Der Klinikarzt 2006; 35(9): VIII-IX
DOI: 10.1055/s-2006-951438
Blickpunkt

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Umfangreiche Befragung zum Verordnungsverhalten - Wie steht es um den Magenschutz in Deutschland?

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Publikationsdatum:
29. September 2006 (online)

 
Inhaltsübersicht

Gastrointestinale Komplikationen durch nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) und Acetylsalicylsäure (ASS) sind medizinisch und ökonomisch eine immense Herausforderung. Immerhin werden in Deutschland Jahr für Jahr knapp 40000 Patienten wegen NSAR-Komplikationen, etwa gastrointestinalen Blutungen oder Perforationen, in die Klinik eingewiesen. Die Zahl der Todesfälle beträgt schätzungsweise fast 6000 pro Jahr. Zahlen aus England sprechen von 367 Millionen Euro Kosten jährlich, die für die Behandlung von NSAR-Komplikationen ausgegeben werden. Ähnlich hohe Zahlen erwartet Prof. P. Malfertheiner, Magdeburg, auch für Deutschland.

Dass sich durch einen effektiven Magenschutz das Hospitalisierungsrisiko reduzieren und dadurch Kosten senken lassen, zeigt unter anderem eine Fallkontrollstudie mit deutschen Krankenkassendaten ([10]). Danach steigt das Risiko unter der Einnahme von Diclofenac um das 3,21fache. Erhalten die Patienten zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer (PPI), reduziert sich die Wahrscheinlichkeit auf das 1,26fache, erläuterte Dr. R. Ott, München.

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Vernachlässigt: Magenschutz bei NSAR-Patienten

Doch obwohl die Daten kaum Diskussionsspielraum lassen und die Risikofaktoren für Komplikationen gut bekannt sind (Abb. [1]), ist es um den Magenschutz in Deutschland nach wie vor schlecht bestellt. Dies zeigte eine aktuelle Befragung von 30000 niedergelassenen Allgemeinmedizinern, Internisten, Orthopäden und Gastroenterologen, die auf Initiative des Universitätsklinikums Magdeburg unter Leitung von Malfertheiner durchgeführt wurde.

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Immerhin 8500 Mediziner antworteten - und offenbarten massive Versorgungslücken bei NSAR-Risikopatienten, obwohl zwei Drittel der Ärzte mehrmals täglich nichtsteroidale Antirheumatika und Acetylsalicylsäure verordneten. Einzig NSAR-Patienten mit einem Ulkus oder einer Ulkuskomplikation in der Anamnese erhielten immerhin von 85% der Mediziner zusätzlich eine Magenschutztherapie.

Eine riskante Komedikation, etwa mit einem zweiten NSAR, ASS oder einem Steroid, hatte ein Drittel der Ärzte wenig bedacht. Gleiches gilt für die gleichzeitige Behandlung mit Antikoagulanzien, die das Komplikationsrisiko bei NSAR-Patienten um das Zwei- bis Vierfache erhöhen. "Das sind die Patienten, die wir häufig in der Klinik sehen", so Malfertheiner.

Trauriges Schlusslicht ist die Gruppe der älteren NSAR-Patienten, die trotz eines fünffach erhöhten Risikos nur von 36% der Mediziner eine gastroprotektive Therapie erhalten. Ebenfalls kritisch: Ein Drittel der Ärzte verordnet eine Magenschutztherapie erst, wenn der Patient über Beschwerden klagt. Dies steht im Widerspruch zu den wissenschaftlichen Daten, denn NSAR-Komplikationen können in den ersten Tagen der Therapie ebenso auftreten wie nach zwei Jahren. Mehr als die Hälfte der Patienten sind im Vorfeld völlig asymptomatisch, betonte Ott. Der Magenschutz muss daher gleichzeitig mit der NSAR/ASS-Therapie begonnen und konsequent fortgeführt werden.

