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DOI: 10.1055/s-2007-965856
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York
Ellenbogen - Zeitintervall zwischen Unfallereignis und Operation in Bezug auf das Langzeitergebnis
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
08. März 2007 (online)
- Posttraumatische Ellenbogensteife
- Im Durchschnitt 10 Monate zwischen Trauma und OP
- Distraktionsarthrolyse (Arthrodiatasis)
- Operationstechnik
- Einbringen der humeralen Fixateurpins
- Einbringen der ulnaren Fixateurpins
- Anbringen des Distraktionsfixateurs
- Applikation des Bewegungsfixateurs
- Durchführung der Gelenkmobilisation
- Ergebnisse
- Besseres Langzeitergebnis
Die Behandlung der posttraumatischen Ellenbogensteife ist ein sehr anspruchsvolles operativ rekonstruktives Speeziallgebiet. Anhand einer prospektiv geführten Patientenndatenbank (n = 105) wurde der Einfluss des Zeitintervalls Trauma und Indexoperation auf das Langzeitergebnis (Follow-up mindestens 3 Jahre) untersucht.
Die Analyse des Zeitintervalls zwischen dem Unfallzeitpunkt und der Indexoperation (Neurolyse N. ulnaris, Gelenkdistraktion und Anlage des Bewegungsfixateurs) zeigt bei 105 konsekutiven Patienten mit posttraumatischer Ellenbogensteife ein klar besseres Langzeitergebnis in Bezug auf Bewegungsumfang, Morrey Score und Patientenzufriedenheit bei einem Behandlungsbeginn von bis zu einem halben Jahr nach dem Unfallereignis.
#Posttraumatische Ellenbogensteife
Eine Ellenbogensteife liegt vor, wenn mehr als 30 Grad Streckdefizit oder weniger als 130 Grad Beugung im betreffenden Ellenbogen möglich ist. Die meisten Aktivitäten des täglichen Lebens spielen sich in einem Bewegungsausmaß von 100 Grad ab (30 bis 100 Grad Beugung; Morrey's "Arc of motion"). Ursächlich sind häufig Trauma, Verbrennungen oder Koma und können die Ellenbogenfunktion substantiell einschränken.
Leider ist die Bewegungseinschränkung gerade am Ellenbogen schwer zu verhindern und noch schwerer zu behandeln. Neben einer detaillierten, individualisierten Analyse der Entstehung der Bewegungseinschränkung ist eine genaue diagnostische Aufarbeitung vor jedweder chirurgischer Intervention äußerst wichtig. Zwischen 1998 und 2003 wurden 105 Patienten mit einer posttraumatischen Ellenbogensteife Europaweit zugewiesen und nach einem standardisierten Protokoll prospektiv behandelt und nachuntersucht. Die Erstellung einer prospektiven Patientendatenbank erlaubte neben der Dokumentation und Analyse der Pathogenese der posttraumatischen Ellenbogensteife die genaue Evaluation der Diagnostik, des Operationsergebnisses und des Langzeitverlaufes. In dieser Studie hat uns der Einfluss der Vorstellung von Patienten mit posttraumatischer Ellenbogensteife auf das Langzeitergebnis nach der von uns standardisiert durchgeführten Distraktionsarthrolyse mittels Bewegungsfixateur interessiert.
#Im Durchschnitt 10 Monate zwischen Trauma und OP
Zwischen 1998 und 2003 wurden 105 Patienten mit einer posttraumatischen Ellenbogensteife nach einem standardisierten Protokoll prospektiv behandelt und nachuntersucht. Die operative Therapie sah neben der Neurolyse des N. ulnaris die intraoperative Distraktion des Ellenbogengelenkes, gefolgt von der Mobilisation im Bewegungsfixateur für 7 Wochen postoperativ vor. Als Zusatzmaßnahmen wurden bei 55 Patienten partielle Metallentfernungen, bei 35 Patienten die Entfernung von heterotopem Knochen und bei 28 Patienten zusätzliche Korrektureingriffe im Bereich des betroffenen Ellenbogen durchgeführt. Das mittlere Zeitintervall zwischen Trauma und Indexoperation betrug 10 Monate (3 bis 36 Monate), wobei 60 Patienten vor einem Δt von 6 Monaten und 45 nach einem Δt von 6 Monaten zugewiesen wurden. Die Patientendaten, die Schwere der vorliegenden Ellenbogensteife, die Nachuntersuchungszeiträume wurden in diesen beiden Patientengruppen analysiert, um eine Vergleichbarkeit beider Gruppen zu ermöglichen. Neben den Bewegungsmassen wurde bei der Nachuntersuchung der radiologische Gelenkstatus, der Morrey Score und die Patientenzufriedenheit visuell analog ermittelt. Zur Analyse der numerischen Daten wurde Student's t-Test und zur Evaluation der visuell analogen Daten der Wilcoxon rank-sum-Test benutzt.
