Vorgeschichte
Die ärztliche Selbstverwaltung wurde im Jahr 2002 gemeinsam mit den Kassen beauftragt, das Gesetz zum Deutschen Mammografie-Screening umzusetzen. Die Umsetzung gestaltete sich schwierig, da den Besonderheiten des Deutschen Gesundheitssystems (Trennung ambulanter und stationärer Versorgung) Rechnung getragen werden sollte. Während andere europäische Länder wie die skandinavischen Länder, England und die Niederlande - in denen seit Jahrzehnten nationale Screening-Programme implementiert sind - ein "zentrales Screening" verfolgen [9]-[16], war dies in Deutschland nicht umzusetzen. Zentrales Screening bedeutet, dass landesweit nur an wenigen Einrichtungen Screening-Mammografien interpretiert werden. Um eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen, werden bei diesem Modell die Mammografie-Geräte in entsprechend eingerichtete Busse eingebaut ("Mamma-Mobile"), die über Land fahren; die in der Peripherie erhobenen Bilddaten werden dann an die zentrale Stelle versendet und dort durch hochspezialisierte Radiologen interpretiert. Vorteil dieser Verfahrensweise ist, dass nur an wenigen Orten eine extrem hohe Expertise vorgehalten werden muss, was die Qualitätssicherung erheblich vereinfacht. Darüber hinaus wird schon über die an den Zentren eingehende große Menge an Mammografie-Aufnahmen die für die sachgerechte Interpretation notwendige Expertise sichergestellt.
Dieses zentralisierte Modell konnte in Deutschland nicht umgesetzt werden, weil - anders als in anderen europäischen Ländern, in denen Radiologen ausschließlich in Krankenhäusern arbeiten - Radiologen in Deutschland auch in Niederlassung tätig sind. Da der Versorgungsauftrag für nichtstationäre Patienten (zu denen die Screening-Teilnehmer gerechnet werden) ausschließlich bei niedergelassenen Vertragsärzten liegt, wurde die Organisationsstruktur des deutschen Mammografie-Screenings im wesentlichen von niedergelassenen Ärzten und Vertretern der Krankenkassen geprägt. Die Deutsche Röntgengesellschaft wurde bei der Konzipierung nicht involviert.
Vorgestellt wurde seitens der "Kooperationsgemeinschaft Mammografie-Screening" schließlich das nun anlaufende "dezentrale Modell", das ein flächendeckendes Mammografie-Screening durch die gleichmäßige Beteiligung fast ausschließlich niedergelassener Radiologen vorsieht.
Kritikpunkte
Aufgrund der genannten Maßnahmen zur Qualitätssicherung ist zu erwarten, dass die mammografische Brustkrebs-Früherkennung in Deutschland im Rahmen des Screening-Programms auf höchstem Niveau betrieben werden wird. Wenn sich ausreichend Frauen zu einer Teilnahme bewegen lassen, sind alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung gegeben. Dennoch bestehen einzelne, aber wesentliche Kritikpunkte. Diese sollten nicht als Kritik am Programm als Ganzem aufgefasst werden, sondern beziehen sich auf einige wesentliche Sachverhalte.
Medizinische Kritikpunkte
In vielen europäischen Ländern wie auch den USA sind Screening-Programme seit vielen Jahren implementiert. Das Konzept der Früherkennung mittels Mammografie ist mittlerweile über 40 Jahre alt - und wurde inhaltlich im wesentlichen unverändert übernommen [9]-[16]. Die Innovationen beim deutschen Screening-Programm beschränkten sich auf strukturelle Aspekte, die notwendig wurden, um das Programm an das föderale deutsche Gesundheitssystem anzupassen. Durch die langjährige wissenschaftliche Begleitung der verschiedenen ausländischen Screening-Programme sind unsere Kenntnisse über Vor- und Nachteile der mammografischen Früherkennung und die tumorbiologische Heterogenität der Mammakarzinome erheblich gewachsen. Diese Erkenntnisse konnten bei der Konzipierung des deutschen Screening-Programms aber offenbar im wesentlichen nicht berücksichtigt werden [17], [18].
1. medizinischer Kritikpunkt
Massen-Screening-Programme haben zum Ziel, präventive Maßnahmen einer breiten Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Es steht außer Frage, dass ausschließlich solche Methoden angeboten werden dürfen, deren Effizienz wissenschaftlich belegt ist. Akzeptiert man als "Effizienzbeweis" ausschließlich Daten aus prospektiven randomisierten klinischen Studien, so liegt dieser Effizienz-Beweis bislang nur für die Mammografie vor; entsprechend wird im deutschen Screening ausschließlich die Mammografie angeboten. Andere, in den vergangenen 40 Jahren entwickelte Untersuchungsverfahren (Ultraschall, Magnetresonanztomografie - MRT) haben zwar längst Eingang in die klinische Praxis gefunden - prospektive randomisierte Studien fehlen jedoch. Aus verschiedenen Gründen ist auch nicht zu erwarten, dass solche Studien für Ultraschall und MRT jemals noch durchgeführt werden, und selbst wenn sie jetzt sofort vorangetrieben würden, wären nutzbare Ergebnisse erst in ferner Zukunft verfügbar. Mithin wird der Ultraschall im Screening-Programm derzeit nicht angeboten.
Es ist allerdings bereits jetzt hinlänglich belegt, dass mit der Mammografie allein nicht bei allen Frauen befriedigende Ergebnisse erzielbar sind. Bei Frauen mit noch teilweise oder komplett erhaltenem Drüsengewebe, bei Frauen vor der Menopause und bei jüngeren Frauen vor dem 50. Lebensjahr ist die Detektionsrate (Sensitivität) der Mammografie teils erheblich reduziert [19]-[21]; aktuelle Daten belegen eine Sensitivität von unter 40% - deutlich niedriger als bislang vermutet. Daten aus dem europäischen Ausland zeigen übereinstimmend, dass auch bei qualitätsgesichertem Mammografie-Screening in der Altersklasse von 50 bis 69 Jahren immerhin 25-36% aller Karzinome als sogenannte "Intervallkarzinome" zwischen 2 Screening-Runden per Tastbefund auffällig werden [22]-[22]
[1]. Die Mam-mografie hat also Schwächen, die weder durch eine Schulung der interpretierenden Radiologen noch durch qualitätssichernde Maßnahmen auszugleichen sind. Dies wird den am Screening teilnehmenden Frauen allerdings nicht klar kommuniziert[2].
Es kann als gesichert gelten, dass einige verfahrensinhärente Limitationen der Mammografie durch eine ergänzende Sonografie ausgeglichen werden können: Die Sonografie ist zur Mammografie komplementär; sie ist da besonders leistungsstark, wo die Mammografie Schwierigkeiten hat: bei Frauen mit eher dichtem Drüsengewebe [28]-[36]. Entsprechend galt der Ultraschall in Deutschland bislang als integraler Bestandteil der Brustkrebs-Früherkennung, speziell bei Frauen mit dichtem Drüsengewebe. Diese Praxis wird im nun anlaufenden Screening-Programm aufgegeben. Es ist unumstritten, dass hinsichtlich der Qualitätssicherung der sonografischen Früherkennung Klärungsbedarf besteht, und dass Daten aus prospektiven randomisierten Studien fehlen. Dies darf u.E. aber nicht dazu führen, dass dieses im Einzelfall sehr wertvolle Werkzeug zur Brustkrebsdiagnostik nun nicht mehr angeboten wird. Die derzeit bereits erhältlichen Daten belegen, dass die hohen Ansprüche, die zu Recht an die Brustkrebs-Früherkennung gestellt werden, nur dann erfüllt werden können, wenn die Mammografie erforderlichenfalls mit einem sach- und fachgerecht durchgeführten Ultraschall kombiniert wird. In seiner aktuellen, sehr ausgewogenen Übersicht zur Situation der Screening-Mammografie in Deutschland schreibt Bick hierzu: "...So wird es einer Frau, die ab dem 40. Lebensjahr jährlich zur kurativen Mammografie einschließlich klinischer Untersuchung, ergänzender Sonografie und Sofortbefund gegangen ist, sehr schwierig zu erklären sein, warum sie ab dem 50. Lebensjahr nur noch alle 2 Jahre zu einer Screening-Mammografie ohne Arztkontakt gehen soll." [37].
