B&G Bewegungstherapie und Gesundheitssport 2007; 23(2): 43
DOI: 10.1055/s-2007-960608
Editorial

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Wissenschaft hinkt Praxiserfahrungen hinterher - psychosomatische Wirkungen von Sport und Bewegungstherapie

H. Deimel, G. Hölter
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Publication Date:
10 April 2007 (online)

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    Liebe Leserinnen und Leser,

    manche von Ihnen werden die Überschrift mit einer gewissen Genugtuung registrieren: Gilt doch häufig im ambulanten und klinischen Bereich nur das als seriöse (und abrechnungsfähige) Therapie, was auch wissenschaftlich bewiesen ist. Qualitätsmanagement und Evaluation lassen grüßen. Doch wenn es um die psychischen und psycho-sozialen Wirkungen von Bewegung, Spiel und Sport geht, lässt sich bisher wissenschaftlich reichlich wenig „beweisen”. Dies bestätigt das aktuelle Themenheft zu „Gesundheit, körperliche Aktivität und Sport” in der Zeitschrift Sportpsychologie (1/2007), das in verschiedenen Beiträgen den schwierigen - und bisher weitgehend ungeklärten - Zusammenhang zwischen emotionalen Zuständen und Bewegungsaktivitäten thematisiert.

    Und auf diesen größtenteils ungeklärten Zusammenhang soll nun ein klinisch seriöses Verfahren fußen? Lassen Sie sich nicht verunsichern! „Empirisch” bedeutet aus unserer Sicht nicht nur die Anwendung von wissenschaftlichen Studien - möglichst als Randomized Control Trials (RCTs) -, sondern auch die dokumentierte Alltagsbeobachtung und -praxis von erfahrenen Therapeuten: verändertes Befinden äußert sich in einer anderen Mimik und Gestik, in einer anderen Haltung, in einer tieferen Atmung, in größerer Körperspannung, und dies lässt sich tatsächlich beobachten.

    Alltagsbeobachtungen und -gewissheiten entbinden allerdings nicht von der Pflicht, sich genauer das „Heilmittel” Bewegung und seine möglichen Wirkungen anzuschauen: Wirkt Bewegung am frühen Morgen anders als abends, ist es gleich, welche Belastungsintensität gewählt, welche Inhalte thematisiert und ob das Geschehene verbal reflektiert wird? Wie wirkt die Kombination mit anderen Interventionen? Gibt es Kontraindikationen und wenn ja, welche?

    Eine Fülle von differentiellen Indikations- und Wirkungsfragen, die bis heute größtenteils ungeklärt sind.

    Dies ist nicht nur ein Problem der Bewegungstherapie, doch wird dieses Argument - z. T. auch aus berufs- und standespolitischen Gründen - eingesetzt, um eine breite Etablierung und Anerkennung der Bewegungstherapie als eine Therapieform, die über Aktivierung und Freizeitgestaltung hinausgeht, zu verhindern. Die empirischen Ergebnisse der Beiträge in diesem Heft wollen bestätigen, dass Bewegungstherapie positive Auswirkungen auf die Symptomatik und ausgewählte Parameter des Körpererlebens hat, allerdings nicht für alle Patienten gleichermaßen.

    Das Editorial wollen wir mit einem Schlusssatz beenden, der viele empirische Untersuchungen ziert: Weitere Forschungen sind notwendig und dies gilt für die Bewegungstherapie in besonderem Maße!

    Ihr Hubertus Deimel und Ihr Gerd Hölter