr verfügbar und sukzessive veröffentlicht.
In der im JCO 2004 veröffentlichten Studie von Studer wurden 188 Patienten in 2 Gruppen
randomisiert. Die Spanne der beobachteten Patienten war sehr groß: Z.B. war der jüngste
Patient 56, der älteste 86 Jahre alt. In diese Studie wurden auch 23% Patienten mit
nachgewiesenen (Kochen-)Metastasen eingeschlossen. Beim Start 1988 war eine Rekrutierung
von 360 Patienten geplant, um eine ausreichende Signifikanz und Power der Aussage
zu erhalten. Weil jedoch 1992 eine neue, sehr groß angelegte EORTC-Studie (EORTC 30891)
initiiert wurde, welche die gleiche Fragestellung verfolgte, jedoch eine Metastasierung
als Kriterium ausschloss, musste die Rekrutierung der vorliegenden Studie vorzeitig
beendet werden. Ansonsten wäre ein größerer Selektionsbias zu Gunsten metastasierter
Patienten zu erwarten gewesen. Die Ergebnisse der erwähnten EORTC-Studie wurden erstmals
auf der Tagung der Europäischen Gesellschaft für Urologie in Istanbul (März 2005)
veröffentlicht.
Studer betont in der vorliegenden Arbeit, dass die Orchiektomie nur bei 58% der Patienten
der verzögerten Gruppe notwendig war. Das Gesamtüberleben sei nicht signifikant unterschiedlich.
Auf der anderen Seite stand ein verlängertes krebsspezifisches Überleben (p=0,06)
bei den sofort therapierten Patienten und ein signifikant längeres initial symptomfreies
Intervall. 42% der Patienten aus der verzögerten Therapiegruppe erhielten niemals
eine Therapie.
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Die Ergebnisse der Studie reichen keinesfalls aus, eine verzögerte Therapie bei älteren
Patienten in jedem Fall zu empfehlen.
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Erstaunlicherweise schließt Studer, dass es gerechtfertigt sei, die verzögerte Therapie
generell für ältere Patienten, für welche eine kurative Therapie entweder nicht infrage
kommt oder diese abgelehnt wird, anzuwenden.
Drei Punkte sind aus meiner Sicht an diesem Fazit zu kritisieren:
1. Das Gesamtüberleben der beiden Arme unterschied sich (4,4 vs. 5,2 Jahre). Wegen
der zu geringen Patientenzahl der Studie wurde eine Signifikanz dieser Aussage jedoch
verfehlt (p=0,96). Die interkurrente Komorbidität in dieser Altersgruppe überlagert
die krebsbedingte Mortalität. Mehr Patienten hätten sicherlich zu einer signifikanten
und damit vergleichbaren Aussage, wie in anderen Studien beschrieben, geführt. Wenngleich
eine Signifikanz bezüglich des krebsspezifischen Überlebens in der vorliegenden Studie
ebenfalls knapp verfehlt wurde, so ist dieser Unterschied dennoch besonders bedeutsam.
Der Patient wird letztlich vor die Wahl gestellt, "sowieso" z.B. an einer Herzerkrankung
oder doch eher am nicht behandelten Krebs zu versterben. Die psychische Belastung
dieser Alternative erscheint zumindest in Deutschland heute schwer vermittelbar. Eine
im JAMA 1998 veröffentlichte Studie von Tsevat ermittelte, ob Krankenhauspatienten
über 80 Jahren bereit wären, auf einen Teil ihrer zukünftigen Lebenszeit zu verzichten,
wenn sie dafür den Rest ihres Lebens bei bester Gesundheit wären. Es ergab sich, dass
ein hoher Anteil auf keinen einzigen Tag oder höchstens auf einen Monat verzichten
würde. Ein längeres Leben war den hochbetagten Herren also wichtiger als eine hohe
Lebensqualität.
Adenokarzinom der Prostata (Bild: Urologie, Thieme, 2002).