Zusammenfassend wird das Massen-Screening zwar dafür sorgen, dass eine breitere Bevölkerung an qualitätsgesicherten Früherkennungsmaßnahmen partizipiert - die Versorgungsqualität der einzelnen Teilnehmerin wird aber im Vergleich zur vorher üblichen Praxis möglicherweise verschlechtert.
2. medizinischer Kritikpunkt
Nach aktuellem Kenntnisstand ist es nicht sinnvoll, ein und dieselbe Präventionsmaßnahme für die gesamte Bevölkerung anzubieten. Vielmehr sollte eine Anpassung der Früherkennungsmaßnahmen an das persönliche Erkrankungsrisiko bzw. individuelle Risikokonstellation erfolgen [19]-[22], [25], [31], [38]-[47]. So benötigen z.B. Frauen mit ausgeprägter familiärer Disposition und Frauen mit bekanntem dichtem Drüsengewebe (ACR III und IV) andere (kürzere) Untersuchungsintervalle, einen früheren Beginn des Screenings sowie weiterführende Maßnahmen (Ultraschall, MRT). Es wäre wichtig, die Öffentlichkeit und die eingeladenen Teilnehmerinnen über diesen Sachverhalt adäquat aufzuklären.
3. medizinischer Kritikpunkt
Mit dem Screening nimmt der Anteil invasiver Frühkarzinome und Vorstufen von Brustkrebs (intraduktale Neoplasien, Ductales Carcinoma in Situ - DCIS) erheblich zu, ohne dass im langjährigen Verlauf eine entsprechende Abnahme von fortgeschrittenen Stadien zu verzeichnen wäre. Dies lässt keinen anderen Schluss zu als den, dass einige dieser Frühkarzinome bzw. Vorstufen biologisch inert bzw. prognostisch irrelevant sind insofern, als sie nie zu Symptomen bzw. zum Tode geführt hätten. Die Diagnostik dieser Vorstadien wird als "Über-Diagnose" bezeichnet, die Therapie solcher Erkrankungen analog als "Über-Therapie" [48]-[55]. "Über-Diagnostik" lässt sich mit den derzeit verfügbaren diagnostischen Mitteln nicht vermeiden, da biologisch inerte Erkrankungsformen von tatsächlich prognostisch relevanten und damit therapiepflichtigen Erkrankungen mangels prädiktiver Faktoren nicht unterschieden werden können. Die Einführung des Mammografie-Screenings hätte die Möglichkeit geboten, geeignete Kandidaten-Techniken zur Prognose-Stratifizierung systematisch zu ermitteln, um uns in die Lage zu versetzen, die klar vorhersehbaren Probleme ("Über-Diagnose, Über-Therapie") zu vermeiden.
