Joachim Boldt
Die Anfang des Jahres erstmals vorgestellte, bisher aber noch nicht publizierte VISEP
[1]
-Studie hat die eigentlich bereits beendete Diskussion um potenzielle nephrotoxische
Nebenwirkungen einer kolloidalen Volumenersatztherapie mit Hydroxyethylstärke (HES)
wieder angestoßen - eine Diskussion, die nach Ansicht von Herrn Professor Joachim
Boldt aus Ludwigshafen so nicht mehr notwendig ist. Denn verwendet man Stärkelösungen
der dritten Generation (z.B. HES 130/0,4/9:1) und achtet auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr
mit Kristalloiden ist diese Furcht unbegründet, wie uns der Intensivmediziner und
Anästhesiologe bestätigt hat.
klinkarzt: Herr Professor Boldt, die aktuelle Diskussion um die Volumenersatztherapie bei septischen
Patienten hat manchen Mediziner verunsichert. Gibt es eine Standard-Volumenersatztherapie
bei Sepsis?
Prof. J. Boldt: Nein, es besteht zwar ein Konsens, dass die Volumenersatztherapie sehr wichtig ist,
doch klare Empfehlungen der großen Fachgesellschaften über deren Einsatz existieren
bislang nicht. Grundsätzlich stehen mit den Kristalloiden sowie den Kolloiden Gelatine,
Albumin und Stärkelösungen mehrere Alternativen zur Auswahl, die länder- und erfahrungsspezifisch
eingesetzt werden.
klinikarzt: Muss man die beiden Prinzipien Volumen- und Flüssigkeitsersatz immer kombinieren?
Boldt: Eine strikte Trennung zwischen Flüssigkeitsersatz und Volumenersatz ist kaum möglich,
schon weil Kolloide immer in einem Kristalloid gelöst sind. Bei der klassischen Volumenersatztherapie
sind jedoch beide Prinzipien praktisch immer verknüpft. Generell gilt: Kristalloide
und Kolloide müssen immer zusammen und in ausreichendem Verhältnis gegeben werden.
Die Kombination erlaubt eine raschere und verlässlichere hämodynamische Stabilisierung.
Ein reiner Flüssigkeitsersatz mit Kristalloiden wie er in den USA üblich ist, ist
dagegen eine relativ schlechte Option, da Sie damit den osmotischen Druck in den Gefäßen
sogar noch verringern.
klinikarzt: Nach der Präsentation der VISEP-Studie sind zumindest bei septischen Patienten erneut
mögliche nephrotoxische Nebenwirkungen der Kolloidtherapie in die Diskussion geraten.
Wie gehen Sie vor, um Nierenschäden vorzubeugen?
Boldt: Die VISEP-Studie ist noch nicht publiziert, daher kann man im Moment nur kursorische
Aussagen dazu machen. Klar ist aber, dass sich die daraus gewonnenen Daten auf eine
veraltete HES-Lösung, nämlich HES 200/0,5 beziehen, die heute kaum noch im Einsatz
ist. Die Furcht vor Nierenschäden stammt aus der Vergangenheit mit dem Einsatz großmolekularer
Stärke. Denn hier gibt es gut publizierte Berichte über potenzielle nephrotoxische
Nebenwirkungen, wenn auch große Untersuchungen fehlen. Die Hydroxyethylstärke (HES)
der dritten Generation mit ihrem durchschnittlichen Molekulargewicht von 130000 Dalton
scheint in diesem Sinn neutral zu sein. Ich kenne keine Untersuchung, die einen negativen
Einfluss dieser neuen Stärkepräparation auf die Nierenfunktion belegt.
Daher empfehle ich persönlich, auf Stärkepräparationen der neuen Generation zurückzugreifen
und abhängig von der Höhe des Flüssigkeitsverlusts neben dem Kolloid auch ein Kristalloid
im Verhältnis 1:1 bis 1:2 zu applizieren. Wenn man diese Vorsichtsmaßnahmen im Kopf
behält, ist man mit der neuen Lösung in einem sehr sicheren Bereich. In unserer Klinik
- und wir verwenden die HES-Volumenersatztherapie in einer Größenordnung von rund
40000 Flaschen pro Jahr - haben wir bislang keine Probleme gehabt.
klinikarzt: Gilt dies auch für Patienten mit bereits eingeschränkter Nierenfunktion?
Boldt: Anders als bei der alten gibt es für die neue HES-Lösung auch bei Patienten mit Kreatininwerten
über 1,5 mg/dl keine Einschränkung. In Ludwigshafen setzen wir HES 130/0,4 auch bei
Patienten mit höheren Kreatininwerten zur Volumenersatztherapie ein. Natürlich immer
in Kombination mit Kristalloiden.
klinikarzt: Welche Herausforderungen für die Volumenersatztherapie sehen Sie für die Zukunft?
Boldt: Ich denke, man sollte das Konzept der Volumentherapie gezielt auf additive Effekte
untersuchen. Unser Fokus sollte viel stärker auf den Wirkungen und möglichen Zusatzeffekten
einer Volumenersatztherapie mit HES 130/0,4 liegen, wie zum Beispiel antizipierte
Effekte auf die Mikrozirkulation oder die inflammatorische Situation bei Sepsispatienten.
Möglicherweise kann man damit auch das Sauerstoffangebot im Gewebe verbessern. Dies
ist ein interessanter Ansatz beispielsweise für die Fast-Track-Chirurgie. Große klinische
Studien sind in der Volumentherapie aber leider sehr schwer durchzuführen und zu finanzieren.
Herr Professor Boldt, wir bedanken uns für dieses Gespräch.