Aktuelle Urol 2006; 37(6): 394-396
DOI: 10.1055/s-2006-956970
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Primärer Verschluss der Blasenekstrophie - Erfahrung des Operateurs ist entscheidend

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Publication Date:
13 November 2006 (online)

 
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Die primäre und vollständige Korrektur der Blasenekstrophie umfasst den einseitigen Verschluss der Blasenplatte und der dehiszenten Symphyse sowie die Rekonstruktion des äußeren Genitales unmittelbar oder sehr kurz nach der Geburt. Eine Studie über Komplikationen nach fehlgeschlagenem Primärverschluß. J Urol 2005; 174: 1669 - 1673

Eine amerikanische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass neben den anatomischen Voraussetzungen (u.a. die Größe der Blasenplatte und des äußeren Genitales) die Erfahrung des Operateurs sowie des nachsorgenden Teams wesentlich für das Gelingen der Korrektur ist.

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Mögliche Komplikationen und deren Versorgung

J. P. Gearhart und A. D. Baird beschreiben die Komplikationen und deren Versorgung nach fehlgeschlagenem Primärverschluss anhand von 16 männlichen und 3 weiblichen Patienten. Bei den männlichen Patienten fand sich in 6 Fällen eine komplette Dehiszenz, in 3 Fällen ein hochgradiger Blasenprolaps bei weit offenem Blasenhals und in 3 Fällen ein Prolaps bei Valsalva.

Weitere Komplikationen waren Symphysendehiszenz [1], Harnröhrenstriktur [1] und Verlust von Hemiglans und unilateralem Corpus cavernosum [2]. Zusätzlich lag ein partieller Verlust der Glans, Harnröhre und peniler Haut bei je 7, 5 und 3 Patienten vor. Bei den 3 weiblichen Patienten fanden sich eine komplette Dehiszenz [1], ein hochgradiger Blasenprolaps [1] und eine komplette urethrale Striktur [1].

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Operationsansätze

Nur bei 13 der 19 Patienten war die primäre Korrektur von spezialisierten Kinderurologen ("fellowship-trained") durchgeführt worden. Bei allen Patienten mit Dehiszenz und Blasenprolaps wurde im Rahmen des sekundären Verschlusses eine Osteotomie mit anschließender Fixateur externe- oder Zuggurtungs-Versorgung durchgeführt. Bei den 6 männlichen Patienten mit kompletter Dehiszenz wurden zur Gewinnung von Haut präoperativ Gewebe-Expander eingesetzt. Ein Patient mit hochgradigem Prolaps erhielt eine Blasenaugmentation mit kontinentem Stoma.

Die Harnröhrenrekonstruktion erfolgte in den meisten Fällen durch Vollhaut- oder Mundschleimhauttransplantation in gleicher oder späterer Sitzung, bei den beiden weiblichen Patienten wurde die Harnröhre durch tubularisierte Blasenschleimhaut rekonstruiert.

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Eine große Herausforderung: Die operative Korrektur der Blasenekstrophie (Bild: Archiv).

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Erneuter Eingriff notwendig

Bei 2 Patienten wurde aufgrund kleinerer Folgekomplikationen (Fistel, Meatusstenose) eine erneute Operation erforderlich. Die Harnröhrenstriktur wurde bei dem männlichen Patienten durch ein urethrales Transplantat überbrückt, bei dem Mädchen endoskopisch urethrotomiert.

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Fazit

Der primäre Verschluss der Blasenekstrophie stellt eine große Herausforderung dar und sollte Zentren mit großer Expertise vorbehalten sein. Das Fehlschlagen der Operation kann schwerwiegende Folgen haben, u.a. da der Verlust von glandulärem oder korporalem Gewebe derzeit nicht zu ersetzen ist.

Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas

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Kommentar

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M. Beuke

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Gute Übersichtsarbeit

Die Autoren betrachten in der vorliegenden Arbeit die Komplikationen und deren Management nach vollständigem primärem Blasenverschluss. Dies wird anhand von 19 Patienten mit unterschiedlich schweren Komplikationen aufgearbeitet. Die Arbeit zeigt übersichtlich die möglichen, nach primärem Verschluss auftretenden Folgen.

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Blasenprolaps und Dehiszenz

Ein wichtiger Aspekt bei Betrachtung der Daten ist, dass bei keinem der 19 Patienten eine initiale Osteotomie durchgeführt wurde. Dadurch hatte die vorgestellte Patientengruppe von vornherein ein erhöhtes Risiko für die beschriebenen Folgen wie Blasenprolaps und Dehiszenz. Neun der 19 Patienten wurden innerhalb von 48 Stunden postpartal operiert, über die anderen wird nur die Aussage gemacht, dass diese innerhalb einer Woche operiert wurden.

Die von Gearhart in früheren Arbeiten postulierten Grenzen von 72 Stunden oder Dehiszenz > 4 cm wurden für die Patientengruppe nicht dargestellt. 13 wurden mit Spica Gipsverband und 6 mit Mumienverband versorgt. Wie die Autoren selbst in ihrer Diskussion darstellen, ist die Erfolgsrate der primären Verschlüsse bei Exstrophie mit Osteotomie um ca. 20% höher. Die Versorgung mit Spica Gipsverband ist bei nicht durchgeführter Osteotomie üblich, der Mumienverband wird jedoch als unzuverlässig dargestellt und ist nicht mehr empfehlenswert.

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Genitalrekonstruktion

Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit zeigt die Probleme der Genitalrekonstruktion auf. Die Verfasser diskutieren ausführlich die Ursachen wie unzureichende Blutversorgung, technische Probleme, Gabe vasokonstriktiver Substanzen und Erhalt des neurovaskulären Bündels. Auch die häufig abweichenden anatomischen Gegebenheiten werden dargestellt.

Komplikationen wie z.B. urethrokutane Fisteln oder Harnröhrenstrikturen und erschwerende Umstände durch Gewebe- oder Schwellkörperverlust können nach allen rekonstruktiven Eingriffen am Genitale auftreten. Je schwerwiegender der Primärzustand und je mehr Voroperationen, desto häufiger. Hier bestätigt sich die Aussage der Autoren, dass das Ausmaß der penilen und urethralen Komplikationen rekonstruktiv sehr anspruchsvoll sein kann und eine Erfahrung des Operateurs mit entsprechenden Operationen notwendig ist. Eine Darstellung, wie häufig die untersuchten Patienten nach dem Primäreingriff vor Einschluss in die Untersuchung operiert wurden, fehlt leider.

Zwei Drittel der Patienten wurden von "fellowship-trained pediatric urologists" operiert. Leider unterscheiden Gearhart und Baird in ihrer Übersicht nicht, inwiefern diese bessere Ergebnisse gegenüber den anderen Operateuren erzielten. Die schöne Übersicht der operativen Schwierigkeiten bei diesen Patienten zeigt aber deutlich, dass ein rekonstruktiv versierter Urologe zur Durchführung solch komplexer Operationen nötig ist. Auch der Aussage, dass die Erfahrung des Operateurs mit den zur Verfügung stehenden Methoden ein wesentliches Kriterium zur Auswahl dieser darstellt, kann ohne Zögern zugestimmt werden.

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Stete Weiterentwicklung

In der Gesamtbeurteilung muss beachtet werden, dass sich innerhalb des Zeitraums der Rekrutierung der Patienten die operativen Vorgehensweisen stark modifiziert haben. Daher unterliegen auch die Operationen durch gut ausgebildete Chirurgen einer stetig neuen Lernkurve. Auch die technischen Gegebenheiten haben sich im betrachteten Zeitraum weiterentwickelt und Operationsabschnitte erleichtert.

Die Gruppe besteht des Weiteren aus stark vorselektionierten Patienten. Die Fälle können nur als Einzelfälle betrachtet werden, ein Vergleich ist schwierig, da unterschiedliche Ausgangsstadien (z. B. kleine fibrotische Blasenplatte) vorlagen.

Dr. Maike Beuke, Hamburg-Harburg

 
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Eine große Herausforderung: Die operative Korrektur der Blasenekstrophie (Bild: Archiv).

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M. Beuke