#Distraktionsarthrolyse (Arthrodiatasis)
Die intraoperative Gelenkdistraktion (Arthrodiatasis) wird zur allmählichen Dehnung der geschrumpften Kapselbandstrukturen eingesetzt und erlaubt eine sichere Separation der Gelenkflächen. Nach der intraoperativen Distraktion folgt eine Relaxationsphase mit nachfolgender Fixateur-gestützter Mobilisation. Insbesondere bei Subluxationsstellungen oder persistierenden Luxationen erlaubt die Gelenkdistraktion eine Wiederherstellung der Gelenkkongruenz mit nachfolgender Fixateur-gesicherter Übungsbehandlung. Eine Gelenkdistraktion als Repositionshilfe nach veralterter Luxation ist von Volkov und Ognesian 1975 mit einem Ringfixateursystem angewendet worden. Kleinere Serien sind seit dieser Erstbeschreibung veröffentlicht worden. Unsere Erfahrungen mit diesem Verfahren beruhen auf 105 konsekutiven Fällen mit intrinsischer und extrinsischer Gelenksteife des Ellenbogens, die nach einem standardisierten Protokoll prospektiv behandelt wurden.
#Operationstechnik
Die Operation wird in Allgemeinnarkose durchgeführt. Eine Blutleere wird nicht angelegt. Bei Vorliegen eines Flexionsdefizites wird zunächst die Dekompression des Nervus ulnaris vorgenommen. Dies geschieht über einen ulnaren Standardzugang in Form von Dekompression und Neurolyse. Bei Knochenfragmenten im osteofibrösen Kanal des Nervus ulnaris wurde eine Ausräumung dieser Fragmente vorgenommen. Eine routinemäßige Transposition des Nerven wurde nicht durchgeführt. Die Operationswunde im ulnaren Bereich wird nicht verschlossen, um die Nervenspannung nach Distraktionsarthroplastik und verstärkter Flexion zu beurteilen.
Unter Außenrotation der Schulter wird der Ellenbogen auf zwei oder drei gefalteten Tüchern gelagert, um eine möglichst horizontale Position zu erreichen. Mit Hilfe des Röntgenbildwandlers wird ein exakt seitliches Röntgenbild eingestellt. Die Ringstrukturen der Trochlea müssen genau übereinanderliegen, wobei die radial liegende Knochenkante diese Ringstruktur im kranialen Anteil schneidet. Diese radiale Knochenkante unterteilt den distalen Humerus in ein ventrales und zwei dorsale Drittel. Der 2 mm Kirschner-Pilot-Draht wird am Schnittpunkt von radialer Knochenkante und Trochlea-Ringstruktur perkutan platziert. In Richtung des Röntgenstrahls wird dieser Kirschner-Draht 2-3 cm in die Trochlea vorgebohrt. Wenn der Eintrittspunkt des Kirschner-Drahtes von lateral korrekt war, aber dieser nicht in der Achse des Röntgenstrahles liegt, lässt sich durch ein Verbiegen des aus der Haut herausragenden Kirschner-Drahtanteiles dennoch eine punktförmige Struktur am oberen Rand der Trochlea-Ringstruktur erzielen. Die Montage des Fixateurs darf nicht begonnen werden, bevor der Zentrier-Kirschner-Draht korrekt platziert ist.
#Einbringen der humeralen Fixateurpins
Über diesen Kirschner-Draht wird die Zentraleinheit des Fixateurs (Orthofix GmbH, D-83626 Valley) aufgesetzt, die humerale Schiene liegt außen, die ulnare Schiene kommt innen zu liegen. Der Fixateur fungiert als Zielschablone zur Platzierung der Fixateurpins. Im Humerus wird der proximale Fixateurpin am Ansatzpunkt des Muskulus deltoideus von streng lateral eingebracht. Zur Implantation der beiden Fixateurpins ist ein offener Zugang empfehlenswert, um die sichere Schonung des dorsal am Humerus verlaufenden Nervus radialis zu gewährleisten. Die Lage der Fixateurpins im Humerus muss die Notwendigkeit der Distraktion berücksichtigen. Die humerale Schiene muss daher eine Verschiebung der Zentraleinheit von 12-15 mm nach distal ermöglichen. Die Dimension der Fixateurpins richtet sich nach dem Querschnitt des Humerus (5/6 mm oder 3,5/4,5 mm Gewindedurchmesser).
#Einbringen der ulnaren Fixateurpins
Die Platzierung der ulnaren Fixateurpins erfolgt in Neutralstellung des Unterarmes von dorsal am Übergang des proximalen zum mittleren Drittel der Ulna. Auch hier ist ein offenes Vorgehen zu empfehlen, da eine bikortikale Verankerung der Fixateurpins zwingend erforderlich ist. Der Gewindedurchmesser der Fixateurpins beträgt hier 3,5/4,5 mm. Die korrekte Penetration der Gegenkortikalis im Bereich der humeralen und ulnaren Fixateurpins wird radiologisch überprüft.
#Anbringen des Distraktionsfixateurs
Der humeroulnare Bewegungsfixateur wird entfernt und die zusätzlich einzubringenden Pins im Bereich des Olecranons für die Montage des eigentlichen Distraktionsfixateurs wird vorgenommen. Der ideale Ort zur Platzierung der beiden Pins liegt im Olecranon selbst und in der Basis des Prozessus coronoidius. Eine weitere distale Implantation der Fixateurpins ist nicht empfehlenswert, da es zu Fissuren der Ulna bei der Mobilisation des eingesteiften Ellenbogens kommen könnte. Auch hier werden 3,5/4,5 mm Gewindedurchmesser empfohlen. Die korrekte Platzierung der Olecranonpins muss im seitlichen Röntgenbild kontrolliert werden. Der Standardfixateur mit einer geraden Backe am Humerus und einer T-Backe im Bereich der Olecranonschrauben wird mit einem Distraktor ausgestattet und die Distraktion begonnen. Die Distraktion muss langsam vonstatten gehen und sollte 10-15 Minuten in Anspruch nehmen. Die Standard-Distraktionsstrecke beträgt 15 mm. Eine neuerliche Distraktion über 15 mm wird durchgeführt. Auch hier ist eine Zeitdauer von zehn Minuten zum Erreichen der Distraktionslänge zu veranschlagen. Ein Röntgenbild hilft an dieser Stelle, die Seperation der Trochlea vom Olecranon zu verifizieren. Wird diese Öffnung des Gelenkes nicht erreicht, ist eine perkutante Durchtrennung der fibrosierten Kollateralbänder zu erwägen. Im Regelfalle ist dieses Vorgehen jedoch nicht notwendig. Es sollte vielmehr eine neuerliche Distraktion vorgenommen werden, um die Separation der Gelenkflächen zu erreichen.
#Applikation des Bewegungsfixateurs
Nach Durchführung der zweiten Distraktionsphase wird der Distraktionsfixateur entfernt und der humeroulnare Bewegungsfixateur nach Überprüfen der korrekten Ausrichtung des Zentrier-Kirschner-Drahtes erneut aufgesetzt. Die humerale Fixateurbacke wird als erstes festgezogen mit einem Abstand von ca. 2 cm zur Haut. Vor dem Festziehen der ulnaren Fixateurbacke muss sichergestellt werden, dass sich der Kirschner-Draht in der Zentraleinheit in der gewählten Position dieser Backe auf den ulnaren Fixateurpin nicht verbiegt. Anschließend wird die dreieckige Zentralschraube festgezogen und die Blockierschrauben der humeralen und ulnaren Fixateurschiene ebenfalls arretiert. Eine erneute Überprüfung des verwindungsfreien Sitzes des Zentrier-Kirschner-Drahtes wird nun vorgenommen, bevor die Kugelgelenke des Bewegungsfixateurs mittels der Nockenbolzenschrauben arretiert werden. Der Fixateur ist zu diesem Zeitpunkt mit den Spezialdistraktoren im Bereich der humeralen und ulnaren Schiene armiert. Der humerale Distraktor wird zuerst bedient, nachdem dieser auf die Zentraleinheit geführt und arretiert worden ist. Die Position des Distraktors sowie die Position der Zentraleinheit auf der humeralen Schiene sollte mit Hilfe eines Stiftes markiert werden. Vor Durchführung der dritten Distraktion des Gelenkes ist der Kirschner-Draht zu entfernen. Nach Öffnen der Arretierschraube der humeralen Schiene wird nun die Distraktion vorgenommen (12 mm). Eine ulnare Distraktion entlang der ulnaren Schiene ist dann nötig, wenn ein Impingement des Prozessus coronoideus oder eine dorsale Subluxation des Ellenbogengelenkes vorliegt.
