Aktuelle Dermatologie 2007; 33(1/02): 54-56
DOI: 10.1055/s-2006-944968
Von den Wurzeln unseres Faches
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Frühe Darstellung des Parry-Romberg-Syndroms bei der Bremer Kaufmannswitwe Gesche Meyer (1652)[*]

Early Interpretation of Parry-Romberg Syndrome in Gesche Meyer (1652), Widow of a Bremen BusinessmanF.  A.  Bahmer1
  • 1Dermatologische Klinik (Dir.: Prof. Dr. med. F. A. Bahmer), Klinikum Bremen-Mitte
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Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer

Dermatologische Klinik
Klinikum Bremen-Mitte gGmbH

Sankt-Jürgen-Straße 1
28205 Bremen

eMail: fbahmer@t-online.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
22. Februar 2007 (online)

Inhaltsübersicht

Dr. Udo Lübben, Hautarzt in Bremen, dem diese Arbeit gewidmet ist, hat mich auf ein Gemälde aufmerksam gemacht, das gleich neben dem Eingang des Hauses Riensberg, dem neu eingerichteten heimatkundlichen Teil des Focke-Museums Bremen, zu finden ist (Bild Nr. 804).

Dieses Gemälde zeigt die Bremer Kaufmannswitwe Gesche Meier (geb. Hilmer) in einer für diese Zeit typischen Bekleidung ([Abb. 1]). Das Bild ist unsigniert, als Jahr der Entstehung ist 1652 angegeben. Die Porträtierte war zu diesem Zeitpunkt bereits 68 Jahre alt („aetas suae 68”).

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Abb. 1 Gesche Meyer (1652), Bremer Kaufmannswitwe mit Parry-Romberg-Syndrom (Künstler unbekannt).

Bei der Betrachtung des nur relativ schwach illuminierten Bildes ist eine Asymmetrie des Gesichtes zu erkennen. Bei genauem Studium zeigt die linke Stirn der porträtierten Frau eine fast dreieckige Einsenkung mit der Basis im Haaransatz, außerdem einen Enopthalmus. In dem hautatrophischen Areal ist die Arteria temporalis gut zu erkennen. Kein Zweifel: der (unbekannte) Künstler hat eine Frau mit Hemiatrophia faciei (Parry-Romberg-Syndrom) porträtiert.

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Das Gemälde im historischen Kontext

Die Porträtierte war die Witwe des Bremer Kaufmanns Diderik Meier, der als „Eltersmann” zu den führenden Kaufleuten der Hansestadt Bremen gehörte. Bremen wurde damals durch einen oligarchischen Rat aus Kaufleuten („Elterleute”) und Juristen regiert, wobei die im Schütting residierenden Elterleute das wirtschaftliche Schicksal der Hansestadt bestimmten [9].

Gesche Meier, die zum Zeitpunkt der Porträtierung bereits 68 Jahre alt war, ihr Geburtsjahr also noch im 16. Jahrhundert liegt, wird in Bremer Tracht dargestellt [2]. Diese wohl aus den Niederlanden stammende Tracht wurde vom ausgehenden 16. Jahrhundert an von wohlhabenden patrizischen Kaufleuten getragen. Vor allem durch die reichliche Verwendung von schwarzem Tuch signalisierte diese auch als „Regentenkleidung” bezeichnete Tracht Beharrlichkeit und Dignität, zweifellos aber auch einen gewissen Wohlstand. Bei dem Kostüm der Gesche Meier handelte es sich eigentlich um ein Hochzeitsgewand, das aber auch bei anderen Gelegenheiten getragen wurde und das der kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts vom Rat der Stadt Bremen erlassenen Kleiderordnung entsprach [2]. Einen Hinweis auf die Gedankenwelt der Porträtierten liefert das aufgeschlagene Gebetbuch mit Bibelversen aus dem Buch Hiob und dem 2. Brief an die Korinther [2].

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Parry-Romberg-Syndrom und Sklerodermie en coup de sabre

Die Hemiatrophie des Gesichts wurde nach den Erstbeschreibern, dem britischen Allgemeinarzt Parry (1825) und dem deutschen Neurologen Romberg (1846) benannt [5] [6]. Noch bevor der Schwund der Haut, des subkutanen Fettgewebes, der Muskulatur und schließlich auch des Knochens einsetzt, zeigt sich manchmal eine Hyper- oder Hypopigmentierung in dem betroffenen Areal. Gelegentlich kommt es hier auch zu einer Alopezie und zu einer Depigmentierung der Haare. Auch neurologische Symptome wie Epilepsie und Migräne wurden beschrieben.

Das Parry-Romberg-Syndrom ist ausgesprochen gynäkotrop, es manifestiert sich in der Regel schon im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter. Die progressive Phase ist meist nach 10 Jahren abgeschlossen, danach bleiben die Veränderungen lebenslang bestehen.

Die Ätiologie dieses Syndroms ist ungeklärt. Diskutiert werden neben genetischen Faktoren auch Infekte durch Borrelien, außerdem Traumata, Autoimmun-Phänomene und Trigeminus-Affektionen [5] [6].

