Einleitung
Einleitung
„We wish to suggest a structure fort the salt of deoxyribose nucleic acid (D.N.A.).
This structure has novel features which are of considerable biological interest .” und „It has not escaped our notice that the specific pairing we have postulated immediately suggests a possible copying mechanism
for the genetic material .” - Diese berühmten Worte aus der bahnbrechenden Publikation über die Doppelhelix-Struktur
der DNA im April 1953 in der Zeitschrift Nature [1 ] können unzweifelhaft zu den größten Untertreibungen in der Geschichte der genetischen
Forschung und der Wissenschaft im allgemeinen gerechnet werden; insbesondere der zweite
von uns zitierte Satz ist, im Nachhinein betrachtet, „understatement” pur. Mit dieser
Veröffentlichung läuteten Watson und Crick eine neue Epoche ein: das Zeitalter der
Molekulargenetik. Nur etwas mehr als 50 Jahre später befinden wir uns bereits in einem
neuen Jahrhundert, dem 21., um genau zu sein. Und eben dieses 21. Jahrhundert wird
bereits jetzt von vielen als das „Zeitalter der Biologie” betrachtet [2 ], ein Begriff, den man sicherlich breit auslegen und in verschiedenster Art und Weise
interpretieren und analysieren kann.
Aus molekulargenetischer, entwicklungs- und zellbiologischer Sicht jedoch verleiht
dieses Credo unterschwellig der Hoffnung Ausdruck, dass sich unser wissenschaftliches
Verständnis der komplexen biologischen Vorgänge in Zellen und Organismen exponentiell
derartig vergrößern möge, dass wir eventuell den Punkt erreichen, an dem wir unsereins
nach Belieben und wie selbstverständlich manipulieren können - in etwa vergleichbar
der Fähigkeit, Materie zu verändern. Von einer derartigen Entwicklung würden sicherlich
alle biologisch-wissenschftlichen Disziplinen profitieren, auch und insbesondere die
Medizin. Wir glauben, dass diese Entwicklung bereits ihren Anfang genommen hat, und
möchten nachfolgend anhand einiger Beispiele darstellen, welchen Einfluss der gegenwärtig
rasche wissenschaftliche Erkenntniszuwachs auf die Natur der dermatologischen Forschung
hat.
Dermatologie im Wandel
Dermatologie im Wandel
Schon von altersher ist das Studium der Hauterkrankungen Individuen mit der Gabe der
exakten Beobachtungsfähigkeit und genauen Detailanalyse vorbehalten gewesen. Diesen
Persönlichkeiten haben wir die Effloreszenzenlehre zu verdanken sowie eine ausgeklügelte
und detaillierte Nosologie, wie sie wahrscheinlich in keiner anderen medizinischen
Disziplin zu finden ist. Dennoch war, betrachtet man die Geschichte der Dermatologie,
ihr eigentlicher Gegenstand - die Haut - Jahrhunderte lang mehr oder weniger eine
„Black Box”, also ein Organ, dessen innerer Aufbau und genaue innere Funktionsweise
weitestgehend unverstanden geblieben ist. Während Dermatologen in der Lage waren eine
minutiöse Beschreibung dessen zu geben, was sie sahen, und seit dem Einzug der topischen
Glukokortikoide und Immunmodulatoren auch imstande sind, diese Hautveränderungen zu
behandeln, so hatten und haben sie doch größtenteils Mühe zu erklären, warum und auf
welche Weise nun eine bestimmte Therapie wirkt. So wissen wir noch stets nicht, wie
Dithranol genau wirkt, um nur ein Beispiel zu nennen. Und dies, obwohl seit 1916 bekannt
ist, dass es ausgezeichnet bei der Psoriasis wirkt und offensichtlich in der erkrankten
Haut die Zellteilung und Keratinozytenproliferation hemmt, ohne dabei einen wesentlichen
Einfluss auf die nicht von der Erkrankung betroffenen Hautareale auszuüben.
Seit kurzem jedoch beginnt sich die Situation zu wandeln, und ohne zu übertreiben
darf man sagen, dass sich leise eine kleine Revolution anbahnt. So verfügen wir nunmehr
beispielsweise über eine neue Generation von Medikamenten in der Behandlung der Psoriasis
und anderer Erkrankungen, den so genannten Biologics, die auch als Biologicals oder
Biologika bekannt sind. Biologics sind bio- bzw. gentechnologisch hergestellte Proteine,
die körpereigenen Substanzen sehr ähnlich und spezifisch gegen ausgewählte Zelloberflächenmoleküle
und -rezeptoren gerichtet sind, wie z. B. der TNF-alpha-Blocker Etanercept. Biologics
greifen in verschiedene Regulationsmechanismen des Körpers ein und modulieren dabei
unter anderem die Immunantwort. Somit können Biologics wesentlich spezifischer zur
Beeinflussung einzelner Regulationsmechanismen eingesetzt werden und üben eine gezieltere
Wirkung auf Krankheitsprozesse aus als andere allgemein und eher unspezifisch wirkende
Medikamente. Neben den Biologics befinden sich auch bestimmte modifizierte Designerdrogen
bereits in der klinischen Erprobung.
Durch den kontinuierlichen Fortschritt auf dem Gebiet der Molekulargenetik wird die
genetische Basis einer stetig wachsenden Anzahl hereditärer Erkrankungen aufgedeckt,
und immer öfters entpuppen sich als komplexe oder polygene Dermatosen angesehene Erkrankungen,
wie z. B. die atopische Dermatitis, als Krankheitsbilder, die letztendlich auf einen
spezifischen und eher simplen (Gen-)Defekt zurückgeführt werden können [3 ]. Daneben finden auch immer mehr Gentherapie- und Enzymsubstitutionsschemata sowie
die RNA-Interferenz (RNAi) ihren Weg aus den Forschungslaboratorien in den klinischen
Alltag [4 ]. Unser Labor im Zentrum für Molekulare Dermatologie der Universität Maastricht (Maastricht
University Center for Molecular Dermatology; MUCMD) hat es sich zur Aufgabe gemacht,
durch molekulargenetische und zellbiologische Untersuchungen seinen Anteil zur zuvor
erwähnten Revolution beizusteuern. Als Beispiel für moderne dermatologische Forschung,
wie sie von uns verstanden wird, stellen wir nachfolgend ausgesuchte Aspekte unserer
wissenschaftlichen Tätigkeit auf dem Gebiet hereditärer Erkrankungen dar, die durch
Defekte der so genannten gap junctions hervorgerufen werden.
Kommunikation in der Dermatologie - gap junctions
Kommunikation in der Dermatologie - gap junctions
Die Haut ist ein äußerst kommunikationsfreudiges Organ. Die oberste Schicht der Haut,
die Epidermis, ist überwiegend aus Keratinozyten aufgebaut, welche einem permanenten
Proliferations- und Differenzierungsprozess unterworfen sind und eine hohe Dichte
an so genannten gap junctions aufweisen. Bei gap junctions handelt es sich um ubiquitär
im Körper vorkommende interzelluläre Kanäle, die aus Connexinen bestehen. Connexine
sind transmembranöse Strukturproteine der Zell-Zell-Kanäle ([Abb. 1 ]) und vermitteln die rasche Kommunikation zwischen epidermalen Zellen.
Abb. 1 a Gap-junction-Kanäle in einer Zellmembran. b GJB2-D50N Mutiertes Protein (grün) in HeLa Zellen. c GJB2-D66H.
Connexine gehören zu einer großen Proteinfamilie, die im gesamten Tierreich verbreitet
ist. Sie können zum einen auf Basis ihres jeweiligen Molekulargewichtes klassifiziert
(z. B. Connexin 26), zum anderen aber auch in die Subfamilien A, B und C unterteilt
werden, wobei sich die letztgenannte Klassifikation an gleichartigen Sequenzen auf
Nukleotid- und Proteinebene orientiert. Gegenwärtig werden beide Nomenklaturen der
Einfachheit halber variabel gebraucht. Connexin-Proteine setzen sich aus vier Transmembrandomänen
zusammen. Hierbei sind das N- und C-terminale Ende intrazellulär gelegen, so dass
sich als Folge zwei extrazelluläre Schleifen bilden. Jeweils sechs Connexin-Moleküle
formen in der Zellmembran ein Connexon, das auch als Hemikanal bezeichnet wird. Jeweils
zwei Connexon-Hexamere benachbarter Zellen verbinden sich miteinander und formen hierdurch
direkte interzytoplasmatische gap junction-Kanäle. Diese Kanäle kann man sich am besten
als einen Schlauch mit wässrigem Inhalt vorstellen, der die Passage von Wasser und
kleinen Botenmolekülen erlaubt. Die Permeabilität dieser Kanäle wird durch verschiedene
Faktoren reguliert, darunter insbesondere die Membranpolarisierung. Durch das Öffnen
der Connexon-Kanäle wird die Kommunikation und Signalinteraktion zwischen benachbarten
Zellen ermöglicht, vornehmlich über elektrische Kopplungsmechanismen und den Austausch
kleiner Moleküle. Da sich Connexone aus mehreren verschiedenen Connexinen zusammensetzen
können, weist die hieraus resultierende Kanalstruktur mitunter eine sehr komplexe
Komposition auf, welche die jeweils spezifischen funktionellen Eigenschaften dieser
Kanäle determiniert - ein Prozess, den wir in diesem Augenblick nur rudimentär verstehen
[5 ].
Über die gap junctions in ihren Zellmembranen kommunizieren Keratinozyten mit Melanozyten,
dermalen Blutgefäßen und verschiedenen Zellen des Immunsystems, die in die Epidermis
eindringen können [6 ]. Daher ist es wahrscheinlich auch nicht verwunderlich, dass strukturelle Defekte
in Connexinen zu schweren hereditären Hauterkrankungen führen können [5 ] und pathologische Veränderungen in der gap junction-Kommunikation mit hyperproliferativen
Dermatosen wie Psoriasis und Plattenepithelkarzinomen assoziiert sind [7 ]. Aus therapeutischen Überlegungen heraus wäre es somit wünschenswert, die Gap-junction-Aktivität
zielgerichtet modulieren zu können [8 ]. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten wir jedoch erst verstehen, was die genaue
Funktion der gap junctions in der Haut ist. Derzeit bestehen lediglich recht allgemeine
Hinweise darauf, dass gap junctions in der Epidermis die delikate Balance zwischen
Proliferation und Differenzierung regulieren. Obwohl wir also im Grunde nicht sehr
viel über die pathophysiologische Bedeutung und exakte Funktion der gap junctions
in der Haut wissen, hat sich dennoch unser Verständnis von den funktionellen Aufgaben
dieser Proteine durch das Studium hereditärer Erkrankungen, die durch Mutationen in
für gap junctions kodierende Genen hervorgerufen werden, in den zurückliegenden Jahren
ständig vergrößert.
Derzeit sind mindestens 14 verschiedene Gene bekannt, die für Transmembranproteine
aus der Connexin-Familie kodieren [8 ]. Eines der interessantesten kutan exprimierten Gene aus dieser Familie ist GJB2 . Dieses Gen kodiert für das Protein Connexin 26 (Cx 26), eigentlich ein relativ unbedeutsames
Mitglied der Connexin-Familie in der Haut, das jedoch ein ganz spezielles Charakteristikum
aufweist: aus pathogenen DNA-Sequenzabweichungen (Mutationen) im GJB2 -Gen resultierende Aminosäurensubstitutionen an spezifischen, aber unterschiedlichen
Positionen des Proteins resultieren phänotypisch unterschiedliche Erkrankungen mit
einem zuweilen spektakulären Facettenreichtum an klinischen Symptomen.
So führt z. B. die Punktmutation G12R, bei der es zur Aminosäurensubstitution von
Glycin durch Arginin kommt, zum so genannten Keratitis-Ichthyosis-Deafness (KID)-Syndrom
(OMIM 148 210) [9 ], das durch sensorische Taubheit und eine schwere Keratodermie gekennzeichnet ist.
Patienten mit KID-Syndrom weisen darüber hinaus eine erhöhte Infektneigung auf, erkranken
vermehrt an Mykosen und entwickeln häufiger Plattenepithelkarzinome. Neben der zuvor
genannten Mutation G12R führen auch die Punktmutationen S17F (Substitution von Serin
durch Phenylalanin) und D50N (Substitution von Asparaginsäure durch Asparagin) zum
KID-Syndrom [10 ]. Dies allein ist sicher nicht weiter verwunderlich, wäre da nicht die Tatsache,
dass zahlreiche andere Aminosäurensubstitutionen in Cx 26 zu völlig verschiedenartigen
Krankheitsbildern führen. N14K (Substitution von Asparagin durch Lysin) resultiert
im Hypotrichosis-Deafness-Syndrom (OMIM 129 500), das neben dünnen Haaren und Taubheit
durch Nageldystrophie und eine mild ausgeprägte Erythrokeratodermie gekennzeichnet
ist [11 ]. Interessanterweise ist der mutierte Asparagin-Rest an Position 14 des Cx 26 in
unmittelbarer Nachbarschaft zweier Aminosäuren, G12 und S17, gelegen, die beim KID-Syndrom
mutiert sind. Bewegen wir uns weiter in 3'-Richtung auf das carboxyterminale Ende
des Cx 26 zu, so fällt auf, dass die Punktmutation G59A (Substitution von Glycin durch
Alanin) mit einem Krankheitsbild assoziiert ist, das sich klinisch mit Taubheit und
einer palmoplantaren Keratodermatose manifestiert (palmoplantar keratoderma-deafness
syndrome; OMIM 121 011) [12 ]. Demgegenüber führt die Punktmutation D66H (Substitution von Asparaginsäure durch
Histidin) zum Vohwinkel-Syndrom, das durch eine teilweise mutilierende palmoplantare
Keratodermatose und Innenohrschwerhörigkeit charakterisiert ist [13 ]. Nur einem Ignoranten könnte entgehen, dass die Substitution dreier Aminosäurenreste
in Cx 26, die in enger räumlicher Beziehung zueinander gelegen sind, D50, G59 und
D66, zu völlig verschiedenen Erkrankungen führen. Doch damit nicht genug: die Liste
der Mutationen in Cx 26 ist lang und wird ständig länger, ohne dass ein Ende in Sicht
wäre ([Tab. 1 ]). Warum nun Mutationen in Cx 26 zu phänotypisch derart unterschiedlichen Krankheitsbildern
führen ist eine der Fragen, deren Beantwortung sich derzeit neben unserer eigenen
Arbeitsgruppe sicherlich auch andere Forschungsgruppen weltweit intensiv widmen. Die
einzige Konstante im Spektrum der zuvor erwähnten Mutationen ist ihre klinische Assoziation
mit Taubheit bzw. Schwerhörigkeit, da Cx 26 erforderlich ist, um das Transmembranpotential
der Haarzellen im Innenohr aufrecht zu erhalten [14 ].
Tab. 1 Genotyp-Phänotyp Korrelation für GJB2
Erkrankung
Mutation in GJB2
Hypotrichosis-Taubheit
N14K
Keratitis-Ichthyosis-Taubheit
G12R, S17F, G45E, D50N, D50Y
KID-ähnlich
N14Y
Bart-Pumphrey-Syndrom
N54K
PPK-Taubheit
G59A, G59S, R75Q, R75W
Vohwinkel Syndrom
D66H
Mucositis-Taubheit-Syndrom
F142L
A = Alanin, D = Asparaginsäure, E = Glutaminsäure, F = Phenylalanin, G = Glycin, H
= Histidin, K = Lysin, L = Leucin, N = Asparagin, Q = Glutamin, R = Arginin, S = Serin,
W = Tryptophan, Y = Tyrosin.
Betrachtet man die verschiedenen Mutationen so gewinnt man das Gefühl, dass die Rolle
des Cx 26 in der Haut etwas komplexer ist. So könnten beispielsweise einzelne Aminosäuren
innerhalb des Proteins spezifische Funktionen wahrnehmen. Plausibler jedoch wäre die
alternative Erklärung, dass Cx 26 aus einer Reihe funktioneller Module besteht, die
durch die diversen Mutationen differentiell in ihrer Funktion beeinträchtigt werden
und in der Folge zu gleichartigen aber doch verschiedenen Hauterkrankungen führen.
Die jüngsten Publikationen diverser Arbeitsgruppen und unserer eigenen deuten darauf
hin, dass letztere Hypothese der Wirklichkeit am nächsten kommen dürfte. Gap-junction-Proteine
weisen die nützliche Eigenschaft auf, dass ihre Funktionalität nicht eingeschränkt
wird, wenn man sie experimentell mit einer fluoreszierenden Signalsequenz versieht.
Hierdurch kann man den Weg der Botenmoleküle durch die Zelle visualisieren und die
Auswirkungen analysieren, die einzelne Mutationen auf den Transport des Proteins vom
Endoplasmatischen Retikulum, seinem Entstehungsort, zur Zellmembran haben. Mit Hilfe
dieser Technologie können wir nun demonstrieren, dass einige der diversen phänotypischen
Charakteristiken der Mutationen im GJB2 -Gen durch ihre Effekte auf den intrazellulären Proteintransport erklärt werden können.
