Der Klinikarzt 2006; 35(7): XVI-XVII
DOI: 10.1055/s-2006-948083
Medizin & Management

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Anspruch und Wirklichkeit - Patientenorientierung im Klinikalltag ist oberstes Gebot

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Dr. R. Schwarz

Geschäftsführung Sana Kliniken, München

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
24. Juli 2006 (online)

 
Inhaltsübersicht

Oberstes Gebot in unserem Krankenhaus ist es, dem Wohle des Patienten zu dienen" - das ist ein Satz, den wir alle kennen und bestimmt auch unterschreiben würden. Wie steht es aber mit der tatsächlichen Patientenorientierung in unseren Krankenhäusern? Ist es für diejenigen, die dort arbeiten, wirklich das Wichtigste, alles so zu tun, dass es dem Patienten dient? Ist das bei all den Belastungen und Begrenzungen im Gesundheitswesen überhaupt möglich, und wer alles kann dazu einen Beitrag leisten?

Um es vorweg zu sagen: Patientenorientierung geht uns im Krankenhaus alle an! Jeder Mitarbeiter muss sich dieser Herausforderung bewusst sein und sich "im Alltag" mit persönlichem Einsatz darum kümmern. Gefragt ist praktisches Handeln und eine eindeutige innere Einstellung. Es sind einfache Fragen, die jeder Mitarbeiter im Krankenhaus beantworten kann:

  • Denke ich an die Patienten, die in unserem Krankenhaus behandelt werden?

  • Interessiert es mich, was diese Menschen empfinden und wie sie die Behandlung in unserem Krankenhaus erleben?

  • Wie können wir den unsicheren und durch eine Krankheit existenziell bedrohten Patienten bestmögliche Versorgung geben?

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Was ist mit "Patientenorientierung" gemeint?

Einfach ausgedrückt geht es bei der "Patientenorientierung" darum, sich darauf einzustellen, was der Patient will, erwartet oder erhofft und ob er mit dem gut zurecht kommt, was er vorgefunden hat, eben wie "zufrieden" er ist. Uns allen ist bekannt, dass der Patient nicht freiwillig ins Krankenhaus kommt. Immer häufiger artikuliert er vorher oder auch hinterher seine Erwartungen an den Klinikaufenthalt.

Sofern er nicht als Notfallpatient oder Schwerstkranker in das Krankenhaus gebracht wird, hat er mehr oder weniger genaue Ansprüche. Wie ein Kunde prüft er - insbesondere beim elektiven Eingriff - ob ihm das Krankenhaus mit großer Wahrscheinlichkeit das bietet, was er haben möchte. Nach der Entlassung versucht er zu beurteilen, ob seine Erwartungen erfüllt wurden. Sich auf all das einzustellen ist der Schlüssel zu einer guten Patientenorientierung.

Besonders die unmittelbar am Patienten arbeitenden Mitarbeiter müssen sich deshalb immer wieder neu auf die Patienten einlassen. Auch wenn es selbstverständlich deren dringendster Wunsch ist, gesund zu werden, müssen alle Patientenkontakte darauf ausgerichtet sein, dem Patienten viele Fassetten des Krankenhausgeschehens zu erläutern. Dafür braucht man Geduld und Interesse für das Schicksal des einzelnen Patienten.

Jeder Krankenhausmitarbeiter im "patientennahen Bereich" weiß um die Bedeutung von Mitgefühl, Zuwendung, Verständnis und Zeit - der Patient will keine Nummer sein. Er möchte nicht stundenlang auf eine Behandlung warten müssen, er möchte Kompetenz, will beraten und ernst genommen werden.

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Mit einfachen Fragen Interesse an den Patienten zeigen

In allererster Linie sind es die behandelnden Ärzte, das Pflegepersonal und die so genannten Funktionsdienste, die den Klinikaufenthalt eines Patienten prägen. Ein freundliches Wort bei der Röntgenaufnahme, ein erläuternder Hinweis für die leider entstandene Wartezeit, die Bereitschaft des Arztes zur umfassenden aber verständlich formulierten Aufklärung oder das echte Interesse am Gesundheitszustand des Patienten vermitteln Fürsorge und Menschlichkeit.