Da bei einem Teil der Patienten mit Parry-Romberg-Syndrom antinukleäre Autoantikörper wie bei der Sklerodermie gefunden werden, halten manche Autoren dieses Syndrom für eine Variante der Sklerodermie, vor allem die einer Sklerodermie vom Typ „en coup de sabre”. Manche Autoren gehen davon aus, dass sich die beiden Krankheiten unterscheiden lassen, vor allem mittels Palpation und anhand histologischer Veränderungen [7].

Frau S. Jablonska, unbestrittene Expertin auf dem Gebiet der Sklerodermie, fand jedoch bei sorgfältigen Untersuchungen unter Einschluss von Kernspintomographie und SPECT-Technik und anhand von Kontrolluntersuchungen über Jahre hinweg in der Mehrzahl der Fälle keine wesentlichen Unterschiede zwischen Parry-Romberg-Syndrom und Sklerodermie en coup de sabre [4]. Auch in einer neuen Analyse der klinischen Befunde in 12 Fällen ergab sich eine enge Beziehung zwischen Parry-Romberg-Syndrom und Sklerodermie en coup de sabre [10]. Einig sind sich die Autoren darüber, dass die Bezeichnung „Syndrom” wegen der häufigen Assoziation mit extrakutanen Veränderungen berechtigt ist [5] [10] [11]

Noch immer gibt es keine wirksame Behandlung des Parry-Romberg-Syndroms, trotz einzelner Berichte über eine erfolgreiche Behandlung mit Calcipotriol und UVA-Bestrahlungen. Gelegentlich wird heute eine operative Korrektur, z. B. mittels Fettgewebeplastik, versucht [10].

Eine Literaturrecherche in PubMed [16.08.2006] mit dem Suchstring „progressive facial hemiatrophy” ergab immerhin 644 Treffer. In den USA existiert eine Selbsthilfeorganisation für Menschen, die an dieser seltenen Krankheit leiden, mit inzwischen mehr als 400 Mitgliedern in der ganzen Welt, davon 8 in Deutschland [8]. Epidemiologische und klinische Charakteristika von 205 dieser Patienten wurden kürzlich von dem englischen Neurologen J. Stone publiziert [11].

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Darstellung des Parry-Romberg-Syndroms

Da die Haut über Jahrhunderte hinweg nur als Körperhülle und Hautveränderungen nur als Problem der Ausscheidung gestörter Körpersäfte gesehen wurde, gibt es aus der Zeit, in der das Porträt der Gesche Meier entstand, kaum bildliche Darstellungen von Hautveränderungen. Die Epoche der Dermatologie beginnt erst mit den Werken von Francois Boissier de Sauvages de la Croix (Amsterdam, 1752), Joseph Jakob Plenck (Wien, 1776) und Robert Willan (London, 1798) [3]. Bei diesen Werken handelt es sich aber mehr um den Versuch, Hautveränderungen zu systematisieren, und weniger um das Bestreben, deren Vielfalt zu Lehrzwecken darzustellen. Noch frühere medizinische Werke wie das „Opus chirurgicum” von Paracelsus (1565) enthalten keine oder nur wenige dermatologische Abbildungen [3].

Inwieweit sich in den vielen Hunderten von Bänden mit dermatologischen Darstellungen aus den vergangenen Jahrhunderten auch Abbildungen zum Parry-Romberg-Syndrom finden lassen, ist schwer zu beurteilen. Eine Umfrage bei Experten (Prof. Krieg, Köln; Prof. Burg, Zürich und Prof. Scholz, Dresden) ergab bislang keine Hinweise auf die Existenz solcher Darstellungen. Eine systematische Auswertung der über 3500 dermatologischen Werke und Atlanten, die sich im Besitz von Prof. Plewig (München) befinden, steht allerdings noch aus (pers. Mitteilung, 19. 8. 2006).

Klinisch-paläoneurologische Forschungen an zahlreichen, fast 2000 Jahre alten Porträts ägyptischer Mumien und Schädeln ergaben 2 Fälle mit Parry-Romberg-Syndrom [1]. Im Ägypten dieser Zeit wurde aus rituellen Gründen das Gesicht der Mumien mit einem in Lindenholz gebrannten Porträt versehen. Im Fall eines relativ jungen Mannes, dessen Porträt etwa in dem Zeitraum zwischen 70 und 120 n. Chr. entstanden ist, konnte dieses eindeutig dem Schädel zugeordnet werden. Ein dreidimensionales CT und die genaue morphometrische Analyse des Schädels bestätigte das schon auf dem Porträt deutlich sichtbare Parry-Romberg-Syndrom [1]. Offenbar existiert diese Erkrankung schon seit Jahrtausenden, was Stone [11] [12] zu der Aussage veranlasste : „Was immer der Auslöser sein mag: er ist nicht neu!”.

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Danksagung

Dem Focke-Museum danke ich für die Abdruckgenehmigung des Bildes, Herrn Dr. Löhr, stellvertretender Leiter des Focke-Museums, für die tatkräftige Untestützung bei meinen Recherchen. Den Professoren Burg (Zürich), Krieg (Köln), Plewig (München) und Scholz (Dresden) danke ich für ihre Hilfe bei der Suche nach alten Darstellungen.