Strukturelle Kritikpunkte
Die strikte Trennung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ist ein Spezifikum des bundesdeutschen Gesundheitssystems, das in dieser konsequenten Ausprägung in anderen europäischen wie außereuropäischen Ländern nicht vorzufinden ist. Zwar verfolgt das Gesundheitsreformgesetz das Ziel, diese Trennung zumindest teilweise aufzuweichen. Auf dem Sektor der Brustkrebsdiagnostik und -therapie wird diese Trennung durch die Einführung des Mammografie-Screenings aber eher noch konsolidiert. Mit dem international einzigartigen Konzept, die Früherkennung allein im niedergelassenen Bereich anzusiedeln (und hier teils neu zu etablieren), werden sich in Deutschland für die klinische Versorgung der Brustkrebspatientin wie auch für die ärztliche Ausbildung, für Wissenschaft und Forschung besondere Probleme ergeben, die so in anderen Ländern nicht existieren:
1. struktureller Kritikpunkt
In den letzten Jahren sind in Deutschland unter erheblichem Organisations- und Kostenaufwand verschiedene Programme zur Verbesserung der klinischen Versorgung von Frauen mit fraglichem oder diagnostiziertem Brustkrebs etabliert worden. Hierzu gehört das DMP (Disease Management Programm) sowie die Zertifizierung der sogenannten "Brustzentren" nach den Europäischen Leitlinien. Die Zertifizierung von Brustzentren verfolgt das Ziel, eine multidisziplinäre, kooperative Versorgung von Brustpatienten "unter einem Dach" zu ermöglichen und damit einen unmittelbaren, direkten Austausch der verschiedenen involvierten Fachdisziplinen zu fördern. Es ist außerordentlich ungünstig, dass das Screening-Programm nicht in diese bestehenden Strukturen integriert wurde, sondern de facto eine Parallelwelt etabliert [56].
Die Zertifizierung von Brustzentren nach den Europäischen Leitlinien ist daran gekoppelt, dass sogenannte Kernleistungen im Brustzentrum erfolgen. Hierzu gehört 1. die qualitätsgesicherte Screening-Mammografie (mit denselben Zahlvorgaben, die auch im Screening verwendet werden, d.h. 5 000 per anno), 2. die multidisziplinäre Abklärungsdiagnostik ("Assessment", d.h. Anfertigung von Zusatz- und Spezialaufnahmen, die Sonografie sowie sonografisch und mammografisch gesteuerte Biopsien) sowie 3. eine Mindestzahl von Operationen am Mammakarzinom. Wenn die Frauen nun in separat eingerichteten, peripheren Screening-Einrichtungen untersucht und ggf. dort dem "Assessment" zugeführt werden, so werden diese Leistungen den Brustzentren entzogen. Früherkennung wie auch "Assessment" werden jedoch - wie die Pathologie - aus gutem Grund gemäß der EU-Leittlinien als nichtauslagerbare Kernleistung eines Brustzentrums angesehen. Für die multidisziplinäre Versorgung der Brustpatientin ist eine hohe Expertise im diagnostischen Bereich erforderlich. Diese Expertise kann nicht entwickelt bzw. gehalten werden, wenn die Mammografie und die radiologische Diagnostik aus den Brustzentren ausgegliedert wird. Für das "Assessment" gilt, dass z.B. die Stanzbiopsie bislang im wesentlichen in den Ambulanzen der Brustzentren erfolgte, da sie im niedergelassenen Bereich gar nicht angeboten wurde. Nun werden diese in Krankenhäusern und Kliniken über Jahre gewachsenen Strukturen zerschlagen und andernorts (im niedergelassenen Bereich) neu etabliert. Dies ist nicht nur kostenträchtig, sondern auch medizinisch problematisch, denn neben der - rein technischen - Fertigkeit der Stanzbiopsie[3] ist für die sachgerechte Interpretation der Ergebnisse eine sehr enge Zusammenarbeit von Radiologen, Pathologen und Gynäkologen erforderlich. Eine solche Zusammenarbeit ist in den multidisziplinären Brustzentren längst etabliert, während sie im niedergelassenen Bereich in den seltensten Fällen anzutreffen ist.
Aufgrund der Auslagerung der Screening-Mammografie und der Abklärungsdiagnostik (Assessment) wird ein Großteil der derzeitigen Brustzentren geschlossen werden müssen, da sie die genannten Kernleistungen nicht mehr in einer zur Re-Zertifizierung ausreichenden Zahl durchführen. Verliert nun eine Einrichtung den Status als "Brustzentrum", so wird dieser Standort künftig die gesamte Betreuung von Brustpatientinnen (nicht nur auf dem radiologischen, sondern auch auf dem operativ-gynäkologischen, onkologischen, pathologischen, nuklearmedizinischen und strahlentherapeutischen Sektor) aufgeben müssen.
