Der Klinikarzt 2006; 35(8): XVIII-XIX
DOI: 10.1055/s-2006-950467
Medizin & Management

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Zwischen Angst und Sorglosigkeit - Ganzheitliches Risikomanagement im Krankenhaus

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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
06. September 2006 (online)

 
Inhaltsübersicht

Jedem von uns ist mindestens ein Fall präsent, wo ein Patient fast zu Schaden gekommen wäre, weil zum Beispiel das falsche Medikament verabreicht wurde oder die Dosis nicht die Richtige war. Doch dies gilt nicht nur in den patientennahen Versorgungsstrukturen! Auch in den sekundären Bereichen, wie beispielsweise der Verwaltung oder dem Technischen Dienst, ist manchmal ein wenig Glück notwendig. Ist ein Lieferant ausgefallen, ein Kunde insolvent oder eine Rohrleitung undicht geworden, merken das die Patienten meist nicht unmittelbar. Die Krankenhäuser als Unternehmen verspüren die Folgen allerdings deutlich.

Jüngste Studien zum Risikomanagement zeigen, dass in vielen Kliniken jedoch allenfalls klinische Risiken eine Rolle spielen. Risikomanagement ist aber mehr! Allein schon wegen der gravierenden Veränderungen im Gesundheitsmarkt müssen Krankenhäuser zunehmend externe, strategische Risiken berücksichtigen. Die Einführung des neuen Vergütungssystems nach den DRG-Richtlinien (DRG = "diagnosis related groups"), das Expansionsstreben von Klinikketten und die neuen Möglichkeiten zu alternativen Versorgungsformen enthalten auch eine Vielzahl von betriebswirtschaftlichen Risiken.

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Was braucht ein funktionierendes Risikomanagementsystem?

Nach der bei Sana verwendeten Definition ist Risiko "die Gefahr, dass Ereignisse, Entscheidungen und Handlungen das Unternehmen daran hindern, definierte Ziele zu erreichen bzw. Strategien erfolgreich zu realisieren". Unternehmerisches Handeln - hier geht es in erster Linie um den Betrieb von Krankenhäusern, aber auch um die Führung von Dienstleistungsgesellschaften und zentralen administrativen Bereichen - ist notwendigerweise mit Risiken verbunden. Diese dürfen nur unter Berücksichtigung der erforderlichen Kontroll- und Steuerungsmaßnahmen eingegangen werden, wobei strikt darauf zu achten ist, dass keine Handlung oder Entscheidung ein für das Unternehmen existenzgefährdendes Risiko nach sich zieht.

Ziel eines solchen Risikomanagementsystems ist es,

  • Risiken der Geschäftstätigkeit frühzeitig zu identifizieren

  • die Konsequenzen aus der Übernahme von Risiken zu erkennen

  • potenziell erfolgsgefährdende Risiken zu steuern

  • existenzgefährdende Risiken zu vermeiden

  • die erfassten Risiken kontinuierlich zu überwachen.

Hierfür ist ein leistungsfähiges und zuverlässiges Risikoreporting unabdingbar.

Bei großen Klinikketten wie der Sana sind dezentral tätige Risikomanagement-Beauftragte eingesetzt, die in den Krankenhäusern die Aktivitäten zum Risikomanagement (z.B. Reporting, Workshops) koordinieren. Auf Unternehmensebene werden alle risikorelevanten Daten geprüft, verdichtet, ausgewertet und regelmäßig der Geschäftsführung berichtet. Als zentrale Kontroll-, Steuerungs- und Überwachungsinstanz sowohl für klinische als auch für betriebswirtschaftliche Risiken gibt es einen interdisziplinär besetzten Risikomanagement-Ausschuss.

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Mit klinischem Risikomanagement Kosten sparen

Das klinische Risikomanagement ist nichts grundsätzlich Neues, sondern ein Teil des Qualitätsmanagements, dem auch aufgrund der Entwicklung der Haftpflichtschäden im Krankenhauswesen besondere Bedeutung zukommt. Im Allgemeinen versteht man darunter ein Präventionssystem, das Risiken bei der Patientenversorgung reduzieren soll und die ständige Verbesserung der Behandlungsqualität und der Patientensicherheit fördert. Daneben dient es auch der Abwehr ungerechtfertigt gestellter Ansprüche von Patienten gegenüber dem Krankenhaus.

Bei der Sana setzen wir im Rahmen des klinischen Risikomanagements unter anderem Prozess- und ablauforientierte Risikoanalysen, die Zertifizierung nach KTQ®, das Bewertungsverfahren nach EFQM ("European Foundation of Quality Management"), ein Beschwerdemanagement sowie Patientenzufriedenheits- und Mitarbeiterbefragungen als Techniken ein. Ebenfalls führen wir Befragungen von einweisenden Ärzten durch. In einigen Krankenhäusern existiert bereits ein "Critical Incident-Reporting System" (CIRS), das neben der Analyse von tatsächlich eingetretenen Behandlungsschäden als das wichtigste Instrument zur Verbesserung der Behandlungsabläufe gilt.

Klar ist, je mehr Beinahefehler und -ereignisse in einem Krankenhaus erfasst werden, desto mehr Schwachstellen im System lassen sich beseitigen und desto weniger echte Fehler entstehen! Damit erhöht sich die Patientensicherheit, die Senkung der Haftpflichtschadensfälle führt gleichzeitig zu geringeren Behandlungskosten, denn jede Komplikation kostet Geld! Insofern beeinflusst also das klinische Risikomanagement auch die betriebswirtschaftliche Situation der Krankenhäuser, erfüllt eine zentrale Rolle für das Risikomanagement insgesamt und darf im Krankenhaus keinesfalls ausgeblendet werden.

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Betriebswirtschaftliches Risiko geht auch Klinikärzte an

Vielleicht mehr als ihm lieb ist hat ein Klinikarzt jedoch auch mit dem betriebswissenschaftlichen Risikomanagement zu tun - jedenfalls dann, wenn unerkannte Risiken auftauchen oder nicht wirksam abgebaut werden und eventuell sogar die Existenz des Krankenhauses infrage gestellt ist. Denn es gilt der Grundsatz, nur wenn es dem Unternehmen, also dem Krankenhaus, gut geht, geht es auch - auf Dauer - seinen Ärzten gut.

Das betriebswirtschaftliche Risikomanagement setzt bei den bereits vorhandenen Organisationsstrukturen an und nutzt die fachspezifischen Kompetenzen in den einzelnen Unternehmensbereichen, zum Beispiel dem Finanzwesen oder der Logistik. Es soll die einzelnen Systeme verzahnen, die Erkenntnisse bündeln und zusammenfassend auswerten.

Wesentliche Risikofelder im Krankenhaus sind

  • die externen Risiken (z.B. das politisch-rechtliche Umfeld)

  • leistungswirtschaftliche Risiken (u.a. aus dem klinischen Risikomanagement)

  • Risiken aus der Finanzwirtschaft (z.B. die sicherzustellende Liquidität des Krankenhauses)

  • Risiken aus der Qualität von Management und Organisation.

Konkrete Risikosituationen können sich auch aus den oft rückwirkend abgeschlossenen Budgetvereinbarungen mit den Kostenträgern ergeben. Gerade dem Klinikarzt sind die bei vielen Krankenhäusern vorhandenen Risiken aus einem bestehenden Investitions- und Instandhaltungsstau präsent.

Da aufgrund der veränderten Eigenkapitalrichtlinien für Banken (Basel II) die Kosten für Kapitalmarktdarlehen steigen, können nicht alle Krankenhäuser die notwendigen Investitionen selbst tätigen, wenn Fördermittel nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung stehen. Für Krankenhäuser in strukturschwachen Regionen besteht ein zusätzliches, eventuell erhebliches Risiko: die demografischen Veränderungen. Dies macht deutlich: Nur wenn der im Krankenhaus tätige Arzt die betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge und Risiken kennt, kann er sich aktiv an der Gestaltung der Risikofelder in seinem Umfeld beteiligen.

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Etablieren Sie eine Risikokultur

Die Erfahrung zeigt, dass in den Krankenhäusern eine sehr heterogene Risikokultur existiert. Ein fest verwurzeltes Risikobewusstsein ist noch nicht bei allen Mitarbeitern anzutreffen. Zum Glück werden in immer mehr Krankenhäusern, Kliniken oder Stationen aufgetretene Fehler und Missstände offen kommuniziert und gemeinsam Lösungswege gesucht. Ein offener Umgang mit Fehlern führt in der Regel zu besseren Ergebnissen und zur Optimierung von Prozessen.

Nur Mitarbeiter, die frei von Angst vor persönlichen Repressalien sind, äußern jedoch ihre fundierte Meinung zu Missständen und aufgetretenen Fehlern offen und füllen so ein lernendes Risikomanagementsystem mit Leben. Jeder Einzelne im Krankenhaus ist aufgefordert, auf Risiken hinzuweisen und zu ihrer Vermeidung beizutragen. Vor allem die Führungskräfte in Medizin und Management müssen hier ihrer Vorbildfunktion und Verantwortung für das Unternehmen Krankenhaus gerecht werden.

Um zu verhindern, dass von Mitarbeitern erkannte Gefahrenpotenziale aus Sorge um ihren Arbeitsplatz oder ihre Karriere nicht offen kommuniziert werden, kann es sinnvoll sein, in den Krankenhäusern Strukturen und Instrumente zu schaffen, Risikomeldungen auch anonym abgeben zu können.

Beinaheschäden entstehen natürlich nicht nur im medizinischen Bereich, sondern können überall im Krankenhaus auftreten. Deshalb stellt sich die Frage, ob die vorhandenen oder geplanten Critical-Incident-Reporting-Systeme nicht auf das gesamte Krankenhaus ausgedehnt werden sollten. Unternehmen, die an einer US-amerikanischen Börse notiert sind, müssen bereits seit Jahren aufgrund des Sarbanes-Oxley-Act Hotlines schalten, um allen Mitarbeitern die Möglichkeit zu geben, die Geschäftsleitung direkt auf Missstände aufmerksam zu machen ("Ethics-Lines"). Ein Krankenhaus, das eine offene Informationskultur pflegt, wird ein solches System aber wohl nicht benötigen.

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Ganzheitliches Risikomanagement

Nur ein ganzheitliches Risikomanagement, bei dem alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen, trägt zu einer sicheren und wirtschaftlich effektiven Unternehmensführung bei. Es gilt, einen umfassenden strategischen Risikomanagementansatz mit Fokussierung auf langfristige Bestandssicherung zu fördern, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von notwendigen Kooperationen und von Vernetzung. Wichtig ist die Integration aller potenziellen internen und externen Risiken und eine ausgeprägte Kundenzentrierung, die Patienten und Mitarbeiter gleichermaßen einschließt.

Wer von uns würde gern in ein Krankenhaus gehen, wo er Gefahr läuft, wegen eines defekten Handlaufes auf der Treppe zu stürzen, das falsche Medikament verabreicht zu bekommen oder im Notfall die "Klingel" nicht bedienen zu können? Es sind oft die einfachen, die kleinen Schritte oder Maßnahmen, welche die Unternehmenskultur prägen und verbessern. Zeigt ein Krankenhaus mit einem funktionierenden Risikomanagementsystem, dass es alles für die Sicherheit der Patienten tut, wird es in der Zukunft auch einen Marketingvorteil im härter werdenden Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern haben.

Ein ganzheitliches Risikomanagement ist notwendig, es ist Teil der Existenzsicherung der Krankenhäuser und betrifft deshalb den Klinikarzt unmittelbar. Wer in diesen Bereich investiert, wird langfristig erfolgreich bleiben.

Dr. R. Schwarz, Geschäftsführung Sana Kliniken, München