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Literatur

  • 1 Appenzeller O, Stevens J M, Kruszynski R, Walker S. Neurology in ancient faces.  J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2001;  70 524-529
  • 2 Bernsmeier U. Regentenkleid und Bremer Tracht.  In: Jahrbuch 1995/96 der Wittheit zu Bremen. Bremen und die Niederlande. Bremen; Verlag H. M. Hauschild 1997
  • 3 Ehring F. Hautkrankheiten. 5 Jahrhunderte wissenschaftlicher Illustration. Stuttgart; Gustav Fischer Verlag 1989
  • 4 Jablonska S, Blaszczyk M. Long-lasting follow-up favors a close relationship between progressive facial hemiatrophy and scleroderma en coup de sabre.  J Europ Acad Dermatol Venereol. 2005;  19 403-404
  • 5 Jappe U, Hölzle E, Ring J. Parry-Romberg-Syndrom.  Hautarzt. 1996;  47 599-603
  • 6 Kühne A, Kyburz T, Burg G. Das Parry-Romberg-Syndrom.  Schweiz Med Forum. 2005;  5 615-617
  • 7 Orozco-Covarrubias L, Guzmán-Meza A, Ridaura-Sanz C. et al . Scleroderma „en coup de sabre” and progressive facial hemiatrophy. Is it possible to differentiate them?.  Eur Acad Dermatol Venereol. 2002;  16 361-366
  • 8 Romberg’s Connection: http://www.geocities.com/rombergs (letzter Zugriff: 16. 08. 2006). 
  • 9 Schwarzwälder H. Bremer Geschichte. Bremen; Johann Heinrich Döll Verlag 1993
  • 10 Sommer A, Gambichler T, Bacharach-Buhles M, vonRothenburg T, Altmeyer P, Kreuter A. Clinical and serological characteristics of progressive facial hemiatrophy: A case series of 12 patients.  J Am Acad Dermatol. 2006;  54 227-233
  • 11 Stone J. Parry-Romberg syndrome. A global survey of 205 patients using the internet.  Neurology. 2003;  61 674-676
  • 12 Stone J. http://www.annstone.co.uk/parry/facts.htm. 

1 Dr. Udo Lübben (Bremen) zum 50. Geburtstag gewidmet.

Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer

Dermatologische Klinik
Klinikum Bremen-Mitte gGmbH

Sankt-Jürgen-Straße 1
28205 Bremen

eMail: fbahmer@t-online.de

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Literatur

  • 1 Appenzeller O, Stevens J M, Kruszynski R, Walker S. Neurology in ancient faces.  J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2001;  70 524-529
  • 2 Bernsmeier U. Regentenkleid und Bremer Tracht.  In: Jahrbuch 1995/96 der Wittheit zu Bremen. Bremen und die Niederlande. Bremen; Verlag H. M. Hauschild 1997
  • 3 Ehring F. Hautkrankheiten. 5 Jahrhunderte wissenschaftlicher Illustration. Stuttgart; Gustav Fischer Verlag 1989
  • 4 Jablonska S, Blaszczyk M. Long-lasting follow-up favors a close relationship between progressive facial hemiatrophy and scleroderma en coup de sabre.  J Europ Acad Dermatol Venereol. 2005;  19 403-404
  • 5 Jappe U, Hölzle E, Ring J. Parry-Romberg-Syndrom.  Hautarzt. 1996;  47 599-603
  • 6 Kühne A, Kyburz T, Burg G. Das Parry-Romberg-Syndrom.  Schweiz Med Forum. 2005;  5 615-617
  • 7 Orozco-Covarrubias L, Guzmán-Meza A, Ridaura-Sanz C. et al . Scleroderma „en coup de sabre” and progressive facial hemiatrophy. Is it possible to differentiate them?.  Eur Acad Dermatol Venereol. 2002;  16 361-366
  • 8 Romberg’s Connection: http://www.geocities.com/rombergs (letzter Zugriff: 16. 08. 2006). 
  • 9 Schwarzwälder H. Bremer Geschichte. Bremen; Johann Heinrich Döll Verlag 1993
  • 10 Sommer A, Gambichler T, Bacharach-Buhles M, vonRothenburg T, Altmeyer P, Kreuter A. Clinical and serological characteristics of progressive facial hemiatrophy: A case series of 12 patients.  J Am Acad Dermatol. 2006;  54 227-233
  • 11 Stone J. Parry-Romberg syndrome. A global survey of 205 patients using the internet.  Neurology. 2003;  61 674-676
  • 12 Stone J. http://www.annstone.co.uk/parry/facts.htm. 

1 Dr. Udo Lübben (Bremen) zum 50. Geburtstag gewidmet.

Prof. Dr. med. Friedrich A. Bahmer

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Abb. 1 Gesche Meyer (1652), Bremer Kaufmannswitwe mit Parry-Romberg-Syndrom (Künstler unbekannt).