Aktuelle Urol 2006; 37(5): 320-323
DOI: 10.1055/s-2006-951427
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Internationales Consensus Panel - Behandlungsstrategien für das oberflächliche Blasenkarzinom

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26 September 2006 (online)

 
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Die Therapieoptionen für das oberflächliche Blasenkarzinom sind vielfältig und variieren in Abhängigkeit der Parameter. Ein internationales Consensus Panel erarbeitete anhand der Literaturdaten Empfehlungen bezüglich des Managements oberflächlicher Blasenkarzinome. Urology 2005; 66: 108-125

Bei der Sicherung der Diagnose und beim Staging steht die initiale Resektionstechnik im Vordergrund. Dabei hat die TUR bei oberflächlichen Tumoren sowohl diagnostische als auch therapeutische Bedeutung. Die Resektion des Tumorgrundes muss die Blasenmuskulatur mit einschließen, um ein adäquates Tumor-Staging zu gewährleistet. Das Risiko für einen Residualtumor nach initialer TUR eines T1-Tumors beträgt laut Literaturdaten bis zu 60%. Um ein Understaging zu vermeiden, sollte eine Nachresektion bei allen Patienten mit einem gering differenzierten pTa oder pT1 Urothelkarzinom erfolgen. Der optimale Zeitdauer zwischen der ersten und der zweiten TUR liegt zwischen ein und vier Wochen, so die übereinstimmende Meinung des Consensus Panels.

Obwohl es derzeit noch keinen prognostischen Faktor oder molekularen Marker gibt, der den Krankheitsverlauf von Urothelkarzinomen korrekt vorhersagt, sind schlecht differenzierte Tumoren, sowie multiple und große Läsionen, ein Carcinoma in situ und urotheliale Karzinome der Prostata mit einer schlechteren Prognose assoziiert. Als ein weiterer wichtiger klinischer Marker kann das Ansprechen auf eine intravesikale Therapie angesehen werden. Über den Nutzen und die Aussagekraft verschiedener molekularer und genetischer prognostischer Marker, wie Veränderungen des p53 Tumor-Suppressorgens liegen derzeit keine validierten Daten bei T1-Blasenkarzinomen vor.

Das allgemeine Risiko für eine Involvierung des oberen Harntraktes ist für Patienten mit oberflächlichem Blasenkarzinom als gering einzuschätzen (2 bis 4%). Patienten mit einem Carcinoma in situ, schlecht differenzierten oberflächlichem urothelialen Karzinomen und Nichtansprechen auf eine intravesikale Chemotherapie, haben jedoch ein höheres Risiko und sollten deshalb einer lebenslangen Überwachung unterliegen.

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Typisches exophytisches Urothelkarzinom, das von der Blasenmukosa ausgeht (Bild: D Jocham, K Miller. Praxis der Urologie, Thieme, 2003).

Bei bis zu 80% der Patienten mit einem schlecht differenzierten T1-Urothelkrazinom kommt es zu einem Rezidiv. Durch die oberflächliche Lage sind diese Tumoren einer topischen Behandlung durch Instillation unterschiedlicher Substanzen in der Blase gut zugänglich. Die von Nieder et al. analysierten randomerisierten, prospektiven Multizenterstudien zeigen, dass die adjuvanten intravesikalen Chemotherapien das Risiko für ein Rezidiv um bis zu 50% nach zwei Jahren und um Å  15% nach fünf Jahren reduzieren können. Die intravesikale Chemotherapie sollte idealerweise innerhalb der ersten sechs Stunden nach TUR, jedoch nicht später als 24 Stunden postoperativ erfolgen.

Das Ziel einer Behandlung des Blasenkarzinoms ist die Minimierung von Morbidität und Mortalität bei gleichzeitiger Maximierung der Lebensqualität des Patienten. Demzufolge ist die Entscheidung zwischen Blasenerhaltung und sofortiger Zystektomie eine der schwierigsten im Management dieser Tumoren. Der initiale Blasenerhalt bei T1-Tumoren durch intravesikuläre Therapie ist nur dann gerechtfertigt, wenn eine Muskelinvasion des Tumors im Rahmen der TUR ausgeschlossen werden konnte.

Somit hat der ideale Patient für eine konservative Therapie einen solitären und komplett reserzierten Tumor, keine Involvierung des oberen Harntraktes, keine Invasion der prostatischen Urethra, toleriert BCG und ist mit seiner Blasenfunktion zufrieden. Patienten mit rezidivierenden T1-Tumoren hingegen, die bereits zwei Induktionszyklen mit BCG hinter sich haben, sind Kandidaten für die Zystektomie.