So konnten wir beispielsweise zeigen, dass die mit dem KID-Syndrom assoziierte Punktmutation
D50N keinerlei Einfluss auf den Proteintransport hat, sondern das mutierte Protein
direkt in die Zellmembran integriert wird ([Abb. 1 b ]). Andere Arbeitsgruppen konnten demonstrieren, dass es dort als konstitutionell
aktiver Kanal wirkt und seine Signalfunktion ohne externen Stimulus ausübt (Gonzalez
et al.; persönliche Mitteilung). Daraus geht hervor, dass es sich bei D50N um eine
Mutation mit Aktivitätsgewinn (so genannte „gain of function”-Mutation) handelt. Demgegenüber
resultiert die Mutation D66H in einem Transportdefekt, der dafür verantwortlich ist,
dass das Protein im Golgi- oder Post-Golgi-Netzwerk verbleibt ([Abb. 1 c ]). Daher wird das mutierte Protein auch wahrscheinlich nicht in der Zellmembran exprimiert
und verändert hierdurch entscheidend die Komposition der verbleibenden Gap-junction-Kanäle.
Unsere jüngsten experimentellen Befunde deuten darauf hin, dass sich beim Vohwinkel-Syndrom
und auch bei vergleichbaren klinischen Phänotypen möglicherweise eine Genotyp-Phänotyp-Korrelation
abzeichnet und Syndrome, die mit Taubheit und palmoplantarer Keratodermie assoziiert
sind, generell durch Mutationen hervorgerufen werden, die einen Proteintransportdefekt
zur Folge haben (de Zwart et al.; Manuskript in Vorbereitung).
Selbstverständlich sind die Vorgänge in der Natur niemals simpel, und so können auch
die zuvor beschriebenen Befunde nicht erklären, warum Veränderungen in einem eher
unbedeutenden Gap-junction-Protein zu derartig schweren hereditären Hauterkrankungen
führen können. Ein weiterer Effekt, den Mutationen im GJB2 -Gen ausüben können, ist der verminderte Einbau anderer Connexine in die Zellmembran
[15 ]. Ein derartiger Effekt, den man als transdominant bezeichnet, konnte bereits für
Cx 30 (GJB6) und Cx 43 (GJA1) aufgezeigt werden, zwei Proteine aus der Connexin-Familie,
die prominent in der Haut exprimiert sind.
Insbesondere GJA1 ist von vorrangigem Interesse für uns, da es das bedeutendste Gap-junction-Protein
in der Haut ist. Wenn die Expression von GJA1 unter dem direkten Einfluss von GJB2
stünde würde dies eine gute Erklärung dafür liefern, warum sich als Folge verschiedener
GJB2 -Mutationen hauptsächlich Hautsymptome manifestieren, obwohl dieses Gen für ein in
der Haut relativ unbedeutsames Gap-junction-Protein kodiert. Erstaunlicherweise sind
jedoch die durch Mutationen im GJA1 -Gen hervorgerufenen Erkrankungen üblicherweise nicht mit kutanen Symptomen assoziiert.
Das Mysterium um Connexin 43 - was macht es in der Haut?
Das Mysterium um Connexin 43 - was macht es in der Haut?
Mutationen im GJA1 -Gen verursachen die oculo-dento-digitale Dysplasie (ODDD) (OMIM 164 200). Hierbei
handelt es sich um ein komplexes Syndrom, dass sich mit ophthalmologischen Abweichungen,
Hypertelorismus, Hypoplasie der ala nasi und akral betonten Skelettdefekten manifestiert,
darunter vornehmlich eine Typ III-Syndaktylie und einer Hypoplasie der mittleren Phalanx
der digiti V [16 ]. Kürzlich wurden auch Defekte in der substantia alba des zentralen Nervensystems
beschrieben, die neurologische Symptome wie spastische Paraplegie und Urininkontinenz
hervorrufen können [17 ]. Dies ist nicht erstaunlich, da Cx 43 eines der wichtigsten Gap-junction-Proteine
in Astrozyten ist. In den Astrozyten geht es eine enge Bindung mit Cx 46.6 (GJA12)
ein. Mutationen im für Connexin 46.6 kodierenden GJA12 -Gen verursachen ein autosomal rezessiv vererbtes, dem Pelizaeus-Merzbacher-Syndrom
ähnliches Krankheitsbild (OMIM 608804), das durch Defekte in der Substantia alba gekennzeichnet
und unter anderem mit Nystagmus, progressiver Spastizität und Ataxie assoziiert ist
[18 ].