2. struktureller Kritikpunkt
Aus den o.g. Gründen wird das Screening-Programm kurz- oder langfristig zu einer Reduktion der Zahl der Brustzentren führen. Zu erwarten ist, dass die Zahl der Brustzentren auf die Zahl der Screening-Einheiten eingeschmolzen wird (d.h. etwa 100 Brustzentren). Diese Konzentration der Versorgung von Brustkrebs-Patientinnen wäre vertretbar oder sogar wünschenswert, wenn sie denn die wirklich besten Einrichtungen zusammenfassen würde. Es ist aber bislang nicht festgelegt, nach welchen Kriterien die "überlebenden" Brustzentren selektiert werden. Dies darf nicht allein dem Zufall bzw. den möglichen Präferenzen des programmverantwortlichen Arztes überlassen werden.
Das Screening wird vornehmlich durch radiologische Großpraxen angeboten, da die erforderlichen baulichen und personellen Investitionen erheblich sind und von kleineren Praxen nicht aufgebracht werden können. Da speziell die Großpraxen Assoziationen mit kleineren Krankenhäusern pflegen, d.h. Untersuchungsgeräte dort vorhalten, liegt nahe, dass die Patientinnen künftig vorzugsweise in die Brustzentren der mit Großpraxen kooperierenden, kleineren Krankenhäuser überwiesen werden.
Gerade die Universitätskliniken verfügen traditionell über eigene leistungsfähige Radiologische Abteilungen, sodass sich die Notwendigkeit einer Assoziation mit Praxen in der Vergangenheit kaum ergeben hat. Es besteht mithin die Möglichkeit, dass gerade die universitären Brustzentren zukünftig nicht mehr rezertifiziert werden. Durch die mögliche Monopolisierung der Zuweisung von Brustpatientinnen über den PVA kann sich somit eine Selektion von Brustzentren ergeben, die nicht immer medizinisch-inhaltlichen, sondern möglicherweise auch "sekundären" Gesichtspunkten folgt.
Werden die universitären Brustzentren nicht rezertifiziert, so kann dies in letzter Konsequenz bedeuten, dass an Universitätskliniken und Krankenhäusern nicht nur die radiologische Diagnostik, sondern die gesamte gynäkologische, strahlentherapeutische und onkologische Betreuung der Brustkrebspatientin ausgegliedert wird - was die entsprechenden Probleme für Fort- und Weiterbildung sowie die Forschung (s.u.) fächerübergreifend werden lässt.
3. struktureller Kritikpunkt
Da die Klinik- und Krankenhausradiologen den bei weitem überwiegenden bzw. ausschließlichen Anteil an Fort- und Weiterbildungsleistungen tragen, hat die Ausgliederung der Mammadiagnostik wesentliche Folgen für die Fort- und Weiterbildung. Die Screening-Praxen werden aufgrund ihrer Organisations- und Personalstruktur nicht in der Lage sein, die Weiterbildung zu gewährleisten. In den Kliniken wird es nach dem nächsten Generationswechsel kaum noch die Kompetenz geben, die erforderlich ist, um die volle Weiterbildung zum Facharzt für Radiologie anzubieten. Werden die Brustzentren nicht rezertifiziert, so wird sich das Ausbildungsproblem auch für die anderen Fächer (Gynäkologie, Pathologie, Strahlentherapie) ergeben.