2. Die in dieser Studie durchgeführte Hormonentzugstherapie war die Orchiektomie.
Diese Therapie unterscheidet sich in ihren Nebenwirkungen von denen, welche damals
durch DES ausgelöst wurden. Insbesondere die Wahrscheinlichkeit schwerer kardiovaskulärer
Nebenwirkungen ist nach einer Orchiektomie dramatisch geringer. Es verbleiben allerdings
Osteoporose, Anämie, Adynamie und ähnliches. Verschiedenen Berichten nach sind die
sehr belastenden Hitzewallungen häufiger unter LHRH- Analoga-Medikation als nach Orchiektomie
zu erwarten. Im Median waren die Patienten der Studie 75 Jahre alt. Serien, welche
das Sexualleben von an Prostatakarzinom erkrankten Patienten in dieser Altersgruppe
untersuchten, zeigen, dass zwar einerseits eine Hormonablation in einem sehr hohen
Prozentsatz die Potenz verschlechtert oder gar aufhebt, andererseits sei dies jedoch
nur bei sehr wenigen Patienten ein subjektiv empfundenes Problem. Bei jüngeren Patienten
bedeutet das Ende der Potenz hingegen eine sehr viel schwerwiegendere Komponente der
Reduktion der Lebensqualität. Auch wirtschaftlich gesehen ist in der Vermeidung der
Orchiektomie kein Vorteil zu erkennen. In anderen Studien werden ähnliche Fragestellungen
unter Verwendung der sehr viel teureren LHRH- Analoga-Therapie untersucht. Eine Orchiektomie
ist jedoch eine so kostengünstige Maßnahme, dass dies gegenüber den erheblichen Kosten
z. B. durch skelettbedingte Komplikationen sicher nicht ins Gewicht fällt. Schließlich
muss bedacht werden, dass der Hormonentzug sich auch auf die in dieser Altersgruppe
sehr häufig bestehende subvesikale Obstruktion günstig auswirkt. Unabhängig von der
Therapie gegen den Krebs wird den Patienten also auch eine hocheffektive Behandlung
ihrer Miktionsbeschwerden verwehrt. Dieses Thema wird in der Studer-Arbeit nicht erwähnt.
3. Ein 23%iger Anteil metastasierter Patienten macht die Beurteilbarkeit des Gesamtkollektives
besonders schwer. Patienten mit unbehandelten Knochenmetastasen haben primär eine
deutlich schlechtere Prognose, insbesondere wenn skelettbezogene Komplikationen wie
pathologische Frakturen oder ähnliches eintreten. Das Verzögern derartiger Komplikationen
durch eine sofortige Hormonablation hat aus meiner Sicht für diese Patientengruppe
eine hohe Priorität. In anderen Serien zeigte sich in der M1-Situation ein signifikanter
Unterschied zwischen den Therapiearmen. Mit Spannung darf man die Veröffentlichung
der oben erwähnten EORTC-Studie erwarten, deren Abstract als Poster bereits auf der
EAU-Jahrestagung 2005 gezeigt wurde. Da hier keine M0-Patienten eingeschlossen wurden,
ist eine höhere Trennschärfe in der Aussage der Prognose wahrscheinlich.
Die Leitlinien (2004) der American Society of Clinical Oncology (ASCO) zu dieser Frage
schließen aus allen bislang veröffentlichten Studien einen kleinen, jedoch signifikanten
Überlebensvorteil für die sofortige Therapie. Insbesondere bezieht sich die Gesellschaft
dabei auf die zuvor veröffentlichte Metaanalyse der Cochrane Collaboration, welche
die vier größten Studien mit insgesamt 2176 Patienten dieser Fragestellung untersucht.
Ein signifikanter Unterschied im Gesamtüberleben wird nach 10 Jahren erreicht.
Die Ergebnisse der vorliegenden Studie reichen aus o. g. Gründen keinesfalls aus,
eine verzögerte Therapie bei älteren Patienten in jedem Fall zu empfehlen. Vielmehr
muss eine individuelle Risikoanalyse erfolgen und der Patient klar über den wahrscheinlich
vorhandenen Überlebensvorteil bei sofortiger Therapie aufgeklärt werden.
Literatur beim Autor
Dr. Martin Schostak, Berlin
Dritter Kommentar
Dritter Kommentar
D. Frohneberg
Aussagen nur mit Einschränkung bewerten
In der referierten Studie wird eine Subgruppe von Patienten mit Prostatakarzinom untersucht.
Hierbei handelt es sich um Patienten, deren Karzinom bei Erstdiagnose bereits in zwei
Drittel der Fälle lokal fortgeschritten und in einem Viertel bereits metastasiert
war (N+ und/oder M+). Das mittlere Alter der Patienten lag bei 76 Jahren und - ganz
wesentlich - die Patienten konnten oder wollten aus bestimmten, nicht näher aufgeführten
Gründen einer kurativen Therapie nicht zugeführt werden.
197 Patienten mit Erstdiagnose eines asymptomatischen Prostatakarzinoms zwischen 02/88
und 02/92 wurden randomisiert bezüglich des Zeitpunkts des Hormonentzugs mittels Orchiektomie.
Die eine Gruppe erhielt eine sofortige Orchiektomie, die andere Gruppe erst bei Symptomatik
von Seiten des PCa. Karzinom-bedingte Symptomatik beinhaltete Schmerzen, Harnstauung,
pathologische Frakturen etc., nicht jedoch obstruktive Miktionssymptomatik, da jederzeit
eine palliative TURP durchgeführt werden konnte.
Die ursprünglich errechnete Zahl an einzuschließenden Patienten (n = 360) wurde nicht
erreicht, da aufgrund einer ähnlichen Studie der EORTC mit N + M0-Pa- tienten (Protokoll
30846) die SAKK-Studie abgebrochen wurde. Um die gleiche statistische Aussagekraft
zu erreichen, wurde jedoch die Nachbeobachtungszeit verlängert bis 91% der Patienten
verstorben waren.
Erwartungsgemäß zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen
zu Gunsten des sofortigen Androgenentzugs bei:
-
Der Zeit bis zum Auftreten karzinom- bedingter Schmerzen.
-
Der Zeit bis zum Auftreten eines Harnstaus.
-
Der Zeit bis zum Neuauftreten von Metastasen (symptomatisch oder asymptomatisch):
-
Die mittlere Zeitdifferenz betrug dabei 2,8 Jahre.
-
Zusätzlich wurde in der Gruppe mit verzögerter Androgenblockade das Auftreten neuer
Knochenmetastasen signifikant häufiger beschrieben.
Bei der Auswertung der von den Patienten subjektiv empfundenen Parametern fällt auf:
Die Patienten in der Gruppe mit verzögertem Hormonentzug hatten zu allen Untersuchungszeitpunkten
während des FU höhere Schmerzraten und häufiger Miktionsprobleme.
Bezüglich des Überlebens (Nachbeobachtungszeit im Mittel 5,5 Jahre) zeigte sich: Der
PCa-bedingte Tod wurde in der Gruppe mit sofortiger Orchiektomie signifikant seltener
beobachtet als bei den Patienten, die erst bei Symptomatik behandelt wurden (24% DOD
vs. 37%). Die Differenz in der Zeitspanne zwischen Erstdiagnose und Tod am PCa erreichte
jedoch zwischen den beiden Gruppen nicht das Signifikanzniveau, obwohl sie eine eindeutige
Tendenz zu Gunsten der sofortigen Androgenblockade aufweist (p = 0,09).
Auch das Gesamtüberleben zwischen den beiden Behandlungsgruppen zeigte nur eine eindeutige
Tendenz, keinen statistisch signifikanten Unterschied (mittleres Überleben: 5,2 vs.
4,4 Jahre; p = 0,96). Ein Grund hierfür liegt möglicherweise in der kleinen Fallzahl
bei vorzeitig gestoppter Patientenaquirierung. Der Gesamtzeitraum des schmerzfreien
Überlebens zeigte eine Tendenz, aber war nicht signifikant unterschiedlich (p = 0,79),
auch wenn das Auftreten der ersten Schmerzen im frühen Behandlungsarm statistisch
signifikant später einsetzte.
Die multivariate Analyse der Prognosefaktoren ergab bez. der Zeit bis zum symptomatischen
Progress 2 signifikante Einflussfaktoren: 1. den Zeitpunkt der Androgenblockade und
2. den Metastasierungsstatus.
In Anbetracht der oben aufgeführten Ergebnisse scheint es doch erstaunlich, dass
die Schlussfolgerung aus der Studie schließlich lautet, unter entsprechender Beobachtung
könnte vielen Patienten eine Orchiektomie erspart bleiben. Hierzu wird das Argument
der Lebensqualität angeführt. Dies wiederum verblüfft, da die Patienten im verzögerten
Behandlungsarm zu allen Untersuchungsterminen über häufiger und stärkere Schmerzen
sowie vermehrte Miktionsprobleme klagten. Eine eigentliche Evaluation der Lebensqualität
wurde nicht durchgeführt mit dem Argument, eine Verminderung der QoL unter Hormonentzug
sei ausreichend bekannt. Zu bedenken bleibt dabei, dass die Lebensqualität durch geminderte
und seltenere Schmerzepisoden sicherlich hätte positiv beeinflusst werden können.