Es ist jedoch weitestgehend unklar, wie diese Symptome entstehen, obwohl es Hinweise
darauf gibt, dass Cx 43 von essentieller Bedeutung für die Sonic Hedgehog-Signalkaskade
und die Entwicklung spezifischer Gesichtsstrukturen ist [19 ]
[20 ]. Noch erstaunlicher ist in diesem Zusammenhang, dass Hautsymptome bei der ODDD fehlen.
So dachte man jedenfalls bis vor kurzem… Kürzlich jedoch haben wir mehrere Patienten
mit ODDD und einer variabel ausgeprägten palmoplantaren Keratodermie beschrieben [21 ]. Diese unerwarteten Befunde beantworten dann auch die Frage, was Cx 43 in der Haut
macht - denn wenn Mutationen im GJA1 -Gen nicht zu kutanen Abweichungen führen, läge die Vermutung nahe, dass es für die
Haut überflüssig ist. Unsere Ergebnisse belegen das Gegenteil. Und mehr noch: Sie
unterstützen eindrucksvoll die Hypothese, dass Mutationen in Cx 26 auch Auswirkungen
auf Cx 43 haben. Konkret konnten wir aufzeigen, dass unsere Patienten einen neuen
Mutationstyp aufwiesen. Alle bis dahin beschriebenen Nukleotidabweichungen bei ODDD
waren Punkmutationen wie z. B. G130R (Substitution von Glycin durch Arginin) [22 ]. Im Gegensatz dazu fanden wir bei unseren Patienten Dinukleotid-Deletionen, die
das carboxyterminal lokalisierte zytoplasmatische Endstück des Cx 43 beeinflussen.
Diese Deletion von zwei Basenpaaren führt zu einer Veränderung des Leserahmens (rahmenverschiebende
Mutation), zum Einbau falscher Aminosäuren und zu einem vorzeitigen Kettenabbruch
im kodierten Protein auf Grund eines präterminalen Stop-Kodons. Als Konsequenz beinhaltet
das Endstück des kodierten Cx-43-Proteins, verglichen mit dem Wildtyp-Protein, eine
unsinnige Aminosäurensequenz und ist zu kurz. Wir konnten derartige Mutationen bei
mehreren, nicht miteinander verwandten Patienten mit ODDD und palmoplantarer Keratodermie
nachweisen, was dafür spricht, dass Hautveränderungen spezifisch mit Dinukleotid-Deletionen
assoziiert sind, die im carboxyterminalen Endstück des Cx 43 auftreten. Da dieser
Mutationstyp mit einem charakteristischen klinischen Phänotyp assoziiert ist, haben
wir die Hypothese entwickelt, dass carboxyterminale Deletionen, im Vergleich zu Punktmutationen
im GJA1 -Gen, auch spezifische funktionelle Konsequenzen für das CX-43-Protein haben könnten.
Jüngste Ergebnisse aus unserer Gruppe (de Zwart et al.; unpublizierte Daten und Vreeburg
M et al., in press) und von anderen [23 ] bestätigen diese Vermutung: während rahmenverschiebende Mutationen wie die Dinukleotid-Deletionen
einen dominant-negativen Transportdefekt verursachen, wird ein solcher bei Punktmutationen
nicht beobachtet. [Abb. 2 ] zeigt die Hautbiopsie eines unserer Patienten mit der Mutation C260fsX307. Man erkennt
deutlich, dass sowohl das Wildtyp- als auch das mutierte Protein im Zytoplasma zur
Expression kommen und sich dort anhäufen. Im Gegensatz dazu wird ein Fusionsprotein,
das die Punktmutation G130R beinhaltet, in die Zellmembran transportiert ([Abb. 2 ]). Auch ein um das carboxyterminale Endstück trunkiertes Cx-43-Protein wird normal
in die Zellmembran transportiert [23 ]. Daher vermuten wir, dass es durch den bei unseren Patienten beobachteten Einbau
einer falschen und unsinnigen Aminosäurensequenz in das carboxyterminale Endstück
des Proteins zu einer Transportstörung kommt, möglicherweise durch eine Interferenz
mit der physiologischen Gap-junction-Komposition. Unabhängig vom präzisen Pathomechanismus
weisen unsere Untersuchungsbefunde darauf hin, dass die Hautsymptome bei diesen Patienten
durch die Abwesenheit von Cx 43 in der Zellmembran verursacht werden. Diese Erkenntnisse
sind in Übereinstimmung mit dem zuvor beschriebenen Befund, dass mit Hautveränderungen
assoziierte Mutationen in GJB2 in einer verminderten Expression von Cx 43 im Gap-junction-Plaque resultieren.
