Die Sepsis ist ein häufiges Krankheitsbild auf der Intensivstation und stellt derzeit
die Haupttodesursache auf nicht-kardiologischen Intensivstationen dar. Kürzlich wurden
die ersten Daten der „Deutschen Prävalenzstudie” veröffentlicht, die im Jahre 2003
durch das „Deutsche Kompetenz-Netzwerk Sepsis” (SepNet) durchgeführt wurde [1]. Es wurden 3877 Patienten auf 454 randomisiert ausgesuchten deutschen Intensivstationen
untersucht. 12,2 % der Patienten hatten eine Sepsis, weitere 10,7 % litten an einer
Sepsis mit Organkomplikationen, der schweren Sepsis und dem septischen Schock.
Die Letalität von Patienten mit schwerer Sepsis bzw. septischem Schock betrug auf
der Intensivstation 47 %, im Krankenhaus 54 % [1]. Angesichts dieser Zahlen erscheint es dringend geboten, evidenzbasierte Therapieansätze
konsequent in die klinische Praxis zu implementieren. Was zunächst banal klingt, ist
durchaus nicht selbstverständlich. Im Rahmen der SepNet-Prävalenzstudie zeigte sich
eine klaffende Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit, zwischen der Einschätzung der
Verantwortlichen der Intensivstationen, in welchem Maße konsentierte Therapiestandards
auf ihren Intensivstationen umgesetzt werden, und der Realität auf der Station am
Tage der Evaluation [2]. 91,6 % der verantwortlichen Intensivmediziner waren der Meinung, auf ihrer Intensivstation
würden Patienten mit akutem ALI/ARDS lungenprotektiv beatmet (TV: 6 ml/kg/korrigiertes
Körpergewicht). Dies war aber nur in 4,2 % der Patienten der Fall. 79 % der Intensivmediziner
gaben an, bei septischem Schock niedrig dosiertes Hydrokortison zu verwenden, aber
nur 30,6 % der Patienten mit septischem Schock erhielten das Medikament. Umgekehrt
wurde in 23 % der Patienten mit schwerer Sepsis eine Hydrokortison-Therapie durchgeführt,
ohne dass es dafür eine wissenschaftliche Evidenz gibt. Die beschriebene Diskrepanz
zwischen Einschätzung und Realität in der Anwendung evidenzbasierter Therapieansätze
ist keine auf die Sepsistherapie beschränkte Beobachtung. Eine Studie zur Behandlung
von Patienten mit Linksherzinsuffizienz nach Myokardinfarkt zeigte, dass weniger als
20 % der Patienten Angiotensin Converting Enzyme (ACE)-Inhibitoren erhielten, selbst
wenn die Patienten an einem Krankenhaus behandelt wurden, das an der SAVE-Studie (Survival and Ventricular Enlargment Trial) teilgenommen hatte, die Vorteile der Therapie mit ACE-Inhibitor hinsichtlich Überleben
und Ventrikelgröße in diesem Patientenkollektiv ergeben hatte [3]. Cook und Kollegen analysierten, warum Empfehlungen zur Prävention beatmungsassoziierter
Pneumonien in der Intensivmedizin nicht umgesetzt wurden [4]. Als Gründe wurden u. a. eine mangelnde Übereinstimmung mit der Interpretation klinischer
Studien, unzureichende Ressourcen, die Annahme, die Maßnahmen könnten Nebenwirkungen
haben, und Kosten spezifischer Interventionen angeführt. Sicher sind sowohl eine kontinuierliche
Fortbildung wie auch schriftlich fixierte Verfahrensanweisungen notwendig bei dem
Versuch, die Therapie zu standardisieren, aber eben nicht hinreichend. In der Industrie
ist seit Jahrzehnten der von William E. Deming, dem US-amerikanischen Pionier der
Qualitätssicherung, entwickelte Plan-Do-Check-Act-Zyklus (PTCA-Zyklus) ein häufig
eingesetztes Instrument zum Erreichen der Anforderungen des Qualitätsmanagements.
Die Schritte „Check”, die Überprüfung des Erreichten, und „Act”, worunter man die
Konsequenzen im weitesten Sinne verstehen kann, die aus dem Ergebnis der Qualitätsprüfung
gezogen werden, sind „conditiones sine qua non” in einem Verbesserungsprozess. Das
vielfach bewährte PTCA-Konzept liegt nun einem internationalen Projekt der Surviving
Sepsis Campaign zugrunde, mit dem die Prognose von Patienten mit Sepsis verbessert
werden soll.
