Einleitung
Einleitung
Vor fast genau 100 Jahren, am 24. Juli 1906, wurde durch Clemens von Pirquet der Allergiebegriff
in der Münchner Medizinischen Wochenschrift inauguriert. Der Haut als unmittelbar
der Umwelt ausgesetztes, immunologisch aktives, größtes und am besten zugängliches
Organ des menschlichen Körpers, kommt bei allergologischen Fragestellungen und Testungen
eine besondere Rolle („Indikatorfunktion”) zu.
Heute gelten in Deutschland ca. 32 Millionen Menschen als allergisch belastet, davon
jedes 5. Kind. Eine adäquate Therapie erfolgt nur bei ca. 10 % der Patienten. Etwa
12 Millionen Menschen leiden an Heuschnupfen, 4 Millionen an einem Asthma bronchiale.
Die Hauptallergene sind Pollen, Milben, Tierhaare und Nahrungsmittel [1].
Das allergologische Labor und die damit verbundene Sprechstunde wurden im Zusammenhang
mit der Gründung des Immunologischen Zentrums in Assoziation mit der Hautklinik zur
Mitte der 1980er Jahre durch Herrn Prof. Dr. H.-D. Göring in erweitertem Umfang an
Diagnostik und Therapie gegründet und hat seither, dem raschen Erkenntnisgewinn auf
dem Gebiet der Immunologie Rechnung tragend, eine beständige Weiterentwicklung und
Erweiterung erfahren.
Im Rahmen der ambulanten und stationären Krankenversorgung werden Patienten aus dem
Einzugsgebiet des Städtischen Klinikums der Region Anhalt/Dessau, aber auch weit darüber
hinaus aus anderen Bundesländern behandelt. Für das Städtische Klinikum Dessau und
umliegende Krankenhäuser werden zahlreiche konsiliarische Leistungen bei entsprechenden
Fragestellungen erbracht.
Das betrifft im Einzelnen die Abklärung und Behandlung bei Allergien der Haut und
Schleimhäute, Inhalationsallergien, Medikamenten-, Nahrungsmittel-, Bienen- und Wespengiftallergien.
Einen breiten Raum nehmen auch die Abklärung von Urtikariafällen, Pseudoallergien
und Berufskrankheiten ein. Weiterhin werden Autoimmun- und Immundefekterkrankungen
der diagnostischen Klärung zugeführt und behandelt.
Das diagnostische Repertoire des allergologischen Labors umfasst Epikutan- ([Abb. 1]), Abrisstest-, Prick-, Scratch- ([Abb. 2]) und Intrakutantest, Photopatchtest, die Rhinomanometrie ([Abb. 3]) und Expositions- bzw. Provokationstestungen unter intensivmedizinischer Bereitschaft.
Die durchgeführten Untersuchungen zur Hautphysiologie beinhalten die Bestimmung der
Alkaliresistenz, des transepidermalen Wasserverlustes (TEWA-Meter, [Abb. 4]), des Lipidgehaltes der Haut (Sebu-Meter, [Abb. 5]) und den Nitrazingelbtest. Die Provokation mit physikalischen Reizen (Kälte, Wärme,
Druck, UV-Strahlung) und cholinergische Testungen liefern Aussagen über die individuelle
Empfindlichkeit und Veranlagung und lassen Rückschlüsse zur Auslösung bestimmter Erkrankungen
zu. Medizinische Begutachtungen erfolgen auf Anforderung von Berufsgenossenschaften,
Unfallkassen und Sozialgerichten. Ebenfalls in den Laboratorien unserer Klinik durchgeführt
werden sämtliche relevante In-vitro-Untersuchungen, z. B. Bestimmungen des Gesamt- und spez. IgE, spez. IgG, zellulärer
Antigenstimulationstest (CAST), Lymphozytentransformationstest (LTT), Auto-Antikörperdiagnostik.
Im Folgenden einige exemplarische Ausführung zu einigen, häufig vorkommenden Allergien
bzw. Pseudoallergien.
Abb. 1 Positiver Epikutantest auf Nickel und Duftstoffe.
Abb. 2 Positiver Scratchtest auf ein Antibiotikum.
Abb. 3 Rhinomanometrie.
Abb. 4 Messung des transepidermalen Wasserverlustes (TEWA-Meter).
Abb. 5 Messung des Lipidgehaltes (Sebu-Meter).
Bienen- und Wespengiftallergien
Bienen- und Wespengiftallergien
Jährlich ereignen sich in Deutschland ca. 10 - 20 Todesfälle durch Insektenstichreaktionen
bei vermutlich hoher Dunkelziffer, systemische Reaktionen treten bei bis zu 5 % der
Bevölkerung auf, gesteigerte Lokalreaktionen bei fast jedem 5. Menschen. Bedenkt man,
dass die Hyposensibilisierungstherapie mit Hymenopterengiften in über 90 % der Fälle
erfolgreich ist, unterstreicht dies die Wichtigkeit einer entsprechenden suffizienten
Diagnostik und Behandlung [2].
Neben den anamnestischen Angaben dienen der Prick- und Intrakutantest und die Bestimmung
des spez. IgE der Diagnosefindung, bedarfsweise auch unter Zuhilfenahme von zellulärem
Antigenstimulationstest und Immunoblot. Die Stichprovokation wird, auch zur Therapiekontrolle,
kontrovers beurteilt.
Nahrungsmittelbedingte allergische und pseudoallergische Reaktionen
Nahrungsmittelbedingte allergische und pseudoallergische Reaktionen
In der öffentlichen Wahrnehmung werden Nahrungsmittelunverträglichkeiten sehr häufig
in ihrem Vorkommen überschätzt (20 - 30 % bei Schätzungen in der Bevölkerung), so
dass der Allergiebegriff inzwischen inflationär gebraucht wird. Tatsächlich leiden
nach Angaben der Lebensmittelsicherheitsbehörde der EU ca. 1 - 3 % der Erwachsenen
und 4 - 6 % der Kinder an einer Lebensmittelallergie bzw. -intoleranz. Das zeigt auch
hier die Wichtigkeit einer entsprechend fundierten Diagnostik, um zum einen die wirklichen,
für den Patienten bedrohlichen Allergene zu identifizieren, zum anderen aber auch
Klarheit zu schaffen, was vertragen wird und so den vermeintlich Betroffenen unnötige
oder gar in Mangelzustände mündende Diäten zu ersparen [3].
Die Diagnostik umfasst auch hier die präzise Anamnese ([Abb. 6]), möglichst anhand eines Symptomtagebuches, Haut- und Provokationstestungen und
serologischen Untersuchungen.
Abb. 6 Algorithmus der Lebensmittelunverträglichkeit.
Während der Erwerb einer Allergie eine vorausgehende Sensibilisierungsphase erfordert
und die Symptome in der Regel nicht dosisabhängig sind, können pseudoallergische Reaktionen
([Tab. 1]) bereits beim Erstkontakt zu beobachten sein, dabei ist von einem Einfluss der Dosis
auszugehen.
Tab. 1 Häufigere Auslöser von Lebensmittelunverträglichkeiten
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Glutenhaltiges Getreide und -erzeugnisse (Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel, Kamut) |
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Krebstiere und -erzeugnisse |
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Eier und -erzeugnisse |
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Fisch und -erzeugnisse |
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Erdnüsse und -erzeugnisse |
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Soja und -erzeugnisse |
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Milch und -erzeugnisse inkl. Laktose |
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Schalenfrüchte und -erzeugnisse (Mandel, Haselnuss, Walnuss, Cashewnuss, Pecanuss, Paranuss, Pistazie)
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Sellerie und -erzeugnisse |
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Senf und -erzeugnisse |
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Sesamsamen und -erzeugnisse |
Kontaktallergien
Kontaktallergien
In der Allgemeinbevölkerung leiden zwischen 15 und 20 % (Frauen > Männer) im Laufe
ihres Lebens an einem Kontaktekzem, ca. 7 % sind jährlich betroffen. Der Erwerb einer
Sensibilisierung setzt einen vorangegangenen, mehr oder weniger langen und intensiven,
zunächst reaktionslosen Kontakt mit dem entsprechenden Stoff voraus. Insgesamt besitzen
Kontaktekzeme, auch durch die damit häufig verbundenen Berufskrankheiten eine große
sozioökonomische Bedeutung [4].
Zu den Hauptallergenen ([Tab. 2]) zählt Nickel (16,6 %), welches häufig bei jüngeren Menschen mit Kontakt zu Modeschmucks
und Piercing zu Sensibilisierungen führt, aber auch z. B. in Brillengestellen, Reißverschlüssen
vorkommt. Nicht allgemein bekannt ist, dass auch die perorale Nickelaufnahme mit der
Nahrung (z. B. Kakao, Schokolade, Sojabohnen, Haferflocken, Nüsse, Mandeln, Hülsenfrüchte,
nickelhaltige Kochgeschirre) bei einem Viertel aller Sensibilisierten zu Schüben ekzematöser
Hautveränderungen führen kann.
Tab. 2 Top 10 der Kontaktallergene
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Nickel (II)-sulfat |
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Duftstoff-Mix |
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Perubalsam
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Kobalt (II)-chlorid |
| Kaliumdichromat
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Kolophonium
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p-Phenylendiamin
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Quecksilber (II)-amidchlorid |
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Dibromdicyanobutan + 2-Phenoxyethanol
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Wollwachsalkohole
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An zweiter Stelle, mit über 1 Million Betroffenen in Deutschland, finden sich Duftstoffe
und -mischungen. Sie sind gleichzeitig auch Aromastoffe und werden in Kosmetika, aber
auch in Medikamenten, Reinigungsmitteln, technischen Flüssigkeiten und Lebensmitteln
eingesetzt. Heute kennt man etwa 30 000 Duftstoffe, wichtigste allergene Vertreter
sind Eichenmoos (30 % d. F.) und Isoeugenol (20 %). Vor allem in den 1990er Jahren
war es hierbei zu einem starken Anstieg gekommen.
Rang 3 nimmt der Duft- und Aromastoff Perubalsam ein, der auch in Medikamenten zur
äußeren Anwendung vorkommt. Ähnlich dem Nickel kann es auch hier durch die Aufnahme
über bestimmte Nahrungsmittel (z. B. Cola-Getränke, Vermouth, Fruchtgummis, Pralinen,
Lakritz, Marzipan) und Tabakrauchen zu allergischen Reaktionen kommen [5].
Für die Diagnostik steht dem allergologisch ausgebildeten Arzt mit dem Epikutantest
([Abb. 1]) („Läppchentest”, „Patch-Test”) ein geeignetes Instrument zur Verfügung, welches
eine Reproduzierbarkeit von 60 - 90 % hat.