Psychiatr Prax 2007; 34(5): 213-214
DOI: 10.1055/s-2007-970889
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Let's talk about …

Supportive Psychotherapie!Let's Talk About …Supportive Psychotherapy!Hermann  Spießl1 , Harald  J.  Freyberger2 , Wulf  Rössler3
  • 1Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie der Universität am Bezirksklinikum Regensburg
  • 2Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Greifswald am Hanse-Klinikum Stralsund
  • 3Psychiatrische Universitätsklinik Zürich
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Priv.-Doz. Dr. med. Hermann Spießl

Bezirksklinikum Regensburg

93042 Regensburg

Email: hermann.spiessl@medbo.de

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27 June 2007 (online)

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Priv.-Doz. Dr. med. Hermann Spießl

Wir machen es täglich, aber wir sprechen nicht darüber. Wir veranstalten keine Kongresse und machen kaum Studien dazu [1]: Die supportive Psychotherapie ist sicher das Aschenputtel unter den Psychotherapieverfahren [2]. Für manche Autoren schließen sich „richtige” Psychotherapie und supportive Psychotherapie aus, da erstere notwendigerweise den Patienten auch mit belastenden Aspekten konfrontiere [3].

Außerhalb der Psychotherapiepraxen behandeln wir aber hauptsächlich schwer und chronisch psychisch Kranke. Oft ist bei dieser Klientel eine spezielle Psychotherapiemethode nicht in hinreichendem Maße möglich. Diese Patienten haben einen vielfältigen Hilfebedarf und Bedürfnisse in verschiedenen Bereichen [4], und darauf müssen wir als professionelle Helfer eingehen, auch in der Psychotherapie. Nicht verwunderlich ist daher, dass Sozialarbeiter und Pflegekräfte, die oft konkrete Hilfe bieten, von den Patienten positiver bewertet werden als Ärzte und Psychologen [5]. Dementsprechend schätzen Klinikpatienten (beratend-stützende) Gespräche mit ihrem Arzt oder Psychologen als wichtiger ein als spezielle Psychotherapieverfahren [6]. Die (Richtlinien-)Psychotherapien, insbesondere die tiefenpsychologisch fundierten/analytischen Verfahren, gehen weniger auf den konkreten Unterstützungsbedarf ein. Zudem erfüllen gerade chronisch psychisch Kranke oft nicht die üblichen Voraussetzungen für eine Psychotherapie wie Einsichtsfähigkeit, Konfliktbereitschaft oder Angsttoleranz, „sie passen nicht in eine Psychotherapiepraxis” und fallen somit meist durch die Maschen der (teueren) psychotherapeutischen Versorgung.

Die supportive Psychotherapie ist für akut kranke und chronisch schwer kranke Patienten oft besser geeignet und auch die am häufigsten angewendete Methode, auch bei Psychiatern [1]. Im psychiatrischen Versorgungskrankenhaus ist sie mit Abstand die am häufigsten eingesetzte Form einer Psychotherapie [7]: Nach einer auf Basis der psychiatrischen Basisdokumentation (DGPPN-BADO) durchgeführten Evaluation der Psychotherapie aller Behandlungsepisoden stationär-psychiatrischer Patienten mit einer ICD-10-Diagnose F2 - F6 in den Jahren 2000 bis 2004 (n = 11 947) wurden 57 % der Patienten psychotherapeutisch behandelt, 33,1 % mit supportiver Psychotherapie, während spezielle Psychotherapiemethoden nur in 0,9 bis 5,8 % angewendet wurden; 43 % der Patienten erhielten unspezifische ärztlich-therapeutische Gespräche ohne festes Setting. 49,6 % der Patienten wurde eine psychotherapeutische Weiterbehandlung nach Klinikentlassung empfohlen, meist eine supportive Psychotherapie (22 %), seltener eine Verhaltenstherapie (6,1 %) oder eine tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie (4 %).

Vielen psychotherapeutisch Tätigen gilt supportive Psychotherapie aber nicht als „richtige” Psychotherapie, obgleich ihre Wirksamkeit belegt ist [8] [9] [10]. Supportive Therapieanteile erwiesen sich in der sog. Menninger-Studie sogar als wirksamer als aufdeckende Elemente [11]. Auch in unserer Studie fand sich gerade die supportive Psychotherapie als signifikanter Prädiktor für den Therapieerfolg bei Patienten mit Schizophrenien, affektiven Störungen und Persönlichkeitsstörungen, der wesentlichen Klientel im allgemeinpsychiatrischen Bereich einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik [7]. Insbesondere Schizophrenien und schwere Persönlichkeitsstörungen gelten als wichtige Indikationen für eine supportive Therapie [12] [13]. Sie ist aber sicher kein Allheilmittel, bei Essstörungen war die supportive Psychotherapie ein negativer Prädiktor für das Behandlungsergebnis [7].

Was ist nun „supportive Psychotherapie”? Es gibt keine eigene metapsychologische Theorie, keine spezielle Ausbildung, keine Kongresse und nur wenige Studien. Selbst in den großen, seitenstarken Lehrbüchern für Psychiatrie und Psychotherapie findet sich meist keine oder nur eine marginale Erwähnung; nur einmal ist ihr ein eigenes Kapitel gewidmet [14]. Weniger als zehn Arbeiten beschäftigten sich in den letzten zehn Jahren im deutschsprachigen Raum mit der supportiven Psychotherapie, international wurde in den letzten Jahren dagegen wieder mehr zu diesem Thema publiziert [9] [12] [15].

Dabei finden sich supportive Elemente in allen Psychotherapieverfahren [12] [16] [17], in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (z. B. Stärkung der Ich-Funktionen) wie in der Verhaltenstherapie (z. B. Förderung der Selbstakzeptanz). Noch mehr Bezüge hat die supportive Psychotherapie aber zu den humanistischen Therapieansätzen: Echtheit, Empathie und Wertschätzung sind in der Gesprächspsychotherapie (nach Rogers) wie in der supportiven Psychotherapie die wesentlichen Therapeutenvariablen als Basis einer Arzt-Patient-Beziehung, die von Vertrauen und gegenseitigem Respekt geprägt ist. Ein enger Bezug besteht auch zum Konzept der allgemeinen Psychotherapie und der dort formulierten vier Wirkprinzipien Problemaktualisierung, Klärungsperspektive, Ressourcenaktivierung und aktive Hilfe [18], die in der supportiven Psychotherapie expliziter als in anderen Psychotherapieverfahren umgesetzt sind. Supportive Elemente sind aber nicht nur integraler Bestandteil aller Psychotherapieverfahren, die supportive Psychotherapie nimmt ihrerseits eklektisch Elemente aus vielen theoretisch fundierten Psychotherapieansätzen heraus [12],

Die supportive Psychotherapie mit ihrer Schutz- und Haltefunktion ist sowohl für akut und schwer Kranke als auch für chronisch Kranke mit F2-, F3- und F6-Diagnosen oft besser geeignet als andere Psychotherapieverfahren [7] [12] [13], da diese Patienten nicht selten eine hohe Vulnerabilität, eine Ich-Schwäche, eine verminderte Introspektionsfähigkeit, eine geringe Psychotherapiemotivation und Störungen in der Affektregulation aufweisen [19] [20]. Auch bei „psychosomatischen” Patienten kann eine supportive Therapie indiziert sein [21]. Die „Nicht-Eignung” für andere Psychotherapieverfahren und die Motivationsförderung für eine spezielle Psychotherapie (sog. „first-pass”-Psychotherapie) sind weitere Indikationen [14], wie auch ein Scheitern einer speziellen Psychotherapie. Nicht geeignet ist die supportive Psychotherapie hingegen für Patienten mit erheblichem primären und/oder sekundären Krankheitsgewinn sowie für Patienten mit dissozialer oder abhängiger Persönlichkeit, da die supportive Therapie die pathologischen Verhaltensweisen und Strukturen hier eher fördern würde [14] [20]. Auch ein gutes Ansprechen auf eine konfliktaufdeckende Psychotherapie gilt als Kontraindikation [20]. Die wesentlichen Elemente einer supportiven Psychotherapie sind [19] [20] [22]:

  • tragfähige, symmetrische Arzt-Patient-Beziehung,

  • keine Regressionsförderung,

  • Vertrauensbildung durch real präsenten Therapeuten,

  • Therapeut als Rollenmodell zur Identifikation,

  • Vermeidung von Übertragung und Kontrolle der Gegenübertragung,

  • klare Rahmenbedingungen trotz flexiblen Settings in Bezug auf Ort und Zeit,

  • realistische und konkrete Zielvereinbarungen,

  • Stärkung der Realitätsprüfung,

  • Klärung der subjektiven Krankheitstheorien,

  • Informationsvermittlung mit dem Ziel des Selbstmanagements,

  • Förderung adaptiver Coping-Mechanismen,

  • aktive Anleitung zur selbstständigen Lebensführung,

  • Ermöglichung neuer Erfahrungen durch Arbeiten im Hier und Jetzt,

  • Aktivierung der Ressourcen des Patienten und der sozialen Unterstützungssysteme,

  • Entlastung von Schuld- und Schamgefühlen,

  • positive Umdeutung der Symptome in Stärken als Anknüpfungspunkte für Veränderungswünsche,

  • positive Rückmeldung, Ermutigung und Optimismus,

  • Stärkung des Selbstwertgefühls.

Die zuletzt genannten Punkte sind besonders wichtig, da gerade chronisch psychisch Kranke täglich mit ihren Defiziten und Inkompetenzen konfrontiert werden. Die supportive Psychotherapie soll ihnen helfen, ein autonomes und selbstbewusstes Leben zu führen. Dafür ist sie aus sozialpsychiatrischer Sicht bei vielen Patienten besser geeignet als andere Psychotherapieverfahren, gerade unter den heutigen Versorgungsbedingungen [23]. Daher sollten wir mehr über supportive Psychotherapie reden. Und forschen und lehren.

#

Literatur

  • 1 Heim E. „Stütztherapie” - neu entdeckt? Plädoyer für adaptive Psychotherapien.  Psychother Psychosom Med Psychol. 1980;  30 261-273
  • 2 Winston A, Pinsker H, McCullough L. A review of supportive psychotherapy.  Hosp Community Psychiatry. 1986;  37 1105-1114
  • 3 Crown S. Supportive psychotherapy: a contradiction in term?.  Br J Psychiatry. 1988;  152 266-269
  • 4 Kallert T W, Leiße M. Betreuungsbedürfnisse schizophrener Patienten im Jahr nach Klinikentlassung in der Versorgungsregion Dresden.  Fortschr Neurol Psychiat. 2000;  68 176-187
  • 5 Haberfellner E, Rittmannsberger H. Soziale Beziehungen und soziale Unterstützung psychisch Kranker - Eine Netzwerkuntersuchung.  Psychiat Prax. 1995;  22 145-149
  • 6 Spießl H, Spießl A, Cording C. Die „ideale” stationär-psychiatrische Behandlung aus Sicht der Patienten.  Psychiat Prax. 1999;  26 3-8
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  • 14 Schonauer K, Kersting A. Supportive Psychotherapie und ärztliche Gesprächsführung. In: Möller HJ, Laux G, Kapfhammer HP Psychiatrie und Psychotherapie. Berlin; Springer 2000: 606-616
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  • 19 Rössler W. Supportive Psychotherapie. In: Rössler W Psychiatrische Rehabilitation. Berlin; Springer 2004: 134-145
  • 20 Wöller W, Kruse J, Alberti L. Was ist supportive Psychotherapie?.  Nervenarzt. 1996;  67 249-252
  • 21 Freyberger H, Freyberger H J. Supportive psychotherapy.  Psychother Psychosom. 1994;  61 132-142
  • 22 Misch D A. Basic strategies of dynamic supportive therapy.  J Psychother Pract Res. 2000;  9 173-189
  • 23 Freyberger H J. Psychotherapeutische Versorgung.  Die Psychiatrie. 2006;  3 145-149

Priv.-Doz. Dr. med. Hermann Spießl

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Email: hermann.spiessl@medbo.de

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Literatur

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Email: hermann.spiessl@medbo.de

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Priv.-Doz. Dr. med. Hermann Spießl