Die Veröffentlichung der ersten ARDS Network Study im Jahre 2000 eröffnete ein neues
Zeitalter klinischer Studien für diese schwere Erkrankung. Damit verbunden war die
Hoffnung, die optimale Beatmungseinstellung herauszufinden und so eine Reduktion von
Morbidität, Letalität und der bei ARDS enormen Kosten der Behandlung zu erreichen.
6 Jahre später ist eine gewisse Ernüchterung eingetreten, weil sich viele Dinge als
komplizierter als erwartet gezeigt haben und die Fortschritte gerade im Hinblick auf
ein verbessertes Überleben der Patienten nur gering sind.
Die ARDS Network Study konnte überzeugend belegen, dass eine als „protektive Beatmung”
bezeichnete Strategie mit einem niedrigen Atemzugvolumen von 6 ml/kg Körpergewicht
im Vergleich zu einer klassischen Strategie mit 12 mg/kg Körpergewicht zu einem verbesserten
Überleben von Patienten beiträgt. Dies wurde inzwischen in anderen Studien bestätigt.
Pathophysiologisch lassen sich dafür viele Gründe finden. So führt die Überdehnung
von Alveolen zu einer strukturellen Schädigung verschiedener für die Funktion der
Lunge wichtigen Zellpopulationen wie beispielsweise der Surfactant produzierenden
Alveolarzellen Typ II oder der Epithelzellen. Die Dehnung von Geweben induziert eine
sowohl pro- als auch antiinflammatorisch überschießende Antwort, die sowohl zur Schädigung
pulmonaler Strukturen beiträgt als auch eine wesentliche Rolle für die Entwicklung
des Multiorganversagens trägt. Reduktion der Scherkräfte und Überdehnungsvorgänge
trägt sowohl mechanisch wie biochemisch zu einer Verringerung der pulmonalen Schädigung
bei und verbessert die Prognose der Patienten.
Die protektive Beatmung wurde daher in praktisch allen intensivmedizinischen Leitlinien
verankert und auf unzähligen Kongressen vorgestellt und verfestigt. Nichtsdestotrotz
zeigte die Prävalenzstudie des Kompetenznetzwerks Sepsis, dass weniger als 10 % der
Patienten leitliniengerecht beatmet werden, obwohl den Behandlern die Richtlinien
bestens bekannt waren. Ähnlich schlechte Ergebnisse aus USA wurden damit begründet,
dass die Diagnose des akuten Lungenversagens und des ARDS häufig zu spät gestellt
und die protektive Strategie alleine für die am schwersten kranken Patienten reserviert
wird.
Daneben dürfte jedoch eine Rolle spielen, dass viele Fragen der Beatmungseinstellung
weitgehend ungeklärt sind. So konnten die genannten Studien zwar zeigen, dass 6 ml/kg
Körpergewicht zu besseren Ergebnissen führt als hohe Atemzugvolumina. Ungeklärt blieb
jedoch, ob eine weitere Erniedrigung des Zugvolumens und des Plateau-Drucks nicht
zu einer weiteren Verbesserung der Prognose der Patienten beitragen kann. Eine neuere
Studie zeigt, dass in komplett dys- bis atelektatischen Lungenbezirken bereits kleine
Atemzugvolumen ausreichen, um eine nennenswerte Hyperventilation zu erreichen. Andererseits
tragen zu kleine Atemzugvolumen zu einer erheblichen Hyperkapnie bei, die aufgrund
ihrer Einflüsse auf die Hämodynamik - vor allem im cerebrovaskulären Bereich - als
durchaus problematisch angesehen wird. Möglicherweise ermöglicht der Einsatz des extrakorporalen
Lung Assist (ECLA) mit seiner hohen CO2-Eliminationspotenz in Zukunft niedrigere Atemzugvolumen bei vertretbaren pO2-Werten, erste Fallberichte für verschiedene Indikationen deuten daraufhin. In ähnlicher
Weise reduziert auch die Hochfrequenzventilation die Atemzugvolumina und damit den
potentiellen Lungenschaden. Kontrollierte Studien fehlen jedoch für beide Verfahren.
Während in der Frage des richtigen Atemzugvolumens zumindest tendenziell Einigung
herrscht, ist die Frage des richtigen endexspiratorischen Drucks (PEEP) zur Vermeidung
von erneutem Alveolarkollaps in der Exspirationsphase gänzlich ungeklärt. Etabliert
hatte sich in den letzten Jahren das in der ARDS Network Study verwendete Protokoll
zur Einstellung des PEEP in Abhängigkeit von Atemzugvolumen und Oxigenierung des Patienten.
Überraschend war allerdings, dass das mittlere PEEP-Niveau in allen Studien, die mit
diesem Protokoll arbeiteten, deutlich unter 10 cm H2O lag, auch wenn es sich um sehr schwere kranke Patienten mit hoher Letalität handelte.
Eine weitere Networkstudie zur Ermittlung des optimalen PEEP-Niveaus konnte allerdings
durch Einsatz höherer PEEP-Werte keine Verbesserung der Prognose von ARDS-Patienten
erreichen. Auch der Versuch, mit hohen in- und exspiratorischen Drücken über kurze
Zeiträume eine Eröffnung der Alveolen und damit eine Rekrutierung von Gasaustauschfläche
zu erreichen, erbrachte keine wirklichen Vorteile. Eine gerade von L. Gattinoni im
New Engl J Med veröffentlichte Studie bietet eine interessante Erklärung für die kontroversen
Ergebnisse verschiedener Studien im Hinblick auf PEEP an. Er konnte zeigen, dass sich
die Möglichkeit der Alveolenrekrutierung von ARDS- Patient zu ARDS-Patient, ja sogar
zwischen verschiedenen Arealen einer Lunge dramatisch unterscheidet. Überraschenderweise
ist jedoch das Überleben nicht besser, wenn viele gut rekrutierbare Areale vorhanden
sind, im Gegenteil sind langfristig gesehen die Patienten im Vorteil, bei denen eine
Rekrutierung nicht sofort gelingt. Wahrscheinlich sind die schlecht rekrutierten Areale
vor Überblähung und damit struktureller Schädigung geschützt und erholen sich bei
einer Besserung der Gesamtsituation des Patienten vollständiger. Die alte Prämisse,
dass eine Rekrutierung um jeden Preis, eine schnelle Verbesserung der Oxigenierungssituation
des Patienten also das Primärziel der Beatmungstherapie seien, muss damit erheblich
in Frage gestellt werden.
Für die Zukunft ergeben sich damit vollkommen neue Konzepte der Beatmungstherapie
von ARDS-Patienten. Natürlich muss ein Gasaustausch in der Weise garantiert werden,
dass es mit dem Leben vereinbar ist. Oberstes Ziel der Beatmungstherapie muss dabei
jedoch die Reduktion des beatmungsbedingten Lungenschadens und seiner Konsequenzen
für den Gesamtorganismus. Ein generelles Konzept zur Erreichung dieses Ziels steht
im Moment nicht zur Verfügung. In Studien eingesetzte diagnostische Möglichkeiten
(CT unter verschiedenen Beatmungsmanövern bei Gattinoni) ist in der Praxis nicht durchführbar.
Die Umsetzung des wenigen Etablierten (niedriges Atemzugvolumen) und die genaue Beobachtung
und daran orientiert individuelle Einstellung der Beatmungsparameter rückt wieder
in den Vordergrund. Dafür braucht es erfahrene Behandler und gute klinische und pathophysiologische
Grundkenntnisse. Beatmung wird damit vielleicht wieder mehr Kunst und nicht bis ins
letzte abgesicherte wissenschaftliche Evidenz. Beatmung braucht damit auch den erfahrenen
Arzt und ist für Checklistenmedizin denkbar ungeeignet.
Das ist vielleicht nicht die schlechteste Botschaft der derzeitigen Debatte.