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Protonenpumpenhemmer bieten Schutz

Durchgesetzt als Therapie der Wahl haben sich hierbei Protonenpumpeninhibitoren, die auch die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft empfiehlt ([1]). Sie sind in der Lage, Risikopatienten unter einer NSAR-Therapie wirksam vor gastrointestinalen Läsionen und Ulzera zu schützen.

So verhinderte Pantoprazol (20 mg täglich) in einer Studie mit 515 rheumatischen Risikopatienten unter dauerhafter NSAR-Einnahme bei mehr als 95% der Patienten gastrointestinale Läsionen und Symptome ([17]). Auch gastroduodenale Mukosaschäden durch Acetylsalicylsäure werden mit Pantoprazol signifikant reduziert ([14]).

Prof. W. Biel, Hannover, erläuterte, dass Protonenpumpenhemmer in der Prävention gastrointestinaler Läsionen äquieffektiv sind. In einer direkten Vergleichsstudie zwischen Pantoprazol (20 mg) und Omeprazol (20 mg) lagen die Remissionsraten bei rheumatischen Risikopatienten (n = 396) bei 90 beziehungsweise 89% ([15]).

Ins Abseits geraten sind dagegen H2-Blocker und Misoprostol, die den Protonenpumpenhemmern in Wirksamkeit und Verträglichkeit deutlich unterlegen sind. Zwar verhindert Misoprostol ein Ulcus ventriculi ähnlich effektiv wie ein Protonenpumpenhemmer, kann aber einem Ulcus duodeni weniger gut entgegenwirken ([8]). Flatulenz, Diarrhö und Schmerzen führen zudem zu hohen Abbruchraten und mangelnder Therapietreue, machte Beil deutlich. H2-Blocker bieten ebenfalls einen schlechteren Schutz ([18]). Ott betonte in diesem Zusammenhang das Problem der Tachyphylaxie, die "eine langfristige Wirkung der H2-Blocker verhindert".

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Enttäuschte Erwartungen

Enttäuscht wurden die hohen Erwartungen, die mit den Cyclooxygenase-2-Hemmern, den so genannten Coxiben, als magenverträglichere Alternative zu konventionellen nichtsteroidalen Antirheumatika verknüpft waren - und zwar bezüglich der Magensicherheit und ihres kardiovaskulären Risikos.

So sind Celecoxib und Etoricoxib nicht magenschonender als Ibuprofen und Diclofenac, die beiden in Deutschland am häufigsten verordneten nichtsteroidalen Antirheumatika. Über ein Jahr betrachtet sei die Inzidenz von Blutungen, Ulzera und Ulkuskomplikationen vergleichbar, erläuterte Beil ([7], [16]). Ähnliches gelte für dyspeptische Beschwerden ([6]). Erhalten NSAR-Patienten mit dyspeptischen Beschwerden dagegen zusätzlich einen Protonenpumpenhemmer, verbessert sich die Symptomatik innerhalb von fünf bis acht Wochen signifikant ([2]).

Das kardiovaskuläre Risiko der Coxibe bringt eine Vielzahl von Kontraindikationen wie Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen mit sich. Zudem ist die Akzeptanz dieser Wirkstoffgruppe laut Ott gering. "Die Patienten akzeptieren Coxibe eher ungern."

Momentan ist, so Ott, "die Kombination aus NSAR plus PPI die beste Wahl für einen wirksamen Schutz vor Gastroduodenopathien bei Risikopatienten und gilt derzeit als Standardregime". Bei sehr hohem Risiko, etwa gastrointestinalen Blutungen oder Ulzera in der Anamnese kann die Kombination von Coxib plus Protonenpumpenhemmer überlegt werden.

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Niedriges Interaktionspotenzial - hohe Therapiesicherheit

Protonenpumpenhemmer sind in der Prävention gastroduodenaler Ulzera vergleichbar wirksam. Auch das Nebenwirkungsprofil ist "bei allen hervorragend". Dennoch empfahl Ott aus Gründen der Therapiesicherheit und der Patientencompliance die Gabe von Pantoprazol. Er verwies auf das im Vergleich mit anderen Protonenpumpenhemmern niedrige Interaktionspotenzial von Pantoprazol.

In einem groß angelegten Studienprogramm (Abb. [2]), in dem die Interaktion von Pantoprazol mit zahlreichen, häufig verordneten Wirkstoffen untersucht wurde, kam es mit keinem der geprüften Arzneimittel zu relevanten Wechselwirkungen, insbesondere nicht mit nichtsteroidalen Antirheumatika wie Diclofenac, Naproxen und Piroxicam ([5], [12], [13]). Der Grund: Pantoprazol besitzt nur eine geringe Affinität zu den Cytochrom-P-450-Isoenzymen.

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Pantoprazol zeigt mit den geprüften Arzneimitteln keine metabolischen Interaktionen

Dagegen sind für Omeprazol sowie in vergleichbarem Maße auch für Esomeprazol Interaktionen mit verschiedenen Arzneimitteln bekannt ([4], [11]). So erhöhen sich beispielsweise die Diclofenacspiegel bei gleichzeitiger Gabe von Omeprazol, erläuterte Beil. Für niereninsuffiziente Patienten kann dies durchaus bedrohlich werden. Eine aktuelle klinische Vergleichsstudie zwischen Pantoprazol und Esomeprazol ([3]), die den Effekt der Protonenpumpenhemmer auf die Diazepamspiegel bei gesunden Probanden untersuchte, ergab unter Esomeprazol nicht nur eine Erhöhung der Diazepamspiegel um 40%. Auch Koordinationsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit und Vigilanz der Patienten verschlechterten sich.

Gerade für die gefährdete große Gruppe älterer NSAR-Risikopatienten, die häufig mehrere Medikamente einnehmen müssen, bietet Pantoprazol daher einen konkreten Vorteil. Zudem ist die Pantoprazol-Tablette besonders klein und einfach einzunehmen, die Akzeptanz bei den Patienten deshalb besonders hoch. "Das ist etwas ganz Essenzielles", so Ott.

Dr. Beate Fessler, München

Quelle: Fachpressekonferenz "Ulkusrisiko der NSAR: Eine oft verkannte Gefahr", veranstaltet von der Altana Pharma Deutschland GmbH, Konstanz

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Literatur

  • 01 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. Arzneiverordnung (21. Auflage). Köln: Deutscher Ärzte-Verlag, 2006. 
  • 02 Bannwarth B  . et al . J Rheumatol. 2002;  29 1975-1980
  • 03 Drewelow B  . et al . Can J Gastro. 2006;  20 (suppl) A 144
  • 04 Fachinformationen Omeprazol 20/40 mg, Nexium 20/40 mg. 
  • 05 Fachinformationen Pantozol 20/40 mg. 
  • 06 FDA Celebrex Capsules, NDA 20-998/S-009. 
  • 07 FDA Etoricoxib Briefing Package for NDA 21-389. 
  • 08 Hawkey CJ  . et al . N Engl J Med. 1998;  338 727-734
  • 09 Henry D . et al . BMJ. 1996;  312 1563-1566
  • 10 Höer  . IGES-Institut, Berlin, zur Publikation eingereicht.
  • 11 Klotz U . et al . Internist. 2003;  44 1444-1449
  • 12 Lorf T . et al . Eur J Clin Pharmacol. 2000;  55 733-735
  • 13 Lorf T . et al . Eur J Clin Pharmacol. 2000;  56 439-440
  • 14 Müller  P . et al . Arzneim Forschung. 1998;  48 482-485
  • 15 Regula J . et al . Gut. 2001;  49 (suppl III) A1229
  • 16 Silverstein FE . et al . JAMA. 2000;  284 1247-1255
  • 17 Stupnicki T . et al . Digestion. 2003;  68 198-208
  • 18 Yeomans ND . et al . N Engl J Med. 1998;  338 719-726
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Pantoprazol zeigt mit den geprüften Arzneimitteln keine metabolischen Interaktionen