Der Klinikarzt 2007; 36(4): 190-192
DOI: 10.1055/s-2007-974629
Recht

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Verschärfte Anforderungen bei der Delegation der Aufklärung

Ärztliche Arbeitsteilung
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Dr. jur. Isabel Häser

Rechtsanwältin

Ehlers, Ehlers & Partner

Widenmayerstr. 29

80538 München

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Publication Date:
02 May 2007 (online)

 
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Die Delegation der Patientenaufklärung an nachgeordnete Ärzte ist gängige Praxis in der täglichen Klinikroutine. Doch Vorsicht: Ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs könnte zu einer deutlichen Verschärfung der Anforderungen bei der Übertragung dieser Aufgabe an einen Kollegen führen - zumindest bei schwierigen und seltenen Eingriffen. Der behandelnde Arzt kann diese Aufklärung eines Patienten delegieren. Er muss dabei jedoch sicherstellen und belegen können, dass der aufklärende Arzt den Patienten ordnungsgemäß und inhaltlich umfassend aufklärt.

Ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 07.11.2006 (Aktenzeichen VI ZR 206/05) könnte zu einer deutlichen Verschärfung der Anforderung an die Delegation der Aufklärung auf nachgeordnete Ärzte führen.

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Stein des Anstoßes: seltene Operation

Auslöser war folgender Fall: Eine Patientin hatte sich am 22.01.2002 aufgrund von Oberbauchbeschwerden in der Chirurgischen Klinik des später verklagten Chefarztes vorgestellt. Am folgenden Tag wurde sie stationär aufgenommen, dann über das Wochenende vorübergehend entlassen. Am 06.02.2002 erfolgte eine Divertikeloperation am Zwölffingerdarm durch den Chefarzt der Chirurgischen Klinik. Infolge einer Nahtinsuffizienz kam es später zu einer schweren Bauchfellentzündung und einer eitrigen Bauchspeicheldrüsenentzündung.

Die Patientin musste daraufhin 49 Tage auf der Intensivstation behandelt werden, davon lag sie etwa drei Wochen in einem künstlichen Koma unter Offenhaltung des Bauchraumes. Zudem wurde sie noch fünfmal operiert. Nach ihrer Entlassung im Juni 2002 trat sie eine Reha-Maßnahme an. Als Folge des langen Liegens auf der Intensivstation leidet die Patientin unter einer Critical-Illness-Polyneuropathie am linken Unterschenkel und am Fuß.

Vor der Operation führte der Stationsarzt zwei Gespräche mit der Patientin. Bei dem Eingriff handelte es sich um eine sehr seltene, vom Stationsarzt selbst - trotz langjähriger Berufserfahrung - noch nie durchgeführte Operation, über deren Risiken er sich selbst durch ein Studium der Fachliteratur zuvor informieren musste.

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Klage wegen unzureichender Aufklärung zunächst abgewiesen

Die Patientin verklagte den Chefarzt aufgrund des Vorwurfs unzureichender Aufklärung. Die Klage wurde in erster Instanz zunächst abgewiesen. Auch die Berufung der Patientin hatte keinen Erfolg. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei dem Chefarzt ein etwaiger Aufklärungsfehler nicht zuzurechnen, denn dieser habe die Aufklärung in zulässiger Weise dem Stationsarzt übertragen. Dieser sei als Facharzt hierfür ausreichend qualifiziert und mit den medizinischen Gegebenheiten vertraut gewesen.

Anhaltspunkte dafür, dass es an einer hinreichenden Kontrolle gefehlt oder der Chefarzt konkreten Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Stationsarztes gehabt habe oder hätte haben müssen, sah das Gericht nicht. Insbesondere die Tatsache, dass der Chefarzt mit dem Stationsarzt seit zehn Jahren zusammengearbeitet habe und es im Zusammenhang mit Aufklärungen noch nie zu Beanstandungen gekommen war, ließ nach Auffassung des Gerichts diesen Schluss zu.

