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DOI: 10.1055/s-2006-956971
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Kryptorchismus - Infertilitätsrisiko bei Hodenhochstand
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
13. November 2006 (online)
In der normalen frühkindlichen Phase kommt es zur Ausschüttung von Gondatropinen und Testosteron, was die Entwicklung und Transformation der Gonozyten zu "Adult dark" (AD)-Spermatogonien induziert. Dieser Entwicklungsschritt kann im kryptorchen Hoden eingeschränkt sein. J Urol 2005; 174: 1536-1539
Dies kann trotz erfolgreicher Orchidopexie zu zytologischen Veränderungen im Hoden mit Verminderung der Leydig-Zwischenzellen und inkompletter Maturation der Gonozyten zu Ad-Spermatogonien führen.
Eine Studie untersucht, inwieweit eine Hormonbehandlung mit humanem Choriogonadotropin (HCG) die Vermehrung der Ad-Spermatogonien bei kryptorchen Jungen induzieren kann.
F. Hadziselimovic et al. führten bei 32 Jungen im Alter zwischen 1 und 7 Jahren mit unilateralem Kryptorchismus eine Vorbehandlung mit 1500 IU HCG (3 Wochen lang einmal wöchentlich) durch (Gruppe 1), 33 Jungen gleichen Alters wurden einer Orchidopexie ohne hormonelle Vorbehandlung zugeführt (Gruppe 2). Intraopertiv wurde eine Hodenbiopsie vorgenommen und die Anzahl der Ad-Spermatogonien pro Tubulusquerschnitt (tbx) beider Behandlungsgruppen verglichen. In Gruppe 1 wurde zudem die Anzahl der Ad-Spermatogonien mit den Plasma-Testosteronwerten nach Hormonstimulation korreliert.
In Gruppe 1 fanden sich bei 17 Patienten mehr als 0,1 Ad/tbx, bei den verbleibenden 15 weniger als 0,1 Ad/tbx. In Gruppe 2 lagen bei 6 Patienten mehr als 0,1 Ad/tbx, vor, bei den verbleibenden 27 weniger als 0,1 Ad/tbx. Insgesamt zeigten 35% der Patienten in Gruppe 1 ein inadäquates und 10% kein Ansprechen auf die HCG-Stimulation. Diese Patienten zeigten eine defekter Differenzierung der Ad-Spermatogonien.
#Fazit
Jungen mit Hodenhochstand, die auf eine HCG-Stimulation nur unzureichend mit gesteigerter Testosteron-Ausschüttung reagieren, haben trotz frühzeitiger und erfolgreicher Orchidopexie ein erhöhtes Risiko einer späteren Infertilität. Der Nachweis einer ausreichenden Anzahl an Ad-Spermatogonien durch Biopsie kann nach Meinung der Autoren die Kinder identifizieren, die von einer hormonellen Stimulation profitieren können.
Dr. Sabine Adler, Mülsen St. Niclas
#Kommentar

J. Seibold
Einige Fragen bleiben offen
Kryptorchismus ist die häufigste Entwicklungsanomalie bei Jungen. In mehr als 1% der Jungen über 3 Monaten bleibt ein spontaner Deszensus aus und eine medikamentöse oder operative Therapie des Hodenhochstandes sollte in Erwägung gezogen werden [1]. Eine hormonelle Therapie wird in der Literatur [2] mit einer Erfolgsrate für HCG und LHRH von ca. 30% angegeben. Eine Kombination beider Medikamente scheint keine Erhöhung der Erfolgsrate zu bringen.
Obwohl der Einfluss von Kryptorchismus auf die testikuläre Entwicklung und Fruchtbarkeit extensiv untersucht wurde, ist es der einzig gesicherte Faktor, dass Männer mit beidseitigem abdominellen Hoden infertil sind. Die restlichen Möglichkeiten (unilateraler Hochstand, Gleithoden, medikämentöse oder operative Therapie) lassen keine sichere Vorhersage bezüglich des späteren Fruchtbarkeitsgrades zu.
#"Mini-Pubertät"
Kann die in der vorliegenden Arbeit so genannte "Mini-Pubertät", die normalerweise zwischen dem 1. und 6. Lebensmonat durch einen physiologischen hormonellen Anstieg von Gonadotropinen und Testosteron eine Differenzierung von Gonocyten zu Ad-Spermatogonien bewirkt, bei Kryptorchismus durch medikamentöse HCG-Gabe nachgeholt werden und dasselbe bewirken?
Erstmalig wird der testosteronabhängige Einfluss auf die Keimzellen und die damit verbundene Entwicklung und Differenzierung von Ad-Spermatogonien in dieser Arbeit von Hadziselimovic et al. beschrieben.
Durch Entnahme von Biopsien aus kryptorchen und normal deszendierten Hoden während der Orchidopexie besteht die Möglichkeit, histologisch das Verhältnis von Ad-Spermatogonien pro Tubuluskanal zu bestimmen. Eine korrekte Betrachtung und Prüfung der histologischen Schnitte ist durch Vergleich der Ergebnisse mit einem zweiten Prüfer beschrieben.
#Notwendige Biopsien
Um diese Untersuchungen durchführen zu können, sind Biopsien aus dem nicht deszendierten Hoden und dem deszendierten Hoden notwendig, die zum einen den Operationsumfang erweitern und gleichzeitig auch ein gewisses Nebenwirkungs- und Komplikationsrisiko beinhalten können. Eine Komplikationsrate wird von den Autoren in der Arbeit nicht berichtet. Eine tierexperimentelle Arbeit [3] konnte nach Biopsien an Hoden von Ratten keinen negativen Einfluss auf die Fertilität nachweisen.
Die Kenntnis, ob eine hormonelle Stimulation mit HCG vor Orchidopexie zu einem histologisch nachgewiesenen normalen Verhältnis von Ad-Spermatogonien pro Tubulus führt, hilft dem Arzt, Aussagen bezüglich der späteren Fertilitätschance treffen zu können.
#Frühzeitige Korrektur empfohlen
Aus therapeutischer Sicht besteht Zustimmung, dass eine Korrektur des Hodenhochstandes frühzeitig notwendig ist, um eine Verbesserung der Fertilität zu erreichen. Frühzeitige Intervention bedeutet heutzutage schon vor dem ersten Lebensjahr. Eine Biopsie während der Orchidopexie sowohl aus dem kryptorchen als auch aus dem deszendierten Hoden wird von den Autoren empfohlen.

Eine Korrektur des Hodenhochstandes vor dem ersten Lebensjahr wird empfohlen, um das Risiko einer späteren Infertilität zu minimieren (Bild: Archiv).
Eine klare Aussage, inwieweit eine hormonelle Stimulation vor der Orchidopexie besser ist, oder in welchem Grad eine postoperative Stimulation eine Verbesserung bringt, wird von Hadziselimovic nicht in der Arbeit und auch nicht in der Diskussion mit Dr. David A. Diamond klar beantwortet. Weitere Untersuchungen des Einflusses der "Mini-Pubertät" auf die Fertilität bei Kryptorchismus werden helfen, offene Fragen zu beantworten.
Literatur beim Autor
Dr. Jörg Seibold, Stuttgart

J. Seibold

Eine Korrektur des Hodenhochstandes vor dem ersten Lebensjahr wird empfohlen, um das Risiko einer späteren Infertilität zu minimieren (Bild: Archiv).