Vielleicht wird mancher Klinikarzt sagen, das alles seien schöne Worte. Was weiß das Management von unseren immensen Belastungen im Klinikalltag, was tut die Verwaltung gegen die immer weiter ausufernde Bürokratie, die ständig neuen, zusätzlichen Aufgaben zum Beispiel für Dokumentation und Qualitätssicherung? Ist es wirklich unvermeidbar, dass ich als Arzt täglich viele Stunden am Computer sitze, in Gremien bei oft nutzlosen Diskussionen die Zeit verschwende und mir die Zeit gestohlen wird, die ich für meine Patienten brauche? Deshalb ist die Kernfrage, wie sich das Management für die Patientenorientierung einsetzt und engagiert.

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Tätigkeiten abgeben und so Freiräume schaffen

Mehr als bisher muss dafür gesorgt werden, dass der Arzt so viel wie möglich von seiner kostbaren und sicherlich weiter teurer werdenden Arbeitszeit dem Patienten, seiner unmittelbaren Behandlung und seiner schnellen Genesung zuwenden kann. Management und Verwaltung müssen Rahmenbedingungen schaffen, dass Ärzte, Pflege- und Funktionspersonal Kraft und Zeit für ihre eigentlichen Aufgaben haben und ihre besonderen Fähigkeiten einsetzen können.

In den Sana Kliniken untersuchen wir zum Beispiel in gemeinsamer Projektarbeit, wie Ärzte von unnötiger Bürokratie oder fachfremder Tätigkeit entlastet werden können oder wie Pflegekräfte ihrerseits einfache Arbeiten an Hilfskräfte weitergeben sollten, die nicht unbedingt eine examinierte Krankenschwester erledigen muss. Ein solches Vorgehen verlangt allerdings Kompromissbereitschaft: Man muss an mancher Stelle auf berufsständisch ausgerichtetes Denken verzichten und selbst bereit sein, unkomplizierte - vielleicht lieb gewordene - Tätigkeiten an andere Mitarbeiter abzugeben. Dafür bekommt man Freiräume für das, wofür man besonders qualifiziert ist.

Das Klinikmanagement wiederum muss wissen, wie wertvoll und "kostbar" die Zeit des Arztes oder der Pflegekraft ist. Es muss alles Erdenkliche dafür tun, Assistenzärzte nicht für gehobene Hilfsdienste, Bürokratie oder gar Botengänge zu verheizen.

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Organisationsstrukturen überprüfen

Ganz entscheidend hängt die gelebte Patientenorientierung der Klinikärzte davon ab, wie es um die Organisation in der Klinik bestellt ist, wie viel - vielleicht vermeidbare - Überstunden sie leisten müssen, ob sie sich durch ältere Kollegen ausgebeutet oder in ihrer fachlichen Entwicklung behindert fühlen. Die verkrusteten hierarchischen Strukturen mancher Klinik bremsen oder ersticken gar die Initiative und das Engagement junger Mediziner. Eine wirkliche Patientenorientierung kann in einer solchen Situation nicht entstehen.

Es ist unverzichtbar, dass junge Ärzte eine konkrete Weiterbildungsperspektive bekommen. Das Management und der Chefarzt sind hier in der Verantwortung. Ich meine, nur eine qualifizierte und verantwortungsvolle Führung der Klinik und ein Verzicht auf dauerhaftes Arbeiten "am Anschlag" ermöglicht patientenorientiertes Handeln im Krankenhaus.

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Was kann das Management dazu beitragen?

