Der Klinikarzt 2006; 35(10): XII
DOI: 10.1055/s-2006-954434
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Neue Waffe gegen komplizierte Infektionen - Multiresistenten Keimen Einhalt gebieten!

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Publication Date:
02 November 2006 (online)

 
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"Weltweit sehen wir eine Zunahme resistenter Bakterien - ein Problem, das zum Teil als direkte Folge großzügiger Antibiotikagaben zu betrachten ist", konstatierte Prof. D. Adam, München. Insbesondere die Inzidenz bakterieller Infektionen durch besonders resistente Erreger wie methicillinresistente S. aureus (MRSA), vancomycinresistente Enterokokken (VRE) oder ESBL-produzierende Enterobakterien (ESBL = "extended spectrum β-lactamase") steigt besorgniserregend. Allein der Anteil methicillinresistenter Staphylokokken kann auf deutschen Intensivstationen bis zu 35% betragen, berichtete Dr. K.-F. Bodmann, Hildesheim.

Dazu kommt: Multiresistente Erreger (MRE) sind nicht mehr nur ein Klinikproblem. Studien zufolge sind 5 bzw. 10% der stationär eingelieferten Patienten bereits bei der Aufnahme mit methicillinresistenten Staphylokokken bzw. vancomycinresistenten Enterokokken infiziert.

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Die Konsequenz: Steigende Mortalitätsraten und Kosten

Mit den bisher verfügbaren Antibiotika ist die Chance, alle Infektionen in den Griff zu bekommen, nicht mehr gegeben, betonte Prof. R. Mutters, Marburg. Selbst bei früher als harmlos erachteten Keimen wie Acinetobacter baumannii gibt es mittlerweile bereits multiresistente und für Komplikationen in der Klinik verantwortliche Stämme.

Die Konsequenz dieser zunehmenden Resistenzbildung ist eine erhöhte Morbidität und Mortalität bei Patienten mit nosokomialen Infektionen. Insbesondere bei einer initial inadäquaten empirischen Antibiotikatherapie kann die Mortalität dramatisch zunehmen, warnte Bodmann. Entsprechend steigen auch Verweildauer und Kosten im Krankenhaus.

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Der Resistenzentwicklung unbedingt entgegensteuern!

Als Gegenstrategien empfahl Mutters verbesserte Hygienemaßnahmen und veränderte Chemotherapieregime, wie zum Beispiel den Verzicht auf Resistenzen selektionierende Cephalosporine der dritten Generation. Bodmann plädierte zusätzlich für eine strikt an den Leitlinien orientierte antiinfektiöse Therapie - ein Vorgehen, welches das Mortalitätsrisiko nachweislich erheblich senkt. Darüber hinaus aber ist die Entwicklung neuer Präparate und innovativer Substanzklassen mit effektiven Wirkmechanismen unverzichtbar, um schweren Infektionen mit multiresistenten Erregern Einhalt zu gebieten.

Mit Tigecyclin (Tygacil®) ist inzwischen ein neues Breitspektrumantibiotikum für die Therapie komplizierter Haut- und Weichgewebeinfektionen und komplizierter Intraabdominalinfektionen zugelassen. Dieser erste Vertreter der neuen Klasse der Glycylcycline, ist eines der wenigen Präparate die gegen grampositive und gramnegative Erreger zugleich aktiv sind, betonte Mutters.

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Neues Antibiotikum mit attraktivem Profil

"Mit seiner langen Eliminationshalbwertszeit und seiner sehr guten Gewebepenetration ist Tigecyclin eine pharmakokinetisch sehr interessante Substanz", bekräftigte Prof. H. Derendorf, Gainesville (USA). Das Antibiotikum wird zu rund 60% unverändert biliär ausgeschieden; der Rest wird glukuronidiert oder über die Niere (< 15%) eliminiert und kann daher auch bei nieren- und leberinsuffizienten Patienten in normaler Dosierung eingesetzt werden. Nur bei schwerer Leberinsuffizienz empfahl Derendorf eine Dosishalbierung.

Ein weiterer Vorteil: Da die Substanz nicht über Cytochrom P450 verstoffwechselt wird, ist das Risiko von Arzneimittelinteraktionen gering. Somit ist Tigecyclin gerade für den Einsatz bei in der Regel schwer kranken Patienten auf der Intensivstation sehr gut geeignet.

Tigecyclin wurde in den Zulassungsstudien bei über 3000 Patienten erfolgreich gegenüber etablierten Standardregimen geprüft. Bei komplizierten Haut- und Weichgewebeinfektionen lag die Heilungsrate unter der Tigecyclin-Monotherapie bei 87% und entsprach damit der Referenztherapie mit Vancomycin/Aztreonam (89%). Identische Heilungsraten von 86% dokumentiert auch eine weitere Vergleichsstudie bei Patienten mit komplizierten intraabdominellen Infektionen, die entweder Tigecyclin oder Imipenem/Cilastin erhalten hatten.

Das neue Antibiotikum wird generell gut vertragen. Häufigste Nebenwirkungen sind Übelkeit und Erbrechen, die jedoch nur in maximal 3-5% der Fälle einen Abbruch der Behandlung notwendig machen.

Dr. Katharina Arnheim, Berlin

Quelle: Symposium "Multiresistenz und neue Antibiotika - eine unendliche Geschichte" unterstützt von der Wyeth Pharma GmbH, Münster

Steckbrief Tigecyclin

  • erster Vertreter der neuen Substanzklasse der Glycylcycline

  • breites In-vitro-Aktivitätsspektrum gegen aerobe und anaerobe grampositive und gramnegative Keime

  • In-vitro-Aktivität gegen resistente Erreger wie MRSA, VRE, ESBL-produzierende gramnegative Keime

  • In-vitro-Aktivität gegenüber tetracyclinresistenten Bakterien

  • lange Eliminationshalbwertszeit, daher zweimal tägliche Gabe

  • Verabreichung i.v. als Infusion über 30-60 Minuten

  • geringes Interaktionspotenzial auch mit über Cytochrom P450 metabolisierten Substanzen

  • sehr gute, in klinischen Studien belegte Wirksamkeit der Therapie komplizierter Haut- und Weichgewebeinfektionen und komplizierter intraabdomineller Infektionen

  • keine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz

  • keine Dosisanpassung bei leichter bis moderater Leberinsuffizienz