Notfall & Hausarztmedizin 2006; 32(7): 352
DOI: 10.1055/s-2006-948106
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Therapiealternative bei Diabetes mellitus - Keine Angst mehr vor "der Spritze"

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Publication Date:
08 August 2006 (online)

 
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Obwohl die Insulintherapie durch die modernen ultra-dünnen Pennadeln sehr viel einfacher geworden ist, ist die Vorstellung, Insulin zu spritzen, für viele Patienten abschreckend. Häufig beginnen Patienten mit Typ 2-Diabetes die Therapie deshalb nicht rechtzeitig. Nach 15 Jahren klinischer Entwicklung ist jetzt erstmals ein inhalatives Insulin zur Therapie des Diabetes mellitus zugelassen. Laut Prof. Andreas Pfützner aus Mainz ist das Besondere an diesem Medikament, dass die Lunge als reines Aufnahmeorgan genutzt wird. Das pulverförmige kurzwirksame Insulin wird mit Hilfe eines speziell konzipierten Inhalationsgerätes vor dem Essen appliziert. In klinischen Studien flutete das Insulin nach Inhalation ebenso schnell an wie kurzwirksame Insulinanaloga, seine Wirkdauer ist vergleichbar mit der von Normalinsulin. Im Gegensatz zu Asthmainhalatoren vernebelt das Inhalationsgerät das Insulin in einer durchsichtigen Kammer, aus der das Insulinpulver dann in aller Ruhe eingeatmet werden kann. Dabei sollen zirka 25% der applizierten Dosis die Alveolen der Lunge erreichen, zirka 10% sind später im Plasma nachweisbar. Aufgrund ihrer ähnlichen pharmakokinetischen Profile lässt sich inhalatives Insulin in den Wirksamkeitsdaten nicht von der des subkutan gespritzten Insulins unterscheiden. Wie Pfützner erklärte, ist Exubera® zugelassen zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit Typ 2-Diabetes, die mit oralen Antidiabetika nicht zufrieden stellend eingestellt sind und eine Insulintherapie benötigen. Bei Erwachsenen mit Typ 1-Diabetes kann es zusätzlich zu lang oder verzögert wirkendem, subkutanen Insulin prandial appliziert werden. Inhalatives Insulin könne es dem Arzt erleichtern, seine Patienten rechtzeitig auf Insulin umzustellen und so die bei unkontrolliertem Diabetes drohenden Komplikationen zu vermeiden, bilanzierte Pfützner.

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Eine Frage der Lebensqualität

Dies bestätigte eine Real-World-Studie, die in der diabetologischen Schwerpunktpraxis von Dr. Karin Schlecht aus Eisenach unter Alltagsbedingungen stattfand. Hier hatten Patienten mit Typ 2-Diabetes die Möglichkeit, entweder auf eine Therapie mit inhalativem Insulin umzustellen, oder wie bisher Insulin zu spritzen. Als Präferenz gaben dabei viele Patienten die Therapie mit inhalativem Insulin an. Dr. Schlecht sieht damit ihre fast zwanzigjährige Erfahrung in der Diabetologie bestätigt: Die Bedürfnisse der Patienten orientieren sich nicht nur an der medizinisch-wissenschaftlichen Fachlichkeit, sondern auch an Fragen der Lebensqualität.

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Pulmonale Verträglichkeit

Prof. Joachim Lorenz aus Lüdenscheid sieht die inhalative Insulintherapie als "kopernikanische Wende" in der medikamentösen Behandlung, die die Lunge als Resorptionsorgan für zahlreiche, bisher parenteral applizierbare Medikamente erschließt. Aufgrund möglicher Nebenwirkungen wurde Exubera® während der klinischen Entwicklung in Studien bis zu drei Jahren auf seine pulmonale Verträglichkeit geprüft. Während der Therapie traten weder Asthma, chronische Bronchitis, Lungenfibrose oder Tumore auf. Häufigste Nebenwirkung war ein leichter bis mäßiger Husten, wie er auch von der Anwendung von Antiasthmatika bekannt ist. Verglichen mit der subkutanen Insulinanwendung zeigte sich bei Patienten mit Typ 1- oder Typ 2-Diabetes bald nach Therapiebeginn eine Reduktion der Lungenvolumina und des Gasaustausches. Diese war aber klinisch nicht relevant und nach dem Absetzen voll reversibel. Lorenz empfiehlt daher vor Beginn einer inhalativen Insulintherapie einen Lungenfunktionstest, der nach einem halben Jahr und dann jährlich wiederholt werden sollte. Aufgrund bisher fehlenden Erfahrungen ist das Medikament aber bei starkem oder unkontrolliertem Asthma oder COPD beziehungsweise bei abnormaler Lungenfunktion kontraindiziert. Bei akuten Atemwegserkrankungen sollte ein engmaschiges Monitoring erfolgen. Da die Aufnahme durch Rauchen stark erhöht wird, dürfen Raucher erst nach einem sechsmonatigen Rauchstopp mit der Therapie beginnen.

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Zwei laufende Phase-III-Studien

Ergebnisse aus zwei laufenden Phase-III-Studien wurden jetzt auf den 66. Annual Scientific Sessions der American Diabetes Association vorgestellt. An der Typ 2-Diabetes-Studie nahmen 635 Erwachsene teil, die bisher regelmäßig Insulin injizierten. Diese erhielten entweder inhalatives Insulin oder verblieben in der bisherigen Therapie. Nach zwei Jahren verbesserte sich der HbA1C-Wert bei den Patienten beider Gruppen jeweils von zirka 7,8% auf 7,3%. Patienten unter inhalativer Insulintherapie erreichten darüber hinaus etwas bessere Nüchternglukosewerte. Die durchschnittliche Gewichtszunahme unter Exubera® betrug 1,7 kg, verglichen mit 3,0 kg bei den Patienten, die injizierbares Insulin anwendeten. Das inhalative Insulin wurde gut vertragen, wobei sich die Lungenfunktion in Relation zu den Vergleichstherapien im Durchschnitt nur geringfügig reduzierte. Der Husten, der im Exubera®-Arm häufiger auftrat, war in der Regel leicht, führte jedoch nur selten zum Abbruch der Behandlung.

An einer weiteren Studie nahmen 582 Erwachsene mit Typ 1-Diabetes teil. Die HbA1C-Werte zu Studienbeginn betrugen 7,4% im Exubera®-Arm und 7,5% in der Kontrollgruppe. Nach zweijähriger Studiendauer verbesserten oder stabilisierten sich die Blutzuckerwerte bei den Patienten beider Gruppen in ähnlichem Maße. Die durchschnittliche Gewichtszunahme unter inhalativem Insulin betrug 0,8 kg, unter injizierbarem Insulin 2,0 kg. "Diese Studie stützt die Ergebnisse früherer Untersuchungen, die gezeigt haben, dass inhalatives Insulin eine adäquate Therapieoption für Patienten mit Typ 1-Diabetes ist," so die Studienleiterin Prof. Lois Jovanovic aus Kalifornien.

Quelle: Pressemitteilung der Pfizer Pharma GmbH, Karlsruhe