Das Krankenhausmanagement muss ebenfalls seinen Beitrag zur Patientenzufriedenheit leisten. Meine These ist relativ einfach: Nur ein Krankenhaus mit zufriedenen Mitarbeitern hat auch zufriedene Patienten! An erster Stelle steht hier die berufliche Förderung der Mitarbeiter, besonders die Strukturierung und Sicherstellung der ärztlichen Weiterbildung. Bei zusätzlichen Belastungen müssen gerechte und allseits akzeptierte Lösungen gefunden werden. Es immer auf die Schwächsten, bei den Ärzten also auf die Assistenzärzte, zu packen und die Pflegekräfte mit zu geringer Besetzung oder zu vielen zusätzlichen Aufgaben fortwährend zu überlasten, führt zu unhaltbaren Zuständen, die Patienten früher oder später zu spüren bekommen.

Großer Nachholbedarf besteht auch bei der Lösung der Probleme in der Betriebsorganisation. Ich habe meistens aufgeschlossene Ärzte und Pflegekräfte erlebt, wenn zum Beispiel ein Betriebsorganisator die untragbar langen Wartezeiten der Patienten in der Ambulanz unter die Lupe nimmt und Vorschläge zur Veränderung und Verbesserung macht.

Wir müssen uns alle daran gewöhnen, dass klinische Abläufe nicht nur beobachtet, sondern auch geprüft und hinterfragt werden. Nur so ist eine Beurteilung möglich, ob Beschwerden berechtigt sind, ob Verbesserungen tatsächlich erreicht wurden, oder ob eine Neuorganisation oder auch eine Personalaufstockung notwendig sind.

Bei all diesen Ansatzpunkten gilt der Grundsatz, die Qualität zu fördern und dafür auch Geld auszugeben. Es macht sich bezahlt. Der Umgang mit Patienten will gelernt, will unterstützt und "unterfüttert" werden - ob durch psychologische Betreuung oder Supervision, zum Beispiel für onkologische oder palliative Abteilungen, oder durch die Bereitstellung von Informationsdiensten und Nachschlagewerken wie auch durch gemeinsam erarbeitete und verbindlich eingeführte Behandlungspfade. All dies ist mindestens ebenso Aufgabe des Krankenhausmanagements wie der Leitenden Ärzte.

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Wichtiges Argument im Konkurrenzkampf

Der Erfolg einer Patientenorientierung wird nicht auf sich warten lassen. Es ist nicht nur die positive Rückmeldung von Patienten an Ärzte und Krankenschwestern. Es ist auch die Sicherheit und die Zufriedenheit, dass das Krankenhaus, in dem man arbeitet, im Wettbewerb mit dem benachbarten Haus gut aufgestellt ist, einen guten Ruf hat und weiter empfohlen wird.

Denn Krankenhäuser mit guten Ergebnissen bei Umfragen zur Patientenzufriedenheit haben bessere Chancen, den in der Zukunft sicherlich noch härter werdenden Konkurrenzkampf um den Patienten und um die Existenzsicherung des Hauses zu gewinnen. Kleine Krankenhäuser schlagen in der Beliebtheit übrigens häufig die so genannten Maximalversorger, weil sie weniger Anonymität und mehr Menschlichkeit ausstrahlen.

Jeder Arzt und jede Pflegekraft sollte wenn möglich immer daran denken: Jeden Tag aufs Neue muss versucht werden, der Gefahr der Routine im Umgang mit Patienten oder gar dem Verzicht auf individuelle Behandlung entgegen zu treten. Der einzelne Patient entwickelt eine besondere emotionale Bindung zu dem behandelnden Arzt und zur Krankenschwester, und er hofft, weder als "Fall" gesehen noch so behandelt zu werden.

Ich meine, sich im Krankenhaus patientenorientiert zu verhalten, alles zum Wohle des Patienten zu tun, ist ethisch geboten und unternehmerisch erforderlich. Mediziner, Pflegekräfte und Management müssen sich regelmäßig die Frage stellen, ob alles Mögliche für die Patientenzufriedenheit im Krankenhaus getan wird. Wer sich kontinuierlich und mit Ausdauer darum kümmert, kann den Erfolg bei den Ergebnissen der Patientenumfragen ernten.

Dr. R. Schwarz

Geschäftsführung Sana Kliniken, München

Dr. R. Schwarz

Geschäftsführung Sana Kliniken, München