Abb. 2 a GJA1-C260fsX307. Mutiertes und normales Protein im Zytoplasma bei einer ODDD-Patientin.
b GJA1-G130R. Das mutierte Protein ist blau.
Schlussfolgerungen und Zukunftsausblick
Schlussfolgerungen und Zukunftsausblick
In dieser Übersicht haben wir einige unserer jüngsten Forschungsergebnisse vorgestellt
und diskutiert, um zu zeigen, wie Fragen und Probleme in der Dermatologie durch den
Einsatz moderner molekulargenetischer und zellbiologischer Untersuchungstechniken
angegangen und aufgelöst werden können. Zur Veranschaulichung unserer Untersuchungsstrategien
haben wir die Gap-junction-Erkrankungen als Bespiel gewählt, weil sie zum einen im
Fokus unserer derzeitigen Forschungsbemühungen stehen, zum anderen aber auch, weil
diese Proteinfamilie, wie zuvor beschrieben, durch ganz spezielle Eigenschaften und
Charakteristika in der menschlichen Haut gekennzeichnet ist und unsere Befunde verdeutlichen,
wie die Lösung eines Problems dazu beitragen kann, ein weiteres ebenfalls aufzulösen
oder sich daraus ableitende Fragen zu beantworten.
Die gegenwärtige dermatologische Forschung nutzt modernste wissenschaftliche Untersuchungstechniken
und entwickelt sich sehr schnell - die brandaktuellen Forschungsergebnisse von heute
sind die Lehrbucheinträge von morgen. Unser sich stetig vergrößerndes Verständnis
basaler pathophysiologischer Zusammenhänge wird eher früher als später dazu beitragen,
dass heute im Labor gewonnene Erkenntnisse möglichst bald schon im klinischen Alltag
zur Erweiterung derzeitiger Therapiestrategien und zur Verbesserung der Patientenversorgung
beitragen. Aber auch in umgekehrter Richtung können wir eine Menge lernen. Da wir
heutzutage ein wesentlich kompletteres Bild über die genetische Vielfalt zahlreicher
Hauterkrankungen haben und stets besser verstehen, in welcher Assoziation bestimmte
Mutationen zu spezifischen Hautabweichungen stehen, gelingt es uns auch immer häufiger,
neue nosologische Kriterien voneinander zu unterscheiden, derer wir uns früher nicht
bewusst waren. Als ein Beispiel sei hier die lamelläre Ichthyose genannt, die bis
vor kurzem einfach nur als solche bekannt war. Heutzutage unterscheiden wir jedoch
sechs verschiedene Typen der lamellären Ichthyose [24 ], und es hat sich herausgestellt, dass jede dieser Varianten ihre eigenen, sie von
den anderen Formen unterscheidenden Merkmale hat - wenn man erst einmal weiß, wonach
man schauen muss. Wir sind daher fest davon überzeugt, dass wir aufregenden und spannenden
Zeiten entgegensehen können, die innovative Therapiekonzepte und eine noch ausgeklügeltere
Nosologie mit sich bringen werden. Dies wird dazu führen, dass die Dermatologie endgültig
die ihr mancherorts noch stets anhaftende Aura des rein beschauenden und deskriptiven
Faches abstreifen kann, um wie Phönix der Asche zu entsteigen und schließlich den
ihr gebührenden Platz im Mittelpunkt der modernen biologisch-naturwissenschaftlichen
Disziplinen einzunehmen.
Danksagung/Forschungsförderung
Danksagung/Forschungsförderung
Maurice A. M. van Steensel wird unterstützt durch Stipendien der Berliner Stiftung
für Dermatologie und des Forschungsinstituts GROW im Universitätsklinikum Maastricht,
den Europäischen Forschungspreis 2005 der Firma La Roche Posay und Barrier Therapeutics
NV. Jorge Frank ist Mitglied des Netzwerks für Ichthyosen und verwandte Keratinisierungsstören
(NIRK), das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt
wird.