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Fazit

Die Einführung der Immuntherapie mit dem attenuierten Mykobakterium Bacille Calmette-Gurin (BCG) hat die Progressionsinzidenz schlecht differenzierter T1 urothelialer Tumoren verbessert. Empfohlen wird eine BCG-Induktionstherapie ca. zwei Wochen nach TUR mit anschließender Erhaltungstherapie. Zwischen 40 und 50% der Patienten mit T1 Tumoren sprechen jedoch auf dieses Präparat nicht an. Die Progressionsrate für diese Patienten variiert in Abhängigkeit der Tumorparameter zwischen 7 und 50%.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Kommentar

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Ch. Wülfing

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"Tumorstadium T1 bleibt Sonderfall"

Der Blasentumor im pathologischen Stadium T1 nimmt eine Sonderrolle unter den oberflächlichen Blasentumoren ein. Dieses Tumorstadium tritt häufig mit einem schlechten histologischen Differenzierungsgrad auf und scheint in den meisten Fällen mit einem schnellen und aggressiven Wachstumsmuster einherzugehen.

Das Rezidiv- und Progressionspotenzial ist gegenüber Ta-Tumoren deutlich erhöht, so dass bei der isolierten Betrachtung dieses Tumorstadiums weiterhin viele Fragen zur initialen Diagnostik und Therapie, zur Frage der adjuvanten Instillationstherapie, zur Nachsorge dieser Tumoren und zur Frage der frühen oder verzögerten Zystektomie offen sind.

Zur Beantwortung dieser Fragen stellte ein internationales Consensus Panel die aktuellen Kontroversen anhand der aktuellen Literatur zusammen und erarbeitete hieraus Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie des Blasenkarzinoms im Stadium T1.

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Diagnose und Staging

Zu den unstrittigen Erkenntnissen bei der Literaturauswertung zur transurethralen Resektionstechnik (TUR) gehört, dass die initiale TUR möglichst vollständig und das resezierte Gewebe von guter Qualität sein sollte, um eine exakte pathologische Beurteilung des Tumorstadiums und -gradings zu ermöglichen. Die zusätzliche Entnahme von Random-Biopsien wird bisher kontrovers diskutiert. In publizierten Studien konnte das Risiko für das Vorliegen von Tumor in Biopsien mit 8-10% beziffert werden, wobei es in Fällen von kleinen und solitären Tumoren niedriger zu sein scheint. Die Autoren des Consensus Panels empfehlen daher nur in Fällen von Tumoren mit niedrigem Risikopotenzial und negativer Zytologie eine standardisierte Random-Biopsie, die dann sämtliche Areale der Harnblase sowie die prostatische Harnröhre umfassen sollte.

Zur Frage der Notwendigkeit einer Tumor-Nachresektion verweisen die Autoren des Panels auf die Datenlage zur Häufigkeit von Residualtumoren nach primärer TUR, die mit bis zu 60% angegeben wird. Ebenso ist das Phänomen des "Upstagings" bekannt, welches insbesondere für T1-Tumoren mit bis zu 30% angegeben wird und welches insofern eine hohe klinische Relevanz hat, als dass in diesen Fällen eine Therapieänderung (lokale TUR bei oberflächlichen Tumoren vs. radikale Zystektomie bei invasiven Tumoren) erforderlich ist. Darüber hinaus konnten Herr et al. jüngst ein Progressionsrisiko von 70% für residuale T1-Tumoren berichten (AUA 2006). Das Panel kommt daher zu der Empfehlung, eine Nachresektion durchzuführen, wenn in der initialen TUR ein T1-Stadium, oder ein high-grade Ta-Stadium vorgelegen hat. Dieses entspricht bisherigen Empfehlungen der deutschen und europäischen Urologen-Gesellschaften. Zum optimalen Zeitpunkt der Nachresektion existieren bisher keine einheitlichen Daten, es wird aber ein Zeitraum von ein bis vier Wochen empfohlen.

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Wichtige Prognosefaktoren

Derzeit kann kein bisher untersuchter Prognosemarker als verbindlich und akkurat gelten. Für die Frage, ob der betroffene Patient ein Rezidiv oder einen Tumorprogress erleiden wird, scheinen jedoch weiterhin das Vorliegen von high-grade Läsionen, multiplen Tumoren, die Tumorgröße und das Vorliegen eines Carcinoma in situ (CIS) ein erhöhtes Risiko vorhersagen zu können. Molekulare Marker sind diesbezüglich insbesondere in den letzten Jahren untersucht worden, es liegen jedoch bisher keine validierten Ergebnisse vor, die den Einsatz eines Markers als Prognosemarker empfehlen. Aus Sicht des Kommentators sollten hier weitere Anstrengungen unternommen werden, viel versprechende und bisher gut untersuchte Marker an großen Serien prospektiv zu untersuchen.

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Ausbreitungsdiagnostik

Das Risiko für die Beteiligung des oberen Harntraktes wird für Patienten mit oberflächlichem Blasenkarzinom insgesamt auf 2-4% beziffert. Bei höheren Tumorstadien steigt dieses Risiko jedoch auf 13-29% an, so dass eine regelmässige und lebenslange Beobachtung des oberen Harntraktes empfohlen wird. Diese Empfehlung trifft insbesondere für Patienten mit T1- und Tis-Tumorstadien zu, da hier die Beteiligung des oberen Harntraktes und/oder der prostatischen Harnröhre bis zu 29% betragen kann.

