Bei einem unbehandelten Schlaganfall sterben durchschnittlich 1,9 Millionen Nervenzellen
pro Minute ab. Zusätzlich gehen in jeder Minute 14 Milliarden Synapsen und 12 Kilometer
Nervenfasern zugrunde. Im Vergleich zum normalen Alterungsprozess lässt dieser immense
Zellverlust das Gehirn pro Stunde um 3,6 Jahre "altern" [1]. Die einzige kausale Therapie des akuten ischämischen Insults ist die systemische
Fibrinolyse mit dem rekombinanten Gewebeplasminogenaktivator rt-PA (Alteplase, Actilyse®).
Die Behandlung sollte schnellstmöglich erfolgen. Innerhalb von drei Stunden nach Symptombeginn,
ist es wichtig, den Schlaganfall als Notfall zu behandeln.
Akuttherapie einer Ischämie mit Alteplase
Akuttherapie einer Ischämie mit Alteplase
Die auf der European Stroke Conference (ESC) präsentierte Auswertung des SITS-MOST-
Registers (Safe Implementation of Thrombolysis in Stroke-Monitoring Study) [2] zeigte, "dass die Anwendung von Actilyse® im klinischen Alltag mindestens genauso
sicher und wirksam ist wie in den durchgeführten randomisierten kontrollierten Studien",
sagt Prof. Hans Christoph Diener, Essen, auf einem Pressegespräch in Darmstadt. Für
diese Internet-basierte Erhebung lieferten 285 europäische Zentren Daten von 6 483
Patienten. Damit ist SITS-MOST das weltweit größte Schlaganfallregister.
Konzept mit Desmoteplase gescheitert?
Konzept mit Desmoteplase gescheitert?
Da viele Schlaganfallpatienten nicht innerhalb von drei Stunden auf einer Stroke Unit
eintreffen, wäre eine Lysebehandlung, die auch noch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgreich
eingesetzt werden kann, hilfreich. In einem entsprechenden Therapiekonzept wurde die
intravenöse Injektion von Desmoteplase geprüft, einer plasminogenaktivierenden Substanz,
die aus dem Speichel blutsaugender Fledermäuse (Desmodus rotundus) extrahiert wurde.
Nachdem die vorhergehenden Phase-II-Studien (DIAS und DEAS) [3], [4] erfolgreich waren, "verlief die nun auf der ESC vorgestellte Phase-III-Studie (DIAS-2-Studie)
jedoch negativ", sagt Diener. In dieser Studie erhielten Patienten mit einem ischämischen
Schlaganfall innerhalb eines Zeitfensters von 3-6 bzw. 6-9 Stunden eine einmalige
intravenöse Injektion von Desmoteplase oder Plazebo (57 Patienten wurden auf die 90-µg/kg-
und 66 Patienten auf die 125-µg/kg-Dosisgruppe sowie 63 Patienten auf die Plazebogruppe
randomisiert). Ihr Zustand wurde über 90 Tage mittels dreier Schlaganfallskalen mehrfach
bewertet. Die Responseraten waren in allen drei Therapiearmen vergleichbar. "Desmoteplase
ist also nicht besser wirksam als Plazebo", fasst Diener zusammen. "Die Mortalitätsrate
der 125-µg/kg-Dosisgruppe war sogar mit 21% gegenüber 6,3% in der Plazebogruppe erhöht",
betont Diener. Ob die Entwicklung mit Desmoteplase weiterverfolgt wird, wird nach
Auswertung der DIAS-2-Studiendaten entschieden.
Sekundärprävention
Sekundärprävention
Da nach einem ersten Schlaganfall häufig ein zweiter folgt, ist es unerlässlich, alle
Maßnahmen, die das Rezidivrisiko senken, zu ergreifen. Die gemeinsamen Leitlinien
der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und der Deutschen Schlaganfallgesellschaft
(DSG) empfehlen nach einer Ischämie oder einer transitorischen ischämischen Attacke
die zweimal tägliche Gabe der fixen Kombination aus 25 mg Acetylsalicylsäure (ASS)
plus 200 mg retardiertem Dipyridamol (Aggrenox®) zur Sekundärprävention bei Patienten
mit einem hohen Rezidivrisiko (≥4%/Jahr) - außer bei symptomatischer PAVK und ASS-Unverträglichkeit.
Denn ASS und retardiertes Dipyridamol wirken additiv. Die relative Risikoreduktion
für einen zweiten Insult ist doppelt so hoch wie unter ASS-Monotherapie. Das hat die
ESPS-2-Studie gezeigt [6]. ESPRIT [5] bestätigte die höhere Wirksamkeit der Kombination gegenüber ASS allein.
Die auf der ESC vorgestellte Metaanalyse aller dazu bisher durchgeführten klinischen
Studien habe diese Überlegenheit der Kombinationstherapie erneut bestätigt, berichtet
Diener. Insgesamt erhielten 3 812 Patienten eine ASS-Monotherapie und 3 800 Patienten
eine Kombinationstherapie aus ASS plus Dipyridamol. Die relative Risikoreduktion im
Vergleich zur ASS-Monotherapie betrug für den Endpunkt Schlaganfall 22% und für den
kombinierten Endpunkt Schlaganfall, Myokardinfarkt oder vaskulärer Tod 19%.
Auch bei Unterteilung des Patientenkollektivs nach Alter, Geschlecht oder vorhandenen
Risikofaktoren zeigte sich in allen Subgruppen die Überlegenheit der Kombinationstherapie.
Schutz auf vielfältige Weise
Schutz auf vielfältige Weise
Prof. Dr. Wolfgang Günter Eisert von Boehringer Ingelheim erläuterte, welche Mechanismen
den beobachteten positiven Wirkungen zugrunde liegen. Die beiden Komponenten in Aggrenox®
ergänzen sich ideal, denn ASS hemmt direkt die Thrombozytenaggregation, während Dipyridamol
die endotheliale Schutzfunktion verstärkt und atherosklerotischen Prozessen entgegen
wirkt. Der antithrombotische Effekt erfolgt durch einen lokalen Anstieg der extrazellulären
Adenosinkonzentration, eine Thrombozytenstabilisierung durch erhöhtes intrazelluläres
cAMP und eine gehemmte Thrombozytenaktivierung durch erhöhtes intrazelluläres cGMP.
Außerdem erhöht Dipyridamol die endotheliale Freisetzung des Gewebe-Plasminogenaktivators
t-PA. Dipyridamol unterdrückt zudem inflammatorische Signalwege auf der Genexpressionsebene
(MCP-1) und reduziert die Freisetzung der Matrix-Metalloproteinase-9. Es kommt zur
Hemmung körpereigener Entzündungsprozesse, welche mit einer Reihe von pathologischen
Gefäßveränderungen in Zusammenhang gebracht werden. Weitere positive Eigenschaften
des Dipyridamols sind seine antioxidativen und antiproliferativen Wirkungen, die für
die antiatherosklerotischen und neuroprotektiven Effekte verantwortlich sind.
Anne Bleick, Stuttgart
Quelle: Pressegespräch "Schlaganfalltherapie 2007 - Neue Daten und Fakten" am 22.
Juni 2007 in Darmstadt.
Mit freundlicher Unterstützung der Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG.