Aktuelle Urol 2006; 37(2): 87-94
DOI: 10.1055/s-2006-939825
Referiert und kommentiert

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Prostatakarzinom - Kann mit der Hormonbehandlung ohne kuratives Therapiekonzept gewartet werden?

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20 April 2006 (online)

 
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Die Debatte, wann die hormonelle Behandlung für das Prostatakarzinom zum Einsatz kommt - sofort oder verzögert - ist nicht neu. Eine Studie aus der Schweiz zeigt nun, dass insbesondere bei älteren Patienten mit asymptomatischem Prostatakarzinom mit der Hormonbehandlung gewartet werden kann.

Anhand von 197 Patietnen mit einem Durchschnittsalter von 76 Jahren und asymptomatischem frisch diagnostizierten Prostatakarzinom ohne kurative Lokalbehandlung untersuchten U. E. Studer und Kollegen, welche Auswirkungen eine sofortige oder eine verzögerte subkapsuläre Orchiektomie auf Überlebensraten, symptomfreies Überleben und Lebensqualität hat (J Clin Oncol 2004; 4109- 4118). Dazu wurden die Patienten randomisiert einer verzögerten oder einer sofortigen Orchiektomie unterzogen. Die Patientengruppen waren hinsichtlich klinischer und laborchemischer Parameter vergleichbar. 91 Patienten erhielten eine sofortige Orchiektomie und von 97 Patienten, die für eine verzögerte Orchiektomie vorgesehen waren, benötigten 39 diese nicht. Von den verbleibenden 53 Patienten (58%) aus dieser Gruppe wurde mit dem verzögerten Behandlungsprotokoll nach einem durchschnittlichen Zeit- intervall von 3,2 Jahren begonnen. Zwischen den beiden Patientengruppen ergaben sich keine Unterschiede hinsichtlich der schmerzfreien Zeit, des Allgemeinzustands und der Überlebensraten.

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Fazit

Für ältere Patienten mit asymptomatischem neu diagnostizierten Prostatakarzinom, die keine Kandidaten für eine kurative Lokalbehandlung sind, ist das Zeitmanagement einer Hormonbehandlung hinsichtlich der Überlebensraten unerheblich. Unter sorgfältiger Beobachtung kann in dieser Patientenpopulation mit der Orchiektomie zugewartet werden.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Erster Kommentar

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H. Huland

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Wichtiger Beitrag für eine gute Patientenberatung

Die vorliegende Studie unter der Leitung von Professor Studer (Zusammenarbeit mit anderen Kollegen der Schweiz) halte ich für einen ganz bedeutenden Beitrag bei der Behandlung des fortgeschrittenen, d. h. nicht mehr lokal begrenzten Prostatakarzinoms. Seit Charles Huggins in den 40er-Jahren die Hormontherapie zur Behandlung des Prostatakarzinoms eingeführt hat, diskutieren die Urologen, ob eine frühe Hormonbehandlung, z. B. in Form der Hodenentfernung, sinnvoll ist oder eine verzögerte Hormonbehandlung. Verzögert bedeutet, dass bei weiterem Fortschreiten der Erkrankung oder Auftreten von Knochenmetastasen, diese Form der Therapie eingesetzt wird. Die historische Kontroverse macht sich an zwei bekannten Arbeitsgruppen fest, die auch in den Zitaten 13, 14 sowie 15 und 16 dieser vorliegenden Studie zitiert werden. Es sind die Daten der Veterans Administration Group, die keinen Unterschied im krebsbedingten Überleben, so wie im allgemeinen Überleben bei denen fand, die früh oder spät behandelt worden sind. Die Opponenten zitieren gerne die Daten der British Medical Research Council Group, die zumindest in ihrer Frühevaluation einen Unterschied zu Gunsten der Frühhormontherapie beim krebsspezifischen Überleben gefunden haben. Die Schweizer Gruppe zeigt nun eindeutig in einer randomisierten Studie an insgesamt 197 Patienten, dass das allgemeine Überleben, das krebspezifische Überleben, die Zeit bis zum Auftreten von Schmerzen, Ureterobstruktionen oder anderen Komplikationen, wie Frakturen des Knochensystems nicht unterschiedlich sind, wenn man vom Zeitpunkt der Randomisierung ausgeht. Zu Recht kommen meines Erachtens die Autoren zu dem Schluss, dass eine verzögerte Hormontherapie sinnvoll und ausreichend bei Patienten ist, die nicht mehr für eine lokale (heilende) Therapie infrage kommen, vorausgesetzt, dass sie sehr sorgfältig beobachtet werden, so dass drohende Frakturen und drohende Obstruktionen rechtzeitig behandelt werden können.

Aus meiner Sicht, ein ganz wichtiger Beitrag für eine gute Patientenberatung, denn eine Hormontherapie birgt in sich auch erhebliche Belastungen, die nicht nur in dem Verlust der Libido bestehen, sondern auch in Antriebsarmut, Anämie, Muskelschwund und Osteopathie.

Prof. Hartwig Huland, Hamburg

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Zweiter Kommentar

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M. Schostak

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Prostatakrebs - wie wenig Therapie ist noch zu verantworten?

Prostatakrebs wächst sehr langsam. Deshalb erhalten wir Antworten auf brennende Fragen der Differenzialtherapie dieses Tumors erst Jahrzehnte nach ihrer Stellung.

Charles B. Huggins erhielt 1966 den Medizin-Nobel-Preis für seine Entdeckung, dass ein Hormonentzug durch Orchiektomie oder eine gegengeschlechtliche Behandlung das Wachstum eines Prostatakarzinoms stoppen kann. Der Nachteil der Orchiektomie ist allerdings die Unumkehrbarkeit der chirurgischen Maßnahme. In den späten 60er und frühen 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts wurden die ersten oralapplizierbaren antiandrogen wirksamen Medikamente entwickelt und zugelassen. Wichtigster Vertreter war das Diethylstilbestrol (DES). Über die Nebenwirkungen des Hormonentzugs hinaus wies das DES eine schwere kardiovaskuläre Toxizität auf, die geradezu als letal zu bezeichnen ist. Es lag also nahe zu untersuchen, wie lange mit der einen oder anderen Therapie gewartet werden kann, bevor der Patient entscheidende Nachteile durch die Verzögerung erleidet. In weiterer Folge wurden sehr große Studien aufgelegt, welche diese Fragestellung randomisiert untersuchten. Die Ergebnisse werden nunmehr verfügbar und sukzessive veröffentlicht.

In der im JCO 2004 veröffentlichten Studie von Studer wurden 188 Patienten in 2 Gruppen randomisiert. Die Spanne der beobachteten Patienten war sehr groß: Z.B. war der jüngste Patient 56, der älteste 86 Jahre alt. In diese Studie wurden auch 23% Patienten mit nachgewiesenen (Kochen-)Metastasen eingeschlossen. Beim Start 1988 war eine Rekrutierung von 360 Patienten geplant, um eine ausreichende Signifikanz und Power der Aussage zu erhalten. Weil jedoch 1992 eine neue, sehr groß angelegte EORTC-Studie (EORTC 30891) initiiert wurde, welche die gleiche Fragestellung verfolgte, jedoch eine Metastasierung als Kriterium ausschloss, musste die Rekrutierung der vorliegenden Studie vorzeitig beendet werden. Ansonsten wäre ein größerer Selektionsbias zu Gunsten metastasierter Patienten zu erwarten gewesen. Die Ergebnisse der erwähnten EORTC-Studie wurden erstmals auf der Tagung der Europäischen Gesellschaft für Urologie in Istanbul (März 2005) veröffentlicht.

Studer betont in der vorliegenden Arbeit, dass die Orchiektomie nur bei 58% der Patienten der verzögerten Gruppe notwendig war. Das Gesamtüberleben sei nicht signifikant unterschiedlich. Auf der anderen Seite stand ein verlängertes krebsspezifisches Überleben (p=0,06) bei den sofort therapierten Patienten und ein signifikant längeres initial symptomfreies Intervall. 42% der Patienten aus der verzögerten Therapiegruppe erhielten niemals eine Therapie.

Die Ergebnisse der Studie reichen keinesfalls aus, eine verzögerte Therapie bei älteren Patienten in jedem Fall zu empfehlen.

Erstaunlicherweise schließt Studer, dass es gerechtfertigt sei, die verzögerte Therapie generell für ältere Patienten, für welche eine kurative Therapie entweder nicht infrage kommt oder diese abgelehnt wird, anzuwenden.

Drei Punkte sind aus meiner Sicht an diesem Fazit zu kritisieren:

1. Das Gesamtüberleben der beiden Arme unterschied sich (4,4 vs. 5,2 Jahre). Wegen der zu geringen Patientenzahl der Studie wurde eine Signifikanz dieser Aussage jedoch verfehlt (p=0,96). Die interkurrente Komorbidität in dieser Altersgruppe überlagert die krebsbedingte Mortalität. Mehr Patienten hätten sicherlich zu einer signifikanten und damit vergleichbaren Aussage, wie in anderen Studien beschrieben, geführt. Wenngleich eine Signifikanz bezüglich des krebsspezifischen Überlebens in der vorliegenden Studie ebenfalls knapp verfehlt wurde, so ist dieser Unterschied dennoch besonders bedeutsam. Der Patient wird letztlich vor die Wahl gestellt, "sowieso" z.B. an einer Herzerkrankung oder doch eher am nicht behandelten Krebs zu versterben. Die psychische Belastung dieser Alternative erscheint zumindest in Deutschland heute schwer vermittelbar. Eine im JAMA 1998 veröffentlichte Studie von Tsevat ermittelte, ob Krankenhauspatienten über 80 Jahren bereit wären, auf einen Teil ihrer zukünftigen Lebenszeit zu verzichten, wenn sie dafür den Rest ihres Lebens bei bester Gesundheit wären. Es ergab sich, dass ein hoher Anteil auf keinen einzigen Tag oder höchstens auf einen Monat verzichten würde. Ein längeres Leben war den hochbetagten Herren also wichtiger als eine hohe Lebensqualität.

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Adenokarzinom der Prostata (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

2. Die in dieser Studie durchgeführte Hormonentzugstherapie war die Orchiektomie. Diese Therapie unterscheidet sich in ihren Nebenwirkungen von denen, welche damals durch DES ausgelöst wurden. Insbesondere die Wahrscheinlichkeit schwerer kardiovaskulärer Nebenwirkungen ist nach einer Orchiektomie dramatisch geringer. Es verbleiben allerdings Osteoporose, Anämie, Adynamie und ähnliches. Verschiedenen Berichten nach sind die sehr belastenden Hitzewallungen häufiger unter LHRH- Analoga-Medikation als nach Orchiektomie zu erwarten. Im Median waren die Patienten der Studie 75 Jahre alt. Serien, welche das Sexualleben von an Prostatakarzinom erkrankten Patienten in dieser Altersgruppe untersuchten, zeigen, dass zwar einerseits eine Hormonablation in einem sehr hohen Prozentsatz die Potenz verschlechtert oder gar aufhebt, andererseits sei dies jedoch nur bei sehr wenigen Patienten ein subjektiv empfundenes Problem. Bei jüngeren Patienten bedeutet das Ende der Potenz hingegen eine sehr viel schwerwiegendere Komponente der Reduktion der Lebensqualität. Auch wirtschaftlich gesehen ist in der Vermeidung der Orchiektomie kein Vorteil zu erkennen. In anderen Studien werden ähnliche Fragestellungen unter Verwendung der sehr viel teureren LHRH- Analoga-Therapie untersucht. Eine Orchiektomie ist jedoch eine so kostengünstige Maßnahme, dass dies gegenüber den erheblichen Kosten z. B. durch skelettbedingte Komplikationen sicher nicht ins Gewicht fällt. Schließlich muss bedacht werden, dass der Hormonentzug sich auch auf die in dieser Altersgruppe sehr häufig bestehende subvesikale Obstruktion günstig auswirkt. Unabhängig von der Therapie gegen den Krebs wird den Patienten also auch eine hocheffektive Behandlung ihrer Miktionsbeschwerden verwehrt. Dieses Thema wird in der Studer-Arbeit nicht erwähnt.

3. Ein 23%iger Anteil metastasierter Patienten macht die Beurteilbarkeit des Gesamtkollektives besonders schwer. Patienten mit unbehandelten Knochenmetastasen haben primär eine deutlich schlechtere Prognose, insbesondere wenn skelettbezogene Komplikationen wie pathologische Frakturen oder ähnliches eintreten. Das Verzögern derartiger Komplikationen durch eine sofortige Hormonablation hat aus meiner Sicht für diese Patientengruppe eine hohe Priorität. In anderen Serien zeigte sich in der M1-Situation ein signifikanter Unterschied zwischen den Therapiearmen. Mit Spannung darf man die Veröffentlichung der oben erwähnten EORTC-Studie erwarten, deren Abstract als Poster bereits auf der EAU-Jahrestagung 2005 gezeigt wurde. Da hier keine M0-Patienten eingeschlossen wurden, ist eine höhere Trennschärfe in der Aussage der Prognose wahrscheinlich.

Die Leitlinien (2004) der American Society of Clinical Oncology (ASCO) zu dieser Frage schließen aus allen bislang veröffentlichten Studien einen kleinen, jedoch signifikanten Überlebensvorteil für die sofortige Therapie. Insbesondere bezieht sich die Gesellschaft dabei auf die zuvor veröffentlichte Metaanalyse der Cochrane Collaboration, welche die vier größten Studien mit insgesamt 2176 Patienten dieser Fragestellung untersucht. Ein signifikanter Unterschied im Gesamtüberleben wird nach 10 Jahren erreicht.

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie reichen aus o. g. Gründen keinesfalls aus, eine verzögerte Therapie bei älteren Patienten in jedem Fall zu empfehlen. Vielmehr muss eine individuelle Risikoanalyse erfolgen und der Patient klar über den wahrscheinlich vorhandenen Überlebensvorteil bei sofortiger Therapie aufgeklärt werden.

Literatur beim Autor

Dr. Martin Schostak, Berlin

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Dritter Kommentar

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D. Frohneberg

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Aussagen nur mit Einschränkung bewerten

In der referierten Studie wird eine Subgruppe von Patienten mit Prostatakarzinom untersucht. Hierbei handelt es sich um Patienten, deren Karzinom bei Erstdiagnose bereits in zwei Drittel der Fälle lokal fortgeschritten und in einem Viertel bereits metastasiert war (N+ und/oder M+). Das mittlere Alter der Patienten lag bei 76 Jahren und - ganz wesentlich - die Patienten konnten oder wollten aus bestimmten, nicht näher aufgeführten Gründen einer kurativen Therapie nicht zugeführt werden.

197 Patienten mit Erstdiagnose eines asymptomatischen Prostatakarzinoms zwischen 02/88 und 02/92 wurden randomisiert bezüglich des Zeitpunkts des Hormonentzugs mittels Orchiektomie. Die eine Gruppe erhielt eine sofortige Orchiektomie, die andere Gruppe erst bei Symptomatik von Seiten des PCa. Karzinom-bedingte Symptomatik beinhaltete Schmerzen, Harnstauung, pathologische Frakturen etc., nicht jedoch obstruktive Miktionssymptomatik, da jederzeit eine palliative TURP durchgeführt werden konnte.

Die ursprünglich errechnete Zahl an einzuschließenden Patienten (n = 360) wurde nicht erreicht, da aufgrund einer ähnlichen Studie der EORTC mit N + M0-Pa- tienten (Protokoll 30846) die SAKK-Studie abgebrochen wurde. Um die gleiche statistische Aussagekraft zu erreichen, wurde jedoch die Nachbeobachtungszeit verlängert bis 91% der Patienten verstorben waren.

Erwartungsgemäß zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen zu Gunsten des sofortigen Androgenentzugs bei:

  • Der Zeit bis zum Auftreten karzinom- bedingter Schmerzen.

  • Der Zeit bis zum Auftreten eines Harnstaus.

  • Der Zeit bis zum Neuauftreten von Metastasen (symptomatisch oder asymptomatisch):

  • Die mittlere Zeitdifferenz betrug dabei 2,8 Jahre.

  • Zusätzlich wurde in der Gruppe mit verzögerter Androgenblockade das Auftreten neuer Knochenmetastasen signifikant häufiger beschrieben.

Bei der Auswertung der von den Patienten subjektiv empfundenen Parametern fällt auf: Die Patienten in der Gruppe mit verzögertem Hormonentzug hatten zu allen Untersuchungszeitpunkten während des FU höhere Schmerzraten und häufiger Miktionsprobleme.

Bezüglich des Überlebens (Nachbeobachtungszeit im Mittel 5,5 Jahre) zeigte sich: Der PCa-bedingte Tod wurde in der Gruppe mit sofortiger Orchiektomie signifikant seltener beobachtet als bei den Patienten, die erst bei Symptomatik behandelt wurden (24% DOD vs. 37%). Die Differenz in der Zeitspanne zwischen Erstdiagnose und Tod am PCa erreichte jedoch zwischen den beiden Gruppen nicht das Signifikanzniveau, obwohl sie eine eindeutige Tendenz zu Gunsten der sofortigen Androgenblockade aufweist (p = 0,09).

Auch das Gesamtüberleben zwischen den beiden Behandlungsgruppen zeigte nur eine eindeutige Tendenz, keinen statistisch signifikanten Unterschied (mittleres Überleben: 5,2 vs. 4,4 Jahre; p = 0,96). Ein Grund hierfür liegt möglicherweise in der kleinen Fallzahl bei vorzeitig gestoppter Patientenaquirierung. Der Gesamtzeitraum des schmerzfreien Überlebens zeigte eine Tendenz, aber war nicht signifikant unterschiedlich (p = 0,79), auch wenn das Auftreten der ersten Schmerzen im frühen Behandlungsarm statistisch signifikant später einsetzte.

Die multivariate Analyse der Prognosefaktoren ergab bez. der Zeit bis zum symptomatischen Progress 2 signifikante Einflussfaktoren: 1. den Zeitpunkt der Androgenblockade und 2. den Metastasierungsstatus.

In Anbetracht der oben aufgeführten Ergebnisse scheint es doch erstaunlich, dass die Schlussfolgerung aus der Studie schließlich lautet, unter entsprechender Beobachtung könnte vielen Patienten eine Orchiektomie erspart bleiben. Hierzu wird das Argument der Lebensqualität angeführt. Dies wiederum verblüfft, da die Patienten im verzögerten Behandlungsarm zu allen Untersuchungsterminen über häufiger und stärkere Schmerzen sowie vermehrte Miktionsprobleme klagten. Eine eigentliche Evaluation der Lebensqualität wurde nicht durchgeführt mit dem Argument, eine Verminderung der QoL unter Hormonentzug sei ausreichend bekannt. Zu bedenken bleibt dabei, dass die Lebensqualität durch geminderte und seltenere Schmerzepisoden sicherlich hätte positiv beeinflusst werden können. Eine Verminderung der Libido unter Hormonentzug ist vermutlich in der Studienpopulation mit mehrheitlich multimorbiden oder alten Patienten, welche einer kurativen Therapie nicht zugänglich waren, als sekundär anzusehen.

Korrekt ist, dass bis zu ihrem Tod in der Gruppe der verzögerten Behandlung 42% (39 Pat.) nie eine Orchiektomie benötigten, was unter Kostengesichtspunkten sicher ganz wesentlich ist. Ob es sich dabei jedoch um besonders alte oder multimorbide Patienten handelte, ist nicht aufgeführt und könnte wahrscheinlich auch aufgrund der kleinen Fallzahl nicht korrekt statistisch ausgewertet werden.

Eine ähnliche Studie, die EORTC-Studie 30846, welche Patienten mit primär lymphknoten-positivem PCa (N+M0) in 2 Behandlungsarme randomisierte: sofortige versus verzögerte Androgenblockade; konnte ebenfalls keinen signifikanten Überlebensvorteil zu Gunsten der sofortigen Therapie aufzeigen, nur eine Tendenz (Schroder, J Urol 2004). Allerdings wurde auch diese Studie vorzeitig beendet, da zwischenzeitlich gezeigt werden konnte, dass auch bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem und/oder lymphknoten-positivem Prostatakarzinom eine radikale Prostatektomie einen Überlebensvorteil gegenüber alleinigem Hormonentzug bedeutet. In der prospektive Studie von Messing (Messing, JAMA 1999) ergab sich für Patienten mit positiven LK nach radikaler Prostatektomie eine signifikante Verbesserung des tumorfreien Überlebens (16 versus 77% nach 7 Jahren) durch sofortigen Hormonentzug im Vergleich zur verzögerten Therapie.

Eine eigentliche Evaluation der Lebensqualität wurde nicht durchgeführt mit dem Argument, eine Verminderung der QoL unter Hormonentzug sei ausreichend bekannt.

Wichtig ist daher festzuhalten, dass bei Patienten ohne Fernmetastasen mit einer Lebenserwartung von 10 Jahren ein alleiniger Hormonentzug nur bei eindeutigen Kontraindikationen gegen eine kurative Therapie überhaupt erwogen werden sollte.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die sofortige Orchiektomie in fast allen sekundären Endpunkten der SAKK- Studie 08/88 einen signifikanten Vorteil erbrachte. Lediglich das Gesamtüberleben zeigte nur eine Tendenz, keine statistische Signifikanz. Wie in der Arbeit betont ist allerdings die Lebensqualität des Patienten bis zu seinem Tod ein herausragendes Kriterium des Therapieerfolgs. Ohne Zweifel ist daher die verstärkte Schmerzsituation in der verzögert therapierten Behandlungsgruppe diesbezüglich mitzuberücksichtigen. Eine genaue Evaluation der Lebensqualität wäre wünschenswert gewesen.

Das tumorspezifische Überleben zeigte eine eindeutige Tendenz zu Gunsten der frühzeitigen Orchiektomie, auch wenn das Signifikanzniveau nicht erreicht wurde. Daraus lässt sich ableiten, dass auch bei älteren Patienten mit geringer Komorbidität und daher guter Lebenserwartung die frühzeitige Hormonblockade zu Gunsten einer längeren und besseren Lebensqualität erwogen werden sollte. Im Gegensatz zu den Autoren sehe ich die Ergebnisse der vorzeitig abgebrochenen Studie als statistisch "underpowered" an. Die Aussagen bezüglich der Lebensqualität sind mit deutlicher Einschränkung zu bewerten, da selbigeicht mittels validiertem Fragebogen erfasst wurde. Mehr bzw. stärkere Schmerzen und häufigere Miktionsbeschwerden in der Gruppe ohne Hormonentzug sind abzuwägen gegenüber dem begrenzten Vorteil einer kleinen Subgruppe von Patienten, denen die Orchiektomie erspart blieb.

Prof. Detlef Frohneberg, Karlsruhe

 
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H. Huland

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M. Schostak

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Adenokarzinom der Prostata (Bild: Urologie, Thieme, 2002).

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D. Frohneberg