Dank moderner gentechnologisch hergestellter Gerinnungsfaktoren ist die Behandlung
von Menschen mit Hämophilie heute wesentlich sicherer geworden. Inzwischen besteht
praktisch kein Infektionsrisiko mehr. Die Erstdiagnose allerdings erfolgt auch heute
noch aufgrund der geringen Inzidenz der Erkrankung - in Deutschland gibt es "nur"
rund 6 000 sogenannte Bluter - oft erst sehr spät. Auffällig werden die Betroffenen
vor allem durch Einblutungen in Gelenke und Muskeln. Laut Prof. Johannes Oldenburg,
Bonn, machen diese Lokalisationen etwa 80 % aller Komplikationen aus. Diese sind folgenschwer,
denn langfristig führen sie zur Invalidität.
Schnelles, gezieltes Handeln ist gefragt
Schnelles, gezieltes Handeln ist gefragt
Deshalb gilt es, den Teufelskreis aus Gelenkblutung, Gelenkdeformierung und -instabilität
infolge der Atrophie der Streckmuskulatur und Beugekontraktur so schnell wie möglich
zu durchbrechen und am besten erst gar nicht entstehen zu lassen. Schnelles und gezieltes
Handeln sei auch deshalb entscheidend, so Oldenburg, da der Circulus vitiosus durch
eine Synovitis und die Zerstörung des Gelenkknorpels noch verstärkt wird. Dies hinterlässt
schließlich irreversible Schäden am betroffenen Gelenk und macht es anfälliger für
weitere Einblutungen.
Sowohl bei spontan auftretenden als auch traumatisch bedingten Gelenkblutungen sollten
die Gerinnungsfaktoren rasch substituiert werden, um die Blutung und das betroffene
Gebiet soweit es geht zu begrenzen. Wünschenswert sei allerdings eine dauerhafte Normalisierung
der Gerinnung, forderte Oldenburg. Seiner Auffassung nach ließe sich eine prophylaktische
Therapie für alle Hämophiliepatienten schon heute umsetzen. Zwar ist derzeit die Prophylaxe
bei Kindern bereits weitgehend akzeptiert, nur wenige Zentren bieten diese jedoch
auch für Erwachsene an. Die positiven Erfahrungen dieser Zentren sollten durch klinische
Studien weiter untermauert werden, forderte der Spezialist.
Hemmkörperbildung lässt sich vermeiden
Hemmkörperbildung lässt sich vermeiden
Als häufigstes und größtes Problem der Hämophiliebehandlung nannte Oldenburg die Bildung
von Faktor-VIII-Alloantikörpern, wie sie etwa bei 20-30 % aller Patienten mit schwerer
Hämophilie A auftritt. Die Alloantikörper neutralisieren das substituierte Faktor-VIII-Protein
und machen damit den therapeutischen Effekt der Substitution zunichte. Bei gut 80
% der Patienten lassen sich die Hemmkörper jedoch erfolgreich und dauerhaft eradizieren.
Paradoxerweise geschieht dies durch die wiederholte Gabe großer Mengen von Faktor-VIII-Präparaten
über einen Zeitraum von zwölf bis 15 Monaten. Um eine Hemmkörperbildung bei besonders
hierfür anfälligen Hämophiliepatienten im Vorfeld zu vermeiden, sollten aber umgekehrt
erste Gaben von Gerinnungsfaktoren im Akutfall niedrig dosiert werden, so der Experte.
Zudem könne eine frühe Prophylaxe dazu beitragen, ein hohes Hemmkörperrisiko in ein
niedriges zu überführen.
Martin Wiehl, Königstein-Falkenstein
Quelle: Fachpressekonferenz "Leben mit Hämophilie", veranstaltet von der Novo Nordisk
Pharma GmbH, Mainz