4. struktureller Kritikpunkt
Die wissenschaftliche Weiterentwicklung der Mammadiagnostik wird ausschließlich durch Universitätskliniken und Radiologischen Abteilungen an größeren Krankenhäusern vorangetrieben. Wenn gerade die Universitätskliniken von der Patientenversorgung abgeschnitten werden, kann keine klinische Forschung mehr stattfinden. In den letzten 20 Jahren sind wesentliche Impulse zur Weiterentwicklung der Mammadiagnostik (sowohl hinsichtlich der Mammografie, der Sonografie, der Magnet-Resonanz-Tomografie sowie die Entwicklung der minimal-invasiven Verfahren wie der Vakuum-Biopsie) aus Deutschen Universitäten gekommen - dies wird zukünftig nicht mehr erfolgen. Der Verlust der internationalen wissenschaftlichen Reputation auf dem Gebiet der Mammadiagnostik ist die Folge. Dies ist insbesondere deswegen bedauerlich, weil mit dem Anlaufen des Mammografie-Screening-Programms der Bedarf an weiterführenden diagnostischen Methoden steigen wird. Die oben dargelegten Schwächen der Mammografie und die Schwierigkeiten bzw. Risiken der Screening-Mammografie insgesamt zeigen, dass wesentliche Fragen zu Struktur, Umfang und Individualisierung von Früherkennungsmaßnahmen unbeantwortet sind. Eine wissenschaftliche Begleitung, die über die rein Screening-assoziierte (epidemiologische) Datenerfassung hinausgeht, wäre dringend wünschenswert.
Fazit
Aus fachlich-medizinischer Sicht sind Maßnahmen notwendig bzw. sinnvoll, um etwaige Nachteile abzuwenden, die das Mammografie-Screening-Programm für die medizinische Versorgung der Frauen sowie für Wissenschaft, Forschung und Lehre haben kann. Diese Maßnahmen sollten das anlaufende Screening-Programm nicht konterkarieren, sondern dürften sich zwanglos in das bestehende Konzept einbinden lassen:
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Aufklärung der Screening-Teilnehmerinnen über die tatsächliche Leistungsfähigkeit und die bekannten Schwächen der alleinigen Screening-Mammografie sowie Aufklärung über medizinisch sinnvolle Ergänzungsmaßnahmen. Diese Aufklärung hat mit der gebotenen Sorgfalt und Zurückhaltung zu erfolgen, um die Teilnahmeraten am Screening-Programm nicht zu gefährden.
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Einbindung der Kliniken, die ein zertifiziertes Brustzentrum (z.B. nach Ärztekammer, DKG, DGS, EUSOMA) betreiben, in die Früherkennung und die Abklärungsdiagnostik ("Assessment"). Es kann nicht dem Zufall bzw. den programmverantwortlichen Ärzten überlassen werden, welche Brustzentren erhalten werden bzw. welche die Re-Zertifizierung nicht überleben. Diese Maßnahme bedeutet nicht, dass per Dekret ein Bestandsschutz für universitäre Institutionen eingerichtet wird - die primäre Zertifizierung der Brustzentren folgt sehr strengen und objektivierbaren Maßstäben, die für die Universitäten in gleicher Weise wie für nichtuniversitäre Einrichtungen anzuwenden sind.
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Förderung der wissenschaftlichen Weiterentwicklung der Mammadiagnostik jenseits der (Screening-)Mammografie an zumindest einigen ausgewählten Standorten.
Diese Maßnahmen sind notwendig, um den Frauen die Sicherheit in der Brustkrebs-Früherkennung zu bieten, die sie zu Recht erwarten. Sie sind notwendig, um die Fortbildung von Fachärzten und Weiterbildungsassistenten auf fachlich hohem Niveau zu gewährleisten. Sie sind notwendig, um in Deutschland die Forschung und den medizinischen Fortschritt auf dem Gebiet der Brustkrebsdiagnostik und -therapie zu ermöglichen bzw. zu gewährleisten - und nicht etwa zu behindern.
Prof. Dr. med. Christiane Kuhl, Bonn Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Mammadiagnostik der Deutschen Röntgengesellschaft (Prof. R. Schulz-Wendtland, Prof. M. Müller-Schimpfle, Prof. U. Bick, Prof. U. Fischer, Prof. C. Kuhl) im Auftrag des Vorstandes der Deutschen Röntgengesellschaft