Die Surviving Sepsis Campaign wurde 2002 als Kooperationsprojekt der European Society
of Intensive Care Medicine, des International Sepsis Forum und der Society of Critical
Care Medicine ins Leben gerufen. Man hatte sich zusammengefunden, um sich gemeinsam
den Herausforderungen der Sepsis zu stellen, auf nationaler und internationaler Ebene
ein stärkeres Bewusstsein für dieses Krankheitsbild zu schaffen und gemeinsame Strategien
für die Diagnose und Therapie der Sepsis voranzubringen.
Das ehrgeizige Ziel der Surviving Sepsis Campaign ist, die Letalität von Patienten
mit Sepsis innerhalb von fünf Jahren um 25 % zu reduzieren. Als vordringlichste Aufgabe
wird dabei angesehen, das Verhalten der Therapeuten dahingehend zu fördern, dass das
Krankheitsbild noch schneller identifiziert wird und zuvor konsentierte Therapiealgorithmen
zuverlässig und zeitnah umgesetzt werden. In der „Deklaration von Barcelona” wurden
diese Ziele in 2002 verabschiedet.
Es wurden evidenzbasierte Empfehlungen für die Diagnose und Behandlung der Sepsis,
die „Surviving Sepsis Campaign Guidelines for the Management of Severe Sepsis and
Septic Shock” im Frühjahr 2004 publiziert [5]. Mittlerweile war es gelungen, 11 medizinische Gesellschaften, deren Mitglieder
an der Behandlung septischer Patienten beteiligt sind, für die gemeinsame Anstrengung
zu gewinnen. Auch die Deutsche Sepsis-Gesellschaft hat in Zusammenarbeit mit der Deutschen
Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) Leitlinien
für die Diagnostik und Therapie der Sepsis publiziert [6], die als Weiterentwicklung der Surviving Sepsis Campaign Guidelines anzusehen sind.
Für die Surviving Sepsis Campaign dürfte aktuell der schwierigste Teil des Vorhabens,
die Letalität der Sepsis zu reduzieren, begonnen haben; nämlich die Implementierung
der konsentierten Empfehlungen in die tägliche Praxis und die Evaluation der Umsetzung.
Hierbei sollen empfehlungsbasierte, so genannte Severe Sepsis Bundles in die Behandlung der Patienten integriert und die Güte der Umsetzung täglich durch
die Therapeuten selbst evaluiert werden. Bei den Severe Sepsis Bundles handelt es
sich um zwei Bündel spezifischer Maßnahmen zur Diagnostik und Therapie der Sepsis,
das Sepsis Resuscitation Bundle und das Sepsis Management Bundle. Diese Maßnahmen beruhen auf den Surviving Sepsis Campaign Guidelines, werden aber, insbesondere im Hinblick z. B. auf die Gabe von Medikamenten wie dem
aktivierten Protein C, an die Gepflogenheiten eines individuellen Krankenhauses angepasst.
Das Sepsis Resuscitation Bundle beinhaltet Maßnahmen, deren Umsetzung innerhalb von sechs Stunden bewertet wird.
Dazu zählen die Bestimmung des Serumlaktatspiegels und eine frühzeitige zielgerichtete
Herzkreislauftherapie in Anlehnung an die Vorgaben der vielzitierten Rivers-Studie
[7], aber auch die Abnahme von Blutkulturen und der sich anschließende Beginn einer
kalkulierten Breitbandantibiose innerhalb von einer Stunde nach Diagnose der Sepsis.
Die Umsetzung der an den Standards des Krankenhauses orientierten Vorgaben im Sepsis Management Bundle, zu denen die niedrigdosierte Hydrokortisontherapie, die Gabe von aktiviertem Drotregogin
alpha, die Einstellung des Blutglukosespiegels und die Begrenzung des Plateaudruckes
bei beatmeten Patienten gehören, wird nach 24 Stunden bewertet. Die Bewertung und
Selbstkontrolle erfolgt anhand eines Computerprogramms, über das die Daten auch anonymisiert
in eine internationale Datenbank übermittelt werden. Dies ermöglicht dem Intensivteam,
regelmäßig die Qualität der eigenen Arbeit mit der aller übrigen teilnehmenden Zentren
zu vergleichen. Möge dieses Projekt, das die Selbstkontrolle der Qualität auf unseren
Intensivstationen fördern wird, Schule machen und die Wirklichkeit dem Wunsch, unseren
Patienten die bestmögliche Therapie zukommen zu lassen, ein Stück näher bringen. Wir
wünschen dem Projekt viel Erfolg.