#Durchführung der Gelenkmobilisation
Nach der neuerlichen Distraktion wird mit vorsichtigem Druck auf die Unterarmmitte und nicht über die Hand (Cave: Biegebelastung auf Höhe der ulnaren Fixateurpins) zunächst die Flexion verstärkt, anschließend die Extension. Die Distraktion des Gelenkes separiert die Gelenkflächen und schützt auf diese Weise den Gelenkknorpel, dennoch ist vor grober Kraftentfaltung zu warnen. Eine dosierte Verstärkung der Flexion ist intraoperativ auch mit Hilfe des in die Nockenbolzenschrauben einzuführenden Quengel-Kompressors möglich.
#Ergebnisse
In beiden Patientengruppen lagen vergleichbare präoperative Bewegungseinschränkungen (im Mittel 35° bei Patienten mit einem Zeitintervall <6 Monate und 40° bei Patienten mit einem Zeitintervall >6 Monate) und eine Anzahl von Voroperationen (im Mittel 4 Voroperationen bei Patienten mit einem Zeitintervall <6 Monate und 4,2 bei Patienten mit einem Zeitintervall >6 Monate) vor. Auch die Ausbildung von heterotopen Ossifikationen präoperativ nach der Klassifikation nach Ilahi war in beiden Gruppen annähernd gleich. Bei allen Patienten wurde eine intraoperative Neurolyse des N. ulnaris durchgeführt. Auch die Anzahl an zusätzlich zur Distraktionsarthrolyse durchgeführten operativen Eingriffe (Entfernung von heterotopem Knochen, Entfernung von Osteosynthesematerial und zusätzliche Operationen wie Korrekturosteotomien und oder Osteosynthesen bei Pseudarthrosen) war in beiden Gruppen annähernd gleich. Auch der Anteil an extrinsischen und intrinsischen Ursachen für die Gelenksteife war in beiden Gruppen ähnlich.
Patienten mit einem Zeitintervall kleiner 6 Monate zeigten also unabhängig vom Trauma und Voroperationen einen signifikant besseren mittleren Bewegungsumfang von im Mittel 110° (105-130°; p 0,01), eine höheren Morrey Score (Mittelwert 89, von 80-96; p 0,01) und eine höhere Patientenzufriedenheit (im Mittel 9 von 10 Punkten, p 0,01) als Patienten mit einem Zetintervall größer 6 Monate. Hier betrug die mittlere Gesamtbewegung 90° (85-115°), der Morrey Score erzielte im Mittel 80 Punkte (70-90 Punkte) und die Patientenzufriedenheit erreichte einen mittleren Punkwert von 7,5 Punkten. Die Auswertung der radiologischen Ergebnisse bei der letzten Nachuntersuchung zeigte bei gleichem mittleren Follow-up eine leichtgradige, nicht-signifikant höhere Arthroserate bei Patienten mit einem Δt von mehr als 6 Monaten.
#Besseres Langzeitergebnis
Die Analyse des Zeitintervalls wischen dem Unfallzeitpunkt und der Indexoperation (Neurolyse N. ulnaris, Gelenkdistraktion und Anlage des Bewegungsfixateurs) zeigt bei 105 konsekutiven Patienten mit posttraumatischer Ellenbogensteife ein klar besseres Langzeitergebnis in Bezug auf Bewegungsumfang, Morrey Score und Patientenzufriedenheit bei einem Behandlungsbeginn von bis zu einem halben Jahr nach dem Unfallereignis. Schlussfolgernd aus der Analyse einer bisher einzigartigen Patientendatenbank, die nach umfassender Evaluation der Ursache der Ellenbogensteife eine standardisierte und nicht veränderte operative Behandlungsstrategie bei der sehr komplexen und grundsätzlich mit wenig zufriedenstellenden Langzeitbehandlungsergebnis behafteten Pathologie einsetzt, lässt sich klar empfehlen, Patienten mit einer posttraumatischen Ellenbogensteife möglichst frühzeitig in einer Klinik mit entsprechender Expertise vorzustellen.
Literatur beim Verfasser
Dres. K. Mader, S. Kirchner und D. Pennig
Klinik für Unfallchirurgie/Orthopädie, Hand- und Wiederherstellungschirurgie,
St. Vinzenz-Hospital, Köln