Eine Verminderung der Libido unter Hormonentzug ist vermutlich in der Studienpopulation
mit mehrheitlich multimorbiden oder alten Patienten, welche einer kurativen Therapie
nicht zugänglich waren, als sekundär anzusehen.
Korrekt ist, dass bis zu ihrem Tod in der Gruppe der verzögerten Behandlung 42% (39
Pat.) nie eine Orchiektomie benötigten, was unter Kostengesichtspunkten sicher ganz
wesentlich ist. Ob es sich dabei jedoch um besonders alte oder multimorbide Patienten
handelte, ist nicht aufgeführt und könnte wahrscheinlich auch aufgrund der kleinen
Fallzahl nicht korrekt statistisch ausgewertet werden.
Eine ähnliche Studie, die EORTC-Studie 30846, welche Patienten mit primär lymphknoten-positivem
PCa (N+M0) in 2 Behandlungsarme randomisierte: sofortige versus verzögerte Androgenblockade;
konnte ebenfalls keinen signifikanten Überlebensvorteil zu Gunsten der sofortigen
Therapie aufzeigen, nur eine Tendenz (Schroder, J Urol 2004). Allerdings wurde auch
diese Studie vorzeitig beendet, da zwischenzeitlich gezeigt werden konnte, dass auch
bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem und/oder lymphknoten-positivem Prostatakarzinom
eine radikale Prostatektomie einen Überlebensvorteil gegenüber alleinigem Hormonentzug
bedeutet. In der prospektive Studie von Messing (Messing, JAMA 1999) ergab sich für
Patienten mit positiven LK nach radikaler Prostatektomie eine signifikante Verbesserung
des tumorfreien Überlebens (16 versus 77% nach 7 Jahren) durch sofortigen Hormonentzug
im Vergleich zur verzögerten Therapie.
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Eine eigentliche Evaluation der Lebensqualität wurde nicht durchgeführt mit dem Argument,
eine Verminderung der QoL unter Hormonentzug sei ausreichend bekannt.
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Wichtig ist daher festzuhalten, dass bei Patienten ohne Fernmetastasen mit einer Lebenserwartung
von 10 Jahren ein alleiniger Hormonentzug nur bei eindeutigen Kontraindikationen gegen
eine kurative Therapie überhaupt erwogen werden sollte.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die sofortige Orchiektomie in fast allen
sekundären Endpunkten der SAKK- Studie 08/88 einen signifikanten Vorteil erbrachte.
Lediglich das Gesamtüberleben zeigte nur eine Tendenz, keine statistische Signifikanz.
Wie in der Arbeit betont ist allerdings die Lebensqualität des Patienten bis zu seinem
Tod ein herausragendes Kriterium des Therapieerfolgs. Ohne Zweifel ist daher die verstärkte
Schmerzsituation in der verzögert therapierten Behandlungsgruppe diesbezüglich mitzuberücksichtigen.
Eine genaue Evaluation der Lebensqualität wäre wünschenswert gewesen.
Das tumorspezifische Überleben zeigte eine eindeutige Tendenz zu Gunsten der frühzeitigen
Orchiektomie, auch wenn das Signifikanzniveau nicht erreicht wurde. Daraus lässt sich
ableiten, dass auch bei älteren Patienten mit geringer Komorbidität und daher guter
Lebenserwartung die frühzeitige Hormonblockade zu Gunsten einer längeren und besseren
Lebensqualität erwogen werden sollte. Im Gegensatz zu den Autoren sehe ich die Ergebnisse
der vorzeitig abgebrochenen Studie als statistisch "underpowered" an. Die Aussagen
bezüglich der Lebensqualität sind mit deutlicher Einschränkung zu bewerten, da selbigeicht
mittels validiertem Fragebogen erfasst wurde. Mehr bzw. stärkere Schmerzen und häufigere
Miktionsbeschwerden in der Gruppe ohne Hormonentzug sind abzuwägen gegenüber dem begrenzten
Vorteil einer kleinen Subgruppe von Patienten, denen die Orchiektomie erspart blieb.
Prof. Detlef Frohneberg, Karlsruhe