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DOI: 10.1055/s-2006-949582
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Evaluation der indirekten Kosten durch postoperative Arbeitsunfähigkeit nach Hüft-Endoprothetik aus Perspektive der Kostenträger
Frank Krummenauer
Claudia Wojciechowski
Heike Ranisch
Bereich Klinische Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Orthopädischen Klinik
Wolf-Christoph Witzleb
Klaus-Peter Günther
Klinik und Poliklinik für Orthopädie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Email: Frank.Krummenauer@uniklinikum-dresden.de
Publication History
Publication Date:
05 October 2006 (online)
- Direkte Kosten
- Indirekte Kosten
- Vollerhebung bei Hüft-TEP seit März 2005
- Ökonomische Evaluation
- Indirekte Kosten durch Arbeitsunfähigkeit
- Patientengut
- Durch AU indirekte Mehrkosten von 12 % gegenüber direkten Kosten
- Bei Erwerbstätigkeit indirekte Mehrkosten von 40 % durch AU
- Schlussfolgerung
Die endoprothetische Versorgung der Koxarthrose ist sowohl von klinischer als auch ökonomischer Relevanz für das deutsche Gesundheitssystem: Derzeit muss in Industrienationen von einer Prävalenz mittelfristig operationswürdiger Koxarthrosen von mindestens 5% im Alter > 60 Jahren ausgegangen werden; in Deutschland werden jährlich schätzungsweise mehr als 100000 hüftendoprothetische Eingriffe vorgenommen.
#Direkte Kosten
Bei einer im Median anzunehmenden DRG von 6942 € für den Primäreingriff zuzüglich einer median anzunehmenden Pauschale von ca. 2200 € für dessen poststationäre Rehabilitation sind somit für die operative Therapie der Koxarthrose jährlich Kostenvolumina in Millardenhöhe für die Kranken- und Sozialversicherungen anzusetzen. Angesichts der sich derzeit verschiebenden demografischen Verteilung der deutschen Bevölkerung wird dieses Volumen der direkten behandlungsbedingten Kosten in den nächsten Jahrzehnten noch deutlich wachsen.
#Indirekte Kosten
Neben diesen direkten Kosten fallen für die Versicherer bei Erstattung endoprothetischer Maßnahmen jedoch noch zusätzlich indirekte Kosten an, welche nicht unmittelbar mit der Therapie der eigentlichen Grunderkrankung einhergehen. Hier sind vor allem Arbeitsunfähigkeits- (AU-) bedingte Zahlungen an den Arbeitgeber eines Patienten von ökonomischer Relevanz, sobald ein noch erwerbstätiger Patient länger als sechs Wochen krankheitsbedingt seinem Arbeitsplatz entfällt.
Um die hieraus für die endoprothetische Versorgung einer operationswürdigen Koxarthrose erwartbare Mehrkosten-Dimension in Relation zu den direkten Kosten abzuschätzen, erfolgte eine retrospektive Kostenstudie zur Evaluation der postoperativen AU-Dauer nach Hüft-Endoprothetik sowie zu den dafür anfallenden AU-bedingten Kosten aus Sicht der Krankenversicherung.
#Vollerhebung bei Hüft-TEP seit März 2005
An der Orthopädischen Klinik des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden wird seit März 2005 eine prospektive Vollerhebung sämtlicher gelenkerhaltender und endoprothetischer Hüft-Operationen vorgenommen. Jedem Patienten, der sich an der Klinik einem solchen Eingriff unterzieht, wird die Teilnahme an dieser epidemiologischen Studie angeboten, welche neben üblicher präoperativer Informationen zur Soziodemografie des Patienten und zur Funktion seines Hüftgelenks insbesondere eine intensivierte Diagnostik seiner subjektiven präoperativen Befindlichkeit mittels anerkannter Instrumente im schriftlichen Interview umfasst (WOMAC Arthrose-Index, EuroQuol-5D, Aktivitität laut UCLA-Schema). Ferner wird im Falle seines schriftlichen Einverständnisses jedem Studienteilnehmer angeboten, sechs Monate nach dem stationären Eingriff an einer Nachuntersuchung teilzunehmen, welche die gleichen Informationen erfasst. Durch die intraindividuelle Änderung der prä- und postoperativen Angaben laut WOMAC und EuroQuol wird dann der patientenbezogene Nutzen des Eingriffs geschätzt. Die Ethik-Kommission der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden hat diesem Projekt mit Datum vom 20.3.2005 zugestimmt.
#Ökonomische Evaluation
Um die Dimension der primär interessierenden AU-bedingten Kosten in Relation zur Größenordnung der im gleichen Patientenkollektiv erstatteten direkten Behandlungkosten setzen zu können, werden nachfolgend die Strategien zur simultanen Schätzung direkter und indirekter Kosten beschrieben.
Neben den Angaben zum patientenbezogenen Nutzen des Eingriffs werden für sämtliche Studienteilnehmer der oben beschriebenen epidemiologischen Studie aus der Klinik-Dokumentation die direkten Behandlungskosten auf Basis der DRG-Kalkulation erfasst, welche von den Krankenversicherungen der Studienteilnehmer erstattet werden. Ferner wird die mit dem Patienten vereinbarte Rehabilitationsform (ambulant/stationär) vermerkt. Entlang einer nominellen Tagespauschale von 84 € (ambulante Rehabilitation) und 104 € (stationäre Rehabilitation) wird eine Näherung für die direkten Kosten der Rehabilitation geschätzt. Summarisch können aus dieser Pauschale zuzüglich der abgerechneten DRG die direkten Behandlungskosten aus Perspektive der Krankenversicherung geschätzt werden. Diese Pauschale reduziert sich zur alleinigen DRG-Pauschale, sofern für die Rehabilitation andere Kostenträger wie Sozialversicherer oder Berufsgenossenschaften in Leistung treten.
#Indirekte Kosten durch Arbeitsunfähigkeit
Um neben den direkten Kosten der endoprothetischen Versorgung einer Koxarthrose die erwartbaren indirekten Kosten durch Arbeitsunfähigkeit (AU) abschätzen zu können, wurde in die beschriebene epidemiologische Studie eine retrospektive Kostenstudie eingebettet. Diese sollte die Dauer der für die Studienpatienten postoperativ entstandenen AU-Zeiträume und die daraus erwachsenen indirekten Kosten für die Krankenversicherer abbilden. Da diese Befragung zwangsläufig intime Informationen zur aktuellen Erwerbs- und Verdienstlage der Patienten erfassen musste, wurde diese ökonomische Teilstudie gänzlich anonymisiert - insbesondere also entkoppelt von den klinischen Informationen der übergeordneten epidemiologischen Studie. Konkret wurden Informationen zur aktuellen Erwerbstätigkeitssituation, laufenden Berentungsverfahren und ggf. zum derzeitigen Beruf eines Patienten erbeten. Insbesondere wurden Angaben zum monatlichen Bruttoeinkommen (erfasst in Stufen zu jeweils 500 €) sowie zur Dauer der stationären und rehabilitativen Versorgung als Maß der eingriffs- und rehabilitationsbedingten (= postoperativen) Arbeitsunfähigkeit im Falle einer Erwerbstätigkeit erbeten.
Primärer Endpunkt dieser Kostenstudie waren die indirekten AU-bedingten Kosten [€]. Als erste Perspektive der Kostenevaluation wurde die der Krankenversicherer gewählt. Entlang der berichteten AU-Dauern und der klassierten Bruttogehalts-Informationen eines Patienten wurden hierfür die individuellen AU-bedingten Kosten extrapoliert.
Aus einer zweiten Perspektive wurden ferner die AU-bedingten Kosten für den Arbeitgeber im Falle einer bei dem Eingriff noch bestehenden Erwerbstätigkeit gewählt, da im deutschen Gesundheitswesen die AU-Kompensation durch diese Kostenträger anteilig erfolgt: Bei einer kontinuierlichen Arbeitsunfähigkeit von länger als sechs Wochen tritt üblicherweise die Krankenversicherung in Leistung, innerhalb der ersten sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit der Arbeitgeber. Wird eine erkrankungsbedingte Berentung bewilligt, überträgt sich zumeist nachträglich die Erstattungspflicht des Krankenversicherers auf den Sozialversicherer.
#Patientengut
Patienten mit einem hüftendoprothetischen Primäreingriff in den Monaten 3/2005-6/2005 sowie 11/2005 wurden bei ihrer Nachuntersuchung um die beschriebenen Informationen zu Erwerbstätigkeit, Verdienst und AU-Dauer gebeten. Von insgesamt 162 Befragten haben 113 Patienten (53% davon weiblichen Geschlechts) für die AU-bedingte Kostenschätzung verwertbare Informationen zur Verfügung gestellt. Berentet zum Zeitpunkt des Eingriffs waren dabei 58% der Teilnehmer an der Kostenstudie, arbeitssuchend 16%, erwerbstätig 27% (n=30 Befragte). Unter den zum Zeitpunkt des Eingriffs und der Befragung Erwerbstätigen berichteten 55% ein monatliches Bruttoeinkommen von weniger als 2500 €.
#Durch AU indirekte Mehrkosten von 12 % gegenüber direkten Kosten
Für die 113 endoprothetischen Primäreingriffe in der Kostenstudie wurden von den Krankenversicherern mediane direkte Kosten von 6942 € pro Eingriff, summarisch 812653 € erstattet; für die poststationäre Rehabilitation der Patienten zusätzlich 120456 €. Auf die 30 erwerbstätigen Studienteilnehmer entfielen Teilkosten von 208260 € für den Eingriff und 73528 € für die Rehabilitation.
Von den 30 erwerbstätigen Patienten wurde eine mediane Gesamtspanne von stationärer Aufnahme, Eingriff bis Ende der Rehabilitation von 49 Arbeitstagen berichtet, von den Arbeitssuchenden eine mediane Spanne von 61 Arbeitstagen.
Entlang der berichteten Bruttogehalts-Informationen der Erwerbstätigen wurde eine mediane Tages-Bruttopauschaule von 103 € geschätzt, welche im AU-Erstattungsfall als indirekte Kosten pro Tag anfallen. Für die Erstattung AU-bedingter indirekter Kosten wurden darauf basierend summarisch 206010 € geschätzt, wovon 112933 € (entsprechend 55%) auf die Krankenversicherer, 45% auf die Arbeitgeber entfielen.
Für die noch erwerbstätigen Patienten (27%) dieser Stichprobe sind also von den Krankenversicherern indirekte Mehrkosten durch Arbeitsunfähigkeits-Kompensationen in Höhe von 112933 €/281788 € = 40% der direkten Gesamtkosten für die operative und rehabilitative Versorgung geschätzt worden. Im Gesamtkollektiv der 113 Befragten sind von den Krankenversicherern direkte Gesamtkosten von 933109 € für Operation und Rehabilitation erstattet worden, gegenüber der für die 30 Erwerbstätigen geschätzten indirekten Kostensumme von 112933 € (entsprechend 12% AU-bedingter Mehrkosten).
#Bei Erwerbstätigkeit indirekte Mehrkosten von 40 % durch AU
Auf der Basis einer Kostenstudie zur Schätzung der indirekten Kosten durch Arbeitsunfähigkeit während und nach Hüft-Endoprothetik wurde aus Sicht der Krankenversicherer ein Mehrkostenanteil von 12% gegenüber den kalkulatorischen direkten Kosten für Eingriff und Rehabilitation abgebildet. Im Teilkollektiv, der zum Zeitpunkt der Befragung noch erwerbstätigen Studienteilnehmer, zeigten sich sogar AU-bedingte Mehrkosten von 40% gegenüber den direkten Kosten. Vor allem für private Versicherer mit vielen jungen, noch im Arbeitsprozess verbleibenden Versicherten stellt die letztgenannte Größenordnung eine sensible Information dar.
Die oben beschriebenen Kostenvolumina müssen jedoch sensitiv im Hinblick auf das zur Schätzung zugrunde gelegte Studiendesign diskutiert werden: Einerseits wurden die Bruttogehalts-Informationen von den Patienten anonym berichtet; ohne Möglichkeit einer Validierung sind sowohl Über- als auch Unterschätzungen der tatsächlichen Verdienstlagen nicht auszuschließen.
Die für eine in Ostsachsen versorgtes Patientenkollektiv geschätzte mediane Tages-Bruttopauschale von 103 € deutet hierbei auf eine liberale Verzerrung der Verdienstprofile hin. Ferner wurde bei Patienten, welche nur Angaben zum Beruf machten, nicht aber zum Gehalt, deren erwartbares monatliches Bruttogehalt in einer Modell-annahme genähert, wobei größtenteils Angaben des sächsischen Landesamtes zu Verdienstprofilen in Sachsen eingebracht wurden. Solche Pauschalen können für den einzelnen Patienten merkliche Missklassifikationen seines AU-Kostenprofils nach sich ziehen. Teilweise musste auch die Dauer der Rehabilitation durch eine Modell-annahme genähert werden, wenn der Patient nicht mehr exakt zwischen Ende des stationären Aufenthaltes und Beginn seiner Anschlussheilbehandlung trennen konnte. In diesem Fall wurde die mediane Dauer der Rehabilitationen aller Patienten mit genauen Angaben als Näherungswert verwendet.
Von gesundheitsökonomischer Warte muss weiterhin die getroffene Vereinfachung einer Schwelle von sechs Wochen für die Partitionierung der AU-bedingten Erstattungspflicht zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherer betont werden. Diese Schwelle kann je nach konkreter Versicherungskonstellation zu liberal aus Sicht der Krankenversicherer gewählt sein. Aufgrund der Anonymisierung der Datenerfassung in der beschriebenen Kostenstudie sind hier jedoch keine Detailkorrekturen bei Patient bzw. Krankenkasse möglich.
Ein Indiz für eine mögliche Verzerrung könnte das fast paritätische Entfallen der AU-bedingten Kosten auf Krankenversicherer (55%) und Arbeitgeber sein: Im vorliegenden Teilkollektiv der 30 Erwerbstätigen sind selten, dann aber extrem lange AU-Dauern berichtet worden, welche die üblicherweise erst im fortgeschrittenen Zeitfenster der Rehabilitation in Leistung tretenden Krankenversicherer überproportional belasten.
Abschließend sei betont, dass die vorliegende Untersuchung ausschließlich indirekte Kosten aufgrund von Arbeitsunfähigkeiten geschätzt hat - die tatsächlich erwartbaren indirekten Kostenvolumina für die Krankenversicherer umfassen zusätzlich Detailkosten, wie z.B. für Transporte, und können noch merklich über den hier geschätzten Dimensionen rangieren. Zur gesundheitsökonomischen Bewertung der oben beschriebenen indirekten Kostendimension sei ferner bemerkt, dass dieser merklichen postoperativen Mehraufwendung für die Kostenträger gleichzeitig ein beträchtliches präoperativ zu erstattendes Kostenvolumen durch Arbeitsunfähigkeitskompensationen entgegensteht: Bis zur Operation fallen für erwerbstätige Patienten über einen individuell oft langen Zeitraum immer wieder krankheitsbedingte Ausfallphasen an, welche ihrerseits AU-bedingte Kosten in ökonomischer relevanter Größenordnung kumulieren können. In diesem Sinne kann und muss die operative und poststationär rehabilitative Versorgung der Koxarthrose als eine Investition zur Beendung dieser präoperativen Kumulation von AU-Kosten gesehen werden. Neben der zweifelsfreien Steigerung der Patientenbefindlichkeit durch den Eingriff kann besagte "Investition" also auch für die Kostenträger eine positive ökonomische Bilanz darstellen. Die Quantifizierung dieser Bilanz ist Gegenstand aktueller Folge-Untersuchungen an der Orthopädischen Klinik des UKD.
#Schlussfolgerung
Unter Vorbehalt der limitierten Datenqualität in obiger Kostenstudie zur Schätzung der indirekten Kosten durch postoperative Arbeitsunfähigkeit nach Hüft-Endoprothetik wurde aus Sicht der Krankenversicherer ein Mehrkostenanteil von 12% gegenüber den direkten Kosten für Eingriff und Rehabilitation geschätzt. Im Teilkollektiv der zum Zeitpunkt der Befragung noch erwerbstätigen Studienteilnehmer zeigten sich sogar AU-bedingte Mehrkosten von 40% gegenüber den für dieses Teilkollektiv erstatteten direkten Kosten.
Literatur beim Verfasser
Anmerkung: Dieses Projekt wurde finanziell unterstützt gefördert durch die Deutsche Arthrosehilfe e.V.
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Frank Krummenauer
Claudia Wojciechowski
Heike Ranisch
Bereich Klinische Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Orthopädischen Klinik
Wolf-Christoph Witzleb
Klaus-Peter Günther
Klinik und Poliklinik für Orthopädie
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Email: Frank.Krummenauer@uniklinikum-dresden.de
Frank Krummenauer
Claudia Wojciechowski
Heike Ranisch
Bereich Klinische Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Orthopädischen Klinik
Wolf-Christoph Witzleb
Klaus-Peter Günther
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