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Bundesgerichtshof hebt das Urteil auf

Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des Berufungsgerichtes nun allerdings auf und verwies den Fall zurück an das Berufungsgericht. Der oberste Gerichtshof teilt die Auffassung des Berufungsgerichts nicht, dass ein möglicher Aufklärungsfehler dem Chefarzt nicht zurechenbar sei. Auch das Berufungsgericht geht davon aus, dass ein Arzt grundsätzlich für alle den Gesundheitszustand des Patienten betreffenden nachhaltigen Folgen haftet, wenn der ärztliche Eingriff nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gedeckt und damit rechtswidrig ist. Voraussetzung dafür ist aber eine vorausgehende ordnungsgemäße Aufklärung.

Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs kann die irrige Annahme des Operateurs, der Patient sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden, diese Aufklärung nicht ersetzen. Jeder behandelnde Arzt sei verpflichtet, den Patienten hinsichtlich der von ihm übernommenen Behandlungsaufgabe aufzuklären. Zwar könne ein Arzt die Erfüllung dieser Aufklärungspflicht einem anderen Arzt übertragen (den dann die Haftung für Aufklärungsversäumnisse in erster Linie trifft). Jedoch entlastet diese Delegation den behandelnden Arzt nicht ohne Weiteres von der Haftung.

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Strenge Anforderungen bei Delegation

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Ist der behandelnde Arzt von einer wirksamen Einwilligung des Patienten ausgegangen, kann sein Verhalten zwar rechtswidrig, möglicherweise aber entschuldbar sein. Dann dürfte der Irrtum des Chefarztes jedoch nicht auf Fahrlässigkeit beruhen. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs ist eine Fahrlässigkeit bei einer Übertragung der Aufklärung auf einen anderen Arzt dann zu verneinen, wenn der nicht selbst aufklärende Arzt durch geeignete organisatorische Maßnahmen und Kontrollen sichergestellt hat, dass eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den damit betrauten Arzt gewährleistet ist.

Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, wonach der Chefarzt nur haften würde, wenn es zum einen an einer hinreichenden Kontrolle fehlte und der Operateur zum anderen konkreten Anlass zu Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Stationsarztes hatte oder hätte haben müssen, meint der Bundesgerichtshof, dass das Berufungsgericht hier die Bedeutung der ärztlichen Arbeitsteilung verkennt. An die Kontrollpflicht des behandelnden Arztes, der einem anderen Arzt die Aufklärung überträgt, sind daher, so der Bundesgerichtshof, strenge Anforderungen zu stellen.

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Ordnungsgemäße Aufklärung sicherstellen und dokumentieren

Zunächst muss der behandelnde Arzt bei der Übertragung dieser Aufgabe auf einen Kollegen deren ordnungsgemäße Erfüllung sicherstellen und im Arzthaftungsprozess darlegen, was er hierfür getan hat. Dazu gehört die Angabe, ob er sich etwa in einem Gespräch mit dem Patienten über dessen ordnungsgemäße Aufklärung und/oder durch einen Blick in die Krankenakte vom Vorhandensein einer vom Patienten und vom aufklärenden Arzt unterzeichneten Einverständniserklärung vergewissert hat, dass eine für einen medizinischen Laien verständliche Aufklärung unter Hinweis auf die spezifischen Risiken des vorgesehenen Eingriffs erfolgt ist.

Diese Grundsätze müssten erst recht gelten, wenn der Operateur als Chefarzt Vorgesetzter des aufklärenden Arztes und diesem gegenüber überwachungspflichtig und weisungsberechtigt ist, betont der Bundesgerichtshof. Zu den Pflichten eines Chefarztes gehöre es nämlich, für eine ordnungsgemäße Aufklärung der Patienten seiner Klinik zu sorgen. Hat er also seine Aufklärungspflicht delegiert, darf er sich auf deren ordnungsgemäße Durchführung und insbesondere deren Vollständigkeit nur dann verlassen, wenn er hierfür ausreichende Anweisungen erteilt hat, die er gegebenenfalls im Arzthaftungsprozess darlegen muss.

Dazu gehört nach Auffassung des Bundesgerichtshofs die Angabe, welche Maßnahmen organisatorischer Art er getroffen hat, um eine ordnungsgemäße Aufklärung durch den nicht operierenden Arzt sicherzustellen. Darüber hinaus muss der Chefarzt darlegen, ob und gegebenenfalls welche Maßnahmen er ergriffen hat, um die ordnungsgemäße Umsetzung der von ihm erteilten Aufklärungsanweisungen zu überwachen. Im zu entscheidenden Fall wurde vom Berufungsgericht weder festgestellt, welche Organisationsanweisungen zur Aufklärung erteilt worden sind, noch in welcher Form diese Einhaltung überwacht worden ist.

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Noch strenger bei schwierigen oder seltenen Eingriffen

Im strittigen Fall geht der Bundesgerichtshof sogar noch über die eben geschilderten Voraussetzungen hinaus, da es sich um eine sehr seltene Operation gehandelt hat. Offen blieb zwar, ob für eine solch seltene Operation stets eine ausdrückliche Organisationsanweisung zur Aufklärung bestehen muss. Doch bei Eingriffen mit besonderen Risiken reicht nach Ansicht des Bundesgerichtshofs eine allgemeine Organisationsanweisung zur Aufklärungspflicht nicht aus, die hierauf keine Rücksicht nimmt. Der BGH fordert jedoch nicht, dass bei schwierigen und seltenen Eingriffen die Risikoaufklärung nur durch den Operateur selbst vorgenommen wird.

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Organisation der Aufklärung sicherstellen

Im Falle der Delegation müsse für solche Eingriffe entweder eine spezielle Aufklärungsanweisung existieren oder jedenfalls gewährleistet sein, dass sich der Operateur auf andere Weise - zum Beispiel in einem Vorgespräch mit dem aufklärenden Arzt - vergewissert, dass dieser den Eingriff in seiner Gesamtheit erfasst und dem Patienten die erforderlichen Entscheidungshilfen im Rahmen der Aufklärung geben konnte. Nur wenn eine solchermaßen zureichende Organisation der Aufklärung sichergestellt und überwacht wird, darf sich der Chefarzt darauf verlassen, dass sich der aufklärende Arzt an die allgemeinen oder im Einzelgespräch erteilten Organisationsanweisungen hält.

Der Bundesgerichtshof wies daher den Fall zurück an das Berufungsgericht, das nun die fehlenden Feststellungen zur Organisation der Aufklärung in der vom Chefarzt geleiteten Klinik nachholen muss.

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Bei schwierigen Fällen ist der Chefarzt gefragt

Das Urteil wird derzeit durchaus kontrovers diskutiert. Wichtig ist sicherlich, dass man es unter dem Gesichtspunkt liest, dass es sich um einen sehr seltenen Eingriff gehandelt hat, der vom aufklärenden Arzt selbst noch nie durchgeführt wurde. In solchen Fällen wäre es nachvollziehbar, dass der Chefarzt mit diesem Eingriff verbundene Risiken unter Umständen genauer überblicken kann als der Arzt, den er mit der Aufgabe der Aufklärung beauftragt. Nur in derartigen Fällen scheint der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen für die Aufklärung bzw. die Kontrolle durch den vorgesetzten Chefarzt noch enger fassen zu wollen.

Ein Blick in die Krankenakte bzw. die schriftliche Einverständniserklärung wird daher in solchen Fällen voraussichtlich zukünftig nicht mehr ausreichen. Insoweit fordert der Bundesgerichtshof eine explizite Aufklärungsanweisung für schwere Fälle, da diese von der allgemeinen Organisationsanweisung wohl nicht erfasst sein sollen. Um den Anforderungen des Urteils gerecht zu werden, wäre gegebenenfalls eine Dienstanweisung des Chefarztes sinnvoll, in der festgelegt ist, dass bei schwierigen Fällen die Aufklärung grundsätzlich durch den Chefarzt persönlich oder im Falle der Delegation eine Einzelfallkontrolle durch den Chefarzt zu erfolgen hat.

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