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Die adjuvante intravesikale Instillationstherapie

Zahlreiche Untersuchungen zur intravesikalen adjuvanten Therapie sind in der Literatur berichtet worden. In einer Metaanalyse der EORTC konnten Sylvester et al. die Ergebnisse aus sieben randomisierten Studien zur adjuvanten Frühinstillation an mehr als 1 400 Patienten analysieren. Es konnte hierbei klar gezeigt werden, dass eine Frühinstillation zu einer Reduktion des Rezidivrisikos um ca. 50% nach zwei Jahren und um 15% nach fünf Jahren führt.

Die Empfehlung des Consensus Panels lautet daher auch hier eine intravesikale Frühinstillation eines Chemotherapeutikums (nie BCG!) innerhalb von sechs Stunden nach TUR durchzuführen. Diese Empfehlung bezieht sich insbesondere auf Patienten mit high-risk Tumoren und entspricht damit auch den jüngst neu publizierten Guidelines der Europäischen Urologischen Gesellschaft (EAU 2006). Die Autoren des Panels empfehlen als Ausnahme lediglich Fälle, in denen eine zu tiefe Resektion oder eine Unverträglichkeit gegen die entsprechenden Substanzen bekannt ist.

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Sonderfall T1-Tumor

Die Hauptziele bei der Behandlung des Blasenkarzinoms bestehen in der Minimierung von Morbidität und Mortalität bei Maximierung der Lebensqualität der Patienten. In diesem Zusammenhang stellt das (persistierende) T1-Stadium eine extreme Herausforderung an die Behandler dar und die Frage nach der Behandlungsalternative der frühen Zystektomie versus einen intravesikalen BCG-Behandlung bleibt weiterhin eine der schwierigsten. Das T1-Stadium geht in der Mehrheit der Fälle mit einem hohen Grading einher und zeigt bei alleiniger TUR-Behandlung Progessionsraten von 35-48%. Wie bereits erwähnt, besteht ein hohes Upstaging-Risiko mit unerwarteten Tumorstadien ≥ T2 von ca. 30%.

Durch die Verfügbarkeit von BCG als Instillationstherapeutikum konnten die Ergebnisse hinsichtlich der Tumorprogression nach 22 bis 78 Monaten mit 0-35% deutlich verbessert werden. Damit liegt die Gesamt-Progressiosrate bei rund 12% und ist somit niedriger als die Inzidenz für eine okkulte Muskelinvasivität (bis zu 30%) bei Patienten, die unmittelbar zystektomiert werden. Es ist allerdings zu bedenken, dass die Progressionsraten nach längerer Follow up-Zeit deutlich ansteigen. So ist z.B. nach 15 Jahren mit einer Rate von 53% zu rechnen. Die Rate der verzögert zystektomierten Patienten liegt hierbei in großen Serien bei 29-31%.

Insgesamt empfiehlt das Consensus Panel daher folgendes Vorgehen: Sowohl die Zystektomie, als auch die BCG Instillation sind akzeptable Therapiealternativen für das high-grade T1-Blasenkarzinom. Eine Instillationstherapie sollte jedoch immer nur nach Ausschluss eines muskelinvasiven Stadiums durch Nachresektion durchgeführt werden. Die weiteren Kriterien zur Anwendung des organerhaltenden Instillationsverfahrens sind solitäre, möglichst vollständig resezierte Tumoren, ein unauffälliger oberer Harntrakt und Ausschluss eines Befalls der prostatischen Harnröhre. Ein unter BCG-Therapie rezidivierendes T1-Stadium sollte mittels Zystektomie behandelt werden.

Insgesamt stellt die vorgestellte Arbeit eine sinnvolle Übersicht zu den derzeitigen Kontroversen bei der Diagnostik und Therapie der oberflächlichen Blasenkarzinome und hier speziell des T1-Tumorstadiums dar. Die einzelnen Empfehlungen des Consensus Panels stützen sich dabei auf Daten der Literatur mit hohem Evidenzlevel, was für die Übernahme der Empfehlungen in die tägliche Praxis sicherlich sehr begrüßenswert ist. Das Tumorstadium T1 bleibt jedoch ein Sonderfall in der Gruppe der oberflächlichen Blasentumoren, für das weiterhin sehr kontroverse Daten zur Diagnostik und Therapie, insbesondere auch zur Frage der Zystektomie oder Instillationstherapie vorliegen. Für die weitere Verbesserung der Verbindlichkeit aufgeführter Therapieempfehlungen müssen daher weitere große prospektive Studien gefordert werden.

Dr. Christian Wülfing, Münster

 
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Typisches exophytisches Urothelkarzinom, das von der Blasenmukosa ausgeht (Bild: D Jocham, K Miller. Praxis der Urologie, Thieme, 2